Saison 1985/1986: Der "Meister-Schuss" besiegelt den Titelkampf

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras noch einmal auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 1985/1986.

Jean-Marie Pfaff dachte sich nichts Böses. Der Ball war ja schließlich 30 Meter von seinem Tor entfernt und außerdem bei Mitspieler Helmut Winklhofer scheinbar in guten Füßen. Aber wie das so ist, wenn Bayern München in eine Saison startet und Jean-Marie Pfaff im Tor steht – oft geschieht das Unerwartete.

Drei Jahre nach dem Einwurf-Tor von Bremen und eines vor dem legendären Pfostenschuss von Frank Mill erlaubte sich das Schicksal wieder einen besonderen Spaß mit dem Belgier. Kamerad Winklhofer drosch im vergeblichen Bemühen einen Pressschlag auszuführen, den Ball ins eigene Tor. Es blieb das einzige und so verloren die Bayern bei Bayer Uerdingen 0:1. Startet so ein Meister? Zweifel waren erlaubt.

Verrückte Saison mit Dramen, Helden und Versagern

Eher war es ein Hinweis auf eine verrückte Saison, die aufgrund der WM in Mexiko so früh wie nie (26. April) enden sollte. Und doch ließen sich die Bayern verdammt viel Zeit damit, den ihnen gebührenden Spitzenplatz zu erobern. Den bekamen sie erst am allerletzten Spieltag nach einem klassischen Drama mit Helden und Versagern, mit Siegern und Verlierern.

Die Duellanten waren die des Vorjahres: Werder Bremen, seit dem zweiten Spieltag Tabellenführer, und die Bayern. Am 33. Spieltag führte sie der Terminplan in Bremen zusammen, mit einem Sieg wäre Werder Meister gewesen. Die Stimmung war aufgrund des Hinspiels, als Klaus Augenthaler Rudi Völler so schwer gefoult hatte, dass der fünf Monate ausfiel, gereizt. Ausgerechnet jetzt war er wieder fit und Rehhagel wechselte den Nationalstürmer in der 77. Minute ein. Zwei Minuten vor Abpfiff, es stand immer noch 0:0, wollte Völler Sören Lerby überlupfen, traf ihn dabei im Gesicht. Die instinktive Schutzhaltung des Dänen verleitete Schiedsrichter Volker Roth jedoch dazu, auf Handelfmeter zu entscheiden. Die Bayern protestierten wütend und weil Co-Trainer Egon Coordes den (einzigen) Ball auf die Stehränge drosch, dauerte es exakt zwei Minuten und acht Sekunden, ehe der berühmteste Elfmeter der Bundesliga-Geschichte ausgeführt werden konnte.

Der Schütze ist seit diesem Dienstagabend im April nicht minder berühmt: Michael Kutzop. Bis zu diesem Tag hat es keinen sichereren Elfmeterschützen gegeben: neun in der Bundesliga, alle drin. Weitere acht Treffer vom Punkt sollten folgen. Nur dieser eine, der "Meister-Schuss", ging nach hinten los. Genauer gesagt daneben, an den rechten Pfosten vom Schützen ausgesehen. Kutzop bekam wochenlang Droh- und Spottanrufe und wird noch immer von der Erinnerung geplagt: "Dieses Scheißgeräusch vergesse ich nie." Die elf Schampus-Flaschen, die Werder-Manager Willi Lemke schon in der Kabine gebunkert hatte, blieben zu.

Und das blieben sie auch vier Tage später, als Werder in Stuttgart 1:2 verlor, während die Bayern willenlose Gladbacher 6:0 abschossen. Die Tordifferenz sprach für die Bayern, die auf der Tartanbahn wahre Freudentänze veranstalteten. Dieser Titelgewinn auf den allerletzten Metern trug wesentlich zum heutigen Image der Bayern bei - Bewunderer sprachen plötzlich vom "Bayern-Gen", Neider vom "Bayern-Dusel". Der anschließende Pokalsieg (5:2 gegen VfB) hatte nichts mit Dusel zu tun – eher mit Double, es war das vierte im deutschen Fußball. Und Werder? War schon 15 Jahre vor Schalke Meister der Herzen.

Bayer Uerdingen wird "Rückrunden-Meister"

"Rückrunden-Meister" wurde übrigens Bayer Uerdingen, das die letzten zwölf Partien ungeschlagen blieb und im Europacup ein Wunder schaffte, das selbst die von Werder Bremen in den Schatten stellte. Dynamo Dresden wurde nach 1:3-Pausenrückstand und 0:2 im Hinspiel im März noch rausgeworfen – mit 7:3.

Dass es im Abstiegskampf eine dramatische Steigerung geben könnte, wollte niemand ernstlich behaupten. An Saarbrücken und Hannover lag es auch nicht, die Aufsteiger waren frühzeitig abgeschlagen. Aber Borussia Dortmund und Fortuna Köln hielten den Spielbetrieb länger auf als gedacht. Selbst die Relegation musste verlängert werden, weil Jürgen Wegmann in letzter Minute des Rückspiels für Gleichstand sorgte. Die Kölner hatten nun arge Personalprobleme, das nötige dritte Spiel wurde erst elf Tage später ausgetragen und war eine Farce (8:0 für BVB).

Die Nationalmannschaft flog derweil schon mal ohne BVB-Torwart Eike Immel nach Mexiko, wo sie sich überraschend ins Finale kämpfte. Erst im Finale war auch für den 1. FC Köln im UEFA-Cup Schluss, Real Madrid war eine Nummer zu groß. Sportlich konnte die Bundesliga noch immer auf höchstem Niveau mithalten, doch um ihren Zuschauerschnitt, der auf den zweittiefsten Wert gefallen war, wurde sie nicht beneidet. Besserung war in Sicht, es war die letzte Saison ohne Winterpause.

Fakten der 23. Saison:

Tore: 992 (3,24 pro Spiel)
Torschützenkönig: Stefan Kuntz (VfL Bochum/22)
Zuschauer: 5.404.571 (17.662 pro Spiel)
Meister: Bayern München
Absteiger: Hannover 96, 1. FC Saarbrücken
Aufsteiger: FC Homburg, Blau-Weiß 90 Berlin
Trainerentlassungen: 6

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Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras noch einmal auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 1985/1986.

Jean-Marie Pfaff dachte sich nichts Böses. Der Ball war ja schließlich 30 Meter von seinem Tor entfernt und außerdem bei Mitspieler Helmut Winklhofer scheinbar in guten Füßen. Aber wie das so ist, wenn Bayern München in eine Saison startet und Jean-Marie Pfaff im Tor steht – oft geschieht das Unerwartete.

Drei Jahre nach dem Einwurf-Tor von Bremen und eines vor dem legendären Pfostenschuss von Frank Mill erlaubte sich das Schicksal wieder einen besonderen Spaß mit dem Belgier. Kamerad Winklhofer drosch im vergeblichen Bemühen einen Pressschlag auszuführen, den Ball ins eigene Tor. Es blieb das einzige und so verloren die Bayern bei Bayer Uerdingen 0:1. Startet so ein Meister? Zweifel waren erlaubt.

Verrückte Saison mit Dramen, Helden und Versagern

Eher war es ein Hinweis auf eine verrückte Saison, die aufgrund der WM in Mexiko so früh wie nie (26. April) enden sollte. Und doch ließen sich die Bayern verdammt viel Zeit damit, den ihnen gebührenden Spitzenplatz zu erobern. Den bekamen sie erst am allerletzten Spieltag nach einem klassischen Drama mit Helden und Versagern, mit Siegern und Verlierern.

Die Duellanten waren die des Vorjahres: Werder Bremen, seit dem zweiten Spieltag Tabellenführer, und die Bayern. Am 33. Spieltag führte sie der Terminplan in Bremen zusammen, mit einem Sieg wäre Werder Meister gewesen. Die Stimmung war aufgrund des Hinspiels, als Klaus Augenthaler Rudi Völler so schwer gefoult hatte, dass der fünf Monate ausfiel, gereizt. Ausgerechnet jetzt war er wieder fit und Rehhagel wechselte den Nationalstürmer in der 77. Minute ein. Zwei Minuten vor Abpfiff, es stand immer noch 0:0, wollte Völler Sören Lerby überlupfen, traf ihn dabei im Gesicht. Die instinktive Schutzhaltung des Dänen verleitete Schiedsrichter Volker Roth jedoch dazu, auf Handelfmeter zu entscheiden. Die Bayern protestierten wütend und weil Co-Trainer Egon Coordes den (einzigen) Ball auf die Stehränge drosch, dauerte es exakt zwei Minuten und acht Sekunden, ehe der berühmteste Elfmeter der Bundesliga-Geschichte ausgeführt werden konnte.

Der Schütze ist seit diesem Dienstagabend im April nicht minder berühmt: Michael Kutzop. Bis zu diesem Tag hat es keinen sichereren Elfmeterschützen gegeben: neun in der Bundesliga, alle drin. Weitere acht Treffer vom Punkt sollten folgen. Nur dieser eine, der "Meister-Schuss", ging nach hinten los. Genauer gesagt daneben, an den rechten Pfosten vom Schützen ausgesehen. Kutzop bekam wochenlang Droh- und Spottanrufe und wird noch immer von der Erinnerung geplagt: "Dieses Scheißgeräusch vergesse ich nie." Die elf Schampus-Flaschen, die Werder-Manager Willi Lemke schon in der Kabine gebunkert hatte, blieben zu.

Und das blieben sie auch vier Tage später, als Werder in Stuttgart 1:2 verlor, während die Bayern willenlose Gladbacher 6:0 abschossen. Die Tordifferenz sprach für die Bayern, die auf der Tartanbahn wahre Freudentänze veranstalteten. Dieser Titelgewinn auf den allerletzten Metern trug wesentlich zum heutigen Image der Bayern bei - Bewunderer sprachen plötzlich vom "Bayern-Gen", Neider vom "Bayern-Dusel". Der anschließende Pokalsieg (5:2 gegen VfB) hatte nichts mit Dusel zu tun – eher mit Double, es war das vierte im deutschen Fußball. Und Werder? War schon 15 Jahre vor Schalke Meister der Herzen.

Bayer Uerdingen wird "Rückrunden-Meister"

"Rückrunden-Meister" wurde übrigens Bayer Uerdingen, das die letzten zwölf Partien ungeschlagen blieb und im Europacup ein Wunder schaffte, das selbst die von Werder Bremen in den Schatten stellte. Dynamo Dresden wurde nach 1:3-Pausenrückstand und 0:2 im Hinspiel im März noch rausgeworfen – mit 7:3.

Dass es im Abstiegskampf eine dramatische Steigerung geben könnte, wollte niemand ernstlich behaupten. An Saarbrücken und Hannover lag es auch nicht, die Aufsteiger waren frühzeitig abgeschlagen. Aber Borussia Dortmund und Fortuna Köln hielten den Spielbetrieb länger auf als gedacht. Selbst die Relegation musste verlängert werden, weil Jürgen Wegmann in letzter Minute des Rückspiels für Gleichstand sorgte. Die Kölner hatten nun arge Personalprobleme, das nötige dritte Spiel wurde erst elf Tage später ausgetragen und war eine Farce (8:0 für BVB).

Die Nationalmannschaft flog derweil schon mal ohne BVB-Torwart Eike Immel nach Mexiko, wo sie sich überraschend ins Finale kämpfte. Erst im Finale war auch für den 1. FC Köln im UEFA-Cup Schluss, Real Madrid war eine Nummer zu groß. Sportlich konnte die Bundesliga noch immer auf höchstem Niveau mithalten, doch um ihren Zuschauerschnitt, der auf den zweittiefsten Wert gefallen war, wurde sie nicht beneidet. Besserung war in Sicht, es war die letzte Saison ohne Winterpause.

Fakten der 23. Saison:

Tore: 992 (3,24 pro Spiel)
Torschützenkönig: Stefan Kuntz (VfL Bochum/22)
Zuschauer: 5.404.571 (17.662 pro Spiel)
Meister: Bayern München
Absteiger: Hannover 96, 1. FC Saarbrücken
Aufsteiger: FC Homburg, Blau-Weiß 90 Berlin
Trainerentlassungen: 6

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