Saison 2000/2001: Meister der Herzen

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt der Autor und Historiker Udo Muras noch einmal auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 2000/2001.

Bereits nach der Vorrunde war sicher, dass diese Saison zu allen Jubiläen wieder aus der Schublade gezogen werden würde. Zunächst aus unerfreulichem Anlass. Es waren triste Herbsttage für den deutschen Fußball, der Schlagzeilen machte, die es in die Hauptnachrichten schafften. Nach zwölf Jahren erlebte das Duell Uli Hoeneß/Christoph Daum eine Neuauflage, aber diesmal ging es nicht um Psychospielchen im Titelkampf.

Der Bayern-Manager Hoeneß hatte in einer Interviewantwort voller Konjunktive die Befähigung Daums als designiertem Bundestrainer angezweifelt. Nahm Leverkusens Trainer wirklich Kokain? Hoeneß hatte das nicht behauptet, nur auf eine Frage geantwortet. Schon wurde er zum Buhmann, so lange keine Beweise auf dem Tisch lagen. Er erhielt Morddrohungen und brauchte bei Auswärtsspielen Bodyguards.

Kokainkonsum: Daum muss gehen

Am 20. Oktober 2000 platzte die Bombe: Daum hatte sich zu einer Haarprobe entschlossen, deren Ergebnis positiv war - der Kokaingenuss war nun nachgewiesen, Bayer Leverkusen entließ Daum umgehend, und der Fußball-Lehrer verabschiedete sich nach Florida. Über all das geriet das Sportliche in den Hintergrund, aber es musste ja weitergehen: für die Nationalmannschaft und für Bayer Leverkusen.

So begannen im Herbst 2000 die aufregendsten Tage im Leben des Rudi Völler. Gerade dabei, die Nationalmannschaft wieder auf Vordermann zu bringen, musste er in Personalunion nun auch seinem ersten Arbeitgeber Bayer Leverkusen, dessen Sportdirektor er war, dienen. So trainierte erstmals in der DFB-Historie ein Teamchef der Nationalmannschaft auch einen Bundesligaklub. Immerhin vier Wochen. Da Völler es schaffte, in dieser Zeit ungeschlagen zu bleiben, wurde er auf dem Boulevard zu "Rudi Riese".

Ende November war er seinen Zweitjob wieder los, Ex-Bundestrainer Berti Vogts wagte den Sprung in die Bundesliga und wäre beinahe Herbstmeister geworden. Den inoffiziellen Titel sicherten sich jedoch die Schalker nach einer Vorrunde mit fünf verschiedenen Tabellenführern. Nach einem Bayern-Durchmarsch sah es erneut nicht aus, der Meister war Weihnachten nur Dritter und verblüffte durch Niederlagen gegen Rostock und Bundesliga-Newcomer Energie Cottbus, der vierte Ost-Vertreter der Ligahistorie.

Legendäres Herzschlagfinale

Aber diese Bayern-Mannschaft zeichnete eine Erfolgsbesessenheit aus, die im Mai 2001 besondere Früchte tragen sollte. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten tanzten sie bis zuletzt auf zwei Hochzeiten und erreichten das Champions-League-Finale. Das fand vier Tage nach dem Saisonfinale statt.

Am 19. Mai 2001 reisten die Münchner in trügerischer Sicherheit nach Hamburg: drei Punkte Vorsprung auf Schalke 04, aber die schlechtere Tordifferenz. Den Bayern reichte ein Punkt, und den hielten sie bis zur 90. Minute fest. Dann köpfte Torschützenkönig Sergej Barbarez urplötzlich das 1:0 für den HSV, und Schalke wähnte sich nach dem 5:3 gegen Unterhaching als Meister.

Exakt 4:38 Minuten feierten sie aufgrund einer Fehlinformation einen Titel, den sie nie bekommen würden. Die ersten Fans rissen bereits Grasstreifen vom nunmehr heiligen Rasen des Parkstadions, als sie auf der Großleinwand sahen, dass das Spiel in Hamburg noch lief. Die neue Medienwelt machte es möglich, Pay-TV-Sender Premiere übertrug ab dieser Saison jedes Spiel live. Und so waren Millionen live dabei - bei dem Gänsehaut-Moment der Bundesligahistorie schlechthin.

Kahn will schießen, Effenberg sagt Nein

Schiedsrichter Markus Merk wertete ein Zuspiel von Hamburgs Tomas Ujfalusi auf Matthias Schober als Rückpass und gab indirekten Freistoß für Bayern im HSV-Strafraum. Oliver Kahn stürmte nach vorne. Keiner wollte die Schale mehr als er, und so fragte er Kapitän Stefan Effenberg ernsthaft, ob er schießen dürfe. Effenberg schickte ihn weg, Kahn machte daraufhin die HSV-Abwehr verrückt, suchte Scharmützel und störte, wo er nur stören konnte.

Den Meisterschuss aber durfte ein anderer Bayern-Spieler ausführen, der ebenfalls noch nie ein Tor für den Rekordmeister geschossen hatte. Der Schwede Patrik Andersson donnerte den Ball flach durch eine Lücke in der Mauer, die sich auf wundersame Weise auftat in diesem unvergesslichen Moment. Tor, 1:1!

Kahn: "Weitermachen, immer weitermachen!"

Kahn rannte zur Eckfahne, riss sie heraus und wälzte sich mit ihr am Boden. Bilder, die sich jedem Zuschauer eingebrannt haben. Das war der dritte Meister-Hattrick der Bayern und der vierte in der Bundesliga-Historie - und es war das Ende einer königsblauen Illusion. "Es gibt keinen Fußball-Gott", sagte ein resignierender Manager Rudi Assauer nach dem Drama, bei dem viele Schalker Tränen flossen. Die Bild-Zeitung ernannte Schalke zum "Meister der Herzen", auch diese Bezeichnung wurde Legende. Wie das Motto von Oliver Kahn, als er nach Abpfiff den Bayern-Erfolg erklärte: "Weitermachen, immer weitermachen!"

Und wie sie weitermachten: In Mailand gewannen sie vier Tage später die Champions League. Gegen Valencia, nach Elfmeterschießen, Oliver Kahn hielt drei Bälle. Die Frage nach dem Fußballer des Jahres stellte sich danach nicht wirklich.

Bei aller Aufregung gingen die Zuschauerzahlen erneut zurück. Das Fernsehen diktierte den Spielplan, der Spieltag wurde viergeteilt. Erstmals wurde auch eine Samstagabendpartie (20.15 Uhr) ausgetragen. Dagegen demonstrierten die Fans in allen Stadien, es entstanden Bündnisse wie "Pro 15.30". Was für eine Saison.

Zahlen zur 38 Saison

Tore: 897 (2,93 pro Spiel)
Torschützenkönige: Sergej Barbarez (HSV), Ebbe Sand (Schalke) - je 22
Zuschauer: 8.696.712 (28.421 pro Spiel)
Meister: Bayern München
Absteiger: SpVgg. Unterhaching, Eintracht Frankfurt, VfL Bochum
Aufsteiger: 1. FC Nürnberg, Borussia Mönchengladbach, FC St. Pauli
Trainerentlassungen: 9

[um]

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt der Autor und Historiker Udo Muras noch einmal auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 2000/2001.

Bereits nach der Vorrunde war sicher, dass diese Saison zu allen Jubiläen wieder aus der Schublade gezogen werden würde. Zunächst aus unerfreulichem Anlass. Es waren triste Herbsttage für den deutschen Fußball, der Schlagzeilen machte, die es in die Hauptnachrichten schafften. Nach zwölf Jahren erlebte das Duell Uli Hoeneß/Christoph Daum eine Neuauflage, aber diesmal ging es nicht um Psychospielchen im Titelkampf.

Der Bayern-Manager Hoeneß hatte in einer Interviewantwort voller Konjunktive die Befähigung Daums als designiertem Bundestrainer angezweifelt. Nahm Leverkusens Trainer wirklich Kokain? Hoeneß hatte das nicht behauptet, nur auf eine Frage geantwortet. Schon wurde er zum Buhmann, so lange keine Beweise auf dem Tisch lagen. Er erhielt Morddrohungen und brauchte bei Auswärtsspielen Bodyguards.

Kokainkonsum: Daum muss gehen

Am 20. Oktober 2000 platzte die Bombe: Daum hatte sich zu einer Haarprobe entschlossen, deren Ergebnis positiv war - der Kokaingenuss war nun nachgewiesen, Bayer Leverkusen entließ Daum umgehend, und der Fußball-Lehrer verabschiedete sich nach Florida. Über all das geriet das Sportliche in den Hintergrund, aber es musste ja weitergehen: für die Nationalmannschaft und für Bayer Leverkusen.

So begannen im Herbst 2000 die aufregendsten Tage im Leben des Rudi Völler. Gerade dabei, die Nationalmannschaft wieder auf Vordermann zu bringen, musste er in Personalunion nun auch seinem ersten Arbeitgeber Bayer Leverkusen, dessen Sportdirektor er war, dienen. So trainierte erstmals in der DFB-Historie ein Teamchef der Nationalmannschaft auch einen Bundesligaklub. Immerhin vier Wochen. Da Völler es schaffte, in dieser Zeit ungeschlagen zu bleiben, wurde er auf dem Boulevard zu "Rudi Riese".

Ende November war er seinen Zweitjob wieder los, Ex-Bundestrainer Berti Vogts wagte den Sprung in die Bundesliga und wäre beinahe Herbstmeister geworden. Den inoffiziellen Titel sicherten sich jedoch die Schalker nach einer Vorrunde mit fünf verschiedenen Tabellenführern. Nach einem Bayern-Durchmarsch sah es erneut nicht aus, der Meister war Weihnachten nur Dritter und verblüffte durch Niederlagen gegen Rostock und Bundesliga-Newcomer Energie Cottbus, der vierte Ost-Vertreter der Ligahistorie.

Legendäres Herzschlagfinale

Aber diese Bayern-Mannschaft zeichnete eine Erfolgsbesessenheit aus, die im Mai 2001 besondere Früchte tragen sollte. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten tanzten sie bis zuletzt auf zwei Hochzeiten und erreichten das Champions-League-Finale. Das fand vier Tage nach dem Saisonfinale statt.

Am 19. Mai 2001 reisten die Münchner in trügerischer Sicherheit nach Hamburg: drei Punkte Vorsprung auf Schalke 04, aber die schlechtere Tordifferenz. Den Bayern reichte ein Punkt, und den hielten sie bis zur 90. Minute fest. Dann köpfte Torschützenkönig Sergej Barbarez urplötzlich das 1:0 für den HSV, und Schalke wähnte sich nach dem 5:3 gegen Unterhaching als Meister.

Exakt 4:38 Minuten feierten sie aufgrund einer Fehlinformation einen Titel, den sie nie bekommen würden. Die ersten Fans rissen bereits Grasstreifen vom nunmehr heiligen Rasen des Parkstadions, als sie auf der Großleinwand sahen, dass das Spiel in Hamburg noch lief. Die neue Medienwelt machte es möglich, Pay-TV-Sender Premiere übertrug ab dieser Saison jedes Spiel live. Und so waren Millionen live dabei - bei dem Gänsehaut-Moment der Bundesligahistorie schlechthin.

Kahn will schießen, Effenberg sagt Nein

Schiedsrichter Markus Merk wertete ein Zuspiel von Hamburgs Tomas Ujfalusi auf Matthias Schober als Rückpass und gab indirekten Freistoß für Bayern im HSV-Strafraum. Oliver Kahn stürmte nach vorne. Keiner wollte die Schale mehr als er, und so fragte er Kapitän Stefan Effenberg ernsthaft, ob er schießen dürfe. Effenberg schickte ihn weg, Kahn machte daraufhin die HSV-Abwehr verrückt, suchte Scharmützel und störte, wo er nur stören konnte.

Den Meisterschuss aber durfte ein anderer Bayern-Spieler ausführen, der ebenfalls noch nie ein Tor für den Rekordmeister geschossen hatte. Der Schwede Patrik Andersson donnerte den Ball flach durch eine Lücke in der Mauer, die sich auf wundersame Weise auftat in diesem unvergesslichen Moment. Tor, 1:1!

Kahn: "Weitermachen, immer weitermachen!"

Kahn rannte zur Eckfahne, riss sie heraus und wälzte sich mit ihr am Boden. Bilder, die sich jedem Zuschauer eingebrannt haben. Das war der dritte Meister-Hattrick der Bayern und der vierte in der Bundesliga-Historie - und es war das Ende einer königsblauen Illusion. "Es gibt keinen Fußball-Gott", sagte ein resignierender Manager Rudi Assauer nach dem Drama, bei dem viele Schalker Tränen flossen. Die Bild-Zeitung ernannte Schalke zum "Meister der Herzen", auch diese Bezeichnung wurde Legende. Wie das Motto von Oliver Kahn, als er nach Abpfiff den Bayern-Erfolg erklärte: "Weitermachen, immer weitermachen!"

Und wie sie weitermachten: In Mailand gewannen sie vier Tage später die Champions League. Gegen Valencia, nach Elfmeterschießen, Oliver Kahn hielt drei Bälle. Die Frage nach dem Fußballer des Jahres stellte sich danach nicht wirklich.

Bei aller Aufregung gingen die Zuschauerzahlen erneut zurück. Das Fernsehen diktierte den Spielplan, der Spieltag wurde viergeteilt. Erstmals wurde auch eine Samstagabendpartie (20.15 Uhr) ausgetragen. Dagegen demonstrierten die Fans in allen Stadien, es entstanden Bündnisse wie "Pro 15.30". Was für eine Saison.

Zahlen zur 38 Saison

Tore: 897 (2,93 pro Spiel)
Torschützenkönige: Sergej Barbarez (HSV), Ebbe Sand (Schalke) - je 22
Zuschauer: 8.696.712 (28.421 pro Spiel)
Meister: Bayern München
Absteiger: SpVgg. Unterhaching, Eintracht Frankfurt, VfL Bochum
Aufsteiger: 1. FC Nürnberg, Borussia Mönchengladbach, FC St. Pauli
Trainerentlassungen: 9

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