Sportpsychologe über "Mythos Teamgeist"

"Mythos Teamgeist? Leistung zwischen Gemeinschaftsgefühl und Einzelkämpfertum." So heißt der Vortrag, den Prof. Dr. Jens Kleinert beim DFB-Wissenschaftskongress im Januar 2016 in Frankfurt halten wird. Kleinert ist Leiter des Psychologischen Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit den Arbeitsschwerpunkten Motivations- und Emotionspsychologie sowie Team- und Gruppenforschung. Im DFB.de-Interview erklärt der 51-Jährige, wie Amateurtrainer von seiner Forschung profitieren können und was das Erfolgsgeheimnis des Teamgeistes bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien war.

DFB.de: Herr Kleinert, haben Sie sich bei Ihrer Forschung auch mit dem WM-Titel 2014 beschäftigt?

Prof. Dr. Jens Kleinert: Nicht explizit, aber indirekt ganz sicher.

DFB.de: Alle Beteiligten betonen, dass sich im Campo Bahia ein ganz besonderer Teamgeist innerhalb der Mannschaft entwickelt hat. Welchen Einfluss kann ein positives Gemeinschaftsgefühl auf die sportliche Leistung haben?

Kleinert: Am Ende kann man es mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Wenn man in einer Mannschaft gemeinsam ein erstrebenswertes Ziel hat und erreicht, freut man sich mehr, als wenn man für sich alleine kämpft.

DFB.de: Wie kann man als Trainer die richtigen Bedingungen für solch ein Gemeinschaftsgefühl schaffen?

Kleinert: Eine wichtige Voraussetzung ist, dass es eine Verbundenheit innerhalb der Mannschaft gibt und dass das Team in seinen Rollen funktioniert. Als Trainer muss man sich die Strukturen im Team anschauen. Was für Spielertypen habe ich? Wer übernimmt welche Funktion? Ein Spieler wie Lukas Podolski zum Beispiel ist der klassische Motivator...

DFB.de: ... und deswegen meistens beim Nationalteam dabei, auch wenn es sportlich bei ihm mal nicht so läuft?

Kleinert: Joachim Löw wird sich das genau überlegt haben und hat ja auch immer wieder betont, dass Lukas Podolski wichtig für die Mannschaft ist. Und dabei geht es eben nicht nur um das Spiel, sondern - und das ist ganz wichtig - auch um das Training, die Stimmung vor dem Spiel, die Motivation in der Kabine. Aber natürlich hat dieser Aspekt auch Grenzen. Am Ende muss ein Trainer zwischen der Teamrolle des Spielers und seinen technisch-taktischen Fähigkeiten abwägen. Nur als Stimmungsmacher bekommt man sicherlich keinen Platz im WM-Kader.

DFB.de: Welche Rollen im Team gibt es noch?

Kleinert: Ganz verschiedene. Jede Mannschaft hat zum Beispiel eine Führungsfigur, die die Strategie vorgibt und umsetzt, oder einen Mann für die Öffentlichkeitsarbeit, der häufiger in Interviews zu sehen ist. Als Trainer muss man sich diese Fähigkeiten seiner Spieler genau anschauen und die Rollen klar kommunizieren.



"Mythos Teamgeist? Leistung zwischen Gemeinschaftsgefühl und Einzelkämpfertum." So heißt der Vortrag, den Prof. Dr. Jens Kleinert beim DFB-Wissenschaftskongress im Januar 2016 in Frankfurt halten wird. Kleinert ist Leiter des Psychologischen Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit den Arbeitsschwerpunkten Motivations- und Emotionspsychologie sowie Team- und Gruppenforschung. Im DFB.de-Interview erklärt der 51-Jährige, wie Amateurtrainer von seiner Forschung profitieren können und was das Erfolgsgeheimnis des Teamgeistes bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien war.

DFB.de: Herr Kleinert, haben Sie sich bei Ihrer Forschung auch mit dem WM-Titel 2014 beschäftigt?

Prof. Dr. Jens Kleinert: Nicht explizit, aber indirekt ganz sicher.

DFB.de: Alle Beteiligten betonen, dass sich im Campo Bahia ein ganz besonderer Teamgeist innerhalb der Mannschaft entwickelt hat. Welchen Einfluss kann ein positives Gemeinschaftsgefühl auf die sportliche Leistung haben?

Kleinert: Am Ende kann man es mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Wenn man in einer Mannschaft gemeinsam ein erstrebenswertes Ziel hat und erreicht, freut man sich mehr, als wenn man für sich alleine kämpft.

DFB.de: Wie kann man als Trainer die richtigen Bedingungen für solch ein Gemeinschaftsgefühl schaffen?

Kleinert: Eine wichtige Voraussetzung ist, dass es eine Verbundenheit innerhalb der Mannschaft gibt und dass das Team in seinen Rollen funktioniert. Als Trainer muss man sich die Strukturen im Team anschauen. Was für Spielertypen habe ich? Wer übernimmt welche Funktion? Ein Spieler wie Lukas Podolski zum Beispiel ist der klassische Motivator...

DFB.de: ... und deswegen meistens beim Nationalteam dabei, auch wenn es sportlich bei ihm mal nicht so läuft?

Kleinert: Joachim Löw wird sich das genau überlegt haben und hat ja auch immer wieder betont, dass Lukas Podolski wichtig für die Mannschaft ist. Und dabei geht es eben nicht nur um das Spiel, sondern - und das ist ganz wichtig - auch um das Training, die Stimmung vor dem Spiel, die Motivation in der Kabine. Aber natürlich hat dieser Aspekt auch Grenzen. Am Ende muss ein Trainer zwischen der Teamrolle des Spielers und seinen technisch-taktischen Fähigkeiten abwägen. Nur als Stimmungsmacher bekommt man sicherlich keinen Platz im WM-Kader.

DFB.de: Welche Rollen im Team gibt es noch?

Kleinert: Ganz verschiedene. Jede Mannschaft hat zum Beispiel eine Führungsfigur, die die Strategie vorgibt und umsetzt, oder einen Mann für die Öffentlichkeitsarbeit, der häufiger in Interviews zu sehen ist. Als Trainer muss man sich diese Fähigkeiten seiner Spieler genau anschauen und die Rollen klar kommunizieren.

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DFB.de: "Elf Freunde müsst ihr sein" - gilt dieses Motto immer noch als Erfolgsrezept für Fußballmannschaften?

Kleinert: Ganz sicher ist das auch im heutigen Leistungsfußball noch wichtig. Eine emotionale Beziehung zwischen den Spielern kann sich positiv auf die Leistung auswirken. Es gibt ja sogar einen Zusammenhang zwischen emotionaler und spielerischer Verbundenheit. Wenn zwei Spieler auf der linken Außenbahn super Doppelpässe miteinander spielen können, mögen sie sich auch. Andererseits ist es möglich, dass man einen Spieler nicht mag und das dann taktische Auswirkungen hat, beispielsweise weil man ihn unbewusst außen vor lässt und seltener anspielt.

DFB.de: Inwiefern beeinflussen Ihre Forschungsergebnisse die Arbeit von Trainern wie Joachim Löw?

Kleinert: Die Sportpsychologie ist seit 20 Jahren im Kommen. Bei der Nationalmannschaft ist seit mehr als zehn Jahren Hans-Dieter Hermann als Psychologe dabei. Er braucht für seine tägliche Arbeit ganz sicher keine Studien. Aber die Erkenntnisse aus der Forschung können den Sportpsychologen als Argumentationshilfe dienen.

DFB.de: Zum Beispiel?

Kleinert: Es wurde beispielsweise nachgewiesen, dass Teambuildung-Maßnahmen unter zwei Wochen keine Wirkung haben, sondern mehrere Monate wirken müssen. Das kann dem Praktiker helfen, wenn er zum Beispiel erklären muss, warum ein Ausflug in den Kletterpark das Gemeinschaftsgefühl in der Mannschaft nicht nachhaltig verbessern wird.

DFB.de: Wie geben Sie Erkenntnisse aus der Forschung an die Trainer weiter?

Kleinert: Ein Weg ist es, im Fußball-Lehrer-Lehrgang Orientierung zu geben. Die Dozenten Dr. Babett Lobinger und Werner Mickler - manchmal auch ich selbst - geben dort Informationen, die die angehenden Fußball-Lehrer in ihrer täglichen Arbeit umsetzen können. So können wir die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis schlagen.

DFB.de: Kann auch ein Amateur- oder Jugendtrainer aus Ihrer Forschung Erkenntnisse für seine tägliche Arbeit gewinnen?

Kleinert: Auf jeden Fall. Auch wenn im Amateurfußball das Wohlbefinden oft wichtiger als der sportliche Erfolg ist, kann man ein paar einfache Regeln befolgen: Teambuilding nicht nur sporadisch betreiben, die Gemeinsamkeit herausstellen, klare Strukturen innerhalb der Mannschaft schaffen, klare Ansagen zu den unterschiedlichen Rollen treffen. Und diesen Leitsatz kann man sich merken: Wer zusammenspielt, muss sich vielleicht nicht lieben, aber wenn's geht, zumindest mögen oder respektieren.