Saarbrückens Bjarne Thoelke: "Mehr ist nicht immer mehr"

Als A-Jugendlicher beim VfL Wolfsburg träumte Bjarne Thoelke von einer großen Erstligakarriere. Doch stets wurde der ehemalige U 20-Nationalspieler durch Verletzungen zurückgeworfen. Auch auf seinen späteren Stationen blieb der Abwehrspieler vom Pech verfolgt. Beim 1. FC Saarbrücken in der 3. Liga läuft es für den gebürtigen Gifhorner zurzeit sportlich und gesundheitlich bestens. Im DFB.de-Interview spricht Bjarne Thoelke vor der wegweisenden Partie beim VfL Osnabrück heute (ab 14 Uhr, live bei MagentaSport) mit Mitarbeiter Jörn Duddeck über den Saisonstart, den Umgang mit Rückschlägen, die Zeit als "Phantomprofi" beim Hamburger SV und die Rolle von Sportpsychologen.

DFB.de: Herr Thoelke, der 1. FC Saarbrücken steht aktuell mit elf Punkten auf Platz vier. Die Defensive ließ noch kein Gegentor zu. Sind Sie mit dem Saisonstart rundum zufrieden?

Bjarne Thoelke: Unterm Strich können wir auf dem Start aufbauen. Hinten stehen wir sicher und haben dadurch natürlich auch ein gewisses Selbstvertrauen aufgebaut. Nichtsdestotrotz sind wir alle sehr selbstkritisch und wissen ganz genau, dass wir uns nicht darauf verlassen können, immer zu null zu spielen. Insgesamt müssen wir uns noch mehr Chancen erarbeiten und dafür auch das Risiko erhöhen.

DFB.de: Vor allem für Sie persönlich läuft die Spielzeit sehr gut an. Erstmals seit vielen Jahren scheinen Sie von größeren Verletzungen verschont zu bleiben.

Thoelke: Aktuell läuft es sehr gut – toi toi toi. Für mich ist das ein ungewohntes Gefühl, denn in den vergangenen Jahren konnte ich nie eine echte Vorbereitung durchziehen. Aufgrund meiner Erfahrungen weiß ich das umso mehr zu schätzen. Wichtig war, dass wir von Beginn an die Belastung dosiert und nichts überstürzt haben, denn speziell das letzte Jahr in Saarbrücken war sehr schwierig für mich. Ich hatte mich eigentlich gut eingefunden, wurde dann aber sofort wieder durch zwei schwere Verletzungen zurückgeworfen und musste mehrfach operiert werden.

DFB.de: Auffällig ist, dass Ihr Verein über einen breiten Kader verfügt. Sogar gestandene Spieler wie Mike Frantz und Manuel Zeitz saßen mitunter auf der Bank. Inwieweit kommt Ihnen und dem Klub das zugute?

Thoelke: Insgesamt ist der Kader unheimlich breit aufgestellt. In den vergangenen fünf Spielen haben wir 22 Spieler eingesetzt, 19 sogar von Beginn an. Während der englischen Woche konnten wir durchwechseln und den ein oder anderen Spieler schonen. Ich konnte beispielsweise im Spiel gegen die U 23 des BVB regenerieren und die Akkus aufladen. Zudem kommen ja bald einige angeschlagene Jungs zurück. Das wird die Qualität nochmal erhöhen.

DFB.de: In den Partien hat man nie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Verletzungshistorie zurückstecken. Beim 0:0 im Heimspiel gegen den FC Erzgebirge Aue spielten Sie in der Schlussviertelstunde sogar mit einer Wunde am Mund weiter.

Thoelke: Das ist einfach meine Spielweise. Ich gehe gerne dahin, wo es wehtut. Im Spiel bist du fokussiert und denkst nicht darüber nach, was passieren könnte. Zudem sind meine bisherigen Verletzungen auch nie aus vermeidbaren Zweikampfsituationen entstanden. Daher spielt auch während der 90 Minuten der Kopf keine Rolle.

DFB.de: Derzeit läuft für Sie alles rund. Dennoch war die Anfangszeit beim 1. FC Saarbrücken für Sie mit Tiefschlägen gepflastert. Im Februar 2021 zogen Sie sich in ihrem zweiten Drittligaeinsatz für den FCS im Spiel beim Halleschen FC einen Schien- und Wadenbeinbruch zu. In dem Moment muss das doch für Sie ein Schock gewesen sein.

Thoelke: Damals empfand ich die Situation im ersten Moment gar nicht als so schlimm. Ich war davon ausgegangen, nach kurzer Zeit wieder auf dem Platz zu stehen. Allerdings war das Wadenbein nach etwa zehn Wochen immer noch nicht zusammengewachsen, so dass doch eine Operation nötig wurde. Von der Behandlung meines ersten Wadenbeinbruches, den ich mir in meiner Zeit bei Admira Wacker Mödling erlitten hatte, war jedoch noch eine Altplatte im Knie, was eine zusätzliche Belastung darstellte. Nach zehn Wochen stellte sich dann heraus, dass ich mir zwei Adduktorensehnen abgerissen hatte und zu allem Überfluss war die Leiste weich geworden. Da gab es schon gewisse Phasen, wo ich down war. Nachdem ich im Anschluss an die OP aber wieder auf den Beinen stand und gehen konnte, war auch mein Fokus wieder nur auf die Reha und das Comeback gerichtet. Mit der Zeit habe ich gelernt, solche Rückschläge mit einer gewissen positiven Einstellung anzugehen.

DFB.de: Danach waren Sie zunächst ein halbes Jahr ohne Vertrag. Dennoch absolvierten Sie beim FCS ihre Reha und waren Teil der Mannschaft – eine im Fußball sicher recht ungewöhnliche Konstellation. Wie haben Sie diese Phase erlebt?

Thoelke: Ich hatte zwar keinen Vertrag, aber die Zahlungen liefen weiter über die Berufsgenossenschaft. In dieser Zeit kam auch Uwe Koschinat als neuer Trainer zum Verein. Seinen Vorgänger Lukas Kwasniok kannte ich ja schon sehr lange, da ich bereits beim Karlsruher SC unter ihm gespielt hatte. Mit dem neuen Trainerteam hatte ich bis dato keine Berührungspunkte. Von daher mussten wir uns zunächst kennenlernen. Die Gespräche waren von Anfang an aber sehr angenehm. In einem Telefonat hat mir der Verein angeboten mitzutrainieren und die Reha zu absolvieren. Und man hat mir klar signalisiert, dass ich zur Mannschaft stoßen könnte, sobald ich wieder fit bin. Es war für beide Seiten eine Win-win-Situation. Saarbrücken bekam das Geld von der Berufsgenossenschaft und hatte im schlimmsten Fall einen guten Trainingsspieler dabei. Im Winter kam dann das Angebot, für ein halbes Jahr zu unterschreiben. Unterm Strich ist alles gut gelaufen.

DFB.de: Woher nehmen Sie eigentlich die Kraft, nach so vielen Negativerlebnissen immer wieder neu anzugreifen?

Thoelke: Grundsätzlich bin ich jemand, der immer nach vorne schaut und nicht irgendwelchen Dingen nachtrauert. Ich habe immer daran geglaubt, dass die Zeit kommt, wo es über eine längere Strecke funktioniert. Aktuell scheint es so, als habe sich die harte Arbeit der letzten Wochen für mich ausgezahlt. Ich merke einfach, wie viel Spaß mir der Fußball noch macht. Und ich würde es bereuen, das jetzt nicht noch weiter durchzuziehen.

DFB.de: Wer hat Ihnen in den letzten Jahren am meisten geholfen?

Thoelke: In erster Linie meine Familie, also Freundin, meine Schwestern und meine Mutter. Eine große Stütze waren und sind auch meine engsten Freunde, von denen viele selber Sportler und Fußballer sind. Die stehen alle hinter mir. Aber auch die Mannschaft hat einen großen Anteil. Jeder Profi weiß, was es bedeutet, verletzt zu sein. Viele haben den Leidensweg mitgemacht und unterstützen einen sehr.

DFB.de: Hand aufs Herz: Wie oft hat man Ihnen in den letzten Jahren die Frage nach dem Karriereende gestellt?

Thoelke: Klar, die Frage höre ich immer wieder. Aber ich bin da nicht böse. Denn es zeigt ja, dass diese Person Interesse daran hat, wie es für mich weitergeht. Was ich gar nicht leiden kann ist, wenn es Leute meinen es besser zu wissen als ich. Beispielsweise habe ich es erlebt, dass Personen an mich herangetreten sind und gesagt haben, dass ich lieber aufhören solle. Das empfinde ich dann als respektlos. Da muss ich mir keinen Kopf drum machen.

DFB.de: Haben Sie denn über diesen Schritt nie ernsthaft nachgedacht?

Thoelke: Für mich war ein Karriereende nie ein ernsthaftes Thema. Mit einer Ausnahme: Nach meinem Schien – und Wadenbeinbruch in Österreich beim FC Admira Wacker Mödling, war ich lange Zeit ohne Verein. Da fragst du dich schon, wie es weitergeht. Zudem mussten die Klubs sparen, da coronabedingt die Zuschauereinnahmen wegfielen. In der Phase habe ich aber auch gelernt, den Fußball nicht als alleinigen Mittelpunkt zu sehen. Es kann der Psyche guttun, einfach mal Zeit mit Freunden oder dem Hund zu verbringen. Damals habe ich zudem meine Freundin kennengelernt und mit CrossFit-Training begonnen, was mir als Ablenkung sehr gutgetan hat.

DFB.de: Sehen Sie die Dinge mit 30 anders als noch mit Anfang 20?

Thoelke: Absolut. Für mich gab es damals kein anders Thema als Fußball. Schließlich hatte ich die Chance, in der höchsten Liga zu spielen. Nach der ersten Verletzung ist dann für mich die Welt untergegangen. Ich war wochenlang schlecht gelaunt. Als junger Spieler ist es nicht einfach, die Dinge lockerer zu sehen. Mit dem Wissen von heute wäre ich die Dinge anders angegangen.

DFB.de: Sie haben also erst relativ spät die Erkenntnis bekommen, dass Fußball nicht alles im Leben ist. Glauben Sie, dass es vielen Kollegen ähnlich geht?

Thoelke: Einige Spieler, die ich kenne, mussten es auch erstmal lernen. Ich denke, dass jene Fußballer im Vorteil sind, die sich nicht so viele Gedanken machen und den Sport weniger verbissen sehen. Da bin ich manchmal neidisch drauf. Dann gehst du eben mal zu McDonalds, na und? Der Großteil des Profisports ist reine Kopfsache.

DFB.de: Fast alle Vereine beschäftigen mittlerweile Sportpsychologen, um auch den Kopf zu trainieren. Wie denken Sie über dieses Thema?

Thoelke: Zunächst mal finde ich es wichtig, dass Vereine einen Psychologen haben und würde immer dazu raten, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jeder hat bestimmte Triggerpunkte, die gewisse Dinge auslösen. Und manche Probleme lösen sich in einem vertrauten Gespräch deutlich einfacher.

DFB.de: Oft hat man das Gefühl, dass Fußballprofis einem Psychologen eher skeptisch begegnen. Täuscht dieser Eindruck?

Thoelke: Grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass es immer mehr befürworten. Man muss dabei aber bedenken, dass viele Spieler ganz einfach noch nicht in einer Situation waren, wo sie am Boden lagen. Oft muss man erst einen Tiefpunkt haben, um zum Psychologen zu gehen. Und es muss halt auch immer passen. Der eine tut einem gut, der andere weniger.  Das Angebot in meiner Zeit beim Hamburger SV war beispielsweise sehr gut. Mir persönlich hat es aber nicht so viel geholfen, da ich mich der Person damals nicht wirklich öffnen konnte. Ich werde aber schon länger von der  Freundin meiner Mutter beraten. Mit ihr kann ich unheimlich gut über meine Situation sprechen. Auch meine Mutter hat viel in diesem Feld gearbeitet, daher kenne ich mich in dem Bereich ein wenig aus.

DFB.de: Wäre es auch für Sie denkbar, nach Ihrer Karriere im Bereich der Sportpsychologie zu arbeiten?

Thoelke: Dass ich später mal als Psychologe arbeiten werde, glaube ich eher nicht. Aber ich kann mir schon vorstellen, als neutraler Beobachter meine Erfahrungen an Nachwuchsspieler weiterzugeben. Aktuell spreche ich bereits viel mit den jüngeren Spielern und versuche ihnen mitzugeben, dass mehr nicht immer mehr ist. Ob sie das annehmen, müssen sie dann natürlich selbst entscheiden.

DFB.de: Gibt es mit Blick auf den Umgang mit Verletzungen einen generellen Rat, den Sie jungen Spielern geben können?

Thoelke: Jeder Sportler steckt in einer anderen Situation. Daher ist das nicht ganz einfach. Hat man in jedem Training Schmerzen, dann bringt es auch nichts, auf Biegen und Brechen wieder Fußball spielen zu wollen. Doch so lange die Verletzungen behandelbar sind, würde ich sagen, dass es sich immer lohnt, für seine Rückkehr auf den Platz zu kämpfen. Es gehört sehr viel Disziplin und Kraft dazu, diese Phasen zu überstehen. Du musst an dir arbeiten, sowohl mental als auch körperlich. Sobald du wieder die ersten Schritte auf dem Feld machen kannst, weißt du, wofür du geackert hat.

DFB.de: Sie sprachen die Zeit beim Hamburger SV an: Dort verpassten Sie nach ihrem Wechsel vom Karlsruher SC ein komplettes Jahr aufgrund eines Syndesmosebandrisses. Der Klub stieg in dieser Saison in die 2. Bundesliga ab. In der Presse war vom "Phantomprofi" die Rede. Wie sehr haben diese Schlagzeilen an Ihnen genagt?

Thoelke: Ehrlich gesagt, gar nicht. Ich kam ja aus der zweiten Liga von einem Absteiger und war daher nicht wirklich bekannt. Das hat mich gar nicht gestört. Wenn ich eine Vorbereitung nennen müsste, in der ich überzeugen konnte, dann war es die beim HSV.  Das Feedback hat mir damals auch Trainer Markus Gisdol gegeben. Eine Woche vor dem Saisonstart riss dann das Knie und im weiteren Verlauf das Syndesmoseband.

DFB.de: Verfolgen Sie den HSV heute noch?

Thoelke: Ich freue mich immer unheimlich, wenn sie gewinnen. Meiner Meinung nach müssen sie wieder aufsteigen. Der HSV ist ein geiler Verein mit tollen Fans. Den Verein mag ich unheimlich gerne, habe dort viele gute Kollegen kennengelernt. Daher war es auch so schade, sportlich nicht eingreifen zu können. Nur auf der Tribüne zu sitzen, tut schon weh. Vor allem, wenn man alles mitbekommt aus der Kabine. Am Ende der Saison waren alle am Boden. Und man sah, wie vieles den Bach runterging.

DFB.de: Blicken wir auf das Wochenende: Heute gastiert ihre Mannschaft beim VfL Osnabrück. Was erwarten Sie von dieser Partie?

Thoelke: Wir fahren mit breiter Brust an die Bremer Brücke. Doch natürlich wissen wir, dass uns ein hartes Stück Arbeit erwartet. Osnabrück ist nicht so gut in die Saison gestartet, verfügt aber über enorme Qualität. Und jeder von uns weiß, wie eng die 3. Liga ist.

[jd]

Als A-Jugendlicher beim VfL Wolfsburg träumte Bjarne Thoelke von einer großen Erstligakarriere. Doch stets wurde der ehemalige U 20-Nationalspieler durch Verletzungen zurückgeworfen. Auch auf seinen späteren Stationen blieb der Abwehrspieler vom Pech verfolgt. Beim 1. FC Saarbrücken in der 3. Liga läuft es für den gebürtigen Gifhorner zurzeit sportlich und gesundheitlich bestens. Im DFB.de-Interview spricht Bjarne Thoelke vor der wegweisenden Partie beim VfL Osnabrück heute (ab 14 Uhr, live bei MagentaSport) mit Mitarbeiter Jörn Duddeck über den Saisonstart, den Umgang mit Rückschlägen, die Zeit als "Phantomprofi" beim Hamburger SV und die Rolle von Sportpsychologen.

DFB.de: Herr Thoelke, der 1. FC Saarbrücken steht aktuell mit elf Punkten auf Platz vier. Die Defensive ließ noch kein Gegentor zu. Sind Sie mit dem Saisonstart rundum zufrieden?

Bjarne Thoelke: Unterm Strich können wir auf dem Start aufbauen. Hinten stehen wir sicher und haben dadurch natürlich auch ein gewisses Selbstvertrauen aufgebaut. Nichtsdestotrotz sind wir alle sehr selbstkritisch und wissen ganz genau, dass wir uns nicht darauf verlassen können, immer zu null zu spielen. Insgesamt müssen wir uns noch mehr Chancen erarbeiten und dafür auch das Risiko erhöhen.

DFB.de: Vor allem für Sie persönlich läuft die Spielzeit sehr gut an. Erstmals seit vielen Jahren scheinen Sie von größeren Verletzungen verschont zu bleiben.

Thoelke: Aktuell läuft es sehr gut – toi toi toi. Für mich ist das ein ungewohntes Gefühl, denn in den vergangenen Jahren konnte ich nie eine echte Vorbereitung durchziehen. Aufgrund meiner Erfahrungen weiß ich das umso mehr zu schätzen. Wichtig war, dass wir von Beginn an die Belastung dosiert und nichts überstürzt haben, denn speziell das letzte Jahr in Saarbrücken war sehr schwierig für mich. Ich hatte mich eigentlich gut eingefunden, wurde dann aber sofort wieder durch zwei schwere Verletzungen zurückgeworfen und musste mehrfach operiert werden.

DFB.de: Auffällig ist, dass Ihr Verein über einen breiten Kader verfügt. Sogar gestandene Spieler wie Mike Frantz und Manuel Zeitz saßen mitunter auf der Bank. Inwieweit kommt Ihnen und dem Klub das zugute?

Thoelke: Insgesamt ist der Kader unheimlich breit aufgestellt. In den vergangenen fünf Spielen haben wir 22 Spieler eingesetzt, 19 sogar von Beginn an. Während der englischen Woche konnten wir durchwechseln und den ein oder anderen Spieler schonen. Ich konnte beispielsweise im Spiel gegen die U 23 des BVB regenerieren und die Akkus aufladen. Zudem kommen ja bald einige angeschlagene Jungs zurück. Das wird die Qualität nochmal erhöhen.

DFB.de: In den Partien hat man nie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Verletzungshistorie zurückstecken. Beim 0:0 im Heimspiel gegen den FC Erzgebirge Aue spielten Sie in der Schlussviertelstunde sogar mit einer Wunde am Mund weiter.

Thoelke: Das ist einfach meine Spielweise. Ich gehe gerne dahin, wo es wehtut. Im Spiel bist du fokussiert und denkst nicht darüber nach, was passieren könnte. Zudem sind meine bisherigen Verletzungen auch nie aus vermeidbaren Zweikampfsituationen entstanden. Daher spielt auch während der 90 Minuten der Kopf keine Rolle.

DFB.de: Derzeit läuft für Sie alles rund. Dennoch war die Anfangszeit beim 1. FC Saarbrücken für Sie mit Tiefschlägen gepflastert. Im Februar 2021 zogen Sie sich in ihrem zweiten Drittligaeinsatz für den FCS im Spiel beim Halleschen FC einen Schien- und Wadenbeinbruch zu. In dem Moment muss das doch für Sie ein Schock gewesen sein.

Thoelke: Damals empfand ich die Situation im ersten Moment gar nicht als so schlimm. Ich war davon ausgegangen, nach kurzer Zeit wieder auf dem Platz zu stehen. Allerdings war das Wadenbein nach etwa zehn Wochen immer noch nicht zusammengewachsen, so dass doch eine Operation nötig wurde. Von der Behandlung meines ersten Wadenbeinbruches, den ich mir in meiner Zeit bei Admira Wacker Mödling erlitten hatte, war jedoch noch eine Altplatte im Knie, was eine zusätzliche Belastung darstellte. Nach zehn Wochen stellte sich dann heraus, dass ich mir zwei Adduktorensehnen abgerissen hatte und zu allem Überfluss war die Leiste weich geworden. Da gab es schon gewisse Phasen, wo ich down war. Nachdem ich im Anschluss an die OP aber wieder auf den Beinen stand und gehen konnte, war auch mein Fokus wieder nur auf die Reha und das Comeback gerichtet. Mit der Zeit habe ich gelernt, solche Rückschläge mit einer gewissen positiven Einstellung anzugehen.

DFB.de: Danach waren Sie zunächst ein halbes Jahr ohne Vertrag. Dennoch absolvierten Sie beim FCS ihre Reha und waren Teil der Mannschaft – eine im Fußball sicher recht ungewöhnliche Konstellation. Wie haben Sie diese Phase erlebt?

Thoelke: Ich hatte zwar keinen Vertrag, aber die Zahlungen liefen weiter über die Berufsgenossenschaft. In dieser Zeit kam auch Uwe Koschinat als neuer Trainer zum Verein. Seinen Vorgänger Lukas Kwasniok kannte ich ja schon sehr lange, da ich bereits beim Karlsruher SC unter ihm gespielt hatte. Mit dem neuen Trainerteam hatte ich bis dato keine Berührungspunkte. Von daher mussten wir uns zunächst kennenlernen. Die Gespräche waren von Anfang an aber sehr angenehm. In einem Telefonat hat mir der Verein angeboten mitzutrainieren und die Reha zu absolvieren. Und man hat mir klar signalisiert, dass ich zur Mannschaft stoßen könnte, sobald ich wieder fit bin. Es war für beide Seiten eine Win-win-Situation. Saarbrücken bekam das Geld von der Berufsgenossenschaft und hatte im schlimmsten Fall einen guten Trainingsspieler dabei. Im Winter kam dann das Angebot, für ein halbes Jahr zu unterschreiben. Unterm Strich ist alles gut gelaufen.

DFB.de: Woher nehmen Sie eigentlich die Kraft, nach so vielen Negativerlebnissen immer wieder neu anzugreifen?

Thoelke: Grundsätzlich bin ich jemand, der immer nach vorne schaut und nicht irgendwelchen Dingen nachtrauert. Ich habe immer daran geglaubt, dass die Zeit kommt, wo es über eine längere Strecke funktioniert. Aktuell scheint es so, als habe sich die harte Arbeit der letzten Wochen für mich ausgezahlt. Ich merke einfach, wie viel Spaß mir der Fußball noch macht. Und ich würde es bereuen, das jetzt nicht noch weiter durchzuziehen.

DFB.de: Wer hat Ihnen in den letzten Jahren am meisten geholfen?

Thoelke: In erster Linie meine Familie, also Freundin, meine Schwestern und meine Mutter. Eine große Stütze waren und sind auch meine engsten Freunde, von denen viele selber Sportler und Fußballer sind. Die stehen alle hinter mir. Aber auch die Mannschaft hat einen großen Anteil. Jeder Profi weiß, was es bedeutet, verletzt zu sein. Viele haben den Leidensweg mitgemacht und unterstützen einen sehr.

DFB.de: Hand aufs Herz: Wie oft hat man Ihnen in den letzten Jahren die Frage nach dem Karriereende gestellt?

Thoelke: Klar, die Frage höre ich immer wieder. Aber ich bin da nicht böse. Denn es zeigt ja, dass diese Person Interesse daran hat, wie es für mich weitergeht. Was ich gar nicht leiden kann ist, wenn es Leute meinen es besser zu wissen als ich. Beispielsweise habe ich es erlebt, dass Personen an mich herangetreten sind und gesagt haben, dass ich lieber aufhören solle. Das empfinde ich dann als respektlos. Da muss ich mir keinen Kopf drum machen.

DFB.de: Haben Sie denn über diesen Schritt nie ernsthaft nachgedacht?

Thoelke: Für mich war ein Karriereende nie ein ernsthaftes Thema. Mit einer Ausnahme: Nach meinem Schien – und Wadenbeinbruch in Österreich beim FC Admira Wacker Mödling, war ich lange Zeit ohne Verein. Da fragst du dich schon, wie es weitergeht. Zudem mussten die Klubs sparen, da coronabedingt die Zuschauereinnahmen wegfielen. In der Phase habe ich aber auch gelernt, den Fußball nicht als alleinigen Mittelpunkt zu sehen. Es kann der Psyche guttun, einfach mal Zeit mit Freunden oder dem Hund zu verbringen. Damals habe ich zudem meine Freundin kennengelernt und mit CrossFit-Training begonnen, was mir als Ablenkung sehr gutgetan hat.

DFB.de: Sehen Sie die Dinge mit 30 anders als noch mit Anfang 20?

Thoelke: Absolut. Für mich gab es damals kein anders Thema als Fußball. Schließlich hatte ich die Chance, in der höchsten Liga zu spielen. Nach der ersten Verletzung ist dann für mich die Welt untergegangen. Ich war wochenlang schlecht gelaunt. Als junger Spieler ist es nicht einfach, die Dinge lockerer zu sehen. Mit dem Wissen von heute wäre ich die Dinge anders angegangen.

DFB.de: Sie haben also erst relativ spät die Erkenntnis bekommen, dass Fußball nicht alles im Leben ist. Glauben Sie, dass es vielen Kollegen ähnlich geht?

Thoelke: Einige Spieler, die ich kenne, mussten es auch erstmal lernen. Ich denke, dass jene Fußballer im Vorteil sind, die sich nicht so viele Gedanken machen und den Sport weniger verbissen sehen. Da bin ich manchmal neidisch drauf. Dann gehst du eben mal zu McDonalds, na und? Der Großteil des Profisports ist reine Kopfsache.

DFB.de: Fast alle Vereine beschäftigen mittlerweile Sportpsychologen, um auch den Kopf zu trainieren. Wie denken Sie über dieses Thema?

Thoelke: Zunächst mal finde ich es wichtig, dass Vereine einen Psychologen haben und würde immer dazu raten, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jeder hat bestimmte Triggerpunkte, die gewisse Dinge auslösen. Und manche Probleme lösen sich in einem vertrauten Gespräch deutlich einfacher.

DFB.de: Oft hat man das Gefühl, dass Fußballprofis einem Psychologen eher skeptisch begegnen. Täuscht dieser Eindruck?

Thoelke: Grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass es immer mehr befürworten. Man muss dabei aber bedenken, dass viele Spieler ganz einfach noch nicht in einer Situation waren, wo sie am Boden lagen. Oft muss man erst einen Tiefpunkt haben, um zum Psychologen zu gehen. Und es muss halt auch immer passen. Der eine tut einem gut, der andere weniger.  Das Angebot in meiner Zeit beim Hamburger SV war beispielsweise sehr gut. Mir persönlich hat es aber nicht so viel geholfen, da ich mich der Person damals nicht wirklich öffnen konnte. Ich werde aber schon länger von der  Freundin meiner Mutter beraten. Mit ihr kann ich unheimlich gut über meine Situation sprechen. Auch meine Mutter hat viel in diesem Feld gearbeitet, daher kenne ich mich in dem Bereich ein wenig aus.

DFB.de: Wäre es auch für Sie denkbar, nach Ihrer Karriere im Bereich der Sportpsychologie zu arbeiten?

Thoelke: Dass ich später mal als Psychologe arbeiten werde, glaube ich eher nicht. Aber ich kann mir schon vorstellen, als neutraler Beobachter meine Erfahrungen an Nachwuchsspieler weiterzugeben. Aktuell spreche ich bereits viel mit den jüngeren Spielern und versuche ihnen mitzugeben, dass mehr nicht immer mehr ist. Ob sie das annehmen, müssen sie dann natürlich selbst entscheiden.

DFB.de: Gibt es mit Blick auf den Umgang mit Verletzungen einen generellen Rat, den Sie jungen Spielern geben können?

Thoelke: Jeder Sportler steckt in einer anderen Situation. Daher ist das nicht ganz einfach. Hat man in jedem Training Schmerzen, dann bringt es auch nichts, auf Biegen und Brechen wieder Fußball spielen zu wollen. Doch so lange die Verletzungen behandelbar sind, würde ich sagen, dass es sich immer lohnt, für seine Rückkehr auf den Platz zu kämpfen. Es gehört sehr viel Disziplin und Kraft dazu, diese Phasen zu überstehen. Du musst an dir arbeiten, sowohl mental als auch körperlich. Sobald du wieder die ersten Schritte auf dem Feld machen kannst, weißt du, wofür du geackert hat.

DFB.de: Sie sprachen die Zeit beim Hamburger SV an: Dort verpassten Sie nach ihrem Wechsel vom Karlsruher SC ein komplettes Jahr aufgrund eines Syndesmosebandrisses. Der Klub stieg in dieser Saison in die 2. Bundesliga ab. In der Presse war vom "Phantomprofi" die Rede. Wie sehr haben diese Schlagzeilen an Ihnen genagt?

Thoelke: Ehrlich gesagt, gar nicht. Ich kam ja aus der zweiten Liga von einem Absteiger und war daher nicht wirklich bekannt. Das hat mich gar nicht gestört. Wenn ich eine Vorbereitung nennen müsste, in der ich überzeugen konnte, dann war es die beim HSV.  Das Feedback hat mir damals auch Trainer Markus Gisdol gegeben. Eine Woche vor dem Saisonstart riss dann das Knie und im weiteren Verlauf das Syndesmoseband.

DFB.de: Verfolgen Sie den HSV heute noch?

Thoelke: Ich freue mich immer unheimlich, wenn sie gewinnen. Meiner Meinung nach müssen sie wieder aufsteigen. Der HSV ist ein geiler Verein mit tollen Fans. Den Verein mag ich unheimlich gerne, habe dort viele gute Kollegen kennengelernt. Daher war es auch so schade, sportlich nicht eingreifen zu können. Nur auf der Tribüne zu sitzen, tut schon weh. Vor allem, wenn man alles mitbekommt aus der Kabine. Am Ende der Saison waren alle am Boden. Und man sah, wie vieles den Bach runterging.

DFB.de: Blicken wir auf das Wochenende: Heute gastiert ihre Mannschaft beim VfL Osnabrück. Was erwarten Sie von dieser Partie?

Thoelke: Wir fahren mit breiter Brust an die Bremer Brücke. Doch natürlich wissen wir, dass uns ein hartes Stück Arbeit erwartet. Osnabrück ist nicht so gut in die Saison gestartet, verfügt aber über enorme Qualität. Und jeder von uns weiß, wie eng die 3. Liga ist.

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