RWE-Mitglied Rettig: "Solidarisch zu sein, das ist unabdingbar"

Seine Mitgliedsnummer lautet 10008862. Schon seit 2010 gehört der langjährige Bundesliga-Manager und Fußball-Lehrer Andreas Rettig dem Traditionsverein Rot-Weiss Essen an. Ehrensache, dass der frühere DFL-Geschäftsführer "seinen" Verein auch beim virtuellen Heimspiel "RWE gegen Corona" unterstützt. Im DFB.de-Interview spricht Rettig über seine Affinität zum Klub aus der Regionalliga West.

DFB.de: Sie sind gebürtiger Leverkusener, haben viele Jahre bei Bayer 04 gearbeitet, sind mit dem SC Freiburg, 1. FC Köln und FC Augsburg insgesamt viermal in die Bundesliga aufgestiegen und waren zuletzt für den FC St. Pauli in Hamburg tätig. Warum unterstützen Sie jetzt Rot-Weiss Essen, Herr Rettig?

Andreas Rettig: Ich unterstütze den Verein nicht erst jetzt, sondern schon seit zehn Jahren - zumindest mit meinen Mitgliedsbeiträgen, also in einem äußerst bescheidenen Rahmen. Ich hatte eigentlich schon immer Sympathien für diesen besonderen Klub. Als RWE dann aber Anfang Juni 2010 mit dem Insolvenzantrag und dem Absturz in die fünfte Liga am Tiefpunkt der Vereinsgeschichte angekommen war, habe ich damals spontan in Augsburg ein Faxgerät angeworfen und meinen Mitgliedsantrag abgeschickt. Ich habe ihn bis heute aufgehoben, er ist exakt vom 9. Juni 2010 datiert. Seitdem bin ich dabei. Deshalb war es für mich auch selbstverständlich, die aktuelle Aktion wegen der Auswirkungen der Corona-Krise und der Aussetzung des Spielbetriebs zu unterstützen.

DFB.de: Für das virtuelle Heimspiel "RWE gegen Corona" haben Sie zwei Sitzplatzkarten, zwei Bratwürste und drei Bier geordert. Was steckt dahinter?

Rettig: (lacht) Meine Frau Cordula kommt natürlich mit. Ich hoffe mal, dass es um das dritte Bier keinen Streit gibt.

DFB.de: An den ersten fünf Tagen der Aktion kamen durch den Verkauf der virtuellen Tickets schon mehr als 50.000 Euro zusammen.

Rettig: Das ist klasse und zeigt, über welche Strahlkraft der Klub nach wie vor verfügt. Viele Fans fühlen sich angesprochen und sind trotz ihrer eigenen Schwierigkeiten und Probleme in dieser schweren Krise bereit, dem Verein zu helfen. Ich bin zuversichtlich, dass RWE aus diesem Zuspruch noch weitere Kraft schöpfen kann. Ein vergleichbarer Verein, der nicht über eine solche Fanbasis verfügt, könnte mit einer solchen Aktion nicht viel bewirken. Wer aber in der Lage ist, aus eigener Kraft heraus möglichst viele Anhänger, Mitglieder oder Sponsoren anzuziehen, der wird auch nach der Krise immer im Vorteil sein.

DFB.de: Sie haben Ihre Sympathie für den Verein schon angesprochen. Dabei waren Ihre ersten Erfahrungen mit RWE äußerst schmerzhaft, oder?

Rettig: Das stimmt. Als junger Oberligafußballer war ich in der Saison 1984/1985 mit dem Wuppertaler SV an einem Freitagabend im damaligen Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße zu Gast. Schon bei der Anreise mit dem Mannschaftsbus flogen Steine. Wir kamen als Tabellenführer nach Essen - und lagen zur Pause 0:4 zurück. Beim Abpfiff waren es sechs Gegentreffer. Am Ende konnte ich das RWE-Vereinslied "Adiolé", das nach jedem Treffer gespielt wird, nicht mehr hören. Wie fanatisch die Zuschauer ihre Mannschaft angefeuert haben, ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben und hat mich beeindruckt.

DFB.de: Welche Berührungspunkte gab es später?

Rettig: Vor allem zu der Zeit, als Rot-Weiss Essen 2006 zuletzt in die 2. Bundesliga aufgestiegen war, hatte ich zu den damaligen Verantwortlichen wie Trainer Uwe Neuhaus, Sportdirektor Olaf Janßen oder Geschäftsführer Nico Schäfer einen guten Kontakt. Es gab einen regelmäßigen Austausch. Nach meinem Eintritt in den Verein war ich dann auch mehrfach bei Jahreshauptversammlungen in einem großen Kino dabei, um mich als Mitglied über die Situation des Vereins zu informieren. Live im Stadion Essen vor Ort war ich zuletzt vor einem Jahr. Bratwurst und Bier waren auf jeden Fall besser als das damalige 0:2 gegen den SC Verl. Vor einigen Wochen lief es dann an meinem Wohnort in Köln erfolgreicher. RWE gewann kurz vor Schluss 1:0 gegen die U 21 des FC. Am Rande der Partie habe ich mich mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. André Helf und Vorstand Marcus Uhlig getroffen.

DFB.de: Könnte Ihre Affinität zu Rot-Weiss auch darin begründet sein, dass an der Hafenstraße - zumindest gefühlt - die Tiefen immer noch ein wenig tiefer und die Höhen immer noch ein wenig höher sind als anderswo?

Rettig: Diese erhebliche Emotionalität zeichnet diese Vereine doch gerade aus. Das gilt ja beispielsweise auch für den FC St. Pauli, für den ich bis vor wenigen Monaten gearbeitet hatte. Diesen Klubs gelingt es nicht zuletzt dank ihrer Fans, immer wieder aufzustehen, es aus dem Dreck bis zum "Weltpokalsieger-Besieger" zu bringen. Das ist Fußball pur.

DFB.de: Zurück zur Corona-Krise: Fürchten Sie, dass viele Vereine von der Bundesliga bis zur vierten Liga noch größere Probleme bekommen werden, als es schon jetzt der Fall ist?

Rettig: Eines vorweg: Der Umsatz, die Größe oder die Ligazugehörigkeit sind kein Schutzschild gegen eine mögliche Insolvenz. Entscheidend ist, ob ein Verein wirtschaftlich gesund oder nicht gesund ist. Ist er gesund, dann fällt es auch leichter, eine schwierige Phase ohne eingeplante Einnahmen zu überstehen. Es ist aber auch klar, dass es immer schwieriger wird, je länger diese Krise dauert.

DFB.de: Also würden Sie für eine möglichst baldige Wiederaufnahme des Spielbetriebs auch Geisterspiele ohne Zuschauer in Kauf nehmen?

Rettig: Niemand mag solche Spiele in leeren Stadien. Aber die Gesundheit aller muss immer an erster Stelle stehen. Wenn also in absehbarer Zeit aus gesundheitlichen Gründen nur Fußballspiele unter diesen Bedingungen möglich sind, dann müssen die Fans bereit sein, diesen Beitrag zu leisten. Zumindest für die Bundesliga und 2. Bundesliga sind Geisterspiele aufgrund der Medien- und TV-Erlöse dann auf jeden Fall besser als gar kein Fußball. In den Ligen darunter ist das wesentlich schwieriger.

DFB.de: Wie bewerten Sie den Solidaritätsgedanken im Fußball?

Rettig: Solidarisch zu sein, ist für mich unabdingbar. Und zwar nicht nur in der Krise. Solidarität sollte sich meiner Meinung nach aber nicht in erster Linie dadurch äußern, Geld von Dritten zur Unterstützung zu fordern. Erst einmal ist Solidarität nach innen gefragt. Das heißt: Jeder Verein und jeder Verantwortliche ist aufgerufen, alles dafür zu tun, um auf der Einnahme- und vor allem auf der Kostenseite bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, damit die vielen tausend Arbeitsplätze im Fußball gesichert werden können. Das sollte - nach der Gesundheit - die höchste Priorität besitzen.

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Seine Mitgliedsnummer lautet 10008862. Schon seit 2010 gehört der langjährige Bundesliga-Manager und Fußball-Lehrer Andreas Rettig dem Traditionsverein Rot-Weiss Essen an. Ehrensache, dass der frühere DFL-Geschäftsführer "seinen" Verein auch beim virtuellen Heimspiel "RWE gegen Corona" unterstützt. Im DFB.de-Interview spricht Rettig über seine Affinität zum Klub aus der Regionalliga West.

DFB.de: Sie sind gebürtiger Leverkusener, haben viele Jahre bei Bayer 04 gearbeitet, sind mit dem SC Freiburg, 1. FC Köln und FC Augsburg insgesamt viermal in die Bundesliga aufgestiegen und waren zuletzt für den FC St. Pauli in Hamburg tätig. Warum unterstützen Sie jetzt Rot-Weiss Essen, Herr Rettig?

Andreas Rettig: Ich unterstütze den Verein nicht erst jetzt, sondern schon seit zehn Jahren - zumindest mit meinen Mitgliedsbeiträgen, also in einem äußerst bescheidenen Rahmen. Ich hatte eigentlich schon immer Sympathien für diesen besonderen Klub. Als RWE dann aber Anfang Juni 2010 mit dem Insolvenzantrag und dem Absturz in die fünfte Liga am Tiefpunkt der Vereinsgeschichte angekommen war, habe ich damals spontan in Augsburg ein Faxgerät angeworfen und meinen Mitgliedsantrag abgeschickt. Ich habe ihn bis heute aufgehoben, er ist exakt vom 9. Juni 2010 datiert. Seitdem bin ich dabei. Deshalb war es für mich auch selbstverständlich, die aktuelle Aktion wegen der Auswirkungen der Corona-Krise und der Aussetzung des Spielbetriebs zu unterstützen.

DFB.de: Für das virtuelle Heimspiel "RWE gegen Corona" haben Sie zwei Sitzplatzkarten, zwei Bratwürste und drei Bier geordert. Was steckt dahinter?

Rettig: (lacht) Meine Frau Cordula kommt natürlich mit. Ich hoffe mal, dass es um das dritte Bier keinen Streit gibt.

DFB.de: An den ersten fünf Tagen der Aktion kamen durch den Verkauf der virtuellen Tickets schon mehr als 50.000 Euro zusammen.

Rettig: Das ist klasse und zeigt, über welche Strahlkraft der Klub nach wie vor verfügt. Viele Fans fühlen sich angesprochen und sind trotz ihrer eigenen Schwierigkeiten und Probleme in dieser schweren Krise bereit, dem Verein zu helfen. Ich bin zuversichtlich, dass RWE aus diesem Zuspruch noch weitere Kraft schöpfen kann. Ein vergleichbarer Verein, der nicht über eine solche Fanbasis verfügt, könnte mit einer solchen Aktion nicht viel bewirken. Wer aber in der Lage ist, aus eigener Kraft heraus möglichst viele Anhänger, Mitglieder oder Sponsoren anzuziehen, der wird auch nach der Krise immer im Vorteil sein.

DFB.de: Sie haben Ihre Sympathie für den Verein schon angesprochen. Dabei waren Ihre ersten Erfahrungen mit RWE äußerst schmerzhaft, oder?

Rettig: Das stimmt. Als junger Oberligafußballer war ich in der Saison 1984/1985 mit dem Wuppertaler SV an einem Freitagabend im damaligen Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße zu Gast. Schon bei der Anreise mit dem Mannschaftsbus flogen Steine. Wir kamen als Tabellenführer nach Essen - und lagen zur Pause 0:4 zurück. Beim Abpfiff waren es sechs Gegentreffer. Am Ende konnte ich das RWE-Vereinslied "Adiolé", das nach jedem Treffer gespielt wird, nicht mehr hören. Wie fanatisch die Zuschauer ihre Mannschaft angefeuert haben, ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben und hat mich beeindruckt.

DFB.de: Welche Berührungspunkte gab es später?

Rettig: Vor allem zu der Zeit, als Rot-Weiss Essen 2006 zuletzt in die 2. Bundesliga aufgestiegen war, hatte ich zu den damaligen Verantwortlichen wie Trainer Uwe Neuhaus, Sportdirektor Olaf Janßen oder Geschäftsführer Nico Schäfer einen guten Kontakt. Es gab einen regelmäßigen Austausch. Nach meinem Eintritt in den Verein war ich dann auch mehrfach bei Jahreshauptversammlungen in einem großen Kino dabei, um mich als Mitglied über die Situation des Vereins zu informieren. Live im Stadion Essen vor Ort war ich zuletzt vor einem Jahr. Bratwurst und Bier waren auf jeden Fall besser als das damalige 0:2 gegen den SC Verl. Vor einigen Wochen lief es dann an meinem Wohnort in Köln erfolgreicher. RWE gewann kurz vor Schluss 1:0 gegen die U 21 des FC. Am Rande der Partie habe ich mich mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. André Helf und Vorstand Marcus Uhlig getroffen.

DFB.de: Könnte Ihre Affinität zu Rot-Weiss auch darin begründet sein, dass an der Hafenstraße - zumindest gefühlt - die Tiefen immer noch ein wenig tiefer und die Höhen immer noch ein wenig höher sind als anderswo?

Rettig: Diese erhebliche Emotionalität zeichnet diese Vereine doch gerade aus. Das gilt ja beispielsweise auch für den FC St. Pauli, für den ich bis vor wenigen Monaten gearbeitet hatte. Diesen Klubs gelingt es nicht zuletzt dank ihrer Fans, immer wieder aufzustehen, es aus dem Dreck bis zum "Weltpokalsieger-Besieger" zu bringen. Das ist Fußball pur.

DFB.de: Zurück zur Corona-Krise: Fürchten Sie, dass viele Vereine von der Bundesliga bis zur vierten Liga noch größere Probleme bekommen werden, als es schon jetzt der Fall ist?

Rettig: Eines vorweg: Der Umsatz, die Größe oder die Ligazugehörigkeit sind kein Schutzschild gegen eine mögliche Insolvenz. Entscheidend ist, ob ein Verein wirtschaftlich gesund oder nicht gesund ist. Ist er gesund, dann fällt es auch leichter, eine schwierige Phase ohne eingeplante Einnahmen zu überstehen. Es ist aber auch klar, dass es immer schwieriger wird, je länger diese Krise dauert.

DFB.de: Also würden Sie für eine möglichst baldige Wiederaufnahme des Spielbetriebs auch Geisterspiele ohne Zuschauer in Kauf nehmen?

Rettig: Niemand mag solche Spiele in leeren Stadien. Aber die Gesundheit aller muss immer an erster Stelle stehen. Wenn also in absehbarer Zeit aus gesundheitlichen Gründen nur Fußballspiele unter diesen Bedingungen möglich sind, dann müssen die Fans bereit sein, diesen Beitrag zu leisten. Zumindest für die Bundesliga und 2. Bundesliga sind Geisterspiele aufgrund der Medien- und TV-Erlöse dann auf jeden Fall besser als gar kein Fußball. In den Ligen darunter ist das wesentlich schwieriger.

DFB.de: Wie bewerten Sie den Solidaritätsgedanken im Fußball?

Rettig: Solidarisch zu sein, ist für mich unabdingbar. Und zwar nicht nur in der Krise. Solidarität sollte sich meiner Meinung nach aber nicht in erster Linie dadurch äußern, Geld von Dritten zur Unterstützung zu fordern. Erst einmal ist Solidarität nach innen gefragt. Das heißt: Jeder Verein und jeder Verantwortliche ist aufgerufen, alles dafür zu tun, um auf der Einnahme- und vor allem auf der Kostenseite bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, damit die vielen tausend Arbeitsplätze im Fußball gesichert werden können. Das sollte - nach der Gesundheit - die höchste Priorität besitzen.

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