Pokalfinale 1959: Schöne Bescherung am "dritten" Feiertag

Für Fußballfans von heute ist es längst eine Selbstverständlichkeit: Das DFB-Pokalfinale findet jedes Jahr im Frühsommer in Berlin statt, und entsprechend freudig singen sie schon Monate zuvor "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin". Das war nicht immer so. Einen festen Ort gibt es erst seit 1985 - und so manches Finale fand zur unwirtlichsten Jahreszeit statt.

Heute vor genau 60 Jahren zum Beispiel mussten die Spieler von Schwarz-Weiß Essen und Borussia Neunkirchen tatsächlich am ersten Tag nach dem Weihnachtsfest, dem 27. Dezember 1959, um den Pokal spielen. Es war ein Sonntag und somit quasi der dritte Weihnachtsfeiertag. "Mit solchen Terminen schafft man dem Wettbewerb keine neuen Freunde!" - so kritisierte das Sportmagazin die ungewöhnliche Ansetzung, die wegen des laufenden Spielbetriebs in den Oberligen dennoch unumgänglich gewesen war.

Damals wurde der Pokal eben am Ende des Kalenderjahres vergeben, und da es noch keine Winterpause gab, blieben nur wenige freie Wochenenden. Dennoch war es kein Wunder, dass an jenem Tag im Kasseler Auestadion die zweitschlechteste Finalkulisse der DFB-Historie verzeichnet wurde - nur 21.000 Zuschauer sahen die Partie. Rund 10.000 Karten wurden gar nicht an den Mann gebracht, das gab es nie wieder. Selbst vom DFB-Vorstand war niemand erschienen. All das hatte Gründe.

"Lass mich drauf, meine Frau macht mir die Hölle heiß"

Allen voran natürlich der ungünstige Termin, der sogar mit dem normalen Spielbetrieb der Oberligen kollidierte. Horst Trimhold, damals mit 18 der Benjamin im Essener Team, erinnert sich: "Der Termin hat uns alle amüsiert. Besondere Maßregeln gab es nicht vom Trainer, es hat auch kein Spieler gefragt, ob er nun Gans essen dürfe oder nicht. Wir waren eine große Familie mit fünf Kindern und hatten sowieso nicht so viel zu essen."

Auch der Ort wurde erst eine Woche vorher festgelegt, beide Vereine hatten je zwei Stadien vorgeschlagen und sich nicht einigen können. Der DFB entschied letztlich für Kassel. Zudem gab es sicher attraktivere Partien vor 50 Jahren, beide Mannschaften waren nicht gerade Starensembles und hatten ziemlich überraschend das Finale erreicht. Schwarz-Weiß war Favorit und stellte mit Theo Klöckner den einzigen aktuellen Nationalspieler auf dem Platz. Unterwegs hatte es den Lokalrivalen Rot Weiss, dann Hertha BSC und sogar auswärts den HSV ausgeschaltet.

Das Team lieferte dabei serienweise Episoden für das Kuriositätenkabinett des Fußballs. So vertrat Verteidiger Karl-Heinz Mozin beim 2:1 nach Verlängerung in Hamburg den verletzten Torwart in der Schlussphase mit blankem Oberkörper, um sich optisch vom Team abzusetzen. Der Schiedsrichter intervenierte und gab ihm seine schwarze Jacke. Dann stoppte Mozin den durchgebrochenen Charly Dörfel, indem er ihm die Hose runterzog. Dörfel schoss vor Schreck am leeren Tor vorbei, und alles erwartete einen Platzverweis. Mozin erwirkte jedoch beim Schiedsrichter Gnade, angeblich mit den Worten: "Lass mich drauf, meine Frau macht mir die Hölle heiß, wenn ich im Finale nicht dabei bin."

Den ersten Sekt gibt's schon in der Pause

Die Partie gegen die überforderten Saarländer wurde dann eine der einseitigsten in der deutschen Finalgeschichte. Sie endete 5:2 (1:0). Manfred Rummel erzielte die ersten beiden Tore, Theo Klöckner, Horst Trimhold und Hubert Schieth erhöhten bis zur 80. Minute auf 5:0. Schon in der Pause, erinnert sich Trimhold, tranken die ersten Mitspieler Piccolo-Sekt. Er selbst war schon vor dem Anpfiff alkoholisiert, ein Betreuer hatte ihm auf der Anreise im Zug am Morgen des Spiels gegen die Nervosität einen "Ratzeputz" eingeflößt - ein Schnaps mit mehr als 50 Prozent Alkohol. Das war fünf Stunden vor dem Anpfiff, später spielte Trimhold überragend.

In den letzten Minuten gaben die älteren Essener Hubert Schieth und Edmund Kasperski dann die Order aus, "nur noch mit links" gegen den Ball zu treten, was die Fehlpassquote rasant erhöhte, denn zwei Verteidiger waren reine Rechtsfüßler. Das war in Zeiten, als Fußball mehr Spaß als Geschäft war, noch eher möglich. So kam Neunkirchen durch Werner Emser und Rudi Dörrenbächer auf 2:5 heran. Essens Trainer Hans Wendlandt entschuldigte: "Ein Haufen junger Leute in meiner Mannschaft. Das 5:0 verführte sie zum Leichtsinn."

Trimhold: Von 250 Mark Prämie 200 bei Eltern abgegeben

Der Spaß war dann schnell zu Ende. Gefeiert wurde nur auf der Rückfahrt im Zug, der Montagfrüh um 1.25 Uhr im Essener Hauptbahnhof nahezu unbemerkt einfuhr. Die Pokalhelden steuerten flugs das eigene Bett an, denn alle mussten schon morgens wieder zur Arbeit. Für Schriftsetzer-Lehrling Trimhold begann sie um 7.15 Uhr bei Axel Springer in Essen. Profis gab es ja noch nicht in den Jahren vor Gründung der Bundesliga (1963), 160 Mark verdienten die Essener im Monat. Die Pokalsiegerprämie betrug immerhin 500 Mark, die jüngeren bekamen nur die Hälfte. Das war viel Geld in diesen Tagen für die Essener "Elf der Kameradschaft", wie sie genannt wurde, in der 1959 nur einer ein Auto besaß - Spielführer Kasperski.

Der spätere Dortmund-Profi Trimhold wohnte noch bei den Eltern und musste 200 Mark abgeben, für den Rest lud er die Familie ins Kino ein. Am Dienstag nach dem Finale wurde schon wieder zwei Stunden eisern trainiert, danach lief in der Kabine als besondere Überraschung die Aufzeichnung der Rundfunkübertragung des denkwürdigen Endspiels. Die Schwarz-Weißen werden das Pokalfinale am Tag nach Weihnachten auch aus einem anderen Grund nie vergessen: Sie haben nie wieder etwas gewonnen.

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Für Fußballfans von heute ist es längst eine Selbstverständlichkeit: Das DFB-Pokalfinale findet jedes Jahr im Frühsommer in Berlin statt, und entsprechend freudig singen sie schon Monate zuvor "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin". Das war nicht immer so. Einen festen Ort gibt es erst seit 1985 - und so manches Finale fand zur unwirtlichsten Jahreszeit statt.

Heute vor genau 60 Jahren zum Beispiel mussten die Spieler von Schwarz-Weiß Essen und Borussia Neunkirchen tatsächlich am ersten Tag nach dem Weihnachtsfest, dem 27. Dezember 1959, um den Pokal spielen. Es war ein Sonntag und somit quasi der dritte Weihnachtsfeiertag. "Mit solchen Terminen schafft man dem Wettbewerb keine neuen Freunde!" - so kritisierte das Sportmagazin die ungewöhnliche Ansetzung, die wegen des laufenden Spielbetriebs in den Oberligen dennoch unumgänglich gewesen war.

Damals wurde der Pokal eben am Ende des Kalenderjahres vergeben, und da es noch keine Winterpause gab, blieben nur wenige freie Wochenenden. Dennoch war es kein Wunder, dass an jenem Tag im Kasseler Auestadion die zweitschlechteste Finalkulisse der DFB-Historie verzeichnet wurde - nur 21.000 Zuschauer sahen die Partie. Rund 10.000 Karten wurden gar nicht an den Mann gebracht, das gab es nie wieder. Selbst vom DFB-Vorstand war niemand erschienen. All das hatte Gründe.

"Lass mich drauf, meine Frau macht mir die Hölle heiß"

Allen voran natürlich der ungünstige Termin, der sogar mit dem normalen Spielbetrieb der Oberligen kollidierte. Horst Trimhold, damals mit 18 der Benjamin im Essener Team, erinnert sich: "Der Termin hat uns alle amüsiert. Besondere Maßregeln gab es nicht vom Trainer, es hat auch kein Spieler gefragt, ob er nun Gans essen dürfe oder nicht. Wir waren eine große Familie mit fünf Kindern und hatten sowieso nicht so viel zu essen."

Auch der Ort wurde erst eine Woche vorher festgelegt, beide Vereine hatten je zwei Stadien vorgeschlagen und sich nicht einigen können. Der DFB entschied letztlich für Kassel. Zudem gab es sicher attraktivere Partien vor 50 Jahren, beide Mannschaften waren nicht gerade Starensembles und hatten ziemlich überraschend das Finale erreicht. Schwarz-Weiß war Favorit und stellte mit Theo Klöckner den einzigen aktuellen Nationalspieler auf dem Platz. Unterwegs hatte es den Lokalrivalen Rot Weiss, dann Hertha BSC und sogar auswärts den HSV ausgeschaltet.

Das Team lieferte dabei serienweise Episoden für das Kuriositätenkabinett des Fußballs. So vertrat Verteidiger Karl-Heinz Mozin beim 2:1 nach Verlängerung in Hamburg den verletzten Torwart in der Schlussphase mit blankem Oberkörper, um sich optisch vom Team abzusetzen. Der Schiedsrichter intervenierte und gab ihm seine schwarze Jacke. Dann stoppte Mozin den durchgebrochenen Charly Dörfel, indem er ihm die Hose runterzog. Dörfel schoss vor Schreck am leeren Tor vorbei, und alles erwartete einen Platzverweis. Mozin erwirkte jedoch beim Schiedsrichter Gnade, angeblich mit den Worten: "Lass mich drauf, meine Frau macht mir die Hölle heiß, wenn ich im Finale nicht dabei bin."

Den ersten Sekt gibt's schon in der Pause

Die Partie gegen die überforderten Saarländer wurde dann eine der einseitigsten in der deutschen Finalgeschichte. Sie endete 5:2 (1:0). Manfred Rummel erzielte die ersten beiden Tore, Theo Klöckner, Horst Trimhold und Hubert Schieth erhöhten bis zur 80. Minute auf 5:0. Schon in der Pause, erinnert sich Trimhold, tranken die ersten Mitspieler Piccolo-Sekt. Er selbst war schon vor dem Anpfiff alkoholisiert, ein Betreuer hatte ihm auf der Anreise im Zug am Morgen des Spiels gegen die Nervosität einen "Ratzeputz" eingeflößt - ein Schnaps mit mehr als 50 Prozent Alkohol. Das war fünf Stunden vor dem Anpfiff, später spielte Trimhold überragend.

In den letzten Minuten gaben die älteren Essener Hubert Schieth und Edmund Kasperski dann die Order aus, "nur noch mit links" gegen den Ball zu treten, was die Fehlpassquote rasant erhöhte, denn zwei Verteidiger waren reine Rechtsfüßler. Das war in Zeiten, als Fußball mehr Spaß als Geschäft war, noch eher möglich. So kam Neunkirchen durch Werner Emser und Rudi Dörrenbächer auf 2:5 heran. Essens Trainer Hans Wendlandt entschuldigte: "Ein Haufen junger Leute in meiner Mannschaft. Das 5:0 verführte sie zum Leichtsinn."

Trimhold: Von 250 Mark Prämie 200 bei Eltern abgegeben

Der Spaß war dann schnell zu Ende. Gefeiert wurde nur auf der Rückfahrt im Zug, der Montagfrüh um 1.25 Uhr im Essener Hauptbahnhof nahezu unbemerkt einfuhr. Die Pokalhelden steuerten flugs das eigene Bett an, denn alle mussten schon morgens wieder zur Arbeit. Für Schriftsetzer-Lehrling Trimhold begann sie um 7.15 Uhr bei Axel Springer in Essen. Profis gab es ja noch nicht in den Jahren vor Gründung der Bundesliga (1963), 160 Mark verdienten die Essener im Monat. Die Pokalsiegerprämie betrug immerhin 500 Mark, die jüngeren bekamen nur die Hälfte. Das war viel Geld in diesen Tagen für die Essener "Elf der Kameradschaft", wie sie genannt wurde, in der 1959 nur einer ein Auto besaß - Spielführer Kasperski.

Der spätere Dortmund-Profi Trimhold wohnte noch bei den Eltern und musste 200 Mark abgeben, für den Rest lud er die Familie ins Kino ein. Am Dienstag nach dem Finale wurde schon wieder zwei Stunden eisern trainiert, danach lief in der Kabine als besondere Überraschung die Aufzeichnung der Rundfunkübertragung des denkwürdigen Endspiels. Die Schwarz-Weißen werden das Pokalfinale am Tag nach Weihnachten auch aus einem anderen Grund nie vergessen: Sie haben nie wieder etwas gewonnen.

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