Rynio: "Die hätten 20 Tore erzielen können"

Die 90 Minuten vergingen für Jürgen Rynio wie im Fluge. Kein Wunder, gab es doch für den Torhüter von Borussia Dortmund während der Galavorstellung des FC Bayern am 16. Spieltag der Saison 1971/1972 genügend Unterhaltung.

Mit 1:11 unterlag Rynio mit der Borussia im Stadion an der Grünwalder Straße, Beckenbauer, Müller und Co. führten den Gast nach allen Regeln der Kunst vor. „Die hätten 20 Tore erzielen können“, erinnert sich Rynio im Gespräch mit DFB.de. „Gerd Müller hätte allein in diesem Spiel zum Torschützenkönig der gesamten Saison werden können, der Stand ja ständig allein vor meinem Tor.“

Treffer fast im Minutentakt

Die Einschläge in Rynios Gehäuse kamen fast im Minutentakt. Müller eröffnete den Torreigen in der 11. Minute, neun Minuten später erhöhte Uli Hoeneß auf 2:0, entschieden war die Partie nach 39 Minuten, als Wilhelm Hoffmann zum 3:0 traf. „Wir waren an diesem Tag desolat, die Bayern überragend“, begründet Rynio das Schützenfest. Noch vor der Pause erhöhte Gerd Müller auf 4:0, alle Dämme brachen nach dem Wechsel der Seiten. „Heute haben wir gezeigt, dass wir einen Gegner auch killen können“, wird Bayern-Trainer Udo Lattek später dem Kicker sagen. „Wenn die Truppe will, kann sie jede Abwehr auseinander nehmen.“

Sie wollte. Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer machten bis zur 54. Minute das halbe Dutzend voll, ehe Dieter Weinkauff den Ehrentreffer markierte. „Ein Weinkauff genügt eben nicht“, war später von ihm zu vernehmen, ein Ausspruch, den damals nicht alle seiner Mitspieler - und erst nicht Trainer Horst Witzler - lustig fanden. Dafür war die Demütigung zu groß. Paul Breitner (59.), Franz Roth (81.) und Müller (83.) erzielten die Treffer sieben, acht und neun. Wiederum Roth sorgte in der 89. Minute dafür, dass auch die Münchner am Nachmittag des 27.11.1971 ein Problem bekamen. Mit seinem Tor zum 10:1 ließ er das Ergebnis zweistellig werden, ein Spielstand, der die Anzeigetafel überforderte. „Sie haben sich mit einem Provisorium beholfen“, erinnert sich Rynio, „irgendwie wurde eine Eins vor die Null gebastelt.“

Gleich drei Einsen mussten herhalten, um das Endergebnis abzubilden. Unmittelbar vor dem Schlusspfiff durch Schiedsrichter Gerd Meuser verwertete Müller ein Zuspiel von Beckenbauer zum 11:1. „Mucksmäuschen still war es danach bei uns in der Kabine“, erzählt Rynio, „die Atmosphäre schwankte zwischen Fassungslosigkeit, Entsetzen und Ohnmacht.“ Jeder war mit sich beschäftigt, niemand wagte, dass Wort zu ergreifen. Auch Trainer Witzler strafte seine Mannschaft mit Nichtachtung, nicht ein Wort kam über seine Lippen.

Daumendrücken für den BVB

Wenn Borussia Dortmund (Samstag, ab 18.30 Uhr live auf Sky) fast vier Jahrzehnte später zum 90. Mal in seiner Geschichte auf Bayern München trifft, drückt Rynio dem BVB die Daumen. Fünf Jahre hat er in Dortmund gespielt, der Kontakt zum Verein ist nie ganz abgerissen. Zur 100-Jahr-Feier des Vereins war er im vergangenen Jahr geladen, dort hat er mit den Weggefährten über die alten Zeiten geplaudert. „Schön war das“, erzählt Rynio, „es ist immer nett, sich auszutauschen und zu erfahren, wie es den anderen ergangen ist.“



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Die 90 Minuten vergingen für Jürgen Rynio wie im Fluge. Kein Wunder, gab es doch für den Torhüter von Borussia Dortmund während der Galavorstellung des FC Bayern am 16. Spieltag der Saison 1971/1972 genügend Unterhaltung.

Mit 1:11 unterlag Rynio mit der Borussia im Stadion an der Grünwalder Straße, Beckenbauer, Müller und Co. führten den Gast nach allen Regeln der Kunst vor. „Die hätten 20 Tore erzielen können“, erinnert sich Rynio im Gespräch mit DFB.de. „Gerd Müller hätte allein in diesem Spiel zum Torschützenkönig der gesamten Saison werden können, der Stand ja ständig allein vor meinem Tor.“

Treffer fast im Minutentakt

Die Einschläge in Rynios Gehäuse kamen fast im Minutentakt. Müller eröffnete den Torreigen in der 11. Minute, neun Minuten später erhöhte Uli Hoeneß auf 2:0, entschieden war die Partie nach 39 Minuten, als Wilhelm Hoffmann zum 3:0 traf. „Wir waren an diesem Tag desolat, die Bayern überragend“, begründet Rynio das Schützenfest. Noch vor der Pause erhöhte Gerd Müller auf 4:0, alle Dämme brachen nach dem Wechsel der Seiten. „Heute haben wir gezeigt, dass wir einen Gegner auch killen können“, wird Bayern-Trainer Udo Lattek später dem Kicker sagen. „Wenn die Truppe will, kann sie jede Abwehr auseinander nehmen.“

Sie wollte. Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer machten bis zur 54. Minute das halbe Dutzend voll, ehe Dieter Weinkauff den Ehrentreffer markierte. „Ein Weinkauff genügt eben nicht“, war später von ihm zu vernehmen, ein Ausspruch, den damals nicht alle seiner Mitspieler - und erst nicht Trainer Horst Witzler - lustig fanden. Dafür war die Demütigung zu groß. Paul Breitner (59.), Franz Roth (81.) und Müller (83.) erzielten die Treffer sieben, acht und neun. Wiederum Roth sorgte in der 89. Minute dafür, dass auch die Münchner am Nachmittag des 27.11.1971 ein Problem bekamen. Mit seinem Tor zum 10:1 ließ er das Ergebnis zweistellig werden, ein Spielstand, der die Anzeigetafel überforderte. „Sie haben sich mit einem Provisorium beholfen“, erinnert sich Rynio, „irgendwie wurde eine Eins vor die Null gebastelt.“

Gleich drei Einsen mussten herhalten, um das Endergebnis abzubilden. Unmittelbar vor dem Schlusspfiff durch Schiedsrichter Gerd Meuser verwertete Müller ein Zuspiel von Beckenbauer zum 11:1. „Mucksmäuschen still war es danach bei uns in der Kabine“, erzählt Rynio, „die Atmosphäre schwankte zwischen Fassungslosigkeit, Entsetzen und Ohnmacht.“ Jeder war mit sich beschäftigt, niemand wagte, dass Wort zu ergreifen. Auch Trainer Witzler strafte seine Mannschaft mit Nichtachtung, nicht ein Wort kam über seine Lippen.

Daumendrücken für den BVB

Wenn Borussia Dortmund (Samstag, ab 18.30 Uhr live auf Sky) fast vier Jahrzehnte später zum 90. Mal in seiner Geschichte auf Bayern München trifft, drückt Rynio dem BVB die Daumen. Fünf Jahre hat er in Dortmund gespielt, der Kontakt zum Verein ist nie ganz abgerissen. Zur 100-Jahr-Feier des Vereins war er im vergangenen Jahr geladen, dort hat er mit den Weggefährten über die alten Zeiten geplaudert. „Schön war das“, erzählt Rynio, „es ist immer nett, sich auszutauschen und zu erfahren, wie es den anderen ergangen ist.“

Zum Fußball hat er dennoch eine gewisse Distanz entwickelt. Eine Niederlage tut weh, erst Recht ein Debakel wie jenes beim 1:11. „Lustig war das nicht“, räumt Rynio ein. Dennoch weiß der 61-Jährige heute, dass sich die wahren Dramen nicht im Stadion abspielen. „So platt es klingt“, sagt er, „Fußball ist nicht mehr als die schönste Nebensache der Welt.“

Rynio weiß, wovon er spricht, menschliches Leid erlebt er täglich – in Dimensionen, die der Fußball nicht vorweisen kann. Auch nicht bei elf Gegentoren binnen 90 Minuten. Gemeinsam mit seiner Frau Julia betreibt er in der Nähe von Celle die “Rynio Wohnen KG“. Eine Einrichtung, die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen. Heute ist es Heimat für 54 geistig und körperlich behinderte Menschen und für Rynio der Mittelpunkt seines Lebens. Als Geschäftsführer kümmert sich der frühere Profi nicht nur um die Administration, er hat auch direkten Kontakt zu den Heimbewohnern. Dabei kommt ihm seine Vergangenheit als Fußballer zugute. „Ich erzähle gerne die eine oder andere Anekdote“, sagt Rynio. Stoff für Geschichten hat er in fast 30 Jahren Fußball genug gesammelt. Nicht alle haben ein Happy-End, Rynio ist nicht nur der elf Gegentore gegen Bayern München wegen in die Historie des deutschen Fußballs eingegangen. Der ehemalige Torwart hat in seiner Karriere das Kunststück vollbracht, sich fünfmal aus der höchsten deutschen Spielklasse zu verabschieden.

Fünf Abstiege in der Karriere

Ihren Anfang nahm die traurige Bilanz mit dem Abstieg des Karlsruher SC im Jahre 1967, ein Jahr später ereilte den 1. FC Nürnberg das Schicksal, im Jahre 1972 machte Rynio mit Dortmund den Hattrick perfekt. Der verpasste Klassenerhalt mit dem FC St. Pauli im Jahr 1978 war der vierte Streich, 1986 schließlich folgte mit Hannover 96 Abstieg Nummer fünf.

„Ich bin halt ein Mann für Rekorde“, sagt Rynio ohne Groll. In der mittäglichen Kaffeerunde findet er offene Ohren für seine Erzählungen. Schon deswegen haben sich für ihn die Jahre in der Bundesliga und Erlebnisse wie das 1:11 gegen Bayern München gelohnt. „Es sind zwar nicht alle in der Lage, den Ausführungen zu folgen“, sagt er, „aber alle sind glücklich, wenn man ihnen etwas von seiner Zeit widmet.“