Sepp Maier: "Ein großer und wichtiger Teil meines Lebens"

Seit der Eröffnung im Mai 1972 hat Sepp Maier (78) das Münchner Olympiastadion aus allen möglichen Perspektiven erlebt: als Torwart auf dem Spielfeld, als Zuschauer auf der Tribüne und als Torwart-Trainer auf der Bank. Ein Autounfall beendete im Juli 1979 die Karriere des erfolgreichsten deutschen Torhüters. Bei seinem Abschiedsspiel traten der FC Bayern und die Nationalmannschaft gegeneinander an – natürlich im Münchner Olympiastadion.

DFB.de: "Servus Sepp" leuchtete als Motto auf der riesigen Anzeigetafel des Münchner Olympiastadions am 6. Juni 1980 ...

Sepp Maier: ... und daneben auf der Videowand die Karikatur eines markanten Schädels.

DFB.de: Ihr charakteristischer Kopf, Herr Maier. Wirklich sehr einprägsam.

Maier: Ich habe das Bild bis heute immer wieder mal vor Augen.

DFB.de: Bayern München gegen die deutsche Nationalmannschaft als Abschiedsspiel für Sepp Maier. Welcher Abschied fiel Ihnen damals schwerer: der vom FC Bayern oder der von der DFB-Auswahl?

Maier: Die Nationalmannschaft war für mich, wenn man so will, die Zugabe für meine Karriere beim FC Bayern. Wenn ich beim Verein nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte es die Nationalmannschaft für mich nicht gegeben. Der Abschied aus dem Bayern-Tor war schon schwerer zu verkraften. Auch weil wir damals auf dem Weg zum nächsten deutschen Meistertitel waren.

DFB.de: Das Olympiastadion in München ist – wie der Name schon verrät – mit seiner Laufbahn, den weit ausladenden Rängen und der Halbüberdachung keine reine Fußballarena. War das Stadion dennoch der angemessene Ort für das Abschiedsspiel von Deutschlands bis heute erfolgreichstem Fußballtorwart?

Maier: Auf jeden Fall! Klar, das Olympiastadion war und ist kein reines Fußballstadion mit der Laufbahn rund ums Spielfeld. Und für die Zuschauer auf der nicht überdachten Gegenseite wars im Winter manchmal ganz schön frostig. Doch für mich war es immer ein großes Erlebnis, dort zu spielen. Und es war damals, 1980, absolut das Stadion Nummer eins in Deutschland.

DFB.de: Knapp 80.000 Zuschauer*innen kamen zu Ihrem Abschied ins weite Rund. Nicht viele andere Abschiedsspiele hatten eine vergleichbare Kulisse. Der Andrang war Ausdruck Ihrer Popularität und großen Beliebtheit bei den Fans. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Spiel?

Maier: Es war ein Supertag! Das Stadion war ausverkauft, viele Menschen wurden auch ohne Ticket reingelassen und saßen auf den Treppen, die zu den Rängen hochführten. Es stimmt, ich war beliebt bei den Fans. Sie honorierten meine Treue, dass ich 20 Jahre lang ohne Skandale für den FC Bayern und nie für einen anderen Klub gespielt habe.

DFB.de: Ein schwerer Autounfall am 14. Juli 1979 und seine Folgen hatte Sie aus Ihrem Torwartleben herausgerissen. Wie viel Wehmut war dabei, als Sie sich 1980 aus Ihrer Karriere und auch von "Ihrem" Stadion verabschiedeten?

Maier: Natürlich kommt auch heute noch Wehmut auf, wenn ich mir überlege, was wir in diesem Stadion erreicht und gewonnen haben. Und es ist ganz bitter, wenn man darüber nachdenkt, dass durch eigene Unachtsamkeit bei diesem Autounfall von einem Moment auf den nächsten alles vorbei gewesen ist. Doch ich muss froh sein, dass ich wieder einigermaßen fit und gesund wurde, auch wenn es ein paar Jahre gedauert hat, bis mir nichts mehr weh tat. Auf jeden Fall wird das Olympiastadion immer ein großer und ganz wichtiger Teil meines Lebens bleiben.

DFB.de: Mit dem Freundschaftsspiel Deutschland gegen die UdSSR wurde das Olympiastadion am 26. Mai 1972 vor 80.000 Zuschauer*innen offiziell eröffnet. Was ist Ihnen davon, abgesehen von Gerd Müllers vier Toren zum 4:1-Sieg, besonders in Erinnerung geblieben?

Maier: Die Begeisterung, als wir endlich dort einziehen konnten. Dieser moderne Komfort in den Kabinen und im gesamten Innenbereich war damals einzigartig in Deutschland, geradezu überwältigend. Wie oft habe ich während der Bauphase vor dem Stadion gestanden und gebibbert und mich gefragt, wann wir endlich wie andere Topklubs in Europa vor 70.000, 80.000 Zuschauern spielen können. Das Eröffnungsspiel war wie eine Erlösung. Und Gerds vier Tore in diesem Länderspiel waren ein Omen, wie es besser nicht hätte sein können.

DFB.de: Fünf Wochen später, am 28. Juni, trat der FC Bayern am letzten Bundesligaspieltag erstmals im Olympiastadion an. Das direkte Duell um die Meisterschaft gegen den Tabellenzweiten Schalke 04 wurde mit 5:1 zur Meisterkrönung. Mit der Basis Olympiastadion stieg der FC Bayern in den folgenden 33 Jahren zu einem Weltklub auf. Welche Rolle hat das Stadion dabei gespielt?

Maier: Uns allen wurde auf Anhieb bewusst, dass uns mit dieser Arena fortan eine große Machtposition im deutschen Fußball zur Verfügung stehen würde. Sportlich und wirtschaftlich. Viele Leute sind ja nicht allein wegen ihres Fan-Seins zum FC Bayern gekommen, sondern auch aus Neugier auf den großartigen Olympiapark mit dem grandiosen Stadion als Highlight.

DFB.de: "Einen Quantensprung in der damaligen Zeit." So bezeichnet Franz Beckenbauer auch heute noch den Umzug der Bayern aus dem Stadion an der Grünwalder Straße. Stimmen Sie zu?

Maier: Total! Es war, als wäre man von einem 500er Fiat auf einen 6,5 Liter Mercedes umgestiegen. Nur ein Beispiel: Ich hatte bis dahin, bis zu unserem ersten Training dort, noch nie so einen wunderbaren Rasen erlebt. Der Rasen allein war schon ein Wahnsinn. Erst als ich mit Golf anfing, habe ich auf dem Grün rund um die Fahne wieder eine solch perfekte Spielfläche erlebt. Ich muss ehrlich sagen: Wenn wir das Olympiastadion nicht gehabt hätten, wäre der FC Bayern in den folgenden Jahrzehnten nie so groß geworden. Es hat genau gepasst, damit dort für uns eine neue Zeitrechnung beginnen konnte. Wir hatten eine tolle Mannschaft – jetzt kam ein tolles Stadion noch dazu, von dessen Nutzung durch den FC Bayern auch die Stadt München profitiert hat und sehr zufrieden war. Es ist genau zum richtigen Zeitpunkt gebaut und fertiggestellt worden, damit wir im Vergleich mit Real Madrid, mit Barcelona, mit den englischen und italienischen Topklubs wettbewerbsfähig werden konnten.

DFB.de: Wie empfanden Sie die Rolle von 1860 München als gelegentlichen Mitnutzer des Olympiastadions? Statistisch haben die "Löwen" dort für den weltweit einzigartigen Rekord von 100.000 Zuschauer*innen 1973 bei einem Zweitligaspiel gegen den FC Augsburg gesorgt. Wie haben Sie die 60er damals wahrgenommen?

Maier: Als Aufsteiger haben sie gegen uns ihr "Auswärtsspiel" im November 1977 3:1 gewonnen. 1999 haben sie als Bundesliga-Rückkehrer sogar in beiden Spielen gegen den FC Bayern gesiegt (1:0 und 2:1). Mein Eindruck ist dennoch: Die Sechziger haben das Olympiastadion nie richtig gewollt und sind mit ihm nie wirklich warm geworden.

DFB.de: Für viele Münchner war und ist das "Oly" ein Wahrzeichen ihrer Stadt. Für die FIFA und die UEFA gehörte es "zu den außergewöhnlichsten Stadien, die es weltweit zu bewundern gilt". Die Vergabe wichtiger WM- und EM-Turnierspiele mit den Endspielen 1974 und 1988 sowie zahlreicher Champions League-Partien waren die Folge. Was waren für Sie die Highlights im Olympiastadion?

Maier: Natürlich das siegreiche WM-Finale 1974 gegen die Holländer. Zudem etliche Europacupspiele, beispielsweise 1973 das Achtelfinale gegen Dynamo Dresden oder 1974/75 die K.o.-Spiele gegen Benfica Lissabon (5:1) oder Real Madrid (2:0) mit Paul Breitner und Günter Netzer.

DFB.de: Ältere Zeitgenossen haben die "Katze von Anzing" zudem in der Rolle des Gaudiburschen in bester Erinnerung, der im Olympiastadion mit lustigen Einlagen das Publikum unterhielt. So 1976, als Sie während des Spiels gegen Bochum mit einem Hechtsprung auf Entenjagd gingen.

Maier: Diese Entenfamilie kam bei jedem Heimspiel vom kleinen Olympiasee nebenan ins Stadion gewatschelt und versammelte sich hinterm Tor. Gegen Bochum gab es auf der anderen Seite einen Elfmeter für uns. Plötzlich kam eine Ente in unseren Strafraum und schaute mich an. Ich zupfte ein paar Grashalme, lockte die Ente näher heran und hechtete ihr entgegen. Der Vogel flog davon, gleichzeitig verwandelte Gerd Müller den Elfmeter, und die Zuschauer im Stadion lachten. Nicht über den Elfmeter, wie der Gerd leicht verwirrt dachte, sondern über meine Enten-Einlage.

DFB.de: Welche Ereignisse im Olympiastadion würden Sie am liebsten verdrängen?

Maier: Immer in unserem Gedächtnis bleiben wird der Terroranschlag im Olympischen Dorf gegen die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 und seine Folgen. Furchtbar!

DFB.de: Und sportlich? Auf welche Spiele können Sie verzichten?

Maier: Das 0:7 gegen Schalke, als uns im Oktober 1976 Klaus Fischer mit seinen vier Toren im Alleingang zerlegte. Auch das 1:5 in der WM-Qualifikation gegen England im September 2001 war alles andere als ein Ruhmesblatt.

DFB.de: "Servus Sepp"! Das sollte für Sie 1980 kein endgültiger Abschied vom Olympiastadion werden. Sie sprachen mit dem Spiel gegen England 2001 Ihre Karriere als Trainer an. 1984 kehrten Sie zurück als Torwarttrainer zum FC Bayern und 1987 zur Nationalmannschaft, mit der Sie 1990 Weltmeister und 1996 Europameister wurden. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Torwarttrainer wurden?

Maier: Als Jean-Marie Pfaff 1984 zu den Bayern kam, hat er mich angerufen und gefragt, ob ich ihn trainieren könnte. Ich sei immer sein Vorbild gewesen und es würde ihm sehr helfen, wenn ich ihn beim FC Bayern ab und zu betreue. Uli Hoeneß als Manager und Udo Lattek als Trainer hatten nichts dagegen. Mehr als Benzingeld wollte ich anfangs nicht. Im Laufe der Jahre gabs immer ein bisschen mehr, auch an Arbeit, bis ich ab 1994 dann fest angestellt wurde. Dazwischen hat mich der Franz 1987 auch zur Nationalmannschaft geholt. Berti Vogts, Erich Ribbeck und Rudi Völler hielten von 1990 bis 2004 an mir fest.

DFB.de: Weshalb haben Sie 2004 beim DFB und 2008 dann auch bei Bayern München als Torwarttrainer aufgehört?

Maier: Als Jürgen Klinsmann 2004 als Bundestrainer anfing, war zunächst klar, dass ich Torwarttrainer bleiben würde. Beim ersten Spiel in Teheran gegen den Iran saßen wir noch alle gemeinsam am Tisch, Jürgen, Jogi Löw, Oliver Bierhoff und ich. Danach wurde es dann etwas merkwürdig. Ich hörte, dass man sich für Andy Köpke entschieden hat. Das hättet ihr mir doch gleich sagen können, schimpfte ich und war erst mal eine Zeit lang sauer. Doch im Oktober 2020, als wir in der Toskana den WM-Titelgewinn 1990 feierten, haben Jürgen und ich uns ausgesprochen. Seitdem ist das Verhältnis zwischen uns wieder okay.

DFB.de: Und bei Bayern München…?

Maier: … habe ich, als Oliver Kahn 2008 als Torwart aufhörte, meinen Job völlig problemlos an Walter Junghans übergeben. 

DFB.de: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute am Olympiastadion vorbeifahren?

Maier: Es war nicht gerade ein furchterregender Hexenkessel und irgendwann auch nicht mehr zeitgemäß. Zu seiner Zeit jedoch mit dem Komfort und der Größe völlig zu Recht Deutschlands Stadion Nummer eins. Und es ist mit seinem berühmten Zeltdach noch immer wunderschön anzuschauen. Vor allem aber: Im Fußball war es drei Jahrzehnte lang der Erfolgsgarant für den FC Bayern und unsere Nationalmannschaft.

[wt]

Seit der Eröffnung im Mai 1972 hat Sepp Maier (78) das Münchner Olympiastadion aus allen möglichen Perspektiven erlebt: als Torwart auf dem Spielfeld, als Zuschauer auf der Tribüne und als Torwart-Trainer auf der Bank. Ein Autounfall beendete im Juli 1979 die Karriere des erfolgreichsten deutschen Torhüters. Bei seinem Abschiedsspiel traten der FC Bayern und die Nationalmannschaft gegeneinander an – natürlich im Münchner Olympiastadion.

DFB.de: "Servus Sepp" leuchtete als Motto auf der riesigen Anzeigetafel des Münchner Olympiastadions am 6. Juni 1980 ...

Sepp Maier: ... und daneben auf der Videowand die Karikatur eines markanten Schädels.

DFB.de: Ihr charakteristischer Kopf, Herr Maier. Wirklich sehr einprägsam.

Maier: Ich habe das Bild bis heute immer wieder mal vor Augen.

DFB.de: Bayern München gegen die deutsche Nationalmannschaft als Abschiedsspiel für Sepp Maier. Welcher Abschied fiel Ihnen damals schwerer: der vom FC Bayern oder der von der DFB-Auswahl?

Maier: Die Nationalmannschaft war für mich, wenn man so will, die Zugabe für meine Karriere beim FC Bayern. Wenn ich beim Verein nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte es die Nationalmannschaft für mich nicht gegeben. Der Abschied aus dem Bayern-Tor war schon schwerer zu verkraften. Auch weil wir damals auf dem Weg zum nächsten deutschen Meistertitel waren.

DFB.de: Das Olympiastadion in München ist – wie der Name schon verrät – mit seiner Laufbahn, den weit ausladenden Rängen und der Halbüberdachung keine reine Fußballarena. War das Stadion dennoch der angemessene Ort für das Abschiedsspiel von Deutschlands bis heute erfolgreichstem Fußballtorwart?

Maier: Auf jeden Fall! Klar, das Olympiastadion war und ist kein reines Fußballstadion mit der Laufbahn rund ums Spielfeld. Und für die Zuschauer auf der nicht überdachten Gegenseite wars im Winter manchmal ganz schön frostig. Doch für mich war es immer ein großes Erlebnis, dort zu spielen. Und es war damals, 1980, absolut das Stadion Nummer eins in Deutschland.

DFB.de: Knapp 80.000 Zuschauer*innen kamen zu Ihrem Abschied ins weite Rund. Nicht viele andere Abschiedsspiele hatten eine vergleichbare Kulisse. Der Andrang war Ausdruck Ihrer Popularität und großen Beliebtheit bei den Fans. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Spiel?

Maier: Es war ein Supertag! Das Stadion war ausverkauft, viele Menschen wurden auch ohne Ticket reingelassen und saßen auf den Treppen, die zu den Rängen hochführten. Es stimmt, ich war beliebt bei den Fans. Sie honorierten meine Treue, dass ich 20 Jahre lang ohne Skandale für den FC Bayern und nie für einen anderen Klub gespielt habe.

DFB.de: Ein schwerer Autounfall am 14. Juli 1979 und seine Folgen hatte Sie aus Ihrem Torwartleben herausgerissen. Wie viel Wehmut war dabei, als Sie sich 1980 aus Ihrer Karriere und auch von "Ihrem" Stadion verabschiedeten?

Maier: Natürlich kommt auch heute noch Wehmut auf, wenn ich mir überlege, was wir in diesem Stadion erreicht und gewonnen haben. Und es ist ganz bitter, wenn man darüber nachdenkt, dass durch eigene Unachtsamkeit bei diesem Autounfall von einem Moment auf den nächsten alles vorbei gewesen ist. Doch ich muss froh sein, dass ich wieder einigermaßen fit und gesund wurde, auch wenn es ein paar Jahre gedauert hat, bis mir nichts mehr weh tat. Auf jeden Fall wird das Olympiastadion immer ein großer und ganz wichtiger Teil meines Lebens bleiben.

DFB.de: Mit dem Freundschaftsspiel Deutschland gegen die UdSSR wurde das Olympiastadion am 26. Mai 1972 vor 80.000 Zuschauer*innen offiziell eröffnet. Was ist Ihnen davon, abgesehen von Gerd Müllers vier Toren zum 4:1-Sieg, besonders in Erinnerung geblieben?

Maier: Die Begeisterung, als wir endlich dort einziehen konnten. Dieser moderne Komfort in den Kabinen und im gesamten Innenbereich war damals einzigartig in Deutschland, geradezu überwältigend. Wie oft habe ich während der Bauphase vor dem Stadion gestanden und gebibbert und mich gefragt, wann wir endlich wie andere Topklubs in Europa vor 70.000, 80.000 Zuschauern spielen können. Das Eröffnungsspiel war wie eine Erlösung. Und Gerds vier Tore in diesem Länderspiel waren ein Omen, wie es besser nicht hätte sein können.

DFB.de: Fünf Wochen später, am 28. Juni, trat der FC Bayern am letzten Bundesligaspieltag erstmals im Olympiastadion an. Das direkte Duell um die Meisterschaft gegen den Tabellenzweiten Schalke 04 wurde mit 5:1 zur Meisterkrönung. Mit der Basis Olympiastadion stieg der FC Bayern in den folgenden 33 Jahren zu einem Weltklub auf. Welche Rolle hat das Stadion dabei gespielt?

Maier: Uns allen wurde auf Anhieb bewusst, dass uns mit dieser Arena fortan eine große Machtposition im deutschen Fußball zur Verfügung stehen würde. Sportlich und wirtschaftlich. Viele Leute sind ja nicht allein wegen ihres Fan-Seins zum FC Bayern gekommen, sondern auch aus Neugier auf den großartigen Olympiapark mit dem grandiosen Stadion als Highlight.

DFB.de: "Einen Quantensprung in der damaligen Zeit." So bezeichnet Franz Beckenbauer auch heute noch den Umzug der Bayern aus dem Stadion an der Grünwalder Straße. Stimmen Sie zu?

Maier: Total! Es war, als wäre man von einem 500er Fiat auf einen 6,5 Liter Mercedes umgestiegen. Nur ein Beispiel: Ich hatte bis dahin, bis zu unserem ersten Training dort, noch nie so einen wunderbaren Rasen erlebt. Der Rasen allein war schon ein Wahnsinn. Erst als ich mit Golf anfing, habe ich auf dem Grün rund um die Fahne wieder eine solch perfekte Spielfläche erlebt. Ich muss ehrlich sagen: Wenn wir das Olympiastadion nicht gehabt hätten, wäre der FC Bayern in den folgenden Jahrzehnten nie so groß geworden. Es hat genau gepasst, damit dort für uns eine neue Zeitrechnung beginnen konnte. Wir hatten eine tolle Mannschaft – jetzt kam ein tolles Stadion noch dazu, von dessen Nutzung durch den FC Bayern auch die Stadt München profitiert hat und sehr zufrieden war. Es ist genau zum richtigen Zeitpunkt gebaut und fertiggestellt worden, damit wir im Vergleich mit Real Madrid, mit Barcelona, mit den englischen und italienischen Topklubs wettbewerbsfähig werden konnten.

DFB.de: Wie empfanden Sie die Rolle von 1860 München als gelegentlichen Mitnutzer des Olympiastadions? Statistisch haben die "Löwen" dort für den weltweit einzigartigen Rekord von 100.000 Zuschauer*innen 1973 bei einem Zweitligaspiel gegen den FC Augsburg gesorgt. Wie haben Sie die 60er damals wahrgenommen?

Maier: Als Aufsteiger haben sie gegen uns ihr "Auswärtsspiel" im November 1977 3:1 gewonnen. 1999 haben sie als Bundesliga-Rückkehrer sogar in beiden Spielen gegen den FC Bayern gesiegt (1:0 und 2:1). Mein Eindruck ist dennoch: Die Sechziger haben das Olympiastadion nie richtig gewollt und sind mit ihm nie wirklich warm geworden.

DFB.de: Für viele Münchner war und ist das "Oly" ein Wahrzeichen ihrer Stadt. Für die FIFA und die UEFA gehörte es "zu den außergewöhnlichsten Stadien, die es weltweit zu bewundern gilt". Die Vergabe wichtiger WM- und EM-Turnierspiele mit den Endspielen 1974 und 1988 sowie zahlreicher Champions League-Partien waren die Folge. Was waren für Sie die Highlights im Olympiastadion?

Maier: Natürlich das siegreiche WM-Finale 1974 gegen die Holländer. Zudem etliche Europacupspiele, beispielsweise 1973 das Achtelfinale gegen Dynamo Dresden oder 1974/75 die K.o.-Spiele gegen Benfica Lissabon (5:1) oder Real Madrid (2:0) mit Paul Breitner und Günter Netzer.

DFB.de: Ältere Zeitgenossen haben die "Katze von Anzing" zudem in der Rolle des Gaudiburschen in bester Erinnerung, der im Olympiastadion mit lustigen Einlagen das Publikum unterhielt. So 1976, als Sie während des Spiels gegen Bochum mit einem Hechtsprung auf Entenjagd gingen.

Maier: Diese Entenfamilie kam bei jedem Heimspiel vom kleinen Olympiasee nebenan ins Stadion gewatschelt und versammelte sich hinterm Tor. Gegen Bochum gab es auf der anderen Seite einen Elfmeter für uns. Plötzlich kam eine Ente in unseren Strafraum und schaute mich an. Ich zupfte ein paar Grashalme, lockte die Ente näher heran und hechtete ihr entgegen. Der Vogel flog davon, gleichzeitig verwandelte Gerd Müller den Elfmeter, und die Zuschauer im Stadion lachten. Nicht über den Elfmeter, wie der Gerd leicht verwirrt dachte, sondern über meine Enten-Einlage.

DFB.de: Welche Ereignisse im Olympiastadion würden Sie am liebsten verdrängen?

Maier: Immer in unserem Gedächtnis bleiben wird der Terroranschlag im Olympischen Dorf gegen die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 und seine Folgen. Furchtbar!

DFB.de: Und sportlich? Auf welche Spiele können Sie verzichten?

Maier: Das 0:7 gegen Schalke, als uns im Oktober 1976 Klaus Fischer mit seinen vier Toren im Alleingang zerlegte. Auch das 1:5 in der WM-Qualifikation gegen England im September 2001 war alles andere als ein Ruhmesblatt.

DFB.de: "Servus Sepp"! Das sollte für Sie 1980 kein endgültiger Abschied vom Olympiastadion werden. Sie sprachen mit dem Spiel gegen England 2001 Ihre Karriere als Trainer an. 1984 kehrten Sie zurück als Torwarttrainer zum FC Bayern und 1987 zur Nationalmannschaft, mit der Sie 1990 Weltmeister und 1996 Europameister wurden. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Torwarttrainer wurden?

Maier: Als Jean-Marie Pfaff 1984 zu den Bayern kam, hat er mich angerufen und gefragt, ob ich ihn trainieren könnte. Ich sei immer sein Vorbild gewesen und es würde ihm sehr helfen, wenn ich ihn beim FC Bayern ab und zu betreue. Uli Hoeneß als Manager und Udo Lattek als Trainer hatten nichts dagegen. Mehr als Benzingeld wollte ich anfangs nicht. Im Laufe der Jahre gabs immer ein bisschen mehr, auch an Arbeit, bis ich ab 1994 dann fest angestellt wurde. Dazwischen hat mich der Franz 1987 auch zur Nationalmannschaft geholt. Berti Vogts, Erich Ribbeck und Rudi Völler hielten von 1990 bis 2004 an mir fest.

DFB.de: Weshalb haben Sie 2004 beim DFB und 2008 dann auch bei Bayern München als Torwarttrainer aufgehört?

Maier: Als Jürgen Klinsmann 2004 als Bundestrainer anfing, war zunächst klar, dass ich Torwarttrainer bleiben würde. Beim ersten Spiel in Teheran gegen den Iran saßen wir noch alle gemeinsam am Tisch, Jürgen, Jogi Löw, Oliver Bierhoff und ich. Danach wurde es dann etwas merkwürdig. Ich hörte, dass man sich für Andy Köpke entschieden hat. Das hättet ihr mir doch gleich sagen können, schimpfte ich und war erst mal eine Zeit lang sauer. Doch im Oktober 2020, als wir in der Toskana den WM-Titelgewinn 1990 feierten, haben Jürgen und ich uns ausgesprochen. Seitdem ist das Verhältnis zwischen uns wieder okay.

DFB.de: Und bei Bayern München…?

Maier: … habe ich, als Oliver Kahn 2008 als Torwart aufhörte, meinen Job völlig problemlos an Walter Junghans übergeben. 

DFB.de: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute am Olympiastadion vorbeifahren?

Maier: Es war nicht gerade ein furchterregender Hexenkessel und irgendwann auch nicht mehr zeitgemäß. Zu seiner Zeit jedoch mit dem Komfort und der Größe völlig zu Recht Deutschlands Stadion Nummer eins. Und es ist mit seinem berühmten Zeltdach noch immer wunderschön anzuschauen. Vor allem aber: Im Fußball war es drei Jahrzehnte lang der Erfolgsgarant für den FC Bayern und unsere Nationalmannschaft.

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