Rudolph über Fußball und LSBTI+: "Es gibt genug zu tun"

Gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) richtet der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zum 1. Januar 2021 eine zentrale Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt ein. Christian Rudolph, der schon lange in dem Bereich tätige Mitarbeiter des LSVD und Ansprechpartner für Vielfalt beim Berliner Fußball-Verband (BFV), wird künftig für eine breite Zielgruppe von der Bundesliga bis zu den Anlaufstellen für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle der 21 Landesverbände zur Verfügung stehen. Im DFB.de-Interview erzählt Rudolph, wie die Zusammenarbeit mit dem DFB zustande kam, welche Aufgaben nun auf ihn warten und was nötig ist, um den Fußball zu verändern.

DFB.de: Herr Rudolph, wie groß ist Ihre Vorfreude auf die neue Aufgabe, die ab 1. Januar auf Sie wartet?

Christian Rudolph: Nicht nur ich bin voller Erwartung, sondern die gesamte Community. Aber auch die Verantwortung, die so eine Stelle mit sich bringt, ist groß. Denn wir haben lange den organisierten Fußball aufgefordert, aktiv zu werden. Und jetzt geht der DFB voran und hat diese externe Stelle möglich gemacht, indem er sie finanziert. Jetzt sind wir dran.

DFB.de: Die Erwartungshaltung ist also vorhanden. Wie groß ist der Handlungsbedarf?

Rudolph: Der ist riesig. Wir bekommen zum ersten Mal Unterstützung vom organisierten Fußball, vorher war das vorrangig Basisarbeit zusammen mit den Fanorganisationen, mit denen wir das Thema schon seit 20 Jahren bearbeiten und für Sichtbarkeit in den Stadien sorgen. Dadurch sind wir in Kontakt gekommen mit den Vereinen und Verbänden und haben gemerkt, dass die Unterstützung größer wird, aber auch ganz viele Fragestellungen bestehen. Jetzt wird es wichtig sein, aufzuklären und zu sensibilisieren. Der DFB hat 21 Landesverbände, von denen bislang vier Ansprechpartner*innen für LSBTI+ haben, und mehr als sieben Millionen Mitglieder. Da gibt es genug zu tun.

DFB.de: Sie haben lange um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für Ihre Themen gerungen. Warum ging es jetzt auf einmal so schnell mit einer eigenen Stelle?

Rudolph: Lange hat das Verständnis gefehlt, warum diese Themen für den Fußball überhaupt wichtig sein sollen und wie er tätig werden kann. In den vergangenen zwei Jahren dann hat sich der Dialog ganz stark verändert. Der DFB, hier allen voran die Abteilung Gesellschaftliche Verantwortung, hat uns als Community eingeladen und nicht bloß Symbolpolitik betrieben, sondern wir haben gemeinsam Maßnahmen umgesetzt. Etwa die Einführung von Unisex-Toiletten bei Länderspielen und dem DFB-Pokalfinale oder das Hissen der Regenbogen-Flagge vor der DFB-Zentrale. Das waren wichtige Symbole, die jetzt von DFB-Präsident Fritz Keller mit der Einrichtung einer Stelle untermauert werden. Er hat die Notwendigkeit gesehen und ist auf uns zugekommen. Der DFB hat gemerkt, dass es wichtig ist, den Dialog zu fördern, vielleicht auch mal Kritik auszuhalten und dass wir am Ende gemeinsam die Verantwortung für den Fußball annehmen.

DFB.de: Der NDR hat Sie im Radio als "einen der größten Kritiker des DFB" bezeichnet. Wir haben Sie erlebt als jemanden, der in der Vergangenheit den Finger in die Wunde gelegt, Handlungsbedarf aufgezeigt und Missstände benannt hat. Hat Sie dann die aktive Einbindung durch den DFB überrascht?

Rudolph: Total. Als Fritz Keller auf uns zugegangen ist, hatten wir zunächst die Sorge, dass "nur" eine Anlaufstelle eingerichtet wird mit einer Telefonnummer, unter der dann ein Botschafter wie Thomas Hitzlsperger zu erreichen ist. Das ist auch wichtig und super. Aber wir haben so viel zu tun und das in den vergangenen Jahren alles ehrenamtlich gemacht, jetzt brauchen wir Sichtbarkeit und hauptamtliche Unterstützung auf höchster Ebene. Dass das alles in kürzester Zeit verstanden und umgesetzt wurde, war ein Signal für uns. Der DFB schafft eine externe Stelle und verlässt sich auf unsere Expertise. Das hat uns das Vertrauen gegeben, dass wir vom DFB gehört werden.

DFB.de: Können Sie bitte kurz skizzieren, welche Aufgaben sich für Sie künftig hinter dem Begriff "Anlaufstelle" verbergen. Moderatorin Jessy Wellmer hat jüngst in der ARD im Rahmen der Sendung "Sportschau Thema: Wie homophob ist der Fußball?" bereits den Verdacht geäußert, dass Sie künftig neben dem Telefon sitzen und warten, dass es bimmelt.

Rudolph: Das Aufgabenfeld wird sich natürlich noch näher definieren. Aber ich habe in den vergangenen zehn Jahren bereits mit dem Berliner Fußball-Verband zusammengearbeitet, diese Erfahrungen sind viel wert. Als erstes geht es darum, eine Anlaufstelle zu sein, die beratend tätig ist - für alle, die Fragen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben. Das können Aktive sein, die selbst LSBTI+ sind, die haben wir natürlich besonders im Blick. Aber wir sprechen nicht nur vom Bundesligafußball und dem Männerbereich, sondern wir beziehen alle ein, alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten sowie alle Funktionen im Fußball: Ehrenamtler, Trainer*innen, Vorstände. Wir wollen aufklären, auch über Sprache, und alle mitnehmen.

DFB.de: Wie lautet denn Ihre Bestandsaufnahme: Wie sehr hat sich der Fußball schon verändert in den vergangenen Jahren, wie viel offener ist er schon geworden?

Rudolph: Diese Frage wird, glaube ich, sehr stark überschattet von der Fokussierung auf das Coming-out eines aktiven Fußballprofis im Männerbereich, das es bisher noch nicht gegeben hat. Aber wenn ich unterwegs bin, bekomme ich schon mit, was sich tut, in den Fankurven, in den Vereinen. Aber vieles, was passiert, wird gar nicht wahrgenommen. Dass Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers in Berlin das Spielrecht erhalten, ist die Arbeit von Jahren. Ich sehe das als Prozess. Und es ist gut, dass diese Stelle jetzt geschaffen wurde. Denn heute steht der DFB ganz anders dahinter, als das noch vor fünf Jahren der Fall war.

DFB.de: Im Idealfall bewegen sich also nicht nur Vereine und Verbände, sondern weitere Akteure.

Rudolph: Es sind alle gefragt und gefordert und müssen Haltung zeigen. Es ist schön, wenn ein Verband die Community der LSBTI+ unterstützt, genauso schön wären persönliche Botschaften, gerne auch von bekannten Trainer*innen und aktiven Spieler*innen. Die größte Schwierigkeit ist aber, Sichtbarkeit für unsere Themen zu schaffen. Die Sendung "Sportschau Thema" war mit Fritz Keller, Thomas Hitzlsperger, Tabea Kemme und Kevin Kühnert so prominent besetzt, wie es nur geht. Aber: Die Sendung läuft um 0 Uhr. Warum nicht zur Primetime? Es wird viel zu wenig darüber berichtet, was die Fans unternehmen, was die Verbände machen - und wenn, dann abseits des Mainstreams. Viele Themen finden keine Resonanz, also müssen wir unsere eigene Sichtbarkeit schaffen. So wie wir das zusammen mit dem DFB gemacht haben.

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Gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) richtet der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zum 1. Januar 2021 eine zentrale Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt ein. Christian Rudolph, der schon lange in dem Bereich tätige Mitarbeiter des LSVD und Ansprechpartner für Vielfalt beim Berliner Fußball-Verband (BFV), wird künftig für eine breite Zielgruppe von der Bundesliga bis zu den Anlaufstellen für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle der 21 Landesverbände zur Verfügung stehen. Im DFB.de-Interview erzählt Rudolph, wie die Zusammenarbeit mit dem DFB zustande kam, welche Aufgaben nun auf ihn warten und was nötig ist, um den Fußball zu verändern.

DFB.de: Herr Rudolph, wie groß ist Ihre Vorfreude auf die neue Aufgabe, die ab 1. Januar auf Sie wartet?

Christian Rudolph: Nicht nur ich bin voller Erwartung, sondern die gesamte Community. Aber auch die Verantwortung, die so eine Stelle mit sich bringt, ist groß. Denn wir haben lange den organisierten Fußball aufgefordert, aktiv zu werden. Und jetzt geht der DFB voran und hat diese externe Stelle möglich gemacht, indem er sie finanziert. Jetzt sind wir dran.

DFB.de: Die Erwartungshaltung ist also vorhanden. Wie groß ist der Handlungsbedarf?

Rudolph: Der ist riesig. Wir bekommen zum ersten Mal Unterstützung vom organisierten Fußball, vorher war das vorrangig Basisarbeit zusammen mit den Fanorganisationen, mit denen wir das Thema schon seit 20 Jahren bearbeiten und für Sichtbarkeit in den Stadien sorgen. Dadurch sind wir in Kontakt gekommen mit den Vereinen und Verbänden und haben gemerkt, dass die Unterstützung größer wird, aber auch ganz viele Fragestellungen bestehen. Jetzt wird es wichtig sein, aufzuklären und zu sensibilisieren. Der DFB hat 21 Landesverbände, von denen bislang vier Ansprechpartner*innen für LSBTI+ haben, und mehr als sieben Millionen Mitglieder. Da gibt es genug zu tun.

DFB.de: Sie haben lange um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für Ihre Themen gerungen. Warum ging es jetzt auf einmal so schnell mit einer eigenen Stelle?

Rudolph: Lange hat das Verständnis gefehlt, warum diese Themen für den Fußball überhaupt wichtig sein sollen und wie er tätig werden kann. In den vergangenen zwei Jahren dann hat sich der Dialog ganz stark verändert. Der DFB, hier allen voran die Abteilung Gesellschaftliche Verantwortung, hat uns als Community eingeladen und nicht bloß Symbolpolitik betrieben, sondern wir haben gemeinsam Maßnahmen umgesetzt. Etwa die Einführung von Unisex-Toiletten bei Länderspielen und dem DFB-Pokalfinale oder das Hissen der Regenbogen-Flagge vor der DFB-Zentrale. Das waren wichtige Symbole, die jetzt von DFB-Präsident Fritz Keller mit der Einrichtung einer Stelle untermauert werden. Er hat die Notwendigkeit gesehen und ist auf uns zugekommen. Der DFB hat gemerkt, dass es wichtig ist, den Dialog zu fördern, vielleicht auch mal Kritik auszuhalten und dass wir am Ende gemeinsam die Verantwortung für den Fußball annehmen.

DFB.de: Der NDR hat Sie im Radio als "einen der größten Kritiker des DFB" bezeichnet. Wir haben Sie erlebt als jemanden, der in der Vergangenheit den Finger in die Wunde gelegt, Handlungsbedarf aufgezeigt und Missstände benannt hat. Hat Sie dann die aktive Einbindung durch den DFB überrascht?

Rudolph: Total. Als Fritz Keller auf uns zugegangen ist, hatten wir zunächst die Sorge, dass "nur" eine Anlaufstelle eingerichtet wird mit einer Telefonnummer, unter der dann ein Botschafter wie Thomas Hitzlsperger zu erreichen ist. Das ist auch wichtig und super. Aber wir haben so viel zu tun und das in den vergangenen Jahren alles ehrenamtlich gemacht, jetzt brauchen wir Sichtbarkeit und hauptamtliche Unterstützung auf höchster Ebene. Dass das alles in kürzester Zeit verstanden und umgesetzt wurde, war ein Signal für uns. Der DFB schafft eine externe Stelle und verlässt sich auf unsere Expertise. Das hat uns das Vertrauen gegeben, dass wir vom DFB gehört werden.

DFB.de: Können Sie bitte kurz skizzieren, welche Aufgaben sich für Sie künftig hinter dem Begriff "Anlaufstelle" verbergen. Moderatorin Jessy Wellmer hat jüngst in der ARD im Rahmen der Sendung "Sportschau Thema: Wie homophob ist der Fußball?" bereits den Verdacht geäußert, dass Sie künftig neben dem Telefon sitzen und warten, dass es bimmelt.

Rudolph: Das Aufgabenfeld wird sich natürlich noch näher definieren. Aber ich habe in den vergangenen zehn Jahren bereits mit dem Berliner Fußball-Verband zusammengearbeitet, diese Erfahrungen sind viel wert. Als erstes geht es darum, eine Anlaufstelle zu sein, die beratend tätig ist - für alle, die Fragen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben. Das können Aktive sein, die selbst LSBTI+ sind, die haben wir natürlich besonders im Blick. Aber wir sprechen nicht nur vom Bundesligafußball und dem Männerbereich, sondern wir beziehen alle ein, alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten sowie alle Funktionen im Fußball: Ehrenamtler, Trainer*innen, Vorstände. Wir wollen aufklären, auch über Sprache, und alle mitnehmen.

DFB.de: Wie lautet denn Ihre Bestandsaufnahme: Wie sehr hat sich der Fußball schon verändert in den vergangenen Jahren, wie viel offener ist er schon geworden?

Rudolph: Diese Frage wird, glaube ich, sehr stark überschattet von der Fokussierung auf das Coming-out eines aktiven Fußballprofis im Männerbereich, das es bisher noch nicht gegeben hat. Aber wenn ich unterwegs bin, bekomme ich schon mit, was sich tut, in den Fankurven, in den Vereinen. Aber vieles, was passiert, wird gar nicht wahrgenommen. Dass Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers in Berlin das Spielrecht erhalten, ist die Arbeit von Jahren. Ich sehe das als Prozess. Und es ist gut, dass diese Stelle jetzt geschaffen wurde. Denn heute steht der DFB ganz anders dahinter, als das noch vor fünf Jahren der Fall war.

DFB.de: Im Idealfall bewegen sich also nicht nur Vereine und Verbände, sondern weitere Akteure.

Rudolph: Es sind alle gefragt und gefordert und müssen Haltung zeigen. Es ist schön, wenn ein Verband die Community der LSBTI+ unterstützt, genauso schön wären persönliche Botschaften, gerne auch von bekannten Trainer*innen und aktiven Spieler*innen. Die größte Schwierigkeit ist aber, Sichtbarkeit für unsere Themen zu schaffen. Die Sendung "Sportschau Thema" war mit Fritz Keller, Thomas Hitzlsperger, Tabea Kemme und Kevin Kühnert so prominent besetzt, wie es nur geht. Aber: Die Sendung läuft um 0 Uhr. Warum nicht zur Primetime? Es wird viel zu wenig darüber berichtet, was die Fans unternehmen, was die Verbände machen - und wenn, dann abseits des Mainstreams. Viele Themen finden keine Resonanz, also müssen wir unsere eigene Sichtbarkeit schaffen. So wie wir das zusammen mit dem DFB gemacht haben.

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