Rudi Völler: „Es wird ein harter Kampf für uns“

Vor vier Jahren bei der EURO 2000 in den Niederlanden und Belgien schied die deutsche Nationalmannschaft nach enttäuschenden Leistungen in der Vorrunde aus. Am Tag des Finales in Rotterdam wurde bei einem Treffen in Köln völlig überraschend Rudi Völler zum neuen Teamchef gekürt. Was zunächst eine Interimslösung sein sollte, wurde bald eine Entscheidung von langfristiger Dauer.

Gemeinsam mit Trainer Michael Skibbe hat Rudi Völler die DFB-Auswahl zum Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Korean und Japan geführt. Schon zuvor hatte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder mit beiden die Verträge zunächst einmal bis zum Ende der WM 2006 verlängert. DFB-Pressechef Harald Stenger unterhielt sich mit Teamchef Rudi Völler über die Prognosen für die EURO 2004 in Portugal und die Perspektiven danach.

Die Auslosung für die EURO 2004 bescherte der DFB-Auswahl harte Brocken für die Vorrunde. War der 29. November 2003 in Lissabon kein guter Tag für den deutschen Fußball?

Völler: Das möchte ich so nicht sagen. Jeder weiß, dass ich immer wieder darauf hinweise, wie eng heute auf internationaler Ebene alles beisammen liegt, so dass es die so genannten leichten Gegner nicht mehr gibt und oft Kleinigkeiten den Ausschlag geben. Ungeachtet dessen haben wir natürlich die schwerste Vorrunden-Gruppe erwischt, denn die Niederlande, Tschechien und auch Lettland, das immerhin den WM-Dritten Türkei ausgeschaltet hat, werden uns alles abverlangen. Es wird ein harter Kampf für uns und eine Garantie aufs Weiterkommen gibt es nicht. Aber wir werden uns so vorbereiten wie auf die WM 2002 und ich bin sicher, dass meine Mannschaft ihre Stärken abrufen wird. Egal, wann wir nach Hause fahren: Wichtig ist am Ende, dass wir uns keine Vorwürfe machen müssen und alles für den Erfolg getan haben.

Wer sind die Favoriten auf den Titelgewinn in Portugal?

Völler: Mein Topfavorit sind die Franzosen. Ich halte das Team heute für stärker als 1998, als es Weltmeister im eigenen Land wurde. Und auch bei der WM 2002 war die Equipe tricolore besser als vier Jahre zuvor, obwohl sie in Südkorea nach drei Spielen ohne einen Sieg und ein Tor vorzeitig ausgeschieden ist. Das ist jedoch gerade das Schöne und Faszinierende am Fußball: In der Formel 1 gewinnt der beste Fahrer im besten Auto, bei uns ist immer eine Überraschung drin und nicht alles ist logisch – deshalb wird es nie langweilig.

Wer kann Frankreich am ehesten Paroli bieten?

Völler: Der Kreis der Titelkandidaten ist größer als früher. Dazu gehören vor allem die Italiener und Niederländer, außerdem drei, vier weitere Mannschaften. Ich kann es nur noch einmal wiederholen: Wir werden alles dafür tun, um uns in Portugal gut zu präsentieren. Sicher gab es zuletzt einige Probleme, man muss jedoch aus allem Negativen etwas Positives ziehen und das ist für mich unter anderem die Erkenntnis, dass wir genügend Zeit haben, um an den Schwachpunkten zu arbeiten.

Die hohen Erwartungen der Fans nach dem Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft konnten nicht immer erfüllt werden ...

Völler: Obwohl nicht alles nach Wunsch lief, haben wir uns am Ende in unserer Qualifikations-Gruppe relativ souverän die Teilnahme an der EM-Endrunde gesichert. Das ist allein das, was zählt. Selbstverständlich wollen wir gern schönen und attraktiven Fußball spielen. Was hilft mir das aber, wenn nach 90 Minuten das Ergebnis nicht stimmt? Insgesamt bin ich mit der Entwicklung unserer Nationalmannschaft zufrieden, weil wir seit dem Herbst 2000 viele jüngere Spieler eingebaut haben. Es wird heute schnell vergessen, dass beispielsweise Christoph Metzelder, Torsten Frings und Miroslav Klose erst bei der WM 2002 den Durchbruch geschafft haben. Dieser Trend hat sich in der EM-Qualifikation und den Testspielen in diesem Jahr fortgesetzt, ich nenne da nur Namen wie Arne Friedrich, Paul Freier, Kevin Kuranyi, Andreas Hinkel, Philipp Lahm oder Fabian Ernst. Bei aller Freude über unsere Talente ist jedoch eins klar und unstrittig: Die Mischung muss stimmen, ohne Routiniers läuft nichts.

Da wären wir unter anderem bei Oliver Kahn und Michael Ballack. Überall ist zu lesen, dass sie die einzigen deutschen Weltklassespieler sind. Zugleich wurden gerade die beiden in diesem Jahr oft hart kritisiert ...

Völler: Oliver Kahn und Michael Ballack haben einen sehr hohen Stellenwert für unsere Mannschaft. Dennoch müssen sie mit Kritik leben, wenn sie mal eine schwächere Leistung zeigen. Die teils hämische Schelte oder überzogene Kritik verstehe ich allerdings nicht. Was Oliver Kahn bei der WM 2002 geleistet hat, spricht für sich. Genauso ist es bei Michael Ballack, der großartige Spiele im Nationaltrikot geliefert hat. Bei allem Respekt vor der Genialität eines Zinedine Zidane, mit dem er gern verglichen wird: Michael Ballack ist für mich wesentlich torgefährlicher als Zinedine Zidane. Deshalb ist er ein ganz anderer Spieler-Typ. Zusammen mit einem strategischen Denker wie Dietmar Hamann spielt Michael Ballack eine Schlüsselrolle in unserem Mittelfeld, wenn seine Qualitäten optimal genutzt werden.

Das Abschneiden der deutschen Vereine in dieser Saison in der Champions League und im UEFA-Pokal berechtigt trotzdem nicht zu übertriebenem Optimismus vor der EURO in Portugal ...

Völler: Auch das darf man nicht dramatisieren. In der Champions League haben sich Bayern München und der VfB Stuttgart eigentlich ganz gut geschlagen. Natürlich kann man im K. o.-System im Achtelfinale gegen starke Mannschaften wie Real Madrid oder den FC Chelsea ausscheiden – das ist keine Schande. Nur im UEFA-Pokal sind die deutschen Klubs stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben, da gibt es keine Ausreden. Von einer Krise kann jedoch aus meiner Sicht keine Rede sein. Vor gerade mal zwei Jahren standen immerhin Bayer Leverkusen im Finale der Champions League und Borussia Dortmund im Endspiel des UEFA-Pokals. Ähnliche Phasen wie wir jetzt, hatten auch schon andere Nationen – alles sind Momentaufnahmen. Gleichzeitig will ich nicht beschönigen, dass die Topklubs aus Italien, Spanien und England derzeit stärker als unsere Bundesligisten sind.

Nach dem erfolgreichen Start ins Länderspiel-Jahr 2004 mit den Siegen gegen Kroatien in Split und gegen Belgien in Köln war das 1:5 gegen Rumänien in Bukarest ebenfalls ein Ergebnis, das für große Diskussionen sorgte.

Völler: Es gibt keine Entschuldigung für diese schwache Leistung. Natürlich war auch ich wahnsinnig enttäuscht. Unser Selbstvertrauen haben wir da leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Aus diesem Auftritt muss jeder seine Konsequenzen ziehen, so etwas wird sich in Portugal nicht mehr wiederholen.

Zum Abschluss noch ein Blick nach vorne: In Deutschland reden viele seit langem von der Weltmeisterschaft im eigenen Land und fiebern ihr entgegen. Ist die EURO 2004 für die DFB-Auswahl insgeheim nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur WM 2006?

Völler: Nein. Wir wollen in Portugal ein gutes und erfolgreiches Turnier spielen. Dann ziehen wir Bilanz und nehmen die nächste Etappe in Angriff. Für ihre weiteren Perspektiven ist es natürlich enorm wichtig, dass viele jüngere Spieler in unserem Aufgebot stehen, aber sie sind bei der EURO 2004 deshalb dabei, weil sie es durch ihre aktuellen Leistungen verdient haben.

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[bild1]Vor vier Jahren bei der EURO 2000 in den Niederlanden und Belgien schied die deutsche Nationalmannschaft nach enttäuschenden Leistungen in der Vorrunde aus. Am Tag des Finales in Rotterdam wurde bei einem Treffen in Köln völlig überraschend Rudi Völler zum neuen Teamchef gekürt. Was zunächst eine Interimslösung sein sollte, wurde bald eine Entscheidung von langfristiger Dauer.



Gemeinsam mit Trainer Michael Skibbe hat Rudi Völler die DFB-Auswahl zum Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Korean und Japan geführt. Schon zuvor hatte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder mit beiden die Verträge zunächst einmal bis zum Ende der WM 2006 verlängert. DFB-Pressechef Harald Stenger unterhielt sich mit Teamchef Rudi Völler über die Prognosen für die EURO 2004 in Portugal und die Perspektiven danach.




Die Auslosung für die EURO 2004 bescherte der DFB-Auswahl harte Brocken für die Vorrunde. War der 29. November 2003 in Lissabon kein guter Tag für den deutschen Fußball?



Völler: Das möchte ich so nicht sagen. Jeder weiß, dass ich immer wieder darauf hinweise, wie eng heute auf internationaler Ebene alles beisammen liegt, so dass es die so genannten leichten Gegner nicht mehr gibt und oft Kleinigkeiten den Ausschlag geben. Ungeachtet dessen haben wir natürlich die schwerste Vorrunden-Gruppe erwischt, denn die Niederlande, Tschechien und auch Lettland, das immerhin den WM-Dritten Türkei ausgeschaltet hat, werden uns alles abverlangen. Es wird ein harter Kampf für uns und eine Garantie aufs Weiterkommen gibt es nicht. Aber wir werden uns so vorbereiten wie auf die WM 2002 und ich bin sicher, dass meine Mannschaft ihre Stärken abrufen wird. Egal, wann wir nach Hause fahren: Wichtig ist am Ende, dass wir uns keine Vorwürfe machen müssen und alles für den Erfolg getan haben.




Wer sind die Favoriten auf den Titelgewinn in Portugal?



Völler: Mein Topfavorit sind die Franzosen. Ich halte das Team heute für stärker als 1998, als es Weltmeister im eigenen Land wurde. Und auch bei der WM 2002 war die Equipe tricolore besser als vier Jahre zuvor, obwohl sie in Südkorea nach drei Spielen ohne einen Sieg und ein Tor vorzeitig ausgeschieden ist. Das ist jedoch gerade das Schöne und Faszinierende am Fußball: In der Formel 1 gewinnt der beste Fahrer im besten Auto, bei uns ist immer eine Überraschung drin und nicht alles ist logisch – deshalb wird es nie langweilig.




Wer kann Frankreich am ehesten Paroli bieten?



Völler: Der Kreis der Titelkandidaten ist größer als früher. Dazu gehören vor allem die Italiener und Niederländer, außerdem drei, vier weitere Mannschaften. Ich kann es nur noch einmal wiederholen: Wir werden alles dafür tun, um uns in Portugal gut zu präsentieren. Sicher gab es zuletzt einige Probleme, man muss jedoch aus allem Negativen etwas Positives ziehen und das ist für mich unter anderem die Erkenntnis, dass wir genügend Zeit haben, um an den Schwachpunkten zu arbeiten.




Die hohen Erwartungen der Fans nach dem Gewinn der Vize-Weltmeisterschaft konnten nicht immer erfüllt werden ...



Völler: Obwohl nicht alles nach Wunsch lief, haben wir uns am Ende in unserer Qualifikations-Gruppe relativ souverän die Teilnahme an der EM-Endrunde gesichert. Das ist allein das, was zählt. Selbstverständlich wollen wir gern schönen und attraktiven Fußball spielen. Was hilft mir das aber, wenn nach 90 Minuten das Ergebnis nicht stimmt? Insgesamt bin ich mit der Entwicklung unserer Nationalmannschaft zufrieden, weil wir seit dem Herbst 2000 viele jüngere Spieler eingebaut haben. Es wird heute schnell vergessen, dass beispielsweise Christoph Metzelder, Torsten Frings und Miroslav Klose erst bei der WM 2002 den Durchbruch geschafft haben. Dieser Trend hat sich in der EM-Qualifikation und den Testspielen in diesem Jahr fortgesetzt, ich nenne da nur Namen wie Arne Friedrich, Paul Freier, Kevin Kuranyi, Andreas Hinkel, Philipp Lahm oder Fabian Ernst. Bei aller Freude über unsere Talente ist jedoch eins klar und unstrittig: Die Mischung muss stimmen, ohne Routiniers läuft nichts.




Da wären wir unter anderem bei Oliver Kahn und Michael Ballack. Überall ist zu lesen, dass sie die einzigen deutschen Weltklassespieler sind. Zugleich wurden gerade die beiden in diesem Jahr oft hart kritisiert ...


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Völler: Oliver Kahn und Michael Ballack haben einen sehr hohen Stellenwert für unsere Mannschaft. Dennoch müssen sie mit Kritik leben, wenn sie mal eine schwächere Leistung zeigen. Die teils hämische Schelte oder überzogene Kritik verstehe ich allerdings nicht. Was Oliver Kahn bei der WM 2002 geleistet hat, spricht für sich. Genauso ist es bei Michael Ballack, der großartige Spiele im Nationaltrikot geliefert hat. Bei allem Respekt vor der Genialität eines Zinedine Zidane, mit dem er gern verglichen wird: Michael Ballack ist für mich wesentlich torgefährlicher als Zinedine Zidane. Deshalb ist er ein ganz anderer Spieler-Typ. Zusammen mit einem strategischen Denker wie Dietmar Hamann spielt Michael Ballack eine Schlüsselrolle in unserem Mittelfeld, wenn seine Qualitäten optimal genutzt werden.



Das Abschneiden der deutschen Vereine in dieser Saison in der Champions League und im UEFA-Pokal berechtigt trotzdem nicht zu übertriebenem Optimismus vor der EURO in Portugal ...



Völler: Auch das darf man nicht dramatisieren. In der Champions League haben sich Bayern München und der VfB Stuttgart eigentlich ganz gut geschlagen. Natürlich kann man im K. o.-System im Achtelfinale gegen starke Mannschaften wie Real Madrid oder den FC Chelsea ausscheiden – das ist keine Schande. Nur im UEFA-Pokal sind die deutschen Klubs stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben, da gibt es keine Ausreden. Von einer Krise kann jedoch aus meiner Sicht keine Rede sein. Vor gerade mal zwei Jahren standen immerhin Bayer Leverkusen im Finale der Champions League und Borussia Dortmund im Endspiel des UEFA-Pokals. Ähnliche Phasen wie wir jetzt, hatten auch schon andere Nationen – alles sind Momentaufnahmen. Gleichzeitig will ich nicht beschönigen, dass die Topklubs aus Italien, Spanien und England derzeit stärker als unsere Bundesligisten sind.



Nach dem erfolgreichen Start ins Länderspiel-Jahr 2004 mit den Siegen gegen Kroatien in Split und gegen Belgien in Köln war das 1:5 gegen Rumänien in Bukarest ebenfalls ein Ergebnis, das für große Diskussionen sorgte.



Völler: Es gibt keine Entschuldigung für diese schwache Leistung. Natürlich war auch ich wahnsinnig enttäuscht. Unser Selbstvertrauen haben wir da leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Aus diesem Auftritt muss jeder seine Konsequenzen ziehen, so etwas wird sich in Portugal nicht mehr wiederholen.



Zum Abschluss noch ein Blick nach vorne: In Deutschland reden viele seit langem von der Weltmeisterschaft im eigenen Land und fiebern ihr entgegen. Ist die EURO 2004 für die DFB-Auswahl insgeheim nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur WM 2006?



Völler: Nein. Wir wollen in Portugal ein gutes und erfolgreiches Turnier spielen. Dann ziehen wir Bilanz und nehmen die nächste Etappe in Angriff. Für ihre weiteren Perspektiven ist es natürlich enorm wichtig, dass viele jüngere Spieler in unserem Aufgebot stehen, aber sie sind bei der EURO 2004 deshalb dabei, weil sie es durch ihre aktuellen Leistungen verdient haben.