Seitz: "Flick hat viele Bayern-Talente längst auf dem Radar"

Als Trainer führte Holger Seitz die U 17, U 19 und U 23 des FC Bayern München zu Meistertiteln. Seit 2019 arbeitet der 45 Jahre alte Fußball-Lehrer in der Sportlichen Leitung am Campus des Rekordmeisters. Im DFB.de-Interview spricht Holgr Seitz mit Mitarbeiter Ralf Debat über den Staffelsieg der A-Junioren, die Erfolge der U 23 in der 3. Liga und die Ausbildung der Bayern-Talente.

DFB.de: Die U 19 des FC Bayern München hat die wegen der Corona-Pandemie abgebrochene Saison in der Staffel Süd/Südwest der A-Junioren-Bundesliga als Meister beendet. Wie groß ist die Freude darüber beim FC Bayern, Herr Seitz?

Holger Seitz: Wir betrachten das differenziert, denn entscheidend ist für uns ganz klar die Weiterentwicklung der einzelnen Spieler. Nach dieser Saison können wir unter anderem bei der U 19 feststellen: Unsere Talente haben sich sehr gut weiterentwickelt. Das belegen verschiedene Auswertungen und Analysen, die wir durchgeführt haben. Zum Beispiel haben sich bei Ballbesitz von uns die Anzahl der vertikalen Pässe sowie die hochintensiven Freilaufbewegungen gesteigert. Im Spiel gegen den Ball hat sich unter anderem die Zweikampfquote in die richtige Richtung entwickelt. Um nur diese drei Werte zu nennen. Außerdem haben die Jungs einen attraktiven und zielorientierten Fußball gezeigt. Es hat Spaß gemacht, ihnen zuzuschauen. Über den Staffelsieg freuen wir uns selbstverständlich, auch wenn er durch die Coronapause anders zustande kam als gewöhnlich.

DFB.de: Wie sehr ist ein solcher Titelgewinn auch eine Bestätigung der guten Nachwuchsarbeit?

Seitz: Wie schon gesagt: Titelgewinne und Meisterschaften stehen für uns am Campus nicht an erster Stelle. Wir wollen den einzelnen Spieler verbessern, denn nicht "Mannschaften" nehmen am Training unserer Profis unter Cheftrainer Hansi Flick teil, sondern "der" Spieler. Und dafür muss "der" Spieler individuell bestmöglich ausgebildet worden sein. Dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung, wie prägend Titelgewinne für die Entwicklung des Einzelnen sein können. Eine Meisterschaft stärkt etwa das Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit oder das positive Gefühl, etwas durch zielstrebiges und konsequentes Training erreicht zu haben - verbunden mit tollen Glücksmomenten. Dies kann ein Antrieb für die weitere Karriere sein. Diesen Zustand der inneren Zufriedenheit möchte man noch mal erleben. Es stärkt auch die Selbstmotivation und verbindet alle Beteiligten emotional. Ich bleibe dabei, dass es dennoch entscheidend ist, wie es zum Gewinn der Meisterschaft gekommen ist. Dem Titelgewinn darf unsere Spielidee nicht untergeordnet werden.

DFB.de: Was hat die Mannschaft in dieser Saison besonders ausgezeichnet?

Seitz: Die Jungs haben einen dominanten und attraktiven Fußball gespielt, sowohl mit als auch gegen den Ball. Damit haben sie die Spielphilosophie des FC Bayern sehr gut umgesetzt. Hier sind die verantwortlichen Cheftrainer Danny Schwarz und Martin Demichelis zu nennen. Einige U 17-Spieler waren bereits Stammspieler und Leistungsträger in der U 19. Die Grundlage dafür wurde in den Jahren davor von Trainern wie Miro Klose, Alex Moj, Peter Wenninger oder Maximilian Knauer geschaffen. Bemerkenswert ist, dass bereits zahlreiche U 19-Spieler erfolgreiche Einsätze in unserer U 23 unter Trainer Sebastian Hoeneß in der 3. Liga hatten und ihre individuelle Qualität unter Beweis gestellt haben. Wir zeigen unseren Talenten einen seriösen Weg auf, in dem kontinuierlich gute Leistung, fokussiertes Auftreten und ein anständiges Verhalten auf und außerhalb des Platzes belohnt wird. Nicht das Alter ist entscheidend, sondern die Leistungsfähigkeit und die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen.

DFB.de: Vor allem in der Rückrunde startete die U 19 richtig durch, gewann bis zum Saisonabbruch sämtliche Partien. Wie bewerten Sie die Entwicklung?

Seitz: Die Mannschaft hatte von Beginn an hohe Qualität, hat sich dann im Laufe der Saison noch kontinuierlich gesteigert. So soll es sein. Es waren sicher einige komplizierte Spiele dabei, aber auch viele überzeugende Leistungen. Das Trainerteam hat das hervorragend gemacht und jeden einzelnen Spieler weitergebracht.

DFB.de: Deutscher Meister war eine U 19 des FC Bayern München schon seit 2004 nicht mehr. Wie sehr bedauern Sie es deshalb, dass die Endrunde um die Deutsche A-Junioren-Meisterschaft wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann?

Seitz: Wir wären in der Endrunde, falls wir uns qualifiziert hätten, sicher mit einer ambitionierten Mannschaft gestartet. Dennoch trauern wir dieser Chance auf keinen Fall nach. In Zeiten wie diesen gibt es mit Sicherheit viel Wichtigeres, als mit der U 19 um die Deutsche Meisterschaft zu spielen. Die Gesundheit geht vor. Die Entscheidung, die Saison vorzeitig zu beenden, war konsequent und richtig.

DFB.de: Mit Danny Schwarz und Martin Demichelis hatte die U 19 zwei gleichberechtigte Trainer. Ist das auch ein Modell für die Zukunft?

Seitz: In diesem Fall war es für alle Beteiligten die bestmögliche Lösung. Durch den Verlauf der Saison und die Entwicklung unserer Jungs dürfen wir uns darin auch bestätigt fühlen. Ein dauerhaftes Modell für alle U-Mannschaften wird sich daraus jedoch nicht entwickeln.

DFB.de: Gibt die Sportliche Leitung den Trainern ein bestimmtes Spielsystem oder eine Spielphilosophie vor?

Seitz: Wir geben den Trainern einen Leitfaden oder einen Rahmen vor, in dem sie die Talente ausbilden sollen. Dabei geht es nicht so sehr um das System, sondern darum, dass wir beispielsweise das Spiel mit dem Ball dominieren. Ganz wichtig ist uns dabei, dass die jungen Spieler ausreichend Freiräume erhalten, um Kreativität und Individualität entwickeln zu können. Auf und auch außerhalb des Platzes. Dabei wird es zwar immer auch zu Fehlern kommen, aber genau daraus sollen die Jungs ja lernen. Zu detaillierte Vorgaben verhindern eine optimale Weiterentwicklung. Wir benötigen selbstständige Spieler, also müssen wir sie auch zur Selbstständigkeit erziehen. Und das erreicht man nicht, wenn man ihnen alles vorgibt. Diese Erkenntnisse haben wir bereits vor einigen Jahren gewonnen und uns nicht durch fehlgeleitete Diskussionen, zum Beispiel über Grundordnungen, irreführen lassen. Unsere Spielidee beinhaltet Prinzipien.

DFB.de: Sie haben es schon angesprochen: Eine ganze Reihe von Bayern-Talenten, die noch für die U 19 spielberechtigt wären, sind schon für die U 23 in der 3. Liga am Ball. Welche Idee steckt dahinter?

Seitz: Es ist bei jedem einzelnen Spieler eine individuelle Entscheidung, ihn früher nach oben zu schieben. Die Aufgaben, die wir unseren Talenten stellen, müssen auf der einen Seite immer so herausfordernd sein, dass die Jungs in allen Bereichen ans Limit gehen müssen, um sich weiter zu verbessern. Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen aber auf keinen Fall zu einer Überforderung führen. Deshalb ist jede einzelne Entscheidung auch ein längerer Prozess. Neben den fußballerischen Qualitäten spielen die Persönlichkeit des Spielers und sein weiteres Umfeld eine wesentliche Rolle.

DFB.de: Als Neuling in der dritthöchsten deutschen Spielklasse hat die zweite Mannschaft des FC Bayern, die Sie in der vergangenen Saison noch als Trainer zum Aufstieg geführt hatten, als aktueller Tabellenführer gute Chancen auf den Gewinn der Meisterschaft. Überrascht?

Seitz: Dass wir über große Talente im Team verfügen, wussten wir schon. Dass sich die Mannschaft in dieser mit großen Traditionsklubs gespickten 3. Liga jedoch so herausragend verkauft, ist definitiv außergewöhnlich. Die Intensität ist in jedem Spiel hoch, das hilft uns ungemein in der Weiterentwicklung unserer Talente. Die Mannschaft tritt ganz nach dem Bayern-Motto "Mia san mia" auf. Trainer Sebastian Hoeneß und sein Team haben die Mannschaft Stück für Stück weiterentwickelt und sich die deutlich gestiegene Aufmerksamkeit vollauf verdient.

DFB.de: Wie sehr ist die Zugehörigkeit zur 3. Liga ein Vorteil für die Nachwuchsförderung?

Seitz: Der Aufstieg der U 23 war für uns ungemein wichtig. In der Regionalliga Bayern sind wir Woche für Woche auf Gegner getroffen, die sich fast ausschließlich auf die Defensive konzentriert haben. Jetzt stehen unsere jungen Talente regelmäßig abgezockten Profis gegenüber, die teilweise schon in der Bundesliga und 2. Bundesliga unterwegs waren. Sie lernen, sich in diesen Duellen zu behaupten und durchzusetzen. Das ist für ihre Entwicklung von riesigem Wert. Unsere Spieler lernen durch die erhöhte Qualität unserer Gegner und die Rahmenbedingungen im Zuge eines Drittligaspiels deutlich mehr als zuvor.

DFB.de: Der FC Bayern hatte sich - nicht zuletzt nach dem Neubau des Nachwuchsleistungszentrums auf dem FCB-Campus an der Ingolstädter Straße - zum Ziel gesetzt, mehr Talente aus der eigenen Jugend an den Profikader heranzuführen. Wie bewerten Sie die Entwicklung seitdem?

Seitz: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. In einem Jahr müssen wir aber noch einmal ein Stück weiter sein. Es ist unser Anspruch, uns permanent zu verbessern und damit auch die Chance zu erhöhen, Nachwuchsspieler nach oben zu bringen. Die Richtung stimmt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

DFB.de: Der Bundesliga-Kader ist mit Weltklassespielern gespickt. Ist es für Talente dennoch möglich, sich dort zu etablieren?

Seitz: Es ist auf jeden Fall möglich. Das zeigt ja gerade Alphonso Davies, der sich bei den Profis zum Stammspieler entwickelt hat. Aktuell ist die Chance vielleicht sogar so groß wie schon lange nicht mehr. Da spielen mehrere Gründe eine Rolle. Zum einen haben sich viele U 23-Spieler durch ihre starken Leistungen in der 3. Liga in den Fokus gespielt, dadurch auch schon ihre ersten Schritte im Profifußball gemacht. Zum anderen hat das Trainerteam um Hansi Flick unsere Jungs längst auf dem Radar, lässt sie regelmäßig bei den Profis mittrainieren und gibt ihnen auch Einsatzzeiten - wie etwa bei Joshua Zirkzee, Sarpreet Singh, Leon Dajaku oder Oliver Batista Meier. Einige andere haben ebenfalls auf sich aufmerksam gemacht und sind gut in der Spur. Dass mit Hermann Gerland und demnächst auch Miro Klose zwei Co-Trainer dabei sind, die zuvor am Campus gearbeitet haben und alle Jahrgänge in- und auswendig kennen, ist ein weiterer Glücksfall für uns. Ich habe auf jeden Fall ein gutes Gefühl.

DFB.de: Haben Sie mögliche Nachfolger von Spielern wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, David Alaba oder Thomas Müller im Blick, die aus der eigenen Bayern-Jugend kamen und das Profiteam über viele Jahre prägten oder nach wie vor prägen?

Seitz: Das ist unser Ziel, dafür arbeiten wir alle am Campus jeden Tag mit Hochdruck. Es ist unser gemeinsamer Auftrag, unsere Leidenschaft. Dazu eine sehr heraufordernde Aufgabe und genau deswegen unser Antrieb. Wenn ich mir die positive Entwicklung unseres NLZ in den vergangenen Jahren ansehe und mir die dafür verantwortlichen hochmotivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anschaue - von den Trainern, Athletiktrainern, Spielanalysten und Scouts, von der medizinischen Abteilung, den Psychologen und Pädagogen bis hin zu den Greenkeepern und dem Küchenpersonal - und das in Kombinationen mit unseren Fußballtalenten setze, dann spüre ich große Dynamik und viel Power am Campus. Daher bin ich sehr zuversichtlich, dass wir noch besser werden. Immer im Sinne des jungen Fußballers. Ich sehe sehr zuversichtlich und motiviert in die Zukunft.

DFB.de: Zum Abschluss: Was sind die wichtigsten drei Eigenschaften, um als talentierter Nachwuchsspieler - nicht nur beim FC Bayern - den Sprung nach ganz oben zu schaffen?

Seitz: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass die Jungs immer hellwach sind und genau zuhören, wenn erfahrene Trainer ihnen etwas mit auf den Weg geben. Dazu müssen sie bereit sein, stets maximalen Einsatz zu bringen und ans Limit zu gehen - im Spiel, im Training, aber beispielsweise auch bei den Teambesprechungen oder bei der notwendigen Regeneration. Dritter und vielleicht wichtigster Punkt ist die Fähigkeit, aus Niederlagen zu lernen und für sich die richtigen Schlüsse aus Rückschlägen zu ziehen. Nur wer sich gegen Widerstände behauptet und durchsetzt, wird es schaffen.

[mspw]

Als Trainer führte Holger Seitz die U 17, U 19 und U 23 des FC Bayern München zu Meistertiteln. Seit 2019 arbeitet der 45 Jahre alte Fußball-Lehrer in der Sportlichen Leitung am Campus des Rekordmeisters. Im DFB.de-Interview spricht Holgr Seitz mit Mitarbeiter Ralf Debat über den Staffelsieg der A-Junioren, die Erfolge der U 23 in der 3. Liga und die Ausbildung der Bayern-Talente.

DFB.de: Die U 19 des FC Bayern München hat die wegen der Corona-Pandemie abgebrochene Saison in der Staffel Süd/Südwest der A-Junioren-Bundesliga als Meister beendet. Wie groß ist die Freude darüber beim FC Bayern, Herr Seitz?

Holger Seitz: Wir betrachten das differenziert, denn entscheidend ist für uns ganz klar die Weiterentwicklung der einzelnen Spieler. Nach dieser Saison können wir unter anderem bei der U 19 feststellen: Unsere Talente haben sich sehr gut weiterentwickelt. Das belegen verschiedene Auswertungen und Analysen, die wir durchgeführt haben. Zum Beispiel haben sich bei Ballbesitz von uns die Anzahl der vertikalen Pässe sowie die hochintensiven Freilaufbewegungen gesteigert. Im Spiel gegen den Ball hat sich unter anderem die Zweikampfquote in die richtige Richtung entwickelt. Um nur diese drei Werte zu nennen. Außerdem haben die Jungs einen attraktiven und zielorientierten Fußball gezeigt. Es hat Spaß gemacht, ihnen zuzuschauen. Über den Staffelsieg freuen wir uns selbstverständlich, auch wenn er durch die Coronapause anders zustande kam als gewöhnlich.

DFB.de: Wie sehr ist ein solcher Titelgewinn auch eine Bestätigung der guten Nachwuchsarbeit?

Seitz: Wie schon gesagt: Titelgewinne und Meisterschaften stehen für uns am Campus nicht an erster Stelle. Wir wollen den einzelnen Spieler verbessern, denn nicht "Mannschaften" nehmen am Training unserer Profis unter Cheftrainer Hansi Flick teil, sondern "der" Spieler. Und dafür muss "der" Spieler individuell bestmöglich ausgebildet worden sein. Dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung, wie prägend Titelgewinne für die Entwicklung des Einzelnen sein können. Eine Meisterschaft stärkt etwa das Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit oder das positive Gefühl, etwas durch zielstrebiges und konsequentes Training erreicht zu haben - verbunden mit tollen Glücksmomenten. Dies kann ein Antrieb für die weitere Karriere sein. Diesen Zustand der inneren Zufriedenheit möchte man noch mal erleben. Es stärkt auch die Selbstmotivation und verbindet alle Beteiligten emotional. Ich bleibe dabei, dass es dennoch entscheidend ist, wie es zum Gewinn der Meisterschaft gekommen ist. Dem Titelgewinn darf unsere Spielidee nicht untergeordnet werden.

DFB.de: Was hat die Mannschaft in dieser Saison besonders ausgezeichnet?

Seitz: Die Jungs haben einen dominanten und attraktiven Fußball gespielt, sowohl mit als auch gegen den Ball. Damit haben sie die Spielphilosophie des FC Bayern sehr gut umgesetzt. Hier sind die verantwortlichen Cheftrainer Danny Schwarz und Martin Demichelis zu nennen. Einige U 17-Spieler waren bereits Stammspieler und Leistungsträger in der U 19. Die Grundlage dafür wurde in den Jahren davor von Trainern wie Miro Klose, Alex Moj, Peter Wenninger oder Maximilian Knauer geschaffen. Bemerkenswert ist, dass bereits zahlreiche U 19-Spieler erfolgreiche Einsätze in unserer U 23 unter Trainer Sebastian Hoeneß in der 3. Liga hatten und ihre individuelle Qualität unter Beweis gestellt haben. Wir zeigen unseren Talenten einen seriösen Weg auf, in dem kontinuierlich gute Leistung, fokussiertes Auftreten und ein anständiges Verhalten auf und außerhalb des Platzes belohnt wird. Nicht das Alter ist entscheidend, sondern die Leistungsfähigkeit und die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen.

DFB.de: Vor allem in der Rückrunde startete die U 19 richtig durch, gewann bis zum Saisonabbruch sämtliche Partien. Wie bewerten Sie die Entwicklung?

Seitz: Die Mannschaft hatte von Beginn an hohe Qualität, hat sich dann im Laufe der Saison noch kontinuierlich gesteigert. So soll es sein. Es waren sicher einige komplizierte Spiele dabei, aber auch viele überzeugende Leistungen. Das Trainerteam hat das hervorragend gemacht und jeden einzelnen Spieler weitergebracht.

DFB.de: Deutscher Meister war eine U 19 des FC Bayern München schon seit 2004 nicht mehr. Wie sehr bedauern Sie es deshalb, dass die Endrunde um die Deutsche A-Junioren-Meisterschaft wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann?

Seitz: Wir wären in der Endrunde, falls wir uns qualifiziert hätten, sicher mit einer ambitionierten Mannschaft gestartet. Dennoch trauern wir dieser Chance auf keinen Fall nach. In Zeiten wie diesen gibt es mit Sicherheit viel Wichtigeres, als mit der U 19 um die Deutsche Meisterschaft zu spielen. Die Gesundheit geht vor. Die Entscheidung, die Saison vorzeitig zu beenden, war konsequent und richtig.

DFB.de: Mit Danny Schwarz und Martin Demichelis hatte die U 19 zwei gleichberechtigte Trainer. Ist das auch ein Modell für die Zukunft?

Seitz: In diesem Fall war es für alle Beteiligten die bestmögliche Lösung. Durch den Verlauf der Saison und die Entwicklung unserer Jungs dürfen wir uns darin auch bestätigt fühlen. Ein dauerhaftes Modell für alle U-Mannschaften wird sich daraus jedoch nicht entwickeln.

DFB.de: Gibt die Sportliche Leitung den Trainern ein bestimmtes Spielsystem oder eine Spielphilosophie vor?

Seitz: Wir geben den Trainern einen Leitfaden oder einen Rahmen vor, in dem sie die Talente ausbilden sollen. Dabei geht es nicht so sehr um das System, sondern darum, dass wir beispielsweise das Spiel mit dem Ball dominieren. Ganz wichtig ist uns dabei, dass die jungen Spieler ausreichend Freiräume erhalten, um Kreativität und Individualität entwickeln zu können. Auf und auch außerhalb des Platzes. Dabei wird es zwar immer auch zu Fehlern kommen, aber genau daraus sollen die Jungs ja lernen. Zu detaillierte Vorgaben verhindern eine optimale Weiterentwicklung. Wir benötigen selbstständige Spieler, also müssen wir sie auch zur Selbstständigkeit erziehen. Und das erreicht man nicht, wenn man ihnen alles vorgibt. Diese Erkenntnisse haben wir bereits vor einigen Jahren gewonnen und uns nicht durch fehlgeleitete Diskussionen, zum Beispiel über Grundordnungen, irreführen lassen. Unsere Spielidee beinhaltet Prinzipien.

DFB.de: Sie haben es schon angesprochen: Eine ganze Reihe von Bayern-Talenten, die noch für die U 19 spielberechtigt wären, sind schon für die U 23 in der 3. Liga am Ball. Welche Idee steckt dahinter?

Seitz: Es ist bei jedem einzelnen Spieler eine individuelle Entscheidung, ihn früher nach oben zu schieben. Die Aufgaben, die wir unseren Talenten stellen, müssen auf der einen Seite immer so herausfordernd sein, dass die Jungs in allen Bereichen ans Limit gehen müssen, um sich weiter zu verbessern. Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen aber auf keinen Fall zu einer Überforderung führen. Deshalb ist jede einzelne Entscheidung auch ein längerer Prozess. Neben den fußballerischen Qualitäten spielen die Persönlichkeit des Spielers und sein weiteres Umfeld eine wesentliche Rolle.

DFB.de: Als Neuling in der dritthöchsten deutschen Spielklasse hat die zweite Mannschaft des FC Bayern, die Sie in der vergangenen Saison noch als Trainer zum Aufstieg geführt hatten, als aktueller Tabellenführer gute Chancen auf den Gewinn der Meisterschaft. Überrascht?

Seitz: Dass wir über große Talente im Team verfügen, wussten wir schon. Dass sich die Mannschaft in dieser mit großen Traditionsklubs gespickten 3. Liga jedoch so herausragend verkauft, ist definitiv außergewöhnlich. Die Intensität ist in jedem Spiel hoch, das hilft uns ungemein in der Weiterentwicklung unserer Talente. Die Mannschaft tritt ganz nach dem Bayern-Motto "Mia san mia" auf. Trainer Sebastian Hoeneß und sein Team haben die Mannschaft Stück für Stück weiterentwickelt und sich die deutlich gestiegene Aufmerksamkeit vollauf verdient.

DFB.de: Wie sehr ist die Zugehörigkeit zur 3. Liga ein Vorteil für die Nachwuchsförderung?

Seitz: Der Aufstieg der U 23 war für uns ungemein wichtig. In der Regionalliga Bayern sind wir Woche für Woche auf Gegner getroffen, die sich fast ausschließlich auf die Defensive konzentriert haben. Jetzt stehen unsere jungen Talente regelmäßig abgezockten Profis gegenüber, die teilweise schon in der Bundesliga und 2. Bundesliga unterwegs waren. Sie lernen, sich in diesen Duellen zu behaupten und durchzusetzen. Das ist für ihre Entwicklung von riesigem Wert. Unsere Spieler lernen durch die erhöhte Qualität unserer Gegner und die Rahmenbedingungen im Zuge eines Drittligaspiels deutlich mehr als zuvor.

DFB.de: Der FC Bayern hatte sich - nicht zuletzt nach dem Neubau des Nachwuchsleistungszentrums auf dem FCB-Campus an der Ingolstädter Straße - zum Ziel gesetzt, mehr Talente aus der eigenen Jugend an den Profikader heranzuführen. Wie bewerten Sie die Entwicklung seitdem?

Seitz: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. In einem Jahr müssen wir aber noch einmal ein Stück weiter sein. Es ist unser Anspruch, uns permanent zu verbessern und damit auch die Chance zu erhöhen, Nachwuchsspieler nach oben zu bringen. Die Richtung stimmt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

DFB.de: Der Bundesliga-Kader ist mit Weltklassespielern gespickt. Ist es für Talente dennoch möglich, sich dort zu etablieren?

Seitz: Es ist auf jeden Fall möglich. Das zeigt ja gerade Alphonso Davies, der sich bei den Profis zum Stammspieler entwickelt hat. Aktuell ist die Chance vielleicht sogar so groß wie schon lange nicht mehr. Da spielen mehrere Gründe eine Rolle. Zum einen haben sich viele U 23-Spieler durch ihre starken Leistungen in der 3. Liga in den Fokus gespielt, dadurch auch schon ihre ersten Schritte im Profifußball gemacht. Zum anderen hat das Trainerteam um Hansi Flick unsere Jungs längst auf dem Radar, lässt sie regelmäßig bei den Profis mittrainieren und gibt ihnen auch Einsatzzeiten - wie etwa bei Joshua Zirkzee, Sarpreet Singh, Leon Dajaku oder Oliver Batista Meier. Einige andere haben ebenfalls auf sich aufmerksam gemacht und sind gut in der Spur. Dass mit Hermann Gerland und demnächst auch Miro Klose zwei Co-Trainer dabei sind, die zuvor am Campus gearbeitet haben und alle Jahrgänge in- und auswendig kennen, ist ein weiterer Glücksfall für uns. Ich habe auf jeden Fall ein gutes Gefühl.

DFB.de: Haben Sie mögliche Nachfolger von Spielern wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, David Alaba oder Thomas Müller im Blick, die aus der eigenen Bayern-Jugend kamen und das Profiteam über viele Jahre prägten oder nach wie vor prägen?

Seitz: Das ist unser Ziel, dafür arbeiten wir alle am Campus jeden Tag mit Hochdruck. Es ist unser gemeinsamer Auftrag, unsere Leidenschaft. Dazu eine sehr heraufordernde Aufgabe und genau deswegen unser Antrieb. Wenn ich mir die positive Entwicklung unseres NLZ in den vergangenen Jahren ansehe und mir die dafür verantwortlichen hochmotivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anschaue - von den Trainern, Athletiktrainern, Spielanalysten und Scouts, von der medizinischen Abteilung, den Psychologen und Pädagogen bis hin zu den Greenkeepern und dem Küchenpersonal - und das in Kombinationen mit unseren Fußballtalenten setze, dann spüre ich große Dynamik und viel Power am Campus. Daher bin ich sehr zuversichtlich, dass wir noch besser werden. Immer im Sinne des jungen Fußballers. Ich sehe sehr zuversichtlich und motiviert in die Zukunft.

DFB.de: Zum Abschluss: Was sind die wichtigsten drei Eigenschaften, um als talentierter Nachwuchsspieler - nicht nur beim FC Bayern - den Sprung nach ganz oben zu schaffen?

Seitz: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass die Jungs immer hellwach sind und genau zuhören, wenn erfahrene Trainer ihnen etwas mit auf den Weg geben. Dazu müssen sie bereit sein, stets maximalen Einsatz zu bringen und ans Limit zu gehen - im Spiel, im Training, aber beispielsweise auch bei den Teambesprechungen oder bei der notwendigen Regeneration. Dritter und vielleicht wichtigster Punkt ist die Fähigkeit, aus Niederlagen zu lernen und für sich die richtigen Schlüsse aus Rückschlägen zu ziehen. Nur wer sich gegen Widerstände behauptet und durchsetzt, wird es schaffen.

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