Silvia Neid: "Eine herausragende Bilanz"

Heute (ab 21 Uhr, live im ZDF und bei DAZN) startet Deutschland gegen Dänemark in die Europameisterschaft. Es ist für die DFB-Frauen nicht nur das erste Turnierspiel, sondern gleichzeitig die 500. Begegnung ihrer erfolgreichen Länderspielgeschichte. Silvia Neid hat die Historie geprägt - erst als Spielerin, dann als Trainerin. Im DFB.de-Interview blickt die nun 58 Jahre alte Fußball-Lehrerin auf beeindruckende Zeiten zurück - und ordnet die Chancen des deutschen Teams in England ein.

DFB.de: Frau Neid, das Duell mit Dänemark wird das 500. Spiel in der Geschichte der Frauen-Nationalmannschaft sein. Wie schauen Sie auf ereignisreiche 40 Jahre zurück?

Silvia Neid: Es war eine sehr, sehr erfolgreiche Zeit. Wir haben alle Titel gewonnen, die man gewinnen konnte. Wir sind zweimal Weltmeister und achtmal Europameister geworden und haben die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen geholt. Von den 499 Begegnungen bisher haben wir 350-mal gewonnen, 65-mal Unentschieden gespielt und nur 84 Spiele verloren. Das ist eine herausragende Bilanz. 1982 haben wir das erste offizielle Länderspiel in der Geschichte ausgetragen. Die Entwicklung seitdem ist super. Aber wir dürfen uns auf diesen Erfolgen selbstverständlich nicht ausruhen.

DFB.de: Sie haben diese Zeit erst als Spielerin und später als Nationaltrainerin mitgeprägt. Welche Erinnerungen haben Sie an das erste Länderspiel im November 1982?

Neid: Wir haben in Koblenz mit 5:1 gegen die Schweiz gewonnen. Ich bin nach der Pause eingewechselt worden und habe mit meinem ersten Ballkontakt das 3:0 gemacht. Später ist mir noch der Treffer zum Endstand gelungen. Das ist für mich ein unvergesslicher Tag, weil er eine historische Bedeutung hat.

DFB.de: War Ihnen diese Bedeutung damals auch schon bewusst?

Neid: Nein, überhaupt nicht. Ich war 18 Jahre alt und wollte einfach nur Fußball spielen. Ich habe damals im Vorfeld zum ersten Mal Post vom Deutschen Fußball-Bund bekommen. Mit dem Brief habe ich die Einladung zu einem Lehrgang erhalten. Da wurde der Kader für das erste Länderspiel festgelegt. Ich konnte zum Glück die Verantwortlichen überzeugen. Ich bin stolz darauf, dabei gewesen zu sein. Das war ein wunderbarer Start für den Weg, den wir danach gemeinsam gegangen sind. Es war eine in jeder Hinsicht großartige Zeit.

DFB.de: Bundestrainer war damals Gero Bisanz. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Neid: Nur sehr gut. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er war ein Gentleman und ein gewiefter Taktiker. Er war damals genau der richtige Trainer für uns. Gero Bisanz hat uns sehr viel beigebracht. Ich saß in den Spielbesprechungen und habe an seinen Lippen gehangen, weil er einfach so extrem viel wusste. Vieles von dem, was er taktisch eingeführt hat, haben Tina Theune und ich dann später übernommen – natürlich immer wieder auch mit Anpassungen. Unter Gero Bisanz beispielsweise haben wir noch mit Libero gespielt, Tina und ich habe dann die Viererkette eingeführt.

DFB.de: Sie haben 111 Länderspiele gemacht und dabei 48 Treffer erzielt. Gibt es eines, das besonders hervorsticht.

Neid: Natürlich meine Premiere, aber darüber haben wir bereits gesprochen. Eine andere entscheidende Begegnung für mich persönlich war ein Freundschaftsspiel im September 1992 gegen Frankreich. Um das nachvollziehen zu können, muss man wissen, dass ich mir bei der Weltmeisterschaft im Jahr zuvor in China einen Sehnenabriss in der Kniekehle zugezogen hatte. Wegen dieser Verletzung war ich fast ein Jahr raus. Die Partie gegen Frankreich war mein Comeback in der Nationalmannschaft. Wir haben 7:0 gewonnen und mir sind direkt drei Treffer gelungen. Das war sehr wichtig für mich. Damit habe ich mich eindrucksvoll zurückgemeldet. Aber auch die Titel bei den Europa- und Weltmeisterschaften als Spielerin und später als Trainerin haben natürlich einen enormen Stellenwert.

DFB.de: Und ganz am Ende der Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio.

Neid: Das war ohne Zweifel der krönende Abschluss. Nach 34 Jahren bei der Frauen-Nationalmannschaft war das der perfekte Zeitpunkt, um mal etwas Neues zu machen.

DFB.de: Am Mittwoch hat die Europameisterschaft in England begonnen. Die DFB-Auswahl startet am Freitag gegen Dänemark ins Turnier. Was ist für das Team von Martina Voss-Tecklenburg möglich?

Neid: Zunächst müssen wir natürlich die Gruppenphase überstehen. Aber hier rechne ich unserer Mannschaft gute Chancen aus. Die Spanierinnen sind sehr stark und mit uns auf Augenhöhe. Gegen Dänemark und Finnland sollten wir meiner Meinung nach aber gewinnen. Grundsätzlich zähle ich uns zu den absoluten Topfavoriten im Turnier. Wir können sehr weit kommen. Ich bin wirklich guter Dinge, weil wir viele hervorragend ausgebildete Spielerinnen haben, die großen Spielwitz mitbringen. Außerdem sind wir auch in der Breite gut aufgestellt.

DFB.de: Wem trauen Sie ebenfalls zu, Europameister zu werden?

Neid: Die Spanierinnen sollten wir auf dem Zettel haben. Sie haben ein starkes Fundament, das beim FC Barcelona spielt. Allerdings kommt es jetzt darauf an wie sie den Verlust ihrer besten Spielerin Putellas kompensieren. Die Engländerinnen sind in der Defensive sehr stabil und vorne immer gefährlich. Sie kommen mit viel Tempo über die Außenbahnen. Außerdem sind sie Gastgeberinnen, das kann ein großer Vorteil sein. Und auch die Schwedinnen schätze ich stark ein. Mit uns zusammen ist das für mich das Favoriten-Quartett. Frankreich und die Niederlande sind für mich schwer einzuschätzen. Frankreich fehlte zuletzt gegen starke Gegnerinnen die Präzision im Torabschluss. Die Niederlande offenbarten in der Vierer-Abwehr Probleme gegen dribbelstarke und schnelle Spielerinnen. Grundsätzlich müssen wir uns vor niemandem verstecken. Wenn alles klappt, können wir den Titel nach Deutschland holen. Es wird auf jeden Fall spannend. Ich freue mich auf guten Fußball.

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Heute (ab 21 Uhr, live im ZDF und bei DAZN) startet Deutschland gegen Dänemark in die Europameisterschaft. Es ist für die DFB-Frauen nicht nur das erste Turnierspiel, sondern gleichzeitig die 500. Begegnung ihrer erfolgreichen Länderspielgeschichte. Silvia Neid hat die Historie geprägt - erst als Spielerin, dann als Trainerin. Im DFB.de-Interview blickt die nun 58 Jahre alte Fußball-Lehrerin auf beeindruckende Zeiten zurück - und ordnet die Chancen des deutschen Teams in England ein.

DFB.de: Frau Neid, das Duell mit Dänemark wird das 500. Spiel in der Geschichte der Frauen-Nationalmannschaft sein. Wie schauen Sie auf ereignisreiche 40 Jahre zurück?

Silvia Neid: Es war eine sehr, sehr erfolgreiche Zeit. Wir haben alle Titel gewonnen, die man gewinnen konnte. Wir sind zweimal Weltmeister und achtmal Europameister geworden und haben die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen geholt. Von den 499 Begegnungen bisher haben wir 350-mal gewonnen, 65-mal Unentschieden gespielt und nur 84 Spiele verloren. Das ist eine herausragende Bilanz. 1982 haben wir das erste offizielle Länderspiel in der Geschichte ausgetragen. Die Entwicklung seitdem ist super. Aber wir dürfen uns auf diesen Erfolgen selbstverständlich nicht ausruhen.

DFB.de: Sie haben diese Zeit erst als Spielerin und später als Nationaltrainerin mitgeprägt. Welche Erinnerungen haben Sie an das erste Länderspiel im November 1982?

Neid: Wir haben in Koblenz mit 5:1 gegen die Schweiz gewonnen. Ich bin nach der Pause eingewechselt worden und habe mit meinem ersten Ballkontakt das 3:0 gemacht. Später ist mir noch der Treffer zum Endstand gelungen. Das ist für mich ein unvergesslicher Tag, weil er eine historische Bedeutung hat.

DFB.de: War Ihnen diese Bedeutung damals auch schon bewusst?

Neid: Nein, überhaupt nicht. Ich war 18 Jahre alt und wollte einfach nur Fußball spielen. Ich habe damals im Vorfeld zum ersten Mal Post vom Deutschen Fußball-Bund bekommen. Mit dem Brief habe ich die Einladung zu einem Lehrgang erhalten. Da wurde der Kader für das erste Länderspiel festgelegt. Ich konnte zum Glück die Verantwortlichen überzeugen. Ich bin stolz darauf, dabei gewesen zu sein. Das war ein wunderbarer Start für den Weg, den wir danach gemeinsam gegangen sind. Es war eine in jeder Hinsicht großartige Zeit.

DFB.de: Bundestrainer war damals Gero Bisanz. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Neid: Nur sehr gut. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er war ein Gentleman und ein gewiefter Taktiker. Er war damals genau der richtige Trainer für uns. Gero Bisanz hat uns sehr viel beigebracht. Ich saß in den Spielbesprechungen und habe an seinen Lippen gehangen, weil er einfach so extrem viel wusste. Vieles von dem, was er taktisch eingeführt hat, haben Tina Theune und ich dann später übernommen – natürlich immer wieder auch mit Anpassungen. Unter Gero Bisanz beispielsweise haben wir noch mit Libero gespielt, Tina und ich habe dann die Viererkette eingeführt.

DFB.de: Sie haben 111 Länderspiele gemacht und dabei 48 Treffer erzielt. Gibt es eines, das besonders hervorsticht.

Neid: Natürlich meine Premiere, aber darüber haben wir bereits gesprochen. Eine andere entscheidende Begegnung für mich persönlich war ein Freundschaftsspiel im September 1992 gegen Frankreich. Um das nachvollziehen zu können, muss man wissen, dass ich mir bei der Weltmeisterschaft im Jahr zuvor in China einen Sehnenabriss in der Kniekehle zugezogen hatte. Wegen dieser Verletzung war ich fast ein Jahr raus. Die Partie gegen Frankreich war mein Comeback in der Nationalmannschaft. Wir haben 7:0 gewonnen und mir sind direkt drei Treffer gelungen. Das war sehr wichtig für mich. Damit habe ich mich eindrucksvoll zurückgemeldet. Aber auch die Titel bei den Europa- und Weltmeisterschaften als Spielerin und später als Trainerin haben natürlich einen enormen Stellenwert.

DFB.de: Und ganz am Ende der Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio.

Neid: Das war ohne Zweifel der krönende Abschluss. Nach 34 Jahren bei der Frauen-Nationalmannschaft war das der perfekte Zeitpunkt, um mal etwas Neues zu machen.

DFB.de: Am Mittwoch hat die Europameisterschaft in England begonnen. Die DFB-Auswahl startet am Freitag gegen Dänemark ins Turnier. Was ist für das Team von Martina Voss-Tecklenburg möglich?

Neid: Zunächst müssen wir natürlich die Gruppenphase überstehen. Aber hier rechne ich unserer Mannschaft gute Chancen aus. Die Spanierinnen sind sehr stark und mit uns auf Augenhöhe. Gegen Dänemark und Finnland sollten wir meiner Meinung nach aber gewinnen. Grundsätzlich zähle ich uns zu den absoluten Topfavoriten im Turnier. Wir können sehr weit kommen. Ich bin wirklich guter Dinge, weil wir viele hervorragend ausgebildete Spielerinnen haben, die großen Spielwitz mitbringen. Außerdem sind wir auch in der Breite gut aufgestellt.

DFB.de: Wem trauen Sie ebenfalls zu, Europameister zu werden?

Neid: Die Spanierinnen sollten wir auf dem Zettel haben. Sie haben ein starkes Fundament, das beim FC Barcelona spielt. Allerdings kommt es jetzt darauf an wie sie den Verlust ihrer besten Spielerin Putellas kompensieren. Die Engländerinnen sind in der Defensive sehr stabil und vorne immer gefährlich. Sie kommen mit viel Tempo über die Außenbahnen. Außerdem sind sie Gastgeberinnen, das kann ein großer Vorteil sein. Und auch die Schwedinnen schätze ich stark ein. Mit uns zusammen ist das für mich das Favoriten-Quartett. Frankreich und die Niederlande sind für mich schwer einzuschätzen. Frankreich fehlte zuletzt gegen starke Gegnerinnen die Präzision im Torabschluss. Die Niederlande offenbarten in der Vierer-Abwehr Probleme gegen dribbelstarke und schnelle Spielerinnen. Grundsätzlich müssen wir uns vor niemandem verstecken. Wenn alles klappt, können wir den Titel nach Deutschland holen. Es wird auf jeden Fall spannend. Ich freue mich auf guten Fußball.

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