Saison 1991/1992: Wiedervereinte Bundesliga spannend bis zum Ende

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras noch einmal auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 1991/1992.

Dass es eine einzigartige Saison werden würde, stand schon vorher fest. Die deutsche Einheit ließ die Bundesliga, die doch eigentlich reduziert werden sollte, wachsen. Wenn auch nur für ein Jahr durften 20 Mannschaften mitspielen, drei Absteiger wurden durch fünf Aufsteiger ersetzt. Darunter die beiden Ersten der Oberliga Nordost der ehemaligen DDR – Meister Hansa Rostock und Dynamo Dresden.

Die "Ost-Erweiterung" der Liga war eine logistische Herausforderung, statt 306 fanden nun 380 Saisonspiele statt – und das in einem Jahr, an dessen Ende die EM stand. So mussten die 20 Mannschaften zwischen 3. August 1991 und 16. Mai 1992 jeweils 38 Bundesliga-Spiele bestreiten – und die Umstände wollten es, dass an allen Fronten bis zuletzt heiß gekämpft wurde.

Meisterrennen spannend wie nie

Das Meisterrennen war das spannendste aller Zeiten: Herbstmeister Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart lieferten sich einen furiosen Dreikampf und gingen punktgleich in den letzten Spieltag. Das hatte es noch nie gegeben und ist bis heute einmalig. Besondere Brisanz bezog der 38. Spieltag daraus, dass zwei Meisteraspiranten bei Abstiegskandidaten antreten mussten und der Dritte, der VfB, bei einem Team, das in den UEFA-Cup wollte.

Eintracht Frankfurt hatte die Meisterfeier bereits organisiert und auch den Champagner schon im Bus mit an die Ostsee gebracht. Aber Hansa schenkte den Hessen nichts und als Stephane Chapuisat Borussia Dortmund in Duisburg nach neun Minuten in Führung brachte, war Eintracht die Tabellenführung los. Der Außenseiter in diesem Dreikampf, der VfB, lag in Leverkusen alsbald zurück und auch nach Fritz Walters 1:1 lagen Hitzfelds Dortmunder zur Halbzeit auf Meisterkurs.

Erst recht, als Hansa nach 63 Minuten durch Jens Dowe in Führung ging. Axel Kruse glich im Gegenzug der Eintracht wieder aus, die Spannung war kaum noch auszuhalten. In der 77. Minute kam es im Ost-See-Stadion zu einer entscheidenden Szene: Hansa-Verteidiger Stefan Böger zog Ralf Weber im Strafraum die Beine weg, was Schiedsrichter Alfons Berg übersah. Wilde Tumulte. Berg entschuldigte sich später: "Es war ein klarer Elfer. Ich habe Mitleid mit der Eintracht."

Als zwei Minuten später Stuttgarts Matthias Sammer für höhnischen Applaus in Leverkusen von Schiedsrichter Dardenne in die Kabinen geschickt wurde, sprach alles für den BVB. Der schaukelte sein knappes 1:0 gegen damit absteigende Duisburger über die Zeit, aber jubeln konnte er nicht.

Tabellenführung wechselt zwölf Mal

Denn die Saison, in der die Tabellenführung zwölf Mal wechselte, vollzog eine letzte dramatische Wendung: Zehn wackere Schwaben drehten in Leverkusen den Spieß um, Weltmeister Guido Buchwald köpfte in der 84. Minute das 1:2. Und so hatte Trainer-Motivator Christoph Daum, mit Köln zweimal Vize, seine erste Meisterschaft doch noch eingefahren. Bundestrainer Berti Vogts fasste zusammen: "Die Mannschaft mit dem meisten Herz war Borussia Dortmund, den besten Fußball zeigte Eintracht Frankfurt. Aber der VfB ist zu Recht Meister geworden, weil die Mannschaft am cleversten ist."

In Rostock weinten derweil Sieger und Besiegte, Frankfurts Ralf Weber trat eine TV-Kamera kaputt. Besonnener reagierte Trainer Dragoslav Stepanovic: "Lebbe geht weiter." Noch heute sieht man Eintracht-Fans T-Shirts mit dem Aufdruck "Traumatisiert seit 16. Mai 1992" tragen. Das späte 2:1 von Stefan Böger verhinderte indes auch den Hansa-Abstieg nicht mehr. Dabei hatten die Rostocker ihr Bundesliga-Abenteuer doch so furios begonnen, in der Vorrunde fünfmal an der Spitze gestanden und sogar bei den Bayern gewonnen. Aber das war nichts Besonderes 1991/1992.

FC Bayern in ungewohnten Gefilden

Diese Saison wurde auch ganz wesentlich von der Münchner Talfahrt in von ihnen gänzlich unerforschten Regionen geprägt. Im Selbstbedienungsladen Olympia-Stadion nahmen gleich sieben Teams beide Punkte mit. Drei Trainer – Jupp Heynckes, Sören Lerby und Erich Ribbeck – mühten sich ab, den Abstieg des Rekordmeisters zu verhindern. Das immerhin gelang Ribbeck nach einem 5:2 über Wattenscheid 09 am 1. Mai, am Ende stand Platz zehn. Das Beste, was die Bayern aus jener Saison mitnahmen, war ohne Frage der immense Zuwachs an Kompetenz im Vorstand, nominell nunmehr der hochkarätigste der Liga. Denn im Krisen-Herbst 1991 wurden Franz Beckenbauer und Kalle Rummenigge zu Vize-Präsidenten gewählt, um Manager Uli Hoeneß zur Seite zu stehen. Eine Konstellation, die schon bald wieder Erfolg garantieren würde.

So eine "unnormale" Saison würde es nicht mehr geben. Ihre Dimension ließ die Rekorde purzeln, nicht alle waren schön: die meisten Zuschauer, die meisten Trainerwechsel, die meisten Platzverweise, die meisten Kameras im ersten Jahr der Live-Übertragungen im Bezahlsender Premiere. Und – natürlich – die meisten Ost-Klubs. Auch das würde sich ändern; Nur Dynamo Dresden war übrig geblieben im Jahr, als die Bundesliga endlich das liebste Kind aller Deutschen sein durfte.

Fakten der 29. Saison:

Tore: 994 (2,62 pro Spiel)
Torschützenkönig: Fritz Walter (VfB Stuttgart/22)
Zuschauer: 8.600.801 Rekord (22.634 pro Spiel)
Meister: VfB Stuttgart
Absteiger: Stuttgarter Kickers, Hansa Rostock, MSV Duisburg, Fortuna Düsseldorf
Aufsteiger:Bayer Uerdingen, 1. FC Saarbrücken
Trainerentlassungen: 13 (Rekord)

[um]

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras noch einmal auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 1991/1992.

Dass es eine einzigartige Saison werden würde, stand schon vorher fest. Die deutsche Einheit ließ die Bundesliga, die doch eigentlich reduziert werden sollte, wachsen. Wenn auch nur für ein Jahr durften 20 Mannschaften mitspielen, drei Absteiger wurden durch fünf Aufsteiger ersetzt. Darunter die beiden Ersten der Oberliga Nordost der ehemaligen DDR – Meister Hansa Rostock und Dynamo Dresden.

Die "Ost-Erweiterung" der Liga war eine logistische Herausforderung, statt 306 fanden nun 380 Saisonspiele statt – und das in einem Jahr, an dessen Ende die EM stand. So mussten die 20 Mannschaften zwischen 3. August 1991 und 16. Mai 1992 jeweils 38 Bundesliga-Spiele bestreiten – und die Umstände wollten es, dass an allen Fronten bis zuletzt heiß gekämpft wurde.

Meisterrennen spannend wie nie

Das Meisterrennen war das spannendste aller Zeiten: Herbstmeister Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart lieferten sich einen furiosen Dreikampf und gingen punktgleich in den letzten Spieltag. Das hatte es noch nie gegeben und ist bis heute einmalig. Besondere Brisanz bezog der 38. Spieltag daraus, dass zwei Meisteraspiranten bei Abstiegskandidaten antreten mussten und der Dritte, der VfB, bei einem Team, das in den UEFA-Cup wollte.

Eintracht Frankfurt hatte die Meisterfeier bereits organisiert und auch den Champagner schon im Bus mit an die Ostsee gebracht. Aber Hansa schenkte den Hessen nichts und als Stephane Chapuisat Borussia Dortmund in Duisburg nach neun Minuten in Führung brachte, war Eintracht die Tabellenführung los. Der Außenseiter in diesem Dreikampf, der VfB, lag in Leverkusen alsbald zurück und auch nach Fritz Walters 1:1 lagen Hitzfelds Dortmunder zur Halbzeit auf Meisterkurs.

Erst recht, als Hansa nach 63 Minuten durch Jens Dowe in Führung ging. Axel Kruse glich im Gegenzug der Eintracht wieder aus, die Spannung war kaum noch auszuhalten. In der 77. Minute kam es im Ost-See-Stadion zu einer entscheidenden Szene: Hansa-Verteidiger Stefan Böger zog Ralf Weber im Strafraum die Beine weg, was Schiedsrichter Alfons Berg übersah. Wilde Tumulte. Berg entschuldigte sich später: "Es war ein klarer Elfer. Ich habe Mitleid mit der Eintracht."

Als zwei Minuten später Stuttgarts Matthias Sammer für höhnischen Applaus in Leverkusen von Schiedsrichter Dardenne in die Kabinen geschickt wurde, sprach alles für den BVB. Der schaukelte sein knappes 1:0 gegen damit absteigende Duisburger über die Zeit, aber jubeln konnte er nicht.

Tabellenführung wechselt zwölf Mal

Denn die Saison, in der die Tabellenführung zwölf Mal wechselte, vollzog eine letzte dramatische Wendung: Zehn wackere Schwaben drehten in Leverkusen den Spieß um, Weltmeister Guido Buchwald köpfte in der 84. Minute das 1:2. Und so hatte Trainer-Motivator Christoph Daum, mit Köln zweimal Vize, seine erste Meisterschaft doch noch eingefahren. Bundestrainer Berti Vogts fasste zusammen: "Die Mannschaft mit dem meisten Herz war Borussia Dortmund, den besten Fußball zeigte Eintracht Frankfurt. Aber der VfB ist zu Recht Meister geworden, weil die Mannschaft am cleversten ist."

In Rostock weinten derweil Sieger und Besiegte, Frankfurts Ralf Weber trat eine TV-Kamera kaputt. Besonnener reagierte Trainer Dragoslav Stepanovic: "Lebbe geht weiter." Noch heute sieht man Eintracht-Fans T-Shirts mit dem Aufdruck "Traumatisiert seit 16. Mai 1992" tragen. Das späte 2:1 von Stefan Böger verhinderte indes auch den Hansa-Abstieg nicht mehr. Dabei hatten die Rostocker ihr Bundesliga-Abenteuer doch so furios begonnen, in der Vorrunde fünfmal an der Spitze gestanden und sogar bei den Bayern gewonnen. Aber das war nichts Besonderes 1991/1992.

FC Bayern in ungewohnten Gefilden

Diese Saison wurde auch ganz wesentlich von der Münchner Talfahrt in von ihnen gänzlich unerforschten Regionen geprägt. Im Selbstbedienungsladen Olympia-Stadion nahmen gleich sieben Teams beide Punkte mit. Drei Trainer – Jupp Heynckes, Sören Lerby und Erich Ribbeck – mühten sich ab, den Abstieg des Rekordmeisters zu verhindern. Das immerhin gelang Ribbeck nach einem 5:2 über Wattenscheid 09 am 1. Mai, am Ende stand Platz zehn. Das Beste, was die Bayern aus jener Saison mitnahmen, war ohne Frage der immense Zuwachs an Kompetenz im Vorstand, nominell nunmehr der hochkarätigste der Liga. Denn im Krisen-Herbst 1991 wurden Franz Beckenbauer und Kalle Rummenigge zu Vize-Präsidenten gewählt, um Manager Uli Hoeneß zur Seite zu stehen. Eine Konstellation, die schon bald wieder Erfolg garantieren würde.

So eine "unnormale" Saison würde es nicht mehr geben. Ihre Dimension ließ die Rekorde purzeln, nicht alle waren schön: die meisten Zuschauer, die meisten Trainerwechsel, die meisten Platzverweise, die meisten Kameras im ersten Jahr der Live-Übertragungen im Bezahlsender Premiere. Und – natürlich – die meisten Ost-Klubs. Auch das würde sich ändern; Nur Dynamo Dresden war übrig geblieben im Jahr, als die Bundesliga endlich das liebste Kind aller Deutschen sein durfte.

Fakten der 29. Saison:

Tore: 994 (2,62 pro Spiel)
Torschützenkönig: Fritz Walter (VfB Stuttgart/22)
Zuschauer: 8.600.801 Rekord (22.634 pro Spiel)
Meister: VfB Stuttgart
Absteiger: Stuttgarter Kickers, Hansa Rostock, MSV Duisburg, Fortuna Düsseldorf
Aufsteiger:Bayer Uerdingen, 1. FC Saarbrücken
Trainerentlassungen: 13 (Rekord)

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