Spahn: "Mehr Repression wäre der falsche Weg"

Die Vorfälle beim Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Nürnberg haben in der Öffentlichkeit unter anderem die Diskussion über die Lockerung der Stadionverbotsrichtlinien ausgelöst. So wird sich am kommenden Donnerstag auch die Innenministerkonferenz der Länder mit dieser Thematik befassen.

In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (FR) nimmt Helmut Spahn, der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Stellung zu den jüngsten Ausschreitungen und der aktuellen Situation in der Fanszene.

Frage: Herr Spahn, manche verstehen die Aufregung nicht: Es waren doch nur drei Kanonenschläge und eine Rakete, die Nürnberger Fans vor einer Woche im Frankfurter Stadion abgeschossen haben. Haben die Kritiker recht?

Helmut Spahn: Nein.Wir müssen die gesamte Entwicklung betrachten. Wenn wir uns nur den Einzelfall anschauen würden, könnte man vielleicht etwas gelassener reagieren. Aber das halte ich für falsch, denn: Kanonenschläge und Pyrotechnik, die mit bis zu tausend Grad Celsius abbrennt, haben in Stadien nichts zu suchen. Wir sind in den vergangenen Wochen sensibler geworden, weil wir zuletzt schon ähnliche Fälle erlebt haben.

Frage: Man hat den Eindruck, die Entwicklung ist nach vielen Jahren erstmals wieder negativ. Stimmt das?

Spahn: Jetzt von einer neuen Stufe der Eskalation zu sprechen, halte ich für stark überzogen. Es ist aber sicher so, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, sondern die Dinge genau analysieren und eventuell reagieren müssen. Das tun wir auch.

Frage: Was tun Sie?

Spahn: Wir haben uns am Donnerstag gemeinsam mit der Deutschen Fußball Liga und mit den Sprechern der Sicherheitsbeauftragten der ersten und zweiten Liga getroffen. Aktuell werden wir die Sicherheitsmaßnahmen bei den Spielen Stuttgart gegen Nürnberg und Stuttgart gegen Frankfurt erhöhen, dementsprechend haben wir diese Begegnungen in Spiele mit erhöhtem Risiko eingestuft. Wir halten die Klubs auch dazu an, die Kontrollen der Gastbereiche konsequent durchzuführen.

Frage: Benehmen sich denn Gästefans schlechter?

Spahn: Tatsächlich stellen wir fest, dass sich Fans im eigenen Stadion meist gut verhalten, aber dieselben Leute auswärts ein Verhalten an den Tag legen, das sie im eigenen Stadion selbst nicht gut finden. Da müssen wir etwas genauer hinschauen.

Frage: Wie weit kann das gehen? Man hört, dass Kanonenschläge durchaus auch mal unter dem BH von 15-jährigen Mädchen versteckt sein können.

Spahn: Sicher kann man mit gezielten Kontrollen zwar mehr Pyrotechnik finden. Es gibt aber leider noch ganz andere Möglichkeiten, Pyrotechnik ganz nah am Körper zu tragen. Es bleibt also immer ein Restrisiko. Wir wollen nämlich nicht, dass wir Hochsicherheitstrakte in den Stadien errichten und sich im ungünstigen Fall die Zuschauer zur Kontrolle ausziehen müssen.

Frage: Dann würden viele wohl auch zu Hause bleiben.

Spahn: Tatsächlich müssen wir darauf achten, dass jetzt nicht eine Minderheit der Mehrheit die Freude am Fußball nimmt, dass sich in den Stadien auch weiterhin Frauen und Kinder wohl fühlen und ihren Spaß haben. Die echten Fans dürfen sich nicht die positive Stimmung in den Stadien von einigen Chaoten und Wirrköpfen kaputt machen lassen.

Frage: Eintracht-Boss Heribert Bruchhagen sagt, man könne in einem Fußballstadion keine Sicherheit wie am Flughafen gewährleisten. Hat er recht?

Spahn: Da bin ich voll bei ihm. Es kann nicht sein, dass wir durch einige wenige Irrgeleitete alle anderen 50 000 in einem Stadion Restriktionen unterwerfen, die nicht mehr verhältnismäßig sind. Es wäre der falsche Weg, jetzt gleich nach mehr Kontrolle, nach mehr Repression und nach mehr Sicherheitspersonal zu rufen.

Frage: Wonach kann man dann rufen?

Spahn: Nach Zivilcourage in den Kurven, um Randale zu verhindern und einen Selbstreinigungsprozess anzustoßen. Wir vom DFB und von der DFL haben in den vergangenen beiden Jahren viel getan, unter anderem, indem wir die Richtlinien für Stadionverbote überarbeitet und gelockert haben. Wir sind immer wieder in den unterschiedlichsten Bereichen unheimlich weit auf die Fans zugekommen.

Frage: Sie haben auf Deeskalation gesetzt?

Spahn: Genau, und zwar in einem noch nie gekannten Ausmaß, auch in Zusammenarbeit mit Fanprojekten. Jetzt muss ich ganz einfach auch mal erwarten, dass die andere Seite einen Schritt auf uns zugeht. Die Vernünftigen, die in der großen Mehrzahl in der Kurve stehen, müssen reagieren, wenn ihre Pappenheimer sich daneben benehmen. Sie müssen sie in ihre Schranken weisen und ihnen sagen: "Freunde, wir wollen euch hier nicht mehr haben."

Frage: Gibt es von ihrer Seite Drohgebärden nach dem Motto: "Passt auf, wir können auch anders"?

Spahn: Darüber denkt man mal nach, aber es ist derzeit keine sinnvolleAlternative. Dass es natürlich anders geht, habe ich jüngst in Manchester erlebt. Da sind die Sicherheitsmaßnahmen vor dem Spiel nicht so intensiv wie in Deutschland, aber es gibt auch null Probleme mit Pyrotechnik und übrigens auch keine einzige Fahne und keinen Stehplatz im Stadion.

Frage: Keine Stehplätze mehr in deutschen Stadien - das würde eine Menge Ärger geben.

Spahn: Das wollen wir ja auch gar nicht. Aber wenn wir ständig in Stehplatzbereichen Probleme bekommen, müssen wir auch darüber nachdenken, ob diese Bereiche noch adäquat sind.

Frage: Nur, Herr Spahn, gerade die Kommerzialisierung, für die Sitzplätze ja auch stehen, ist für Ultras der Grund, sich bemerkbar zu machen.

Spahn: Es gibt tatsächlich Ultra-Gruppierungen, die sich als Störfaktor im Stadion produzieren wollen. Aber das ist die Minderheit.

Frage: Wie finden Sie die von den Ultras bevorzugte schwarze Kleidung im Stadion?

Spahn: Wenn wir schwarze Kapuzenpullover verbieten, gehen wir den falschen Weg. Ich trage ganz gern selber mal schwarz. Wenn wir aber feststellen, dass wir trotz der inzwischen umfangreichen Videoüberwachung vermummte Personen nicht mehr identifizieren können, müssen wir auch hier andere Wege gehen.

Frage: Was droht der Schweiz und Österreich bei der Europameisterschaft?

Spahn: Ich stehe in engem Kontakt mit beiden Organisationskomitees, auch mit meinen Kollegen aus Polen und Kroatien, deren Teams auf die deutsche Mannschaft in Klagenfurt treffen. Die Herausforderung ist bei einer Europameisterschaft sicherlich größer als bei der WM 2006, schließlich sind 16 europäische Spitzenteams dabei und alles ist dadurch geballter. Die Stadion-Infrastruktur kann man zudem nicht mit Deutschland vergleichen. Ich hoffe aber, dass wir alles mit unseren intensiven Bemühungen, auch im präventiven Bereich, sicher über die Bühne kriegen.

Zum Interview mit der Frankfurter Rundschau gelangen Sie hier.

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Die Vorfälle beim Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Nürnberg haben in der Öffentlichkeit unter anderem die Diskussion über die Lockerung der Stadionverbotsrichtlinien ausgelöst. So wird sich am kommenden Donnerstag auch die Innenministerkonferenz der Länder mit dieser Thematik befassen.

In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (FR) nimmt Helmut Spahn, der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Stellung zu den jüngsten Ausschreitungen und der aktuellen Situation in der Fanszene.

Frage: Herr Spahn, manche verstehen die Aufregung nicht: Es waren doch nur drei Kanonenschläge und eine Rakete, die Nürnberger Fans vor einer Woche im Frankfurter Stadion abgeschossen haben. Haben die Kritiker recht?

Helmut Spahn: Nein.Wir müssen die gesamte Entwicklung betrachten. Wenn wir uns nur den Einzelfall anschauen würden, könnte man vielleicht etwas gelassener reagieren. Aber das halte ich für falsch, denn: Kanonenschläge und Pyrotechnik, die mit bis zu tausend Grad Celsius abbrennt, haben in Stadien nichts zu suchen. Wir sind in den vergangenen Wochen sensibler geworden, weil wir zuletzt schon ähnliche Fälle erlebt haben.

Frage: Man hat den Eindruck, die Entwicklung ist nach vielen Jahren erstmals wieder negativ. Stimmt das?

Spahn: Jetzt von einer neuen Stufe der Eskalation zu sprechen, halte ich für stark überzogen. Es ist aber sicher so, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, sondern die Dinge genau analysieren und eventuell reagieren müssen. Das tun wir auch.

Frage: Was tun Sie?

Spahn: Wir haben uns am Donnerstag gemeinsam mit der Deutschen Fußball Liga und mit den Sprechern der Sicherheitsbeauftragten der ersten und zweiten Liga getroffen. Aktuell werden wir die Sicherheitsmaßnahmen bei den Spielen Stuttgart gegen Nürnberg und Stuttgart gegen Frankfurt erhöhen, dementsprechend haben wir diese Begegnungen in Spiele mit erhöhtem Risiko eingestuft. Wir halten die Klubs auch dazu an, die Kontrollen der Gastbereiche konsequent durchzuführen.

Frage: Benehmen sich denn Gästefans schlechter?

Spahn: Tatsächlich stellen wir fest, dass sich Fans im eigenen Stadion meist gut verhalten, aber dieselben Leute auswärts ein Verhalten an den Tag legen, das sie im eigenen Stadion selbst nicht gut finden. Da müssen wir etwas genauer hinschauen.

Frage: Wie weit kann das gehen? Man hört, dass Kanonenschläge durchaus auch mal unter dem BH von 15-jährigen Mädchen versteckt sein können.

Spahn: Sicher kann man mit gezielten Kontrollen zwar mehr Pyrotechnik finden. Es gibt aber leider noch ganz andere Möglichkeiten, Pyrotechnik ganz nah am Körper zu tragen. Es bleibt also immer ein Restrisiko. Wir wollen nämlich nicht, dass wir Hochsicherheitstrakte in den Stadien errichten und sich im ungünstigen Fall die Zuschauer zur Kontrolle ausziehen müssen.

Frage: Dann würden viele wohl auch zu Hause bleiben.

Spahn: Tatsächlich müssen wir darauf achten, dass jetzt nicht eine Minderheit der Mehrheit die Freude am Fußball nimmt, dass sich in den Stadien auch weiterhin Frauen und Kinder wohl fühlen und ihren Spaß haben. Die echten Fans dürfen sich nicht die positive Stimmung in den Stadien von einigen Chaoten und Wirrköpfen kaputt machen lassen.

Frage: Eintracht-Boss Heribert Bruchhagen sagt, man könne in einem Fußballstadion keine Sicherheit wie am Flughafen gewährleisten. Hat er recht?

Spahn: Da bin ich voll bei ihm. Es kann nicht sein, dass wir durch einige wenige Irrgeleitete alle anderen 50 000 in einem Stadion Restriktionen unterwerfen, die nicht mehr verhältnismäßig sind. Es wäre der falsche Weg, jetzt gleich nach mehr Kontrolle, nach mehr Repression und nach mehr Sicherheitspersonal zu rufen.

Frage: Wonach kann man dann rufen?

Spahn: Nach Zivilcourage in den Kurven, um Randale zu verhindern und einen Selbstreinigungsprozess anzustoßen. Wir vom DFB und von der DFL haben in den vergangenen beiden Jahren viel getan, unter anderem, indem wir die Richtlinien für Stadionverbote überarbeitet und gelockert haben. Wir sind immer wieder in den unterschiedlichsten Bereichen unheimlich weit auf die Fans zugekommen.

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Frage: Sie haben auf Deeskalation gesetzt?

Spahn: Genau, und zwar in einem noch nie gekannten Ausmaß, auch in Zusammenarbeit mit Fanprojekten. Jetzt muss ich ganz einfach auch mal erwarten, dass die andere Seite einen Schritt auf uns zugeht. Die Vernünftigen, die in der großen Mehrzahl in der Kurve stehen, müssen reagieren, wenn ihre Pappenheimer sich daneben benehmen. Sie müssen sie in ihre Schranken weisen und ihnen sagen: "Freunde, wir wollen euch hier nicht mehr haben."

Frage: Gibt es von ihrer Seite Drohgebärden nach dem Motto: "Passt auf, wir können auch anders"?

Spahn: Darüber denkt man mal nach, aber es ist derzeit keine sinnvolleAlternative. Dass es natürlich anders geht, habe ich jüngst in Manchester erlebt. Da sind die Sicherheitsmaßnahmen vor dem Spiel nicht so intensiv wie in Deutschland, aber es gibt auch null Probleme mit Pyrotechnik und übrigens auch keine einzige Fahne und keinen Stehplatz im Stadion.

Frage: Keine Stehplätze mehr in deutschen Stadien - das würde eine Menge Ärger geben.

Spahn: Das wollen wir ja auch gar nicht. Aber wenn wir ständig in Stehplatzbereichen Probleme bekommen, müssen wir auch darüber nachdenken, ob diese Bereiche noch adäquat sind.

Frage: Nur, Herr Spahn, gerade die Kommerzialisierung, für die Sitzplätze ja auch stehen, ist für Ultras der Grund, sich bemerkbar zu machen.

Spahn: Es gibt tatsächlich Ultra-Gruppierungen, die sich als Störfaktor im Stadion produzieren wollen. Aber das ist die Minderheit.

Frage: Wie finden Sie die von den Ultras bevorzugte schwarze Kleidung im Stadion?

Spahn: Wenn wir schwarze Kapuzenpullover verbieten, gehen wir den falschen Weg. Ich trage ganz gern selber mal schwarz. Wenn wir aber feststellen, dass wir trotz der inzwischen umfangreichen Videoüberwachung vermummte Personen nicht mehr identifizieren können, müssen wir auch hier andere Wege gehen.

Frage: Was droht der Schweiz und Österreich bei der Europameisterschaft?

Spahn: Ich stehe in engem Kontakt mit beiden Organisationskomitees, auch mit meinen Kollegen aus Polen und Kroatien, deren Teams auf die deutsche Mannschaft in Klagenfurt treffen. Die Herausforderung ist bei einer Europameisterschaft sicherlich größer als bei der WM 2006, schließlich sind 16 europäische Spitzenteams dabei und alles ist dadurch geballter. Die Stadion-Infrastruktur kann man zudem nicht mit Deutschland vergleichen. Ich hoffe aber, dass wir alles mit unseren intensiven Bemühungen, auch im präventiven Bereich, sicher über die Bühne kriegen.

Zum Interview mit der Frankfurter Rundschau gelangen Sie hier.