Riem Hussein: Die Spitzenschiedsrichterin

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: FIFA-Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein, die ihre fußballerische Laufbahn als Vollblutstürmerin begann.

Von der Vollblutstürmerin, die in der Saison 2004/2005 für den Zweitligisten MTV Wolfenbüttel noch 18 Tore schoss, zur Weltklasseschiedsrichterin. Die sportliche Laufbahn der 39 Jahre alten FIFA-Schiedsrichterin Riem Hussein ist vielseitig, erzählt von Leidenschaft, Ehrgeiz, wichtigen Entscheidungen und vor allem von großen Erfolgen.

Steile Karriere

Als Riem Hussein ihre ersten Gehversuche im Fußball machte, war sie fünf Jahre alt und der Frauenfußball in Deutschland gerade erst 15 Jahre jung. Doch es war schon viel erreicht, um als kleines Mädchen dem Ball unbeschwert und voller Freude nachjagen zu können. Samstags mit den Jungs von der TSG Bad Harzburg kicken und sonntags für den Leichtathletikverein Crossläufe bestreiten. Bei Familie Hussein ging es sehr sportlich zu, unterstützt von den Eltern, die Riem und ihre Geschwister stets zum Training, Spiel oder Wettkampf begleiteten. So ging es bis zum 20. Lebensjahr. Doch da war es längst nicht mehr das Kleinfeld in der Kreisliga, sondern die 2. Frauen-Bundesliga und schließlich das Vertragsangebot vom VfL Wolfsburg, für das Erstligateam in der damals stärksten Frauenfußballliga Europas. Traum erfüllt!? Hussein sagte dem damaligen Trainer Bernd Huneke ab und entschied sich für die Schiedsrichterlaufbahn, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. Keine leichte, aber dafür wegweisende Entscheidung. Ein Kreuzbandriss und eine Schulterverletzung ließen gesundheitlich keine vielversprechenden Prognosen in diesem Leistungssport zu und das Fieber, gute und richtige Entscheidungen auf dem Spielfeld treffen zu wollen, hatte sie längst gepackt.

Es folgte eine sagenhafte steile Karriere: 2005 Aufstieg in die 2. Bundesliga, die die gebürtige Bad Harzburgerin bereits nach einer Saison Richtung Frauen-Bundesliga hinter sich ließ. 2009 die Nominierung zur FIFA-Schiedsrichterin. 2010 leitete Hussein das erste eigenständige DFB-Pokalfinale der Frauen in Köln und ging damit in die Geschichtsbücher ein. Es folgten Teilnahmen an FIFA-Nachwuchs-Weltmeisterschaften und die Frauen-EM 2017, womit sie als Unparteiische endgültig in der Weltspitze angekommen war. Die vorläufige Krönung war die Berufung als Schiedsrichterin zur FIFA Frauen-WM 2019 in Frankreich, was sie als Spielerin nach eigenen Aussagen nie geschafft hätte. Alles erreicht? "Nein, es gibt noch einiges zu erreichen. Ziele sind der Motor, immer wieder Höchstleistungen abrufen zu können", erklärt die 39-Jährige, die auf einen Einsatz bei den Olympischen Spielen in Japan hofft. Das wäre für sie nicht nur eine sportliche Herausforderung als Referee, sondern auch die Erfüllung eines Kindheitstraum aus der Zeit als Leichtathletin.

Frauen-Bundesliga als Herzensangelegenheit

In Deutschland verlaufen die Karrieren weiblicher Spitzenreferees jedoch nicht eindimensional. Jede Schiedsrichterin muss eine Mindestqualifikation im Männerfußball nachweisen, um sich für den DFB-Bereich empfehlen zu können. Während die Kolleginnen der Frauen-Bundesliga Männerspiele in den Ober- und Regionalligen pfeifen, ist Riem Hussein seit 2015 in der 3. Liga aktiv. Damit war sie nach Bibiana Steinhaus (Bundesliga) die zweite Frau in Deutschland, die den Sprung in den Profifußball geschafft hat. Bei allem Stolz, sich auch bei den Männern bis nach oben durchgesetzt zu haben, ist es ihr immer noch wichtig, Spiele in der Frauen-Bundesliga zu bestreiten. Eine Herzensangelegenheit, denn dort kommt sie her und fühlt sich zu Hause.

Überhaupt hat die promovierte Apothekerin, die mit ihren Geschwistern einen Familienbetrieb in Bad Harzburg führt, ihre Herkunft und Wurzeln nie vergessen. Sofern es ihre Zeit zulässt, folgt sie gerne Einladungen ihres Kreis- und Landesverbandes, um Vorträge zu halten oder einfach nur Kontakt zu alten Mitstreitern zu halten. Als herausragendes Vorbild hat sie sich dabei selbst nie gesehen, aber ist sich ihrer Rolle dennoch bewusst. Bodenständigkeit, Freundlichkeit, Offenheit und Hilfsbereitschaft sind Riems Merkmale im Umgang mit anderen Menschen. Ihre Vorbildrolle hat sie vor allem in ihren eigenen Teams aktiv gelebt, indem sie ihre Assistentinnen gefordert, gefördert und beraten hat. Drei von ihnen haben es im Laufe der Zeit als Schiedsrichterin bis in die Frauen-Bundesliga geschafft. Sie ist froh, den Frauenfußball und das Schiedsrichterinnenwesen in Deutschland auf ihre Weise damit ein Stück weit mitgestaltet zu haben. Und welche Visionen hat sie für die Zukunft?

Groß denken ist Teil des Erfolgsrezeptes

Husseins FIFA-Chefin Kari Seitz hatte im American Style vor der Frauen-WM 2019 immer wieder dazu aufgefordert, fest daran zu glauben, bei dieser WM als Referee dabei sein zu wollen. Erst hatte sie das innerlich etwas belächelt, doch irgendwann konnte Riem die Vorstellungskraft entwickeln und der Traum wurde wahr.

Groß denken ist auch Teil des Erfolgsrezeptes und deshalb wünscht sie sich für den Frauenfußball hierzulande noch viel mehr Begeisterung, volle Stadien und ein höheres Medieninteresse, vielleicht sogar eine eigene Sportschau. Weg vom ständigen Vergleich mit den Männern. Mehr Selbstbewusstsein bei den Spielerinnen und Vereinen, ein gutes Produkt abliefern zu können. Eine noch breitere Basis, die es jedem Mädchen, egal welcher Herkunft und Religion, ermöglicht, ihre Leidenschaft Fußball ausleben zu können. "Und wer darin für sich keine Perspektiven sieht oder durch Verletzungen ausgebremst wird, könnte ja Schiedsrichterin werden. Es lohnt sich!", appelliert Riem Hussein an alle Fußballspielerinnen.

[ak]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: FIFA-Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein, die ihre fußballerische Laufbahn als Vollblutstürmerin begann.

Von der Vollblutstürmerin, die in der Saison 2004/2005 für den Zweitligisten MTV Wolfenbüttel noch 18 Tore schoss, zur Weltklasseschiedsrichterin. Die sportliche Laufbahn der 39 Jahre alten FIFA-Schiedsrichterin Riem Hussein ist vielseitig, erzählt von Leidenschaft, Ehrgeiz, wichtigen Entscheidungen und vor allem von großen Erfolgen.

Steile Karriere

Als Riem Hussein ihre ersten Gehversuche im Fußball machte, war sie fünf Jahre alt und der Frauenfußball in Deutschland gerade erst 15 Jahre jung. Doch es war schon viel erreicht, um als kleines Mädchen dem Ball unbeschwert und voller Freude nachjagen zu können. Samstags mit den Jungs von der TSG Bad Harzburg kicken und sonntags für den Leichtathletikverein Crossläufe bestreiten. Bei Familie Hussein ging es sehr sportlich zu, unterstützt von den Eltern, die Riem und ihre Geschwister stets zum Training, Spiel oder Wettkampf begleiteten. So ging es bis zum 20. Lebensjahr. Doch da war es längst nicht mehr das Kleinfeld in der Kreisliga, sondern die 2. Frauen-Bundesliga und schließlich das Vertragsangebot vom VfL Wolfsburg, für das Erstligateam in der damals stärksten Frauenfußballliga Europas. Traum erfüllt!? Hussein sagte dem damaligen Trainer Bernd Huneke ab und entschied sich für die Schiedsrichterlaufbahn, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. Keine leichte, aber dafür wegweisende Entscheidung. Ein Kreuzbandriss und eine Schulterverletzung ließen gesundheitlich keine vielversprechenden Prognosen in diesem Leistungssport zu und das Fieber, gute und richtige Entscheidungen auf dem Spielfeld treffen zu wollen, hatte sie längst gepackt.

Es folgte eine sagenhafte steile Karriere: 2005 Aufstieg in die 2. Bundesliga, die die gebürtige Bad Harzburgerin bereits nach einer Saison Richtung Frauen-Bundesliga hinter sich ließ. 2009 die Nominierung zur FIFA-Schiedsrichterin. 2010 leitete Hussein das erste eigenständige DFB-Pokalfinale der Frauen in Köln und ging damit in die Geschichtsbücher ein. Es folgten Teilnahmen an FIFA-Nachwuchs-Weltmeisterschaften und die Frauen-EM 2017, womit sie als Unparteiische endgültig in der Weltspitze angekommen war. Die vorläufige Krönung war die Berufung als Schiedsrichterin zur FIFA Frauen-WM 2019 in Frankreich, was sie als Spielerin nach eigenen Aussagen nie geschafft hätte. Alles erreicht? "Nein, es gibt noch einiges zu erreichen. Ziele sind der Motor, immer wieder Höchstleistungen abrufen zu können", erklärt die 39-Jährige, die auf einen Einsatz bei den Olympischen Spielen in Japan hofft. Das wäre für sie nicht nur eine sportliche Herausforderung als Referee, sondern auch die Erfüllung eines Kindheitstraum aus der Zeit als Leichtathletin.

Frauen-Bundesliga als Herzensangelegenheit

In Deutschland verlaufen die Karrieren weiblicher Spitzenreferees jedoch nicht eindimensional. Jede Schiedsrichterin muss eine Mindestqualifikation im Männerfußball nachweisen, um sich für den DFB-Bereich empfehlen zu können. Während die Kolleginnen der Frauen-Bundesliga Männerspiele in den Ober- und Regionalligen pfeifen, ist Riem Hussein seit 2015 in der 3. Liga aktiv. Damit war sie nach Bibiana Steinhaus (Bundesliga) die zweite Frau in Deutschland, die den Sprung in den Profifußball geschafft hat. Bei allem Stolz, sich auch bei den Männern bis nach oben durchgesetzt zu haben, ist es ihr immer noch wichtig, Spiele in der Frauen-Bundesliga zu bestreiten. Eine Herzensangelegenheit, denn dort kommt sie her und fühlt sich zu Hause.

Überhaupt hat die promovierte Apothekerin, die mit ihren Geschwistern einen Familienbetrieb in Bad Harzburg führt, ihre Herkunft und Wurzeln nie vergessen. Sofern es ihre Zeit zulässt, folgt sie gerne Einladungen ihres Kreis- und Landesverbandes, um Vorträge zu halten oder einfach nur Kontakt zu alten Mitstreitern zu halten. Als herausragendes Vorbild hat sie sich dabei selbst nie gesehen, aber ist sich ihrer Rolle dennoch bewusst. Bodenständigkeit, Freundlichkeit, Offenheit und Hilfsbereitschaft sind Riems Merkmale im Umgang mit anderen Menschen. Ihre Vorbildrolle hat sie vor allem in ihren eigenen Teams aktiv gelebt, indem sie ihre Assistentinnen gefordert, gefördert und beraten hat. Drei von ihnen haben es im Laufe der Zeit als Schiedsrichterin bis in die Frauen-Bundesliga geschafft. Sie ist froh, den Frauenfußball und das Schiedsrichterinnenwesen in Deutschland auf ihre Weise damit ein Stück weit mitgestaltet zu haben. Und welche Visionen hat sie für die Zukunft?

Groß denken ist Teil des Erfolgsrezeptes

Husseins FIFA-Chefin Kari Seitz hatte im American Style vor der Frauen-WM 2019 immer wieder dazu aufgefordert, fest daran zu glauben, bei dieser WM als Referee dabei sein zu wollen. Erst hatte sie das innerlich etwas belächelt, doch irgendwann konnte Riem die Vorstellungskraft entwickeln und der Traum wurde wahr.

Groß denken ist auch Teil des Erfolgsrezeptes und deshalb wünscht sie sich für den Frauenfußball hierzulande noch viel mehr Begeisterung, volle Stadien und ein höheres Medieninteresse, vielleicht sogar eine eigene Sportschau. Weg vom ständigen Vergleich mit den Männern. Mehr Selbstbewusstsein bei den Spielerinnen und Vereinen, ein gutes Produkt abliefern zu können. Eine noch breitere Basis, die es jedem Mädchen, egal welcher Herkunft und Religion, ermöglicht, ihre Leidenschaft Fußball ausleben zu können. "Und wer darin für sich keine Perspektiven sieht oder durch Verletzungen ausgebremst wird, könnte ja Schiedsrichterin werden. Es lohnt sich!", appelliert Riem Hussein an alle Fußballspielerinnen.

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