Schiedsrichter mit Pfiff: Kleine Aktionen - große Wirkung

Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Die Verbindung zwischen den Figuren aus dieser Geschichte ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Zwei Sprachen trennen die Protagonisten, zwei Länder, hunderte Kilometer, viele Jahre. Und doch sind zwei Menschen, drei eigentlich, für immer auf eine ganz besondere Art miteinander verwoben: Wann immer in Schweden zwei Herzen schlagen, lacht in Deutschland eines mit.

Vier Jahrzehnte mit vielen Anekdoten

Ein Teil dieser heilvollen Dreiecksgeschichte ist Christian Henkel. Henkel ist Schiedsrichter und Lehrwart im Bezirk Bergedorf im Hamburger Fußball-Verband. Er ist 48 Jahre alt und pfeift in der Oberliga Hamburg. Seine Vita als Unparteiischer ist klassisch, die Anfänge sind es jedenfalls. Als Spieler hatte er einen Stammplatz auf der Reservebank, erst als Schiedsrichter gelang ihm der Sprung auf den Platz.

Mit zwölf Jahren hatte er zum ersten Mal ein Fußballspiel geleitet, mit 13 den Schiedsrichterschein erworben, mit 17 sein erstes Kreisligaspiel gepfiffen und mit 21 sein erstes Spiel der 3. Liga. Eine bewegte, eine erfolgreiche Karriere. Eine Karriere aber auch, die sich dem Ende neigt. Nach dieser Saison ist Schluss, Henkel hat genug gesehen, genug gepfiffen, genug erlebt.

Ausbilder von Harnik und Kruse

Nach fast vier Jahrzehnten als Schiedsrichter verfügt er über einen reichhaltigen Anekdoten-Schatz; er öffnet gerne die Truhe. Und erzählt. Davon, wie er als Schiedsrichter-Lehrwart die heutigen Bundesligaprofis Martin Harnik (Stuttgart) und Max Kruse (St. Pauli) zum Schiedsrichter ausgebildet hat. Früher Schiri, heute Profi, eine schöne Geschichte.

Gerne erzählt Henkel auch, wie er bei einem DFB-Turnier für C-Jugendliche in Duisburg im Jahr 1991 für eine Woche ein Zimmer mit einem jungen Schiedsrichter aus Bayern teilte, ohne mit diesem kommunizieren zu können. „Der hat nur bayerisch gesprochen“, sagt Henkel. „Es war schlimm. Ich habe kein Wort verstanden.“



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Sie gehören zum Spiel wie der Ball ins Tor. 80.000 Schiedsrichter sorgen auf Deutschlands Fußballplätzen für Recht und Ordnung. DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke stellt immer donnerstags Referees mit ungewöhnlichen Geschichten vor. Engagiert und unparteiisch - Schiedsrichter mit Pfiff!

Die Verbindung zwischen den Figuren aus dieser Geschichte ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Zwei Sprachen trennen die Protagonisten, zwei Länder, hunderte Kilometer, viele Jahre. Und doch sind zwei Menschen, drei eigentlich, für immer auf eine ganz besondere Art miteinander verwoben: Wann immer in Schweden zwei Herzen schlagen, lacht in Deutschland eines mit.

Vier Jahrzehnte mit vielen Anekdoten

Ein Teil dieser heilvollen Dreiecksgeschichte ist Christian Henkel. Henkel ist Schiedsrichter und Lehrwart im Bezirk Bergedorf im Hamburger Fußball-Verband. Er ist 48 Jahre alt und pfeift in der Oberliga Hamburg. Seine Vita als Unparteiischer ist klassisch, die Anfänge sind es jedenfalls. Als Spieler hatte er einen Stammplatz auf der Reservebank, erst als Schiedsrichter gelang ihm der Sprung auf den Platz.

Mit zwölf Jahren hatte er zum ersten Mal ein Fußballspiel geleitet, mit 13 den Schiedsrichterschein erworben, mit 17 sein erstes Kreisligaspiel gepfiffen und mit 21 sein erstes Spiel der 3. Liga. Eine bewegte, eine erfolgreiche Karriere. Eine Karriere aber auch, die sich dem Ende neigt. Nach dieser Saison ist Schluss, Henkel hat genug gesehen, genug gepfiffen, genug erlebt.

Ausbilder von Harnik und Kruse

Nach fast vier Jahrzehnten als Schiedsrichter verfügt er über einen reichhaltigen Anekdoten-Schatz; er öffnet gerne die Truhe. Und erzählt. Davon, wie er als Schiedsrichter-Lehrwart die heutigen Bundesligaprofis Martin Harnik (Stuttgart) und Max Kruse (St. Pauli) zum Schiedsrichter ausgebildet hat. Früher Schiri, heute Profi, eine schöne Geschichte.

Gerne erzählt Henkel auch, wie er bei einem DFB-Turnier für C-Jugendliche in Duisburg im Jahr 1991 für eine Woche ein Zimmer mit einem jungen Schiedsrichter aus Bayern teilte, ohne mit diesem kommunizieren zu können. „Der hat nur bayerisch gesprochen“, sagt Henkel. „Es war schlimm. Ich habe kein Wort verstanden.“

Der junge Schiedsrichter aus Bayern hat inzwischen hochdeutsch gelernt, und das Pfeifen auch. Sein Name: Wolfgang Stark, FIFA-Schiedsrichter, vielgelobter WM-Teilnehmer 2010.

Nicht immun für die Nöte anderer

So kann Henkel lange berichten, von besonderen Erlebnissen und von besonderen Begegnungen. Die bemerkenswerteste Geschichte aber hat wenig mit seinem Wirken auf dem Platz, dafür viel mit Menschlichkeit und Altruismus zu tun. Sie beginnt im Jahr 2006 in Deutschland und endet nur zufällig in Schweden, in einer kleinen Stadt 170 Kilometer vor Stockholm.

2006, das war der Sommer des Fußballmärchens, die Nation feierte sich selbst und die Nationalmannschaft. Auch Henkel feierte, auch er war euphorisiert, berauscht von den Spielen des A-Teams und der Stimmung im Land. Immun für die Sorgen anderer war er aber nicht. Schon lange hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich für eine Knochenmarkspende typisieren zu lassen. Er hatte sich über Zahlen und Statistiken informiert, er wusste, dass in Deutschland alle 45 Minuten ein Patient die Diagnose Leukämie verkraften muss. Und er wusste, was die für die Betroffenen bedeutet: langes Leiden und wenig Hoffnung.

Leukämie ist eine bösartige Erkrankung der weißen Blutkörperchen, die vom Knochenmark ausgeht. Einigen Patienten kann durch Chemo- oder Strahlentherapie geholfen werden, für viele Patienten allerdings ist die einzige Hoffnung eine Übertragung von Stammzellen einer gesunden Person.

Typisierung als Knochenmarkspender

Als die Feuerwehr Elmenhorst im Jahr 2006 für einen an Leukämie erkrankten 16-Jährigen zu einer Typisierungsaktion aufrief, zögerte Henkel keine Sekunde. Eine Blutentnahme, kein großer Akt, also warum nicht? Henkel ging hin, auch wenn ihm bewusst war, dass die Chance sehr gering ist, dass seine DNA zu 100 Prozent mit der dieses Empfängers übereinstimmt.

Doch Henkel wusste, dass auf der ganzen Welt Menschen mit Leukämie auf einen geeigneten Spender warten. Wenn nicht der 16-Jährige Junge, dann vielleicht ein anderer. Oder eine andere. Also ließ Henkel sich typisieren, der Pieks tat nicht weh. „Das war überhaupt nicht schlimm“, sagt Henkel, „das kann jeder.“

Mittlerweile ist es sogar noch einfacher, sich typisieren zu lassen. Der Gang zum Arzt mit Blutentnahmeset wurde abgelöst von zwei Wangenabstrichen, die jeder mittels Wattestäbchen selbst zu Hause durchführen kann. „Es gibt wirklich keinen Grund mehr, es nicht zu tun“, sagt Henkel.

Rettung für "genetischen Zwilling" in Schweden

Nachdem er im Jahr 2006 sein Blut gegeben hatte, musste er lange auf positive Nachricht warten. Am Heiligabend 2008, ausgerechnet, bekam der Schiedsrichter des VfL Lohbrügge Post. Der Inhalt: Sie kommen als Spender für eine Frau in Schweden infrage, es gibt einen genetischen Zwilling, der auf ihre Spende angewiesen ist.

Für Henkel war das ein Glücksfall. „Natürlich habe ich mich gefreut“, sagt er. „Es ist doch toll, wenn man einem anderen so elementar helfen kann.“ Nach weiteren Voruntersuchungen fuhr er im März 2009 in eine Klinik nach Dresden, dort spendete er sein Knochenmark. Und: Wie wars? Sind die Schmerzen groß? Gar nicht. „Das ist wie eine Blutspende“, sagt er. „Es dauert nur länger.“

Und es verlängert Leben, rettet Leben, ermöglicht neues Leben. Nicht immer, in diesem Fall wohl. Dass seine Spende erfolgreich war, erfuhr Henkel einige Monate später. Kurz vor Weihnachten des Jahres 2009 erhielt er wieder Post, ein Brief aus Schweden, Absender unbekannt. „Lieber Spender“, las Henkel. „Sie haben mir die Chance gegeben, weiterleben zu dürfen.“ Der Körper der Schwedin hat seine Stammzellen angenommen und auf diese Weise die Leukämie besiegt. Heute ist sie geheilt, mittlerweile hat die heute 21-Jährige sogar einer Tochter das Leben geschenkt.

Erfolgreiche Typisierungsaktionen bei Schiedsrichtern

Von diesen Erfolgen hat Henkel auch den Schiedsrichtern in seinem Kreis erzählt, obwohl diese Geschichte mit dem Wirken als Schiedsrichter nicht viel zu tun hat. Henkel wollte aufklären, vor allem darüber, wie wenig Aufwand für die Typisierung erforderlich ist. Und wie schön es ist, einem anderen Menschen geholfen zu haben.

Deswegen hat er auch auf der Internetseite des Verbandes einen Erfahrungsbericht veröffentlicht. „Wenn die Menschen wissen, wie unproblematisch auch die Spende an sich ist, sind sie vielleicht eher bereit, sich typisieren zu lassen“, sagt Henkel.

Und er ging noch einen Schritt weiter: In seiner Firma und unter den Schiedsrichtern in Hamburg hat er Typisierungsaktionen initiiert. Erfolgreich. Schiedsrichter Florian Kirsch hat einen Abnehmer in den USA gefunden. Schiedsrichter Mike Schnitger hat für einen erkrankten Freund eine Typisierungsaktion veranlasst, bei der ein Abnehmer in Frankreich gefunden wurde. Drei kleine Aktionen, drei große Erfolge.

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Ein Tod, der nicht umsonst war

Das Engagement in Hamburg ist kein Einzelfall, natürlich nicht, schon gar nicht unter den Schiedsrichtern in Deutschland. Als im Dezember des Jahres 2009 ihr Schiedsrichterkamerad Marco im Alter von 21 Jahren an Leukämie erkrankt war, wollten die Kollegen im Kreis Olpe ihm so schnell wie möglich helfen. Für ihn wurde eine Typisierungsaktion gestartet, um einen passenden Spender von Stammzellen zu finden.

Sofort fanden sich 50 Helfer, die die Vorbereitung und die Durchführung am Tag der Typisierung unterstützen wollten. Sponsoren wurden gesucht, eine Halle gebucht und intensiv für den guten Zweck geworben. Die Aktion war für den 13. Juni geplant - doch Marco verstarb wenige Wochen vor dem Termin. Vorher noch ließ er sich von seinem Stiefvater versprechen, dass die Typisierung auf jeden Fall durchgeführt wird.

Für ihn kam die Hilfe zu spät, aber Marco wollte, dass andere von ihr profitieren können. „Diese Einstellung ist genau richtig“, sagt Henkel. „Je mehr Menschen ihre Daten erfassen lassen, umso größer ist die Chance, dass irgendwo auf der Welt einem Menschen ermöglicht wird, sein Leben zu leben.“

"Wenn ich etwas mache, dann richtig"

Das Leben als Schiedsrichter ist für Christian Henkel nun bald zu Ende. Warum? Henkel gibt ungern nur 90 Prozent. Und so langsam muss auch er seinem Alter Tribut zollen, nach den Spielen tun ihm vermehrt die Knochen weh. Wahrscheinlich, weil er zu viel Knochenmark gespendet hat. Henkel muss lachen, bei diesem Gedanken. Natürlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

„Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig“, begründet er stattdessen seinen Rückzug als Aktiver. Künftig wird er sich deshalb auf seine Tätigkeit als Lehrwart konzentrieren, als solcher bleibt er dem Fußball erhalten.

Vorausgesetzt, er wird in dieser Funktion am 8. März bei der Tagung des Kreisschiedsrichter-Ausschusses wieder gewählt. „Diese Aufgabe übe ich gerne weiter aus“, sagt er. Mit 100 Prozent, mit all seiner Leidenschaft, all seiner Erfahrung und all seinem Wissen.

Demnächst ein Besuch in Schweden

Ein wenig mehr Zeit wird er an den Wochenenden künftig dennoch haben. Er wird sie nutzen für seine Familie, für Ausflüge mit seiner Frau. Einer dieser Ausflüge wird ihn im Sommer nach Schweden führen, nach Stockholm. Und Umgebung.

Dann wird er die Frau besuchen, die durch seine Spende noch am Leben ist. Brieflich hatten beide bereits Kontakt, das persönliche Kennenlernen steht noch aus. „Ich freue mich sehr auf diese Begegnung“, sagt Henkel. „Es wird schön sein, mit eigenen Augen zu sehen, dass es dieser Frau und ihrer Tochter gut geht.“