Sascha Bauer: "Der Fußball war mein Schutzschild"

Deutsche Trainer in Brasilien? Lothar Matthäus hat 2006 kurzzeitig bei Atlético Paranaense gearbeitet. Und sonst? Neben dem Rekordnationalspieler finden sich nicht viele deutsche Übungsleiter, die Spuren hinterlassen haben im Fußball im Land des fünfmaligen Weltmeisters. Das ändert sich jetzt. Seit 2013 hat Sascha Bauer in Brasilien gewirkt, und seine Spuren wirken über den Fußball hinaus. Als Auslandsexperte des DFB hat Bauer für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Langzeitprojekt in Brasilien im Bereich "Sport für Entwicklung" gearbeitet. Der Schwerpunkt des Projektes lag darin, die Fußballbegeisterung in Brasilien zu nutzen, um Kindern und Jugendlichen über den Fußball soziale Werte zu vermitteln, die Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und ihnen Themen wie Umweltbewusstsein, Konfliktlösung oder Gleichberechtigung nahe zu bringen.

Wie das konkret aussieht, hat Bauer zu Beginn des Projektes beispielhaft beschrieben: "Während einer Übung stellt der Trainer den Kindern Fragen. Beim Thema Gesundheit zum Beispiel die Frage, ob es wichtig ist, sich regelmäßig die Hände zu waschen. Je nachdem, ob die Kinder mit ja oder nein antworten, laufen sie mit dem Ball auf die eine oder die andere Seite des Platzes. Die Kinder müssen ihr Gehirn benutzen, aber mit dem Körper antworten."

Im Rahmen des Projektes hat Bauer in Kooperation mit brasilianischen Partnern und Kollegen aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit das Trainingsprogramm "Treino Social" entwickelt, das darauf zielt, die im Fußball verankerten sozialen Kompetenzen zu fördern. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Bauer über seine Erfahrungen in fast vier Jahren in Brasilien.

DFB.de: Herr Bauer, wir würden zunächst gerne über die Anfänge sprechen, über Ihre ersten Tage und Wochen. Sie kommen nach Brasilien, das Vorhaben ist umrissen. Und dann? Wie füllt man ein solches Projekt mit Inhalt? Welche ersten Schritte haben Sie gesetzt?

Sascha Bauer: Ich habe Eindrücke gesammelt und mir viele verschiedene Fußball-Sozial-Projekte in Brasilien angeschaut. Mir war es wichtig, mit eigenen Augen zu sehen, wie die Situation vor Ort ist. Um mir ein Bild zu machen, habe ich mit den Trainern der Projekte gesprochen, mit Sozialarbeitern, auch mit den Kindern und Jugendlichen. Nur so konnte ich ein Gespür dafür bekommen, welche Methoden vor Ort sinnvoll und umsetzbar sind und welche nicht. Es wäre der falsche Ansatz gewesen, wenn ich in Brasilien als Ausländer einfach aufgetaucht wäre und mein Wissen ungefiltert vermittelt hätte. Schon deswegen nicht, weil die Brasilianer sehr stolz sind, auch und gerade bei allem, was mit dem Fußball zusammenhängt. Es war meinem Team und mir ein besonderes Anliegen, das „Treino Social“ so zu entwickeln, dass es die brasilianischen Stärken und die brasilianische Kultur respektiert.

"Persönlichkeitsentwicklung ist mein Team und mich wichtig"

DFB.de: Das heißt konkret?

Bauer: Die Schlüssel-Kompetenz der Brasilianer ist die Kreativität und damit verbunden die Fähigkeit, unberechenbar zu sein. Das spiegelt sich in vielen Aspekten des brasilianischen Lebens, auch des Fußballspiels. Etwa im Dribbling. Viele Brasilianer sind technisch sehr gut ausgebildet, wobei sie diese Fähigkeiten überwiegend spielend erlernen und nicht durch gezielte Schulung. Jedes Programm, das ihnen die Kreativität nehmen würde, wäre zum Scheitern verurteilt. In der Methode, die wir entwickelt haben, wird dies berücksichtigt.

DFB.de: Sie haben in Brasilien in insgesamt drei Modulen ausgebildet. Die Kurse waren heterogen besetzt, teilgenommen haben unter anderen Sozialpädagogen, Lehrer und klassische Fußballtrainer. Wie viel Argumentationsarbeit mussten Sie bei den Fußballtrainern leisten, um diese davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, das Fußballtraining mit dem Training sozialer Kompetenzen zu mischen.

Bauer: Bei den Trainern im Kurs war das nicht schwer. Sie haben schließlich mitgemacht, weil sie offen für diesen Ansatz waren. Für mich ist es überhaupt keine Frage, dass soziale Kompetenzen extrem hohen Wert nicht nur für den Menschen im Fußballer haben, sondern auch für den Fußballer im Menschen. Unabhängig davon, auf welchem Niveau sich dieser Spieler bewegt, ob das jetzt bei einem Verein in Deutschland ist, in einem Township in Afrika oder in Brasilien in einer Favela. Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Auch bei den Profivereinen gibt es viele Trainer, die das Potenzial erkannt haben und die wissen, dass die Persönlichkeit ganz wesentlich darüber entscheidet, ob ein Spieler den Sprung zum Profi schafft oder nicht. Für mein Team und mich war es daher immer wichtig, zu betonen, dass das, was wir machen, Persönlichkeitsentwicklung ist. Und dass die Methode, die wir entwickelt haben, für ganz verschiedene Situationen anwendbar ist: Im Rahmen der Sozialarbeit einer Gemeinde, für einen Dorfverein, für Sozialarbeiter, aber genauso auch für eine Leistungsfußball-Mannschaft, die darauf aus ist, Profifußballer auszubilden. Auch in Deutschland ist da noch sehr viel Luft nach oben.

DFB.de: Auf Ihren Reisen durchs Land und bei den Besuchen der Projekte waren Sie immer wieder in den berüchtigten Favelas. Auch Ihr täglicher Arbeitsplatz in Rio lag in einem Gebäudekomplex in einer Favela. Wie oft gab es Situationen, in denen Sie sich unsicher gefühlt haben?

Bauer: Es gab Momente, die objektiv heikel waren, die ich aber subjektiv nicht als dramatisch empfunden habe. Ich wurde schon mal mit einem Gewehr begrüßt oder bewaffnete Banden sind direkt am Sportplatz vorbei gerannt. Auch wurde öfters mal das Training abgesagt, da es Schießereien zwischen verfeindeten Drogenbanden gab. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich ein gezieltes Opfer werden könnte.

DFB.de: Was hat Sie da so sicher gemacht?

Bauer: Der Fußball. Dieser Sport wird in Brasilien einfach respektiert. Und das gilt auch für alle, die in ihm arbeiten. Selbst den Gangstern und Bandenmitgliedern, denen man begegnet, ist bewusst, dass der Fußball eine Art Tabuzone ist.

DFB.de: Dies hat Ihnen als Sicherheit genügt, wenn eine Waffe auf Sie gerichtet war?

Bauer: Der Fußball ist in Brasilien heilig. Es gab mehr als eine Situation, in der dies deutlich wurde. Einmal etwa während der WM 2014. Ich bin damals mit einer Journalistin zu einem Projekt gefahren, zu einem Trainer, der zuvor an der Ausbildung teilgenommen hatte. Wir sind in die Favela gefahren und wurden ziemlich schnell von einer Abordnung der örtlichen Gang-Bosse gestoppt. Ich wurde gefragt, was ich in der Favela zu suchen habe. Und in der Sekunde, in der ich gesagt hatte, dass ich einen Trainer des lokalen Fußball-Projektes besuchen wolle, wandelte sich Aggression in Freundlichkeit. Der Fußball war mein Schutzschild.



Deutsche Trainer in Brasilien? Lothar Matthäus hat 2006 kurzzeitig bei Atlético Paranaense gearbeitet. Und sonst? Neben dem Rekordnationalspieler finden sich nicht viele deutsche Übungsleiter, die Spuren hinterlassen haben im Fußball im Land des fünfmaligen Weltmeisters. Das ändert sich jetzt. Seit 2013 hat Sascha Bauer in Brasilien gewirkt, und seine Spuren wirken über den Fußball hinaus. Als Auslandsexperte des DFB hat Bauer für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Langzeitprojekt in Brasilien im Bereich "Sport für Entwicklung" gearbeitet. Der Schwerpunkt des Projektes lag darin, die Fußballbegeisterung in Brasilien zu nutzen, um Kindern und Jugendlichen über den Fußball soziale Werte zu vermitteln, die Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und ihnen Themen wie Umweltbewusstsein, Konfliktlösung oder Gleichberechtigung nahe zu bringen.

Wie das konkret aussieht, hat Bauer zu Beginn des Projektes beispielhaft beschrieben: "Während einer Übung stellt der Trainer den Kindern Fragen. Beim Thema Gesundheit zum Beispiel die Frage, ob es wichtig ist, sich regelmäßig die Hände zu waschen. Je nachdem, ob die Kinder mit ja oder nein antworten, laufen sie mit dem Ball auf die eine oder die andere Seite des Platzes. Die Kinder müssen ihr Gehirn benutzen, aber mit dem Körper antworten."

Im Rahmen des Projektes hat Bauer in Kooperation mit brasilianischen Partnern und Kollegen aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit das Trainingsprogramm "Treino Social" entwickelt, das darauf zielt, die im Fußball verankerten sozialen Kompetenzen zu fördern. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Bauer über seine Erfahrungen in fast vier Jahren in Brasilien.

DFB.de: Herr Bauer, wir würden zunächst gerne über die Anfänge sprechen, über Ihre ersten Tage und Wochen. Sie kommen nach Brasilien, das Vorhaben ist umrissen. Und dann? Wie füllt man ein solches Projekt mit Inhalt? Welche ersten Schritte haben Sie gesetzt?

Sascha Bauer: Ich habe Eindrücke gesammelt und mir viele verschiedene Fußball-Sozial-Projekte in Brasilien angeschaut. Mir war es wichtig, mit eigenen Augen zu sehen, wie die Situation vor Ort ist. Um mir ein Bild zu machen, habe ich mit den Trainern der Projekte gesprochen, mit Sozialarbeitern, auch mit den Kindern und Jugendlichen. Nur so konnte ich ein Gespür dafür bekommen, welche Methoden vor Ort sinnvoll und umsetzbar sind und welche nicht. Es wäre der falsche Ansatz gewesen, wenn ich in Brasilien als Ausländer einfach aufgetaucht wäre und mein Wissen ungefiltert vermittelt hätte. Schon deswegen nicht, weil die Brasilianer sehr stolz sind, auch und gerade bei allem, was mit dem Fußball zusammenhängt. Es war meinem Team und mir ein besonderes Anliegen, das „Treino Social“ so zu entwickeln, dass es die brasilianischen Stärken und die brasilianische Kultur respektiert.

"Persönlichkeitsentwicklung ist mein Team und mich wichtig"

DFB.de: Das heißt konkret?

Bauer: Die Schlüssel-Kompetenz der Brasilianer ist die Kreativität und damit verbunden die Fähigkeit, unberechenbar zu sein. Das spiegelt sich in vielen Aspekten des brasilianischen Lebens, auch des Fußballspiels. Etwa im Dribbling. Viele Brasilianer sind technisch sehr gut ausgebildet, wobei sie diese Fähigkeiten überwiegend spielend erlernen und nicht durch gezielte Schulung. Jedes Programm, das ihnen die Kreativität nehmen würde, wäre zum Scheitern verurteilt. In der Methode, die wir entwickelt haben, wird dies berücksichtigt.

DFB.de: Sie haben in Brasilien in insgesamt drei Modulen ausgebildet. Die Kurse waren heterogen besetzt, teilgenommen haben unter anderen Sozialpädagogen, Lehrer und klassische Fußballtrainer. Wie viel Argumentationsarbeit mussten Sie bei den Fußballtrainern leisten, um diese davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, das Fußballtraining mit dem Training sozialer Kompetenzen zu mischen.

Bauer: Bei den Trainern im Kurs war das nicht schwer. Sie haben schließlich mitgemacht, weil sie offen für diesen Ansatz waren. Für mich ist es überhaupt keine Frage, dass soziale Kompetenzen extrem hohen Wert nicht nur für den Menschen im Fußballer haben, sondern auch für den Fußballer im Menschen. Unabhängig davon, auf welchem Niveau sich dieser Spieler bewegt, ob das jetzt bei einem Verein in Deutschland ist, in einem Township in Afrika oder in Brasilien in einer Favela. Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Auch bei den Profivereinen gibt es viele Trainer, die das Potenzial erkannt haben und die wissen, dass die Persönlichkeit ganz wesentlich darüber entscheidet, ob ein Spieler den Sprung zum Profi schafft oder nicht. Für mein Team und mich war es daher immer wichtig, zu betonen, dass das, was wir machen, Persönlichkeitsentwicklung ist. Und dass die Methode, die wir entwickelt haben, für ganz verschiedene Situationen anwendbar ist: Im Rahmen der Sozialarbeit einer Gemeinde, für einen Dorfverein, für Sozialarbeiter, aber genauso auch für eine Leistungsfußball-Mannschaft, die darauf aus ist, Profifußballer auszubilden. Auch in Deutschland ist da noch sehr viel Luft nach oben.

DFB.de: Auf Ihren Reisen durchs Land und bei den Besuchen der Projekte waren Sie immer wieder in den berüchtigten Favelas. Auch Ihr täglicher Arbeitsplatz in Rio lag in einem Gebäudekomplex in einer Favela. Wie oft gab es Situationen, in denen Sie sich unsicher gefühlt haben?

Bauer: Es gab Momente, die objektiv heikel waren, die ich aber subjektiv nicht als dramatisch empfunden habe. Ich wurde schon mal mit einem Gewehr begrüßt oder bewaffnete Banden sind direkt am Sportplatz vorbei gerannt. Auch wurde öfters mal das Training abgesagt, da es Schießereien zwischen verfeindeten Drogenbanden gab. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich ein gezieltes Opfer werden könnte.

DFB.de: Was hat Sie da so sicher gemacht?

Bauer: Der Fußball. Dieser Sport wird in Brasilien einfach respektiert. Und das gilt auch für alle, die in ihm arbeiten. Selbst den Gangstern und Bandenmitgliedern, denen man begegnet, ist bewusst, dass der Fußball eine Art Tabuzone ist.

DFB.de: Dies hat Ihnen als Sicherheit genügt, wenn eine Waffe auf Sie gerichtet war?

Bauer: Der Fußball ist in Brasilien heilig. Es gab mehr als eine Situation, in der dies deutlich wurde. Einmal etwa während der WM 2014. Ich bin damals mit einer Journalistin zu einem Projekt gefahren, zu einem Trainer, der zuvor an der Ausbildung teilgenommen hatte. Wir sind in die Favela gefahren und wurden ziemlich schnell von einer Abordnung der örtlichen Gang-Bosse gestoppt. Ich wurde gefragt, was ich in der Favela zu suchen habe. Und in der Sekunde, in der ich gesagt hatte, dass ich einen Trainer des lokalen Fußball-Projektes besuchen wolle, wandelte sich Aggression in Freundlichkeit. Der Fußball war mein Schutzschild.

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DFB.de: Das Programm zielt darauf ab, mit Hilfe des Fußballs Lebenskompetenzen zu vermitteln. Sie haben dazu mal gesagt: "Die Kinder sollen so wenig wie möglich das Gefühl bekommen, dass sie einfach eine zusätzliche Schulstunde haben."

Bauer: Ich erinnere mich dunkel. Es ist aber schon eine Weile her, dass ich den Satz gesagt habe.

DFB.de: Anfang 2014.

Bauer: Ich weiß aber noch, warum ich das gesagt habe.

DFB.de: Und das wäre?

Bauer: Im Rahmen des "Treino Social" gibt es gerade bei den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine Tendenz dahin, in das Training zu viele soziale Inhalte zu integrieren und den Fußball damit zu entfremden. Und das ist der falsche Ansatz. Bei allen übergeordneten Zielen, müssen wir den Wunsch der Kinder und Jugendlichen respektieren, sich als Fußballer weiter zu entwickeln. Daher muss jeder Trainer ein gutes Gespür dafür haben, wie viele über den Fußball hinausgehende Inhalte das Training verkraften kann. Unser Ansatz ist, dass es um Persönlichkeitsentwicklung im Sport geht, im Fußball. Wir müssen den Spielern vermitteln, dass sie sich über ihre persönlichen, emotionalen und sozialen Kompetenzen als Fußballer auf ein anderes Niveau hieven. Und natürlich hat das automatisch Auswirkungen auf die private, schulische und später die berufliche Laufbahn.

DFB.de: Dann kommt es nicht vor, dass die Kinder sich enttäuscht vom Training abwenden, weil im Fußballtraining zu wenig Fußball gespielt wird?

Bauer: Genau das gilt es zu verhindern.

DFB.de: Eine der Übungen verbindet ein Sprint-Training mit einem Memory-Spiel. Am Ende eines Laufes werden Karten umgedreht, gewonnen hat die Gruppe, die das Memory am schnellsten gelöst hat. Die Memory-Karten zeigen überdies Motive mit relevanten Themen, etwa Gleichberechtigung. Haben Kinder, die Fußball spielen wollen, tatsächlich Spaß an einer solchen Übung?

Bauer: Mit dem Memory-Spiel haben wir mit Kindern sehr gute Erfahrungen gemacht. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie schmal der Grat manchmal ist. Durch das Umdrehen und Zuordnen der Karten geht im Training nicht viel Zeit verloren, außerdem lässt sich dadurch auch die Konzentrationsfähigkeit schulen. Schon daher hat es einen vorteilhaften fußballerischen Effekt - die Kinder verstehen das auch. Dass auf den Karten auch soziale Themen wie Gleichberechtigung, Umweltbewusstsein oder Friedenskultur abgebildet sind, wird erst im zweiten Schritt wichtig. Nach dem Training. Während des Trainings schaue ich mir das Bild an, überlege, ob es eine Übereinstimmung gibt und lege es wieder hin. Nach dem Training erfolgt dann die Reflektion zu den Inhalten der Karten. Wenn wir das noch auf dem Platz machen würden, würden wir das Training zerstören und die Kinder verlieren. Der Erfolg hängt natürlich auch von der Dosierung ab.

"Bilder sind in Brasilien rauf und runter gesendet worden"

DFB.de: Wie meinen Sie das?

Bauer: Ich kann als Trainer nicht in jedem Training auch die sozialen Kompetenzen mit eigenen Übungen schulen. Nicht in jedem Training – aber auch nicht zu selten. Es hängt immer davon ab, wie ich meine Mannschaft und meine Spieler einschätze. In ihrer Analyse müssen die Trainer erkennen, auf welchen Ebenen sich ihre Spieler und Mannschaften weiterentwickeln können. Oft ist es sinnvoll, gezielt die sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu fördern. Darüber wird auch in der Ausbildung diskutiert, dass die Trainer erkennen lernen, wo ihre Mannschaften am meisten Entwicklungspotenzial haben. In Brasilien waren ein respektvoller Umgang miteinander und Empathie oft Bereiche, in denen es Verbesserungschancen gibt. Wir haben den Trainern daher Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie im Training Solidarität und Integrität adressieren, den Gedanken des Fair Play oder die Empathiefähigkeit fördern.

DFB.de: Die deutsche Nationalmannschaft ist nach dem 7:1 im WM-Halbfinale gegen Brasilien genau dafür gelobt worden. Im Umgang mit dem großen Erfolg hat das Team Größe bewiesen. Wenn wir über Empathie reden - hat Ihnen das als Beispiel in Ihrem Kurs gedient?

Bauer: Empathiefähigkeit auf dem Platz bezieht sich eher darauf, sich in den Gegenspieler hineinzuversetzen und so einen Vorteil etwa in Eins-gegen-Eins-Situationen zu haben. Weil man weiß, was der Stürmer oder der Verteidiger in seiner nächsten Aktion machen wird. Und das lässt sich durch gezielte Übungen schulen. Aber natürlich ist das Mitfühlen, das Sie meinen, eine wichtige soziale Kompetenz. Wobei mein Eindruck ist, dass die deutsche Mannschaft während der WM bei den Brasilianern auch mit etwas ganz anderem gepunktet hat.

DFB.de: Nämlich.

Bauer: Ich kann dazu gerne eine Geschichte erzählen.

DFB.de: Bitteschön.

Bauer: Auf einem Sportplatz in Rio bin ich mal von einem Getränke-Verkäufer angesprochen worden. Er hat nicht über das 7:1 gesprochen, nicht über die Leistungen auf dem Platz. Er hat darüber gesprochen, wie es ihm imponiert hat, wie sich die Nationalmannschaft in ihrem Team-Quartier in Bahia verhalten hat. Wie nahbar sie gewesen ist, wie sie auf die Bedürfnisse der Menschen eingegangen ist, wie offen und fröhlich die Spieler waren. Wie sie mit den Pataxó-Indianern gesungen haben, wie sie mit den Kindern in der Schule Fußball gespielt haben – solche Bilder sind in Brasilien rauf und runter gesendet worden.

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DFB.de: Wenn Sie das "Treino Social" auf seine Essenz reduzieren müssten - was würden Sie formulieren.

Bauer: "Treino Social" ist ganzheitliches Fußballtraining. Es geht darum, technische, physische, taktische, aber auch ganz speziell soziale und emotionale Fähigkeiten zu entwickeln, bzw. bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Dabei ist einer der wichtigsten Punkte, Persönlichkeiten zu entwickeln, Verhaltensänderungen herbeizuführen und das ganz gezielt über etwas, das viele Trainer weltweit – auch in Deutschland - noch gar nicht machen: mit Fragen arbeiten. Ein Schlüssel in der Persönlichkeitsentwicklung ist es, Kindern und Jugendlichen Fragen zu stellen.

DFB.de: Das klingt sehr simpel.

Bauer: Die richtigen Fragen zu stellen ist eine Kunst, bei der man sich als Mensch und Trainer ständig weiterentwickelt.

DFB.de: Geben sie uns bitte ein Beispiel?

Bauer: Prinzipiell ist es ganz einfach. Sehr häufig geben Trainer die Lösung einfach vor. Nach dem Motto: Ich sage, den Kindern und Jugendlichen, was ich für die beste Lösung erachte und diese haben das zu befolgen. Ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, selber darüber nachzudenken und selbstständig Entscheidungen zu treffen. Und das ist falsch. Viel sinnvoller ist es, die Kinder einzubeziehen und sie die Lösung selber finden zu lassen.

DFB.de: Das hat zusätzlich den Effekt, dass die Kinder erfahren, dass es gut ist, Respekt entgegengebracht zu bekommen und es sich gut anfühlt, wenn die eigene Meinung wertgeschätzt wird.

Bauer: Darum geht es. Als Trainer habe ich für mich eine Ideallösung im Kopf. Aber die Hinleitung dazu, die erfolgt über Fragen. Das kann über eine verbale Frage passieren, ist aber auch über eine geschickte Übungsauswahl möglich. Etwa, wenn es in verschiedenen Spielsituationen darum geht, zu erkennen, was die beste Option ist. Aufgabe des Trainers ist es in solchen Fällen, die Übungsform so zu wählen und zu verändern, dass die Kinder durch das Ausführen der Übung fast automatisch erlernen, wie sie in einer Szene beispielsweise eine Abseitssituation erkennen und vermeiden. In diesem Beispiel reden wir jetzt über taktische Situationen, die Frage-Technik lässt sich aber auf ganz viele Spiel- und Lebensbereiche übertragen.

"Wir können viele Dinge beeinflussen, aber nicht alles ändern"

DFB.de: Wenn Sie auf Ihre Zeit in Brasilien blicken, welche Highlights kommen Ihnen als Erstes in den Sinn?

Bauer: Das ist schwierig, es gab so viele Höhepunkte und tolle Erlebnisse. Dazu gehören ganz sicher auch die jährlichen Turniere der Favela-Jugendmannschaften. Zig Tausende von Zuschauern schauen sich das an und feuern ihre Teams lautstark an. Die Atmosphäre ist sehr speziell. Da entstehen Situationen, Momente und Bilder, die ich vorher im Jugendfußball weltweit noch nicht erlebt und gesehen habe. Wenn man behauptet, das Brasilien fußballverrückt ist, dann wird dies durch solche Szenen belegt. Wobei das Ganze auch Schattenseiten hat.

DFB.de: Was meinen Sie damit?

Bauer: Bei den Favela-Meisterschaften kommt es schon mal zu Gewalt, also zu Zuschauerausschreitungen. Brasilien ist extrem emotional, und das kann in beide Richtungen ausschlagen.

DFB.de: Weil viele der Zuschauer nicht gelernt haben, ihre Emotionen zu kontrollieren.

Bauer: Das gehört zu den Gründen, bestimmt.

DFB.de: Diese Ausschreitungen würde es also nicht geben, wenn die Zuschauer das "Treino Social" durchlaufen hätten.

Bauer: Wir haben uns mit dem Erkennen und Einordnen von Emotionen beschäftigt, das ist eine der Fähigkeiten, mit denen wir gezielt arbeiten. Aber wir dürfen an die Effekte unserer Arbeit auch nicht zu hohe Ansprüche haben. Der Fußball hat zwar eine extrem große Kraft.

DFB.de: Aber?

Bauer: Verhalten zu ändern und Menschen positiv zu beeinflussen – das ist ein langer Prozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen kann. Ziel ist es, das ganze Potenzial des Sports auszuschöpfen. Und dazu gehört auch die Fähigkeit, die Emotionen in die richtigen Kanäle zu leiten. Bei den Zuschauer-Ausschreitungen in den Favela-Turnieren spielt allerdings auch der Alkohol eine große Rolle. Wir müssen auch unsere Grenzen erkennen und ehrlich sagen, dass wir viele Dinge beeinflussen, aber nicht alles ändern können.

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DFB.de: Sie haben in Deutschland als "gewöhnlicher Trainer" gearbeitet, etwa beim FSV Frankfurt und bei Eintracht Frankfurt. Belohnung für Trainer in Deutschland sind Tore, Siege und Punkte. Vielleicht auch der Blick auf das Konto. Was ist Ihre Belohnung?

Bauer: Das ist ganz vielfältig. Für mich war es zum Beispiel eine Belohnung zu sehen, mit welcher Überzeugung und welcher Begeisterung jetzt die 20 besten der insgesamt über 500 ausgebildeten Trainer der Kurse der vergangenen Jahre beim dritten Kursmodul dabei gewesen sind. Das hat mir noch einmal vor Augen geführt, wie nachhaltig das Ganze wirkt. Diese Trainer haben in ihrem täglichen Leben die Erfahrung gemacht, wie effektvoll unsere Methode ist, wie viel sie damit erreichen können. Aus solchen Erfahrungen ziehe ich viel Befriedigung. Mir bedeutet es sehr viel, ein Menschenleben positiv beeinflussen zu können. Das war für mich schon immer mehr wert als klinisches Geld.

DFB.de: Welche Inhalte hatte dieser dritte Kurs?

Bauer: Das erste Modul war ein Programm für die Arbeit mit Kindern. Das zweite Modul war die Fortsetzung, ein Programm für die Arbeit mit Jugendlichen. Und das letzte Modul war ein Programm, in dem die Trainer zu Ausbildern für die ersten beiden Module geschult wurden. Wir haben also Trainerausbilder für die Methode des "Treino Social" ausgebildet. Die Nachhaltigkeit ist damit gewährleistet, wir haben viele motivierte und kompetente Multiplikatoren für das "Treino Social" gewinnen können, unter anderem die Mentaltrainerin der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaft.

DFB.de: Sie waren als DFB-Auslandsexperte für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Brasilien. Wie haben Sie die Kooperation mit Ihren Counterparts in Deutschland empfunden?

Bauer: Mit den Sportverbänden in Deutschland hatte ich schon vorher positive Erfahrungen gemacht. In Mosambik wurde ich über den bayerischen Fußball-Verband vermittelt und direkt beim mosambikanischen Fußball-Verband als U 17-Nationaltrainer angestellt. Das Projekt in Brasilien war nun mein erstes als Auslandsexperte des DFB in Kooperation mit der GIZ beziehungsweise dem BMZ. Und es war sehr produktiv. Weil da Partner zusammen gekommen sind, die zusammen gehören. Entwicklungshilfe mit dem Sport und speziell durch den Fußball hat riesiges Potenzial, ich bin sicher, dass dieses Segment weiter wachsen wird. Nun gilt es, die Methoden und Ansätze weiter zu verbreiten und Trainern weltweit zugänglich zu machen. Daran arbeiten der DFB und die GIZ im Auftrag des BMZ und glücklicherweise eine ständig wachsende Anzahl von Personen und Organisationen. Alle teilen die gleiche Vision, auch der von mir mit Gleichgesinnten gegründete Verein FFWU (Football for Worldwide Unity). Gemeinsam mit unserer Botschafterin Nadine Angerer arbeiten wir an dem gleichen Ziel, Menschenleben positiv zu beeinflussen.

DFB.de: Wie geht es daneben weiter für Sie persönlich? 2010 waren Sie in Südafrika, 2014 in Brasilien. In dieser Logik sind Sie 2018 in Russland.

Bauer: Das scheint wohl unausweichlich. (lacht) Nein, das wird nicht passieren. Ich habe mich entschlossen, die ganzen Ausbildungsinhalte, die ich in den vergangenen Jahren erarbeitet habe, nun selber in Deutschland umzusetzen. Das heißt: ich werde wieder als Trainer auf dem Platz stehen. Nach fast vier Jahren Arbeit mit Trainern, fehlt es mir, den Rasen unter den Füßen zu spüren und direkt mit Mannschaften und Spielern zu arbeiten. Ich werde weiter Kurse geben, ich werde auch weiter als Auslandsexperte für den DFB zur Verfügung stehen. Aber eher für Kurzzeiteinsätze. Die nächsten fünf Jahre will ich in Deutschland verbringen, in dieser Zeit will ich zum Beispiel auch die Fußball-Lehrer-Lizenz erwerben. Was nach diesen fünf Jahren passiert – das muss man sehen. Danach bin ich wieder offen für alles.

"Sport für Entwicklung"

Sport wurde international von der UN "als Mittel zur Förderung der Bildung, der Gesundheit, der Entwicklung des Friedens" anerkannt. Auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nutzt "Sport für Entwicklung". Denn durch Sport leben Kinder und Jugendliche nicht nur gesünder. Sie lernen auch Verantwortung zu übernehmen, sich fair zu verhalten und Konflikte friedlich zu lösen. Das sind Schlüsselqualifikationen, die ihnen später zum Beispiel den Einstieg in die Berufswelt erleichtern. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bildet hierfür Trainerinnen und Trainer aus. Diese sind Vorbilder, Vertrauenspersonen und vermitteln den Kindern und Jugendlichen ein stärkeres Selbstwertgefühl und helfen ihnen, Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Als Teil des Trainings sprechen sie Gesundheitsthemen wie HIV-Prävention oder Alkoholmissbrauch an. Sport bewegt also nicht nur, er bildet auch.

Das Projekt in Brasilien, in dem Sascha Bauer tätig war, wird von einem kleinen Team der deutschen Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt. Bislang konnten mehr als 500 TrainerInnnen ausgebildet und fast 50.000 Kinder und Jugendliche mit den Methoden des "Treino Social" erreicht werden. Noch bis zum Ende 2017 werden brasilianische Partner dabei begleitet die Methodik in ihre eigenen Strukturen und Trainingsprogramme zu verankern.

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