"Schiedsrichter setzen Linie sehr konsequent und berechenbar um"

Schiedsrichterentscheidungen sorgten in den vergangenen Tagen vermehrt für öffentliche Diskussionen in den Medien. Auch am 31. Bundesliga-Spieltag wurden Situationen und deren Bewertung im Zusammenhang mit dem Video-Assistenten diskutiert. Im DFB.de-Interview nehmen Lutz Michael Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, und Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent, Stellung zu den Entscheidungen vom Wochenende.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die Leistungen der Video-Assistenten in Zusammenarbeit mit den Schiedsrichtern am vergangenen Bundesliga-Spieltag, Herr Drees?

Dr. Jochen Drees: Am 31. Spieltag haben wir richtig gute Leistungen der Video-Assistenten in Köln gesehen und können auf ein positives Wochenende zurückblicken. Sämtliche Eingriffe – bei den Begegnungen in Hannover, Düsseldorf, Hoffenheim und Dortmund – waren korrekt und den aktuellen Anforderungen entsprechend, die wir bezüglich der Regelauslegung von den Schiedsrichtern und bezüglich der Eingriffsschwellen von den Video-Assistenten erwarten. Zusätzlich konnten beim Spiel in Augsburg zwei ganz schwierige Abseitssituationen korrekt gelöst und damit zwei irreguläre Tore verhindert werden. In einem Fall durch den Einsatz der kalibrierten Linie und im anderen Fall bei einer Interpretationsfrage durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Schiedsrichter und Video-Assistent.

DFB.de: Beim Revierderby zwischen Dortmund und Schalke wurde in der 17. Spielminute ebenfalls auf den Video-Assistenten zurückgegriffen. Warum schaute sich Schiedsrichter Felix Zwayer die Handspielsituation in der Review-Area nochmal selbst an?

Drees: In der betreffenden Szene hatte Schiedsrichter Felix Zwayer keine Wahrnehmung auf diesen Vorgang und kommunizierte dies auch während des Spiels, sodass der Video-Assistent Guido Winkmann nach Ansicht der Bilder im Video-Assist-Center (VAC) einen spielrelevanten Vorgang (gemäß IFAB-Protokoll "serious missed incident", Anm.d.Red.) erkannte und dem Schiedsrichter einen Review, also eine Überprüfung am Monitor im Stadion, empfahl. Dadurch konnte Felix Zwayer sich diesen Vorgang anschauen, bewerten und den aktuellen Auslegungen entsprechend auf ein strafbares Handspiel entscheiden. Hätte der Schiedsrichter das Handspiel auf dem Feld wahrgenommen und beurteilt, hätte der Video-Assistent hier nicht eingegriffen, da die Interpretation beziehungsweise Bewertung dieses Vorgangs alleine dem Schiedsrichter obliegt.

DFB.de: Nach dem On-Field-Review entschied Zwayer auf Strafstoß. Wie bewerten Sie diese Entscheidung, Herr Fröhlich?

Lutz Michael Fröhlich: Erstmal ist es wichtig, dass Felix Zwayer sich selbst ein Bild von der Situation gemacht hat, nachdem er das Handspiel im Spiel nicht erkannt hatte. Beim On-Field-Review sieht er im TV-Bild, wie der Dortmunder Spieler Weigl in eine Abwehraktion zum Ball geht. Er ist also klar orientiert zum Ball. Dabei ist sein linker Arm seitlich vom Körper abgespreizt, schwingt in die Flugbahn des Balles und wehrt den Ball letztendlich ab. Das sind soweit die Fakten, die in der derzeitigen Regelauslegung einen Strafstoßpfiff rechtfertigen.

DFB.de: Dennoch wurde die Strafstoßentscheidung im Nachgang diskutiert und die Handspielauslegung wurde erneut infrage gestellt. Konnten Sie die immer wieder aufkommenden Diskussionen zum Thema Handspiel nachvollziehen?

Fröhlich: Die Regelauslegung zum Handspiel wurde zu Beginn der Saison 2017/2018 an den internationalen Standard angepasst, um hier auch national übergreifend eine einheitliche Linie zu haben. Das war wichtig, mit Blick auch auf die vielen internationalen Spiele der deutschen Klubs und auch der Nationalmannschaften. Ziel war es dabei, der berechtigten Forderung der Klubs nach einer einheitlichen Regelauslegung nachzukommen und eine Orientierung für den gesamten Wettbewerb zu geben. In den Workshops mit den Klubs, mit den Medien in der Saison 2017/2018 und in der laufenden Saison wurde das auch anhand von Beispielen kommuniziert und auch darauf hingewiesen, dass diese Linie in der Bewertung schon etwas stringenter ist, als es vorher der Fall war.

DFB.de: Wie setzen die Schiedsrichter diese Linie Ihrer Meinung nach um?

Fröhlich: Die Schiedsrichter in Deutschland setzen diese Linie insgesamt auch sehr konsequent und berechenbar um. Insofern kann ich nicht nachvollziehen, wenn von "wirrer" Regelauslegung gesprochen wird oder auch davon, dass "keiner mehr weiß, was Handspiel ist". Nachvollziehen kann ich, dass die Regelauslegung inhaltlich sachlich diskutiert wird. Für die neue Spielzeit wird es vom IFAB einen neuen Regeltext für das Handspiel geben. Wir werden auf dieser Basis den Dialog mit den Klubs über Workshops weiter nutzen, um die Regelauslegung weiterzuentwickeln. 

DFB.de: Bei den Bundesliga-Begegnungen in Hannover, Düsseldorf und Hoffenheim kam der Video-Assistent ebenfalls zum Einsatz. Sind diese Interventionen mit dem Eingriff in Dortmund vergleichbar oder gibt es aus Video-Assistent-Sicht entscheidende Unterschiede, Herr Drees?

Drees: Ja, hier gibt es tatsächlich einen formalen Unterschied. In allen drei Situationen kam es nach Ansicht der entsprechenden Bilder durch die Video-Assistenten zu der Einschätzung, dass es sich um klare und offensichtliche Fehleinschätzungen der Schiedsrichter gehandelt hat. Daher wurde aus diesem Grund auch hier den Schiedsrichtern empfohlen, sich die Situationen am Monitor nochmal anzusehen, um ihre ursprünglich getroffene Wahrnehmung überprüfen und in den vorliegenden Fällen richtigerweise korrigieren zu können.

DFB.de: Vor dem 31. Spieltag sorgte das DFB-Pokalhalbfinale zwischen Bremen und München für heftige Diskussionen. Aus schiedsrichterfachlicher Sicht wurde die Strafstoßentscheidung für nicht korrekt gehalten. Der offene Umgang mit der Bewertung der Entscheidung seitens des DFB wurde teilweise gelobt, jedoch teilweise auch kritisiert. Inwieweit war die Kritik für Sie nachvollziehbar, Herr Fröhlich?

Fröhlich: Wenn wir transparent und offen auch über Fehler sprechen, dann heißt das nicht, dass wir grundsätzlich über die schiedsrichterfachliche Qualität des betroffenen Schiedsrichters sprechen. Unsere Schiedsrichter machen insgesamt einen sehr guten Job. Wir haben in Deutschland nach wie vor ein sehr hohes Niveau bei den Schiedsrichtern. Dennoch ist es mit Blick auf eine Fehlerkultur und Transparenz eben auch wichtig, dass wir alle offen mit Fehlern umgehen, um auch glaubwürdige Sachverständige zu bleiben. Ich finde es absolut ehrenwert und auch professionell, wenn ein Schiedsrichter sich selbstkritisch mit seinen Entscheidungen auseinandersetzt und offen damit umgeht, wenn er einen Fehler gemacht hat. Das gehört mit zu einem anerkannten und akzeptierten Spitzenschiedsrichter.

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Schiedsrichterentscheidungen sorgten in den vergangenen Tagen vermehrt für öffentliche Diskussionen in den Medien. Auch am 31. Bundesliga-Spieltag wurden Situationen und deren Bewertung im Zusammenhang mit dem Video-Assistenten diskutiert. Im DFB.de-Interview nehmen Lutz Michael Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, und Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent, Stellung zu den Entscheidungen vom Wochenende.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die Leistungen der Video-Assistenten in Zusammenarbeit mit den Schiedsrichtern am vergangenen Bundesliga-Spieltag, Herr Drees?

Dr. Jochen Drees: Am 31. Spieltag haben wir richtig gute Leistungen der Video-Assistenten in Köln gesehen und können auf ein positives Wochenende zurückblicken. Sämtliche Eingriffe – bei den Begegnungen in Hannover, Düsseldorf, Hoffenheim und Dortmund – waren korrekt und den aktuellen Anforderungen entsprechend, die wir bezüglich der Regelauslegung von den Schiedsrichtern und bezüglich der Eingriffsschwellen von den Video-Assistenten erwarten. Zusätzlich konnten beim Spiel in Augsburg zwei ganz schwierige Abseitssituationen korrekt gelöst und damit zwei irreguläre Tore verhindert werden. In einem Fall durch den Einsatz der kalibrierten Linie und im anderen Fall bei einer Interpretationsfrage durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Schiedsrichter und Video-Assistent.

DFB.de: Beim Revierderby zwischen Dortmund und Schalke wurde in der 17. Spielminute ebenfalls auf den Video-Assistenten zurückgegriffen. Warum schaute sich Schiedsrichter Felix Zwayer die Handspielsituation in der Review-Area nochmal selbst an?

Drees: In der betreffenden Szene hatte Schiedsrichter Felix Zwayer keine Wahrnehmung auf diesen Vorgang und kommunizierte dies auch während des Spiels, sodass der Video-Assistent Guido Winkmann nach Ansicht der Bilder im Video-Assist-Center (VAC) einen spielrelevanten Vorgang (gemäß IFAB-Protokoll "serious missed incident", Anm.d.Red.) erkannte und dem Schiedsrichter einen Review, also eine Überprüfung am Monitor im Stadion, empfahl. Dadurch konnte Felix Zwayer sich diesen Vorgang anschauen, bewerten und den aktuellen Auslegungen entsprechend auf ein strafbares Handspiel entscheiden. Hätte der Schiedsrichter das Handspiel auf dem Feld wahrgenommen und beurteilt, hätte der Video-Assistent hier nicht eingegriffen, da die Interpretation beziehungsweise Bewertung dieses Vorgangs alleine dem Schiedsrichter obliegt.

DFB.de: Nach dem On-Field-Review entschied Zwayer auf Strafstoß. Wie bewerten Sie diese Entscheidung, Herr Fröhlich?

Lutz Michael Fröhlich: Erstmal ist es wichtig, dass Felix Zwayer sich selbst ein Bild von der Situation gemacht hat, nachdem er das Handspiel im Spiel nicht erkannt hatte. Beim On-Field-Review sieht er im TV-Bild, wie der Dortmunder Spieler Weigl in eine Abwehraktion zum Ball geht. Er ist also klar orientiert zum Ball. Dabei ist sein linker Arm seitlich vom Körper abgespreizt, schwingt in die Flugbahn des Balles und wehrt den Ball letztendlich ab. Das sind soweit die Fakten, die in der derzeitigen Regelauslegung einen Strafstoßpfiff rechtfertigen.

DFB.de: Dennoch wurde die Strafstoßentscheidung im Nachgang diskutiert und die Handspielauslegung wurde erneut infrage gestellt. Konnten Sie die immer wieder aufkommenden Diskussionen zum Thema Handspiel nachvollziehen?

Fröhlich: Die Regelauslegung zum Handspiel wurde zu Beginn der Saison 2017/2018 an den internationalen Standard angepasst, um hier auch national übergreifend eine einheitliche Linie zu haben. Das war wichtig, mit Blick auch auf die vielen internationalen Spiele der deutschen Klubs und auch der Nationalmannschaften. Ziel war es dabei, der berechtigten Forderung der Klubs nach einer einheitlichen Regelauslegung nachzukommen und eine Orientierung für den gesamten Wettbewerb zu geben. In den Workshops mit den Klubs, mit den Medien in der Saison 2017/2018 und in der laufenden Saison wurde das auch anhand von Beispielen kommuniziert und auch darauf hingewiesen, dass diese Linie in der Bewertung schon etwas stringenter ist, als es vorher der Fall war.

DFB.de: Wie setzen die Schiedsrichter diese Linie Ihrer Meinung nach um?

Fröhlich: Die Schiedsrichter in Deutschland setzen diese Linie insgesamt auch sehr konsequent und berechenbar um. Insofern kann ich nicht nachvollziehen, wenn von "wirrer" Regelauslegung gesprochen wird oder auch davon, dass "keiner mehr weiß, was Handspiel ist". Nachvollziehen kann ich, dass die Regelauslegung inhaltlich sachlich diskutiert wird. Für die neue Spielzeit wird es vom IFAB einen neuen Regeltext für das Handspiel geben. Wir werden auf dieser Basis den Dialog mit den Klubs über Workshops weiter nutzen, um die Regelauslegung weiterzuentwickeln. 

DFB.de: Bei den Bundesliga-Begegnungen in Hannover, Düsseldorf und Hoffenheim kam der Video-Assistent ebenfalls zum Einsatz. Sind diese Interventionen mit dem Eingriff in Dortmund vergleichbar oder gibt es aus Video-Assistent-Sicht entscheidende Unterschiede, Herr Drees?

Drees: Ja, hier gibt es tatsächlich einen formalen Unterschied. In allen drei Situationen kam es nach Ansicht der entsprechenden Bilder durch die Video-Assistenten zu der Einschätzung, dass es sich um klare und offensichtliche Fehleinschätzungen der Schiedsrichter gehandelt hat. Daher wurde aus diesem Grund auch hier den Schiedsrichtern empfohlen, sich die Situationen am Monitor nochmal anzusehen, um ihre ursprünglich getroffene Wahrnehmung überprüfen und in den vorliegenden Fällen richtigerweise korrigieren zu können.

DFB.de: Vor dem 31. Spieltag sorgte das DFB-Pokalhalbfinale zwischen Bremen und München für heftige Diskussionen. Aus schiedsrichterfachlicher Sicht wurde die Strafstoßentscheidung für nicht korrekt gehalten. Der offene Umgang mit der Bewertung der Entscheidung seitens des DFB wurde teilweise gelobt, jedoch teilweise auch kritisiert. Inwieweit war die Kritik für Sie nachvollziehbar, Herr Fröhlich?

Fröhlich: Wenn wir transparent und offen auch über Fehler sprechen, dann heißt das nicht, dass wir grundsätzlich über die schiedsrichterfachliche Qualität des betroffenen Schiedsrichters sprechen. Unsere Schiedsrichter machen insgesamt einen sehr guten Job. Wir haben in Deutschland nach wie vor ein sehr hohes Niveau bei den Schiedsrichtern. Dennoch ist es mit Blick auf eine Fehlerkultur und Transparenz eben auch wichtig, dass wir alle offen mit Fehlern umgehen, um auch glaubwürdige Sachverständige zu bleiben. Ich finde es absolut ehrenwert und auch professionell, wenn ein Schiedsrichter sich selbstkritisch mit seinen Entscheidungen auseinandersetzt und offen damit umgeht, wenn er einen Fehler gemacht hat. Das gehört mit zu einem anerkannten und akzeptierten Spitzenschiedsrichter.

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