Siggi Held wird 80: "Das war Fußball des Jahres 2000"

Am 29. April 1972 gewann Deutschland im Hinspiel des EM-Viertelfinals mit 3:1 gegen England in Wembley. Die Art und Weise des ersten Siegs der DFB-Auswahl im Mutterland des Fußballs verlieh dieser Mannschaft das Prädikat "Jahrhundert-Elf", das Spiel und die Mannschaft wurden zum Mythos der deutschen Länderspielgeschichte. An allen drei Toren direkt beteiligt war Siggi Held, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Im DFB.de-Interview spricht er über das Spiel in England, über sein Fehlen bei der EM-Endrunde in Belgien sowie über die Höhepunkte seiner Karriere als Spieler und Trainer.

DFB.de: Vor 50 Jahren, im Sommer 1972, wurde Deutschland erstmals Europameister. Mit einem 3:0-Sieg am 18. Juni 1972 im Finale gegen die Sowjetunion. Doch nicht die Mannschaft, die damals in Brüssel triumphierte, sondern das Team, das sieben Wochen zuvor gegen England in Wembley mit 3:1 gewonnen hatte, ging als "Jahrhundert-Elf" in die deutsche Fußballgeschichte ein. Erklären Sie uns doch mal, wie es dazu kam.

Siggi Held: Puuuh, das ist doch so lange her. Doch ich denke, auch im Rückblick kommen drei Aspekte als Erklärung zusammen. Da ist zum einen die historische Komponente des ersten Siegs einer deutschen Nationalmannschaft in England überhaupt. Und dann noch im mythischen Wembley, wo wir sechs Jahre zuvor das WM-Finale gegen die Engländer verloren hatten. Zum andern hatte England einen weitaus klangvolleren Namen als die Sowjetunion, die zwar auch kein unbeschriebenes Blatt war. Der englische Fußball wurde aber weltweit bewundert für Leidenschaft, Härte, Tempo und Dramatik. So war es auch im WM-Viertelfinale 1970, das wir in Mexiko ja nach Verlängerung 3:2 gewannen.

DFB.de: Und der dritte Grund für den Mythos "Jahrhundert-Elf" aus Ihrer Sicht?

Siggi Held: Ganz klar: Die herausragende Leistung unserer Mannschaft. Wir hielten nicht nur der englischen Härte stand und gingen das unheimlich hohe Tempo mit. Wir zeigten dazu auch große spielerische Klasse. Im Ausland hieß es, das sei Fußball des Jahres 2000 gewesen.

DFB.de: So stand es in der französischen Sportzeitung L’Equipe. Was machte den Auftritt der deutschen Nationalmannschaft damals so besonders?

Siggi Held: Erst einmal galt es, wichtige Stammspieler wie Wolfgang Overath, Berti Vogts, Wolfgang Weber und Klaus Fichtel zu ersetzen, die wegen Verletzung oder aus anderen Gründen fehlten. Doch die, die in Wembley dann auf dem Platz standen, waren voller Ehrgeiz, weil alle unbedingt die Europameisterschafts-Endrunde in Belgien erreichen wollten. Beim Anpfiff waren jedenfalls alle Sorgen und Bedenken vergessen. Wir waren wie beflügelt und machten ein gutes Spiel. Uns zur Jahrhundert-Elf hochzuhängen, bleibt anderen überlassen.

DFB.de: Jedes besondere Ereignis benötigt besondere Protagonisten. Waren es damals in Wembley tatsächlich Franz Beckenbauer und vor allem Günter Netzer, deren Zusammenspiel danach mit dem Begriff "Ramba-Zamba" gefeiert wurde?

Siggi Held: Beide hatten als großartige Fußballer einen Glanztag erwischt und ergänzten sich bei ihrem Wechselspiel durchs Mittelfeld hervorragend. Noch imponierender erscheint mir aber auch heute noch die total geschlossene Mannschaftsleistung, angefangen bei Sepp Maier im Tor, der mit einem verletzten Ellenbogengelenk eine tolle Leistung zeigte.

DFB.de: Im Mythos von der Jahrhundert-Elf ging Ihre persönliche Leistung in London ziemlich unter. Die Westdeutsche Zeitung verwies im Rückblick zuletzt darauf, dass Sie an der Vorbereitung aller drei Tore beteiligt waren, und nannte Sie den "vergessenen Held". Bringen Sie uns Ihren Anteil am Sieg doch mal in Erinnerung!

Siggi Held: Es geht nichts über den Sieg, und gar nichts über einen solchen Sieg. Ich habe versucht, meinen Teil dazu beizutragen. Es nützt ja nichts, wenn wir vorne drei Tore schießen und kassieren hinten vier Gegentore. Unser 3:1 war eine fantastische Mannschaftsleistung.

DFB.de: Zu der Sie das 1:0 durch Uli Hoeneß perfekt vorbereiteten, zudem das 3:1 über Hoeneß und Gerd Müller einleiteten. Und wie war das mit dem Foulelfmeter, den Günter Netzer zum 2:1 verwandelte?

Siggi Held: Bobby Moore hat mich auf dem Weg zum Tor deutlich im Strafraum gefoult und mich nicht nur in dieser Szene, sondern ein paar Mal mehr in diesem Spiel regelwidrig von den Beinen geholt.

DFB.de: Das EM-Viertelfinale wurde in jener Zeit noch mit Hin- und Rückspiel durchgeführt. Auch beim folgenden 0:0 in Berlin waren Sie dabei. Beim Endturnier in Belgien traf Sie dann aber einen Monat später der Fluch der guten Tat.

Siggi Held: Das große Ziel meines damaligen Arbeitgebers Kickers Offenbach war der Bundesliga-Aufstieg. Darauf hatten wir ein Jahr lang, ungeschlagen in der gesamten Zweitliga-Saison, hingearbeitet. Dieses Vorhaben konnte, durfte und wollte ich mit meinem Fehlen in der Aufstiegsrunde nicht in Gefahr bringen.

DFB.de: So hieß es für Sie am 14. Juni 1972 statt Halbfinale gegen Belgien 7:2 gegen Röchling Völklingen. Und als Deutschland am 18. Juni den EM-Titel gewann, machten Sie mit den Kickers drei Tage später mit dem 6:0-Sieg bei Wacker 04 Berlin den Wiederaufstieg perfekt. Schicksal eines Fußballprofis?

Siggi Held: Es gibt schlimmere Schicksale. Natürlich hätte ich gerne um den EM-Titel mitgespielt. Doch im Nachhinein muss ich sagen: Deutschland ist Europameister geworden und Kickers Offenbach ist wieder in die Bundesliga aufgestiegen. Also alles richtig gemacht. Bis auf die UEFA. Die hat mit der Terminplanung der EM einen großen Fehler gemacht. Vielleicht hat sie nicht damit gerechnet, dass sie einem Zweitliga-Nationalspieler die EM-Teilnahme vermasselt.

DFB.de: Bundestrainer Helmut Schön hielt auch nach Ihrem Wechsel im Sommer 1971 von Borussia Dortmund zum Bundesliga-Absteiger Kickers Offenbach an Ihnen als Nationalspieler fest. Was war das für ein Gefühl, unter den Stars von Bayern München und Borussia Mönchengladbach zumindest eine Saison lang der einzige Zweitligaspieler im Nationalteam zu sein?

Siggi Held: Ich war ja kein Neuling im Nationalteam, sondern habe mich schon seit 1966 dort zugehörig gefühlt. Ich hatte zu allen Kollegen im Nationalteam ein völlig unbelastetes Verhältnis. Da gab es keine Frotzeleien oder blöden Anspielungen nach dem Motto: "Wie riecht es eigentlich im Unterhaus?"

DFB.de: Im Verlauf Ihrer 41 Länderspiele kamen England und vor allem Wembley eine spezielle Bedeutung zu. Welche Partie hat Sie bis heute emotional stärker berührt: Ihr großer Anteil bei der Geburt der „Jahrhundert-Elf“ 1972 oder sechs Jahre vorher das verlorene WM-Finale 1966 an gleicher Stätte mit dem bis heute umstrittenen Wembley-Tor?

Siggi Held: Sicherlich das verlorene WM-Finale. Damals war ich mit 23 Jahren international noch relativ unerfahren, tieftraurig und vergoss auch ein paar Tränen. Danach habe ich gelernt, besser mit Niederlagen umzugehen. Auf die fragwürdige Linienrichter-Entscheidung beim Wembley-Tor will ich gar nicht mehr eingehen.

DFB.de: Warum nicht?

Siggi Held: Okay, nur so viel: Wenn er das angebliche Tor zum 3:2 für England genau gesehen hätte, wäre er, wie es sein sollte, zur Mittellinie gerannt, zum Anstoß für uns. So aber blieb er stehen und wedelte nur mit seinem Fähnchen herum. Das war schon seltsam. Da bin auch ich zu ihm hingerannt, um zu protestieren. Wembley 1966, das tat lange sehr, sehr weh.

DFB.de: Ein totaler emotionaler Absturz, nachdem Sie zwölf Wochen vorher mit unbändiger Freude den größten Erfolg Ihrer Profikarriere gefeiert hatten: den Gewinn des Europapokals der Pokalsieger mit Borussia Dortmund am 5. Mai 1966 in Glasgow.

Siggi Held: Wembley im Juli 1966, das war nach Glasgow im Mai 1966 schon ein brutales Wechselbad der Gefühle. Doch da die Zeit bekanntlich alle Wunden heilt, überwiegen heute ganz klar der Stolz und die Freude über unseren Europapokaltriumph mit dem BVB gegen den als haushohen Favoriten gehandelten FC Liverpool.

DFB.de: Zumal es der erste Europapokal-Titel für eine deutsche Mannschaft war.

Siggi Held: Genau.

DFB.de: Und Sie noch weitaus entscheidender als mit der Jahrhundert-Elf in Wembley am Dortmunder 2:1-Sieg in Glasgow beteiligt waren. Als Schütze des Führungstreffers und als direkter Vorbereiter des Siegtors durch Reinhard Libuda.

Siggi Held: So war es. Klar, dass dieser Sieg, an dem ich nicht ganz unbeteiligt war, einen immensen Stellenwert in meiner Karriere hat.

DFB.de: Welche Bedeutung hat die Stadt Dortmund in Ihrem Leben? Dorthin waren Sie 1977 noch mal für zwei Jahre als Spieler zurückgekehrt und dort sind Sie seit 2006 als Fanbeauftragter beim BVB tätig.

Siggi Held: Dortmund ist für mich und meine Familie seit 1977 nicht nur dauerhafte Bleibe, sondern mir auch wirklich Heimat geworden. Ich fühle ich mich hier absolut zu Hause, fühle mich rundum sehr wohl und bin zufrieden. Für meinen Herzensverein zudem seit 16 Jahren als Fanbeauftragter regelmäßig tätig zu sein, ist eine wunderbare Aufgabe, die mir riesig viel Spaß macht.

DFB.de: Im Juni 1981 beendeten Sie bei Bayer Uerdingen mit dem letzten Bundesligaspiel kurz vor Beginn Ihres 40. Lebensjahres Ihre Karriere als Spieler. Wie schafft man, vor allem als Stürmer, eine solche Ausdauerleistung auf so hohem Leistungsniveau?

Siggi Held: Ehrlich gesagt, gehört auch Glück dazu. Stürmer haben damals noch viel mehr auf die Socken bekommen als heute. Doch ich hatte nur wenige Verletzungen zu verschmerzen, vielleicht auch, weil ich nicht langsam war.

DFB.de: Wie war Ihre 100-Meter-Bestzeit?

Siggi Held: In Offenbach wurden bei mir mal handgestoppte 10,8 Sekunden notiert. In Nockenschuhen! Tatsache ist, dass ich mich fast immer fit gefühlt habe. Aufgehört habe ich 1981 nur, weil Uerdingen abgestiegen ist, mich zwar trotzdem bekniet hat, weiterzuspielen. Doch ich erhielt auf Schalke auf Anhieb die Chance, Trainer zu werden und entschied mich für diesen Weg.

DFB.de: Ausdauer kennzeichnet auch Ihre 25 Jahre währende Fußballlehrer-Laufbahn, die Sie zwischen 1981 und 2005 von Schalke über Island, Istanbul, Wien, Dresden, Osaka, Leipzig, Malta und Thailand als Vereins- und Nationaltrainer in alle Welt führte. Welche Stationen waren für Sie dabei besonders prägend?

Siggi Held: Besonders belastend war das große Erdbeben, das ich 1995 als Trainer von Gamba Osaka in Japan miterleben musste. Da haben im wahrsten Sinn des Wortes die Wände in unserem Hotel-Apartment gewackelt, ganz gewaltig gewackelt. Gerne denke ich an meine drei Jahre als Nationaltrainer auf Island zurück, zumal ich dort mein heutiges großes Freizeithobby Golf kennengelernt habe. Und etwas stolz bin ich noch immer, dass es mir 1994 gelungen ist, Dynamo Dresden, das als Abstiegskandidat Nr. 1 galt, in der Bundesliga zu halten.

DFB.de: Sie werden 80 Jahre alt. Wie halten Sie sich fit? Was tun Sie, um möglichst lange rüstig zu bleiben?

Siggi Held: Vor drei Jahren habe ich aufgehört, Tennis zu spielen, was ich über Jahrzehnte intensiv betrieben hatte. Stattdessen drei-, viermal Golf pro Woche in unserem Klub in der Nachbarschaft, zumeist mit Reinhard Saftig (ehemaliger Bundesliga-Trainer u.a. in Dortmund und Leverkusen, die Red.) als Partner. Außerdem ernähre ich mich fast nur noch vegetarisch. Je älter man wird, desto genauer muss man auf sich achten. Und vor allem richtig aktiv in Bewegung bleiben.

[wt]

Am 29. April 1972 gewann Deutschland im Hinspiel des EM-Viertelfinals mit 3:1 gegen England in Wembley. Die Art und Weise des ersten Siegs der DFB-Auswahl im Mutterland des Fußballs verlieh dieser Mannschaft das Prädikat "Jahrhundert-Elf", das Spiel und die Mannschaft wurden zum Mythos der deutschen Länderspielgeschichte. An allen drei Toren direkt beteiligt war Siggi Held, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Im DFB.de-Interview spricht er über das Spiel in England, über sein Fehlen bei der EM-Endrunde in Belgien sowie über die Höhepunkte seiner Karriere als Spieler und Trainer.

DFB.de: Vor 50 Jahren, im Sommer 1972, wurde Deutschland erstmals Europameister. Mit einem 3:0-Sieg am 18. Juni 1972 im Finale gegen die Sowjetunion. Doch nicht die Mannschaft, die damals in Brüssel triumphierte, sondern das Team, das sieben Wochen zuvor gegen England in Wembley mit 3:1 gewonnen hatte, ging als "Jahrhundert-Elf" in die deutsche Fußballgeschichte ein. Erklären Sie uns doch mal, wie es dazu kam.

Siggi Held: Puuuh, das ist doch so lange her. Doch ich denke, auch im Rückblick kommen drei Aspekte als Erklärung zusammen. Da ist zum einen die historische Komponente des ersten Siegs einer deutschen Nationalmannschaft in England überhaupt. Und dann noch im mythischen Wembley, wo wir sechs Jahre zuvor das WM-Finale gegen die Engländer verloren hatten. Zum andern hatte England einen weitaus klangvolleren Namen als die Sowjetunion, die zwar auch kein unbeschriebenes Blatt war. Der englische Fußball wurde aber weltweit bewundert für Leidenschaft, Härte, Tempo und Dramatik. So war es auch im WM-Viertelfinale 1970, das wir in Mexiko ja nach Verlängerung 3:2 gewannen.

DFB.de: Und der dritte Grund für den Mythos "Jahrhundert-Elf" aus Ihrer Sicht?

Siggi Held: Ganz klar: Die herausragende Leistung unserer Mannschaft. Wir hielten nicht nur der englischen Härte stand und gingen das unheimlich hohe Tempo mit. Wir zeigten dazu auch große spielerische Klasse. Im Ausland hieß es, das sei Fußball des Jahres 2000 gewesen.

DFB.de: So stand es in der französischen Sportzeitung L’Equipe. Was machte den Auftritt der deutschen Nationalmannschaft damals so besonders?

Siggi Held: Erst einmal galt es, wichtige Stammspieler wie Wolfgang Overath, Berti Vogts, Wolfgang Weber und Klaus Fichtel zu ersetzen, die wegen Verletzung oder aus anderen Gründen fehlten. Doch die, die in Wembley dann auf dem Platz standen, waren voller Ehrgeiz, weil alle unbedingt die Europameisterschafts-Endrunde in Belgien erreichen wollten. Beim Anpfiff waren jedenfalls alle Sorgen und Bedenken vergessen. Wir waren wie beflügelt und machten ein gutes Spiel. Uns zur Jahrhundert-Elf hochzuhängen, bleibt anderen überlassen.

DFB.de: Jedes besondere Ereignis benötigt besondere Protagonisten. Waren es damals in Wembley tatsächlich Franz Beckenbauer und vor allem Günter Netzer, deren Zusammenspiel danach mit dem Begriff "Ramba-Zamba" gefeiert wurde?

Siggi Held: Beide hatten als großartige Fußballer einen Glanztag erwischt und ergänzten sich bei ihrem Wechselspiel durchs Mittelfeld hervorragend. Noch imponierender erscheint mir aber auch heute noch die total geschlossene Mannschaftsleistung, angefangen bei Sepp Maier im Tor, der mit einem verletzten Ellenbogengelenk eine tolle Leistung zeigte.

DFB.de: Im Mythos von der Jahrhundert-Elf ging Ihre persönliche Leistung in London ziemlich unter. Die Westdeutsche Zeitung verwies im Rückblick zuletzt darauf, dass Sie an der Vorbereitung aller drei Tore beteiligt waren, und nannte Sie den "vergessenen Held". Bringen Sie uns Ihren Anteil am Sieg doch mal in Erinnerung!

Siggi Held: Es geht nichts über den Sieg, und gar nichts über einen solchen Sieg. Ich habe versucht, meinen Teil dazu beizutragen. Es nützt ja nichts, wenn wir vorne drei Tore schießen und kassieren hinten vier Gegentore. Unser 3:1 war eine fantastische Mannschaftsleistung.

DFB.de: Zu der Sie das 1:0 durch Uli Hoeneß perfekt vorbereiteten, zudem das 3:1 über Hoeneß und Gerd Müller einleiteten. Und wie war das mit dem Foulelfmeter, den Günter Netzer zum 2:1 verwandelte?

Siggi Held: Bobby Moore hat mich auf dem Weg zum Tor deutlich im Strafraum gefoult und mich nicht nur in dieser Szene, sondern ein paar Mal mehr in diesem Spiel regelwidrig von den Beinen geholt.

DFB.de: Das EM-Viertelfinale wurde in jener Zeit noch mit Hin- und Rückspiel durchgeführt. Auch beim folgenden 0:0 in Berlin waren Sie dabei. Beim Endturnier in Belgien traf Sie dann aber einen Monat später der Fluch der guten Tat.

Siggi Held: Das große Ziel meines damaligen Arbeitgebers Kickers Offenbach war der Bundesliga-Aufstieg. Darauf hatten wir ein Jahr lang, ungeschlagen in der gesamten Zweitliga-Saison, hingearbeitet. Dieses Vorhaben konnte, durfte und wollte ich mit meinem Fehlen in der Aufstiegsrunde nicht in Gefahr bringen.

DFB.de: So hieß es für Sie am 14. Juni 1972 statt Halbfinale gegen Belgien 7:2 gegen Röchling Völklingen. Und als Deutschland am 18. Juni den EM-Titel gewann, machten Sie mit den Kickers drei Tage später mit dem 6:0-Sieg bei Wacker 04 Berlin den Wiederaufstieg perfekt. Schicksal eines Fußballprofis?

Siggi Held: Es gibt schlimmere Schicksale. Natürlich hätte ich gerne um den EM-Titel mitgespielt. Doch im Nachhinein muss ich sagen: Deutschland ist Europameister geworden und Kickers Offenbach ist wieder in die Bundesliga aufgestiegen. Also alles richtig gemacht. Bis auf die UEFA. Die hat mit der Terminplanung der EM einen großen Fehler gemacht. Vielleicht hat sie nicht damit gerechnet, dass sie einem Zweitliga-Nationalspieler die EM-Teilnahme vermasselt.

DFB.de: Bundestrainer Helmut Schön hielt auch nach Ihrem Wechsel im Sommer 1971 von Borussia Dortmund zum Bundesliga-Absteiger Kickers Offenbach an Ihnen als Nationalspieler fest. Was war das für ein Gefühl, unter den Stars von Bayern München und Borussia Mönchengladbach zumindest eine Saison lang der einzige Zweitligaspieler im Nationalteam zu sein?

Siggi Held: Ich war ja kein Neuling im Nationalteam, sondern habe mich schon seit 1966 dort zugehörig gefühlt. Ich hatte zu allen Kollegen im Nationalteam ein völlig unbelastetes Verhältnis. Da gab es keine Frotzeleien oder blöden Anspielungen nach dem Motto: "Wie riecht es eigentlich im Unterhaus?"

DFB.de: Im Verlauf Ihrer 41 Länderspiele kamen England und vor allem Wembley eine spezielle Bedeutung zu. Welche Partie hat Sie bis heute emotional stärker berührt: Ihr großer Anteil bei der Geburt der „Jahrhundert-Elf“ 1972 oder sechs Jahre vorher das verlorene WM-Finale 1966 an gleicher Stätte mit dem bis heute umstrittenen Wembley-Tor?

Siggi Held: Sicherlich das verlorene WM-Finale. Damals war ich mit 23 Jahren international noch relativ unerfahren, tieftraurig und vergoss auch ein paar Tränen. Danach habe ich gelernt, besser mit Niederlagen umzugehen. Auf die fragwürdige Linienrichter-Entscheidung beim Wembley-Tor will ich gar nicht mehr eingehen.

DFB.de: Warum nicht?

Siggi Held: Okay, nur so viel: Wenn er das angebliche Tor zum 3:2 für England genau gesehen hätte, wäre er, wie es sein sollte, zur Mittellinie gerannt, zum Anstoß für uns. So aber blieb er stehen und wedelte nur mit seinem Fähnchen herum. Das war schon seltsam. Da bin auch ich zu ihm hingerannt, um zu protestieren. Wembley 1966, das tat lange sehr, sehr weh.

DFB.de: Ein totaler emotionaler Absturz, nachdem Sie zwölf Wochen vorher mit unbändiger Freude den größten Erfolg Ihrer Profikarriere gefeiert hatten: den Gewinn des Europapokals der Pokalsieger mit Borussia Dortmund am 5. Mai 1966 in Glasgow.

Siggi Held: Wembley im Juli 1966, das war nach Glasgow im Mai 1966 schon ein brutales Wechselbad der Gefühle. Doch da die Zeit bekanntlich alle Wunden heilt, überwiegen heute ganz klar der Stolz und die Freude über unseren Europapokaltriumph mit dem BVB gegen den als haushohen Favoriten gehandelten FC Liverpool.

DFB.de: Zumal es der erste Europapokal-Titel für eine deutsche Mannschaft war.

Siggi Held: Genau.

DFB.de: Und Sie noch weitaus entscheidender als mit der Jahrhundert-Elf in Wembley am Dortmunder 2:1-Sieg in Glasgow beteiligt waren. Als Schütze des Führungstreffers und als direkter Vorbereiter des Siegtors durch Reinhard Libuda.

Siggi Held: So war es. Klar, dass dieser Sieg, an dem ich nicht ganz unbeteiligt war, einen immensen Stellenwert in meiner Karriere hat.

DFB.de: Welche Bedeutung hat die Stadt Dortmund in Ihrem Leben? Dorthin waren Sie 1977 noch mal für zwei Jahre als Spieler zurückgekehrt und dort sind Sie seit 2006 als Fanbeauftragter beim BVB tätig.

Siggi Held: Dortmund ist für mich und meine Familie seit 1977 nicht nur dauerhafte Bleibe, sondern mir auch wirklich Heimat geworden. Ich fühle ich mich hier absolut zu Hause, fühle mich rundum sehr wohl und bin zufrieden. Für meinen Herzensverein zudem seit 16 Jahren als Fanbeauftragter regelmäßig tätig zu sein, ist eine wunderbare Aufgabe, die mir riesig viel Spaß macht.

DFB.de: Im Juni 1981 beendeten Sie bei Bayer Uerdingen mit dem letzten Bundesligaspiel kurz vor Beginn Ihres 40. Lebensjahres Ihre Karriere als Spieler. Wie schafft man, vor allem als Stürmer, eine solche Ausdauerleistung auf so hohem Leistungsniveau?

Siggi Held: Ehrlich gesagt, gehört auch Glück dazu. Stürmer haben damals noch viel mehr auf die Socken bekommen als heute. Doch ich hatte nur wenige Verletzungen zu verschmerzen, vielleicht auch, weil ich nicht langsam war.

DFB.de: Wie war Ihre 100-Meter-Bestzeit?

Siggi Held: In Offenbach wurden bei mir mal handgestoppte 10,8 Sekunden notiert. In Nockenschuhen! Tatsache ist, dass ich mich fast immer fit gefühlt habe. Aufgehört habe ich 1981 nur, weil Uerdingen abgestiegen ist, mich zwar trotzdem bekniet hat, weiterzuspielen. Doch ich erhielt auf Schalke auf Anhieb die Chance, Trainer zu werden und entschied mich für diesen Weg.

DFB.de: Ausdauer kennzeichnet auch Ihre 25 Jahre währende Fußballlehrer-Laufbahn, die Sie zwischen 1981 und 2005 von Schalke über Island, Istanbul, Wien, Dresden, Osaka, Leipzig, Malta und Thailand als Vereins- und Nationaltrainer in alle Welt führte. Welche Stationen waren für Sie dabei besonders prägend?

Siggi Held: Besonders belastend war das große Erdbeben, das ich 1995 als Trainer von Gamba Osaka in Japan miterleben musste. Da haben im wahrsten Sinn des Wortes die Wände in unserem Hotel-Apartment gewackelt, ganz gewaltig gewackelt. Gerne denke ich an meine drei Jahre als Nationaltrainer auf Island zurück, zumal ich dort mein heutiges großes Freizeithobby Golf kennengelernt habe. Und etwas stolz bin ich noch immer, dass es mir 1994 gelungen ist, Dynamo Dresden, das als Abstiegskandidat Nr. 1 galt, in der Bundesliga zu halten.

DFB.de: Sie werden 80 Jahre alt. Wie halten Sie sich fit? Was tun Sie, um möglichst lange rüstig zu bleiben?

Siggi Held: Vor drei Jahren habe ich aufgehört, Tennis zu spielen, was ich über Jahrzehnte intensiv betrieben hatte. Stattdessen drei-, viermal Golf pro Woche in unserem Klub in der Nachbarschaft, zumeist mit Reinhard Saftig (ehemaliger Bundesliga-Trainer u.a. in Dortmund und Leverkusen, die Red.) als Partner. Außerdem ernähre ich mich fast nur noch vegetarisch. Je älter man wird, desto genauer muss man auf sich achten. Und vor allem richtig aktiv in Bewegung bleiben.

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