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Schumacher wird 70: "Man kann nicht zwei Wege gleichzeitig gehen"

06.03.2024
FC-Legende Toni Schumacher (l.): "Die Zeit in Köln hat mich am meisten geprägt"

Das Telefonat mit Toni Schumacher, der eigentlich Harald heißt, beginnt auf Wunsch des Jubilars um zehn Uhr morgens. Kein Problem für den Frühaufsteher, dessen Wecker aufgrund eines nie korrigierten Bedienungsfehlers immer um 5.04 Uhr klingelt. Auch an einem Sonntag, auf den der Europameister von 1980 und 76-malige Nationaltorwart das Gespräch gelegt hat. Denn bis zu seinem runden Geburtstag am heutigen Mittwoch war einfach noch zu viel zu tun. Im Ruhestand ist "der Tünn" jedenfalls noch lange nicht, wie er im DFB.de-Interview deutlich macht.

DFB.de: Herr Schumacher, Sie werden 70 Jahre und haben keine Funktion mehr beim 1. FC Köln. Darf man Sie jetzt ungestraft einen Rentner nennen?

Toni Schumacher: Ja und nein. Ich habe noch allerlei zu tun. Ich bin im Kuratorium der Egidius-Braun-Stiftung, EM-Botschafter der Stadt Köln und Botschafter des DFB-Pokalendspiels der Frauen, das ja seit 2011 in Köln stattfindet. Dann kümmere ich mich noch ganz allein um unseren Garten, den ich komplett umgestaltet habe. Alt wird nur, wer nichts macht.

DFB.de: Ihr Vorgänger im DFB-Tor, Weltmeister Sepp Maier, wurde vor einer Woche 80 und bekannte stolz, noch "keine Ersatzteile" in sich zu haben. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Schumacher: Da der Sepp mein Vorbild gewesen ist, habe ich ihm nachgeeifert. Ich habe zwar Schmerzen im Knie und kein Gefühl mehr in den Füßen, also Neuropathie, aber es ist noch alles echt an mir. Ich ernähre mich gesund, schwimme täglich und gehe jeden Tag am Rhein sechs Kilometer spazieren.

DFB.de: Was ist am Geburtstag geplant?

Schumacher: Meine drei Kinder kommen aus aller Welt eingeflogen, wir feiern im kleinen Kreis. Die Familie steht im Vordergrund.

DFB.de: Wie ist der Kontakt zu den alten Weggefährten?

Schumacher: Viele sehe ich ja immer noch im Stadion, etwa Bernd Cullmann oder Wolfgang Overath. Seit unserem Doublegewinn 1978 haben wir alle Ehrenkarten bekommen, und die nutze ich.

DFB.de: Von einem Double sind die Kölner weit weg derzeit. Überhaupt ist das keine gute Saison für Ihre Ex-Klubs, also auch Bayern und Schalke. Um wen machen Sie sich die größten Sorgen?

Schumacher: Um alle etwas. Aber am meisten bin ich natürlich um den FC besorgt, die Zeit in Köln hat mich am meisten geprägt. Die Lage im Abstiegskampf ist dramatisch, es geht nur noch um Platz 16, im Duell mit Mainz.

DFB.de: Auch für die Nationalmannschaft, für die Sie von 1979 bis 1986 gespielt haben, lief es schon mal besser. Wie schauen Sie auf die anstehende EM im eigenen Land?

Schumacher: Also kurz nach meinem letzten runden Geburtstag sind wir Weltmeister geworden, das ist schon mal ein gutes Omen. (lacht) Im Moment spürt man noch kein EM-Fieber, aber die Mannschaft hat jetzt die Riesenchance gegen die Niederlande und Frankreich, eines zu entfachen. Wenn Sie aufopfernd spielt und mit Herzblut - das kann man von einer deutschen Mannschaft immer verlangen. Das ist unsere Tradition und macht im Übrigen den Fußball aus.

DFB.de: Was erwarten Sie für einen Turnierausgang, wer sind die Favoriten?

Schumacher: Natürlich muss man da Frankreich und Spanien nennen, aber ein Halbfinale mit Deutschland sollte schon unser Anspruch sein.

DFB.de: Wie werden Sie die EM verfolgen?

Schumacher: Als EM-Botschafter der Stadt werde ich natürlich Präsenz zeigen und bei allen fünf Spielen in Köln im Stadion sein. Köln soll guter Gastgeber sein, die Leute sollen sich an diese Zeit gern erinnern. Wenn möglich, schaue ich mir auch das Finale in Berlin an.

DFB.de: Kommen wir zu Ihrer Karriere. Die erste Heim-EM 1988 haben Sie sich durch Ihr Buch "Anpfiff" 1987 verbaut. Es bedeutete das Aus in der Nationalmannschaft und beim 1. FC Köln. Bedauern Sie es heute?

Schumacher: Ich glaube schon, dass ich ohne das Buch, das 1987 meine Länderspielkarriere beendet hat, 1990 sogar Weltmeister geworden wäre. Ich habe nur die Wahrheit geschrieben und kann bis heute nicht verstehen, dass man für die Wahrheit bestraft wird. Dass Franz Beckenbauer später gesagt hat, mein Rauswurf sei ein Fehler gewesen, war immerhin eine Bestätigung für mich. Vorbei - man kann im Leben nicht zwei Wege gleichzeitig gehen. Lieber einen Knick in der Karriere als einen Knick im Rückgrat.

DFB.de: Der erste Knick ergab sich schon 1982 im legendären WM-Halbfinale von Sevilla. Der Fall Battiston...

Schumacher: Der gehört auch zu meinem Leben. Das Wichtigste war, dass ich mich entschuldigt habe und er das auch angenommen hat. Aber als ich ihm die Hand gegeben habe, habe ich ihm auch gesagt: "Ich komme wieder so raus, wenn der Ball noch mal so gespielt werden würde." Das Problem war doch nicht so sehr der Zusammenprall, sondern mein Verhalten danach.

DFB.de: Erklären Sie es noch mal, bitte.

Schumacher: Ich stand am Torpfosten und kümmerte mich nicht um ihn - das war die pure Unsicherheit. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Das sah cool aus, aber ich war es nicht. Und der flapsige Spruch nach dem Spiel, als ich einem Reporter sagte, ich würde Battiston, der zwei Zähne verloren hatte, die Jacketkronen bezahlen, war nett gemeint. Denn ich war erleichtert, dass nicht mehr passiert war. Es kam aber anders rüber.

DFB.de: Weil Sie noch unter Strom standen?

Schumacher: Ja. Das war unmittelbar nach dem Abpfiff eines WM-Halbfinaldramas mit Elfmeterschießen - ich war voller Adrenalin. Heute dürfen Journalisten nicht mehr auf den Platz, und das ist auch gut so.

DFB.de: Dann zurück ins Heute. Das Jahr begann traurig für den deutschen Fußball, binnen eines Monats verloren wir Franz Beckenbauer und Andreas Brehme. Sie wurden mit ihnen 1986 in Mexiko Vizeweltmeister. Wie stark hat es Sie getroffen?

Schumacher: Natürlich sehr. Der Andy war ja zehn Jahre jünger als ich, und ich hatte nicht den geringsten Verdacht, dass es ihm schlecht gehen könnte gesundheitlich. Bei Franz war das was anderes.

DFB.de: Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an die beiden?

Schumacher: Der Franz war halt der Franz, die Lichtgestalt. Er hat vieles im Leben leicht genommen und nichts kompliziert. Als ich mein Buch geschrieben hatte, rief er mich an, er war ja damals Teamchef, und meinte nur jovial: "Was hast da für eine Sch… geschrieben?" Für ihn war das keine große Sache. Der Andy war einfach ein cooler Kicker, bei dem man als Torwart nie wusste: Schießt er jetzt mit links oder mit rechts? Ich weiß nicht mal, ob ich gegen ihn je einen Elfmeter gehalten habe. Im Training wollte ich spaßeshalber immer um Geld wetten, dass ich einen halte - aber die meisten stiegen da nicht drauf ein. Auch der Andy nicht…

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Autor: um