Rettig: "Der Verantwortung gerecht werden"

Wenn Andreas Rettig zum 1. Juni 2021 offiziell sein neues Amt als Vorsitzender der Geschäftsführung beim Drittligisten FC Viktoria Köln antritt, dann bringt er jede Menge Erfahrung aus der Bundesliga und 2. Bundesliga sowie von seiner DFL-Tätigkeit (2013 bis 2015) mit. Der 58 Jahre alte gebürtige Leverkusener Rettig spricht im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Ralf Debat über seine neue Aufgabe.

DFB.de: Mit Ihrer Vorstellung als künftiger Vorsitzender der Geschäftsführung löste die Viktoria ein bundesweites Echo aus. Wie sind die Reaktionen in Ihrem persönlichen Umfeld auf Ihren neuen Job ausgefallen, Herr Rettig?

Andreas Rettig: Ausnahmslos positiv. Viele hatten gar nicht mehr auf dem Schirm, dass ich Mitte der 1980er-Jahre selbst mal für die Viktoria in der damals höchsten Amateurliga gespielt hatte. Scheinbar haben meine bescheidenen fußballerischen Leistungen keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. (lacht)

DFB.de: Der Verein hatte sich schon seit einiger Zeit um Sie bemüht. Was hat jetzt den Ausschlag für Ihre Zusage gegeben?

Rettig: Der Standort war sicherlich ein sehr wichtiger Faktor und ein gutes Argument, da meine Frau Cordula und ich entschieden haben, nicht mehr umziehen zu wollen. Eine entscheidende Rolle hatten dabei aber vor allem die handelnden Personen im Verein. Mit Sportvorstand Franz Wunderlich habe ich noch selbst bei der Viktoria zusammengespielt. Vereinsmäzen Franz-Josef Wernze kenne und schätze ich ebenfalls seit vielen Jahren. Die Aussicht, mit den Kollegen bei der Viktoria etwas gestalten zu können, ist sehr attraktiv.

DFB.de: War der inzwischen gesicherte Verbleib in der 3. Liga für die Aufnahme Ihrer Tätigkeit eine Voraussetzung?

Rettig: Ja, durchaus. Es war auf jeden Fall wichtig, in der Klasse zu bleiben. Gerade mein Lieblingsverein Rot-Weiss Essen weiß, wie schwer der Weg aus der Regionalliga zurück in den Profifußball ist.

DFB.de: Die Zusammenarbeit wurde zunächst für vier Jahre fixiert. Welche Zielstellung oder Erwartungshaltung ist damit verbunden? Was nehmen Sie sich vor?

Rettig: Selbstverständlich wollen wir als Fußballverein möglichst viele Spiele gewinnen. Das ist aber nur ein Teil unserer Aufgabe. Eine Branche, die durch und mit der Öffentlichkeit ihr Geld verdient, benötigt unbedingt gesellschaftliche Akzeptanz. Es ist kein Geheimnis, dass diese Akzeptanz in Bezug auf den Profifußball schon seit einigen Jahren schwindet. Hier müssen wir alle gegensteuern. Wir wissen, dass wir nicht die Welt verändern können. Als Viktoria Köln können und wollen wir aber zumindest einen regionalen Beitrag leisten und unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.

DFB.de: Sie sprachen davon, "sportlichen Erfolg anzustreben, aber nicht um jeden Preis". Wie genau ist diese Formulierung zu verstehen?

Rettig: Für wirtschaftliche Vernunft gibt es keinen Ersatz. Nach dem 38. Spieltag einer Saison gibt es in jedem Jahr auch wieder einen 1. Spieltag der kommenden Spielzeit. Das wird oft vergessen. Es gibt nicht wenige Entscheider, die ihre Grundsätze über Bord werfen, wenn es sportlich nicht läuft und die Saisonziele in Gefahr geraten. Dann steigt die Bereitschaft, auch unkalkulierbare Risiken einzugehen, ohne mögliche Folgen ausreichend in den Blick zu nehmen. Eine solche Hasardeur-Mentalität ist mir fremd.

DFB.de: Zu Ihrer eigenen aktiven Zeit bei der Viktoria in der damals noch drittklassigen Oberliga Nordrhein war der Verein von der 2. Bundesliga nicht weit entfernt. Wie würden Sie aktuell den Abstand - sportlich, aber auch infrastrukturell - einschätzen?

Rettig: Die Rahmenbedingungen sind nicht mehr vergleichbar. In dieser Hinsicht hat sich sehr viel zum Positiven verändert. Dennoch gehört auch zur Wahrheit, dass wir im Vergleich mit den Topklubs der 3. Liga noch einigen Nachholbedarf haben. Da laufen wir schon noch hinterher. Das ist aber auch allen Verantwortlichen bewusst.

DFB.de: Beim FC St. Pauli waren Sie zuletzt von 2015 bis 2019 als kaufmännischer Geschäftsführer tätig. War es Ihr Wunsch, sich wieder mehr im sportlichen Bereich zu engagieren, wo bei Ihren früheren Bundesligastationen beim SC Freiburg, 1. FC Köln oder auch beim FC Augsburg eher Ihr Schwerpunkt lag?

Rettig: Grundsätzlich sehe ich mich - in Zusammenarbeit mit meinen beiden Geschäftsführer-Kollegen Eric Bock und Axel Freisewinkel - in der Gesamtverantwortung. Es ist aber klar, dass der Sport dabei eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle einnimmt. In diesem Bereich wird das meiste Geld verdient - oder verbrannt. Genau das gilt es zu verhindern und eine nachhaltige Vereinspolitik zu betreiben.

DFB.de: Die Viktoria hat den Nachbarn Fortuna in den vergangenen Jahren als Nummer zwei in der Stadt abgelöst. Wie bewerten Sie das Verhältnis zum Nachbarn?

Rettig: Ich weiß natürlich um die Rivalität der beiden Klubs und vor allem der verschiedenen Fangruppierungen. Persönlich habe ich aber durchaus auch Sympathien für die Fortuna. Ich werde mich auf jeden Fall für eine gesunde Konkurrenz und gute Nachbarschaft einsetzen.

DFB.de: Sportlich könnte der Abstand zum 1. FC Köln in der kommenden Saison nur noch eine Spielklasse sein. Wie sehr drücken Sie Ihrem Ex-Klub im Abstiegskampf der Bundesliga dennoch die Daumen?

Rettig: Der Verein heißt nicht von ungefähr 1. FC Köln. Es ist der erste Fußballklub in der Stadt - und wird es auch bleiben. Von daher drücke ich dem FC selbstverständlich die Daumen, dass er in der Bundesliga bleibt. Das wäre auch für die Sportstadt Köln wichtig.

DFB.de: Viele ambitionierte Vereine tun sich in der 3. Liga offenbar schwer, nur das auszugeben, was sie auch einnehmen. Sie betonten dagegen direkt bei allen sportlichen Zielen die notwendige "wirtschaftliche Vernunft". Bleibt die Viktoria also eher bescheiden?

Rettig: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie betreffen alle Klubs, also auch uns. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise zwar bei den Finanzverantwortlichen der Vereine angekommen, zu einigen Sportchefs aber noch nicht ganz durchgedrungen sind. Wir werden auf jeden Fall darauf achten, die Ausgaben den - zuletzt ohne Zweifel gesunkenen - Einnahmen entsprechend anzupassen.

DFB.de: Der Aufstieg der Viktoria aus der 5. bis in die 3. Liga war allerdings auch eng mit den großzügigen Investitionen von Hauptsponsor Franz-Josef Wernze verbunden. Muss der Verein finanziell auf eine breitere Basis gestellt werden?

Rettig: Das ist ein Punkt, an dem wir definitiv arbeiten. Als erfolgreicher Unternehmer weiß gerade Franz-Josef Wernze nur zu gut, wie wichtig Nachfolgeregelungen sind. Eine gute Managementqualität zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, Strukturen und Organisationen zu schaffen, die unabhängig von Personen funktionieren.

DFB.de: Werden Sie auch ein besonderes Augenmerk auf die Nachwuchsarbeit richten, um die Durchlässigkeit nach oben noch weiter zu erhöhen? Wie gut sehen Sie den Verein da schon aufgestellt?

Rettig: Die Nachwuchsarbeit liegt mir allein schon aufgrund meiner Vita als langjähriger Verantwortlicher von Bayer 04 Leverkusen für den Juniorenbereich sowie als früherer Vorsitzender der DFB- und DFL-Kommission Leistungszentren ganz besonders am Herzen. Das war auch bei meinen früheren Stationen nicht anders. Bei der Viktoria wird nach meinem Eindruck in diesem Bereich schon gut gearbeitet, wie beispielsweise der aus dem eigenen Nachwuchs aufgerückte Kai Klefisch, der sich bereits zum Leistungsträger entwickelt hat, oder die aktuell leider verletzten Dario de Vita und Alexander Höck belegen. Luft nach oben gibt es aber immer.

DFB.de: Eine wichtige Rolle spielen bei der Viktoria auch Themen wie der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung oder der Einsatz für die Schwächeren der Gesellschaft wie etwa Menschen mit Handicap. Welche Aspekte sind Ihnen besonders wichtig?

Rettig: Das Thema "ESG" mit den drei Säulen "Environment", zu dem vor allem der Klima- und Umweltschutz gehört, "Social", das für gesellschaftliches Engagement steht, und "Governance" für eine gute Unternehmensführung wird in unserem Klub eine bedeutsame Rolle spielen. Damit wollen wir die gesellschaftliche Akzeptanz des Profifußballs ein Stück weit positiv beeinflussen. Deshalb werden wir künftig unter anderem auch bei allen Spielern sowie den Verantwortlichen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle eine "Gemeinwohl-Klausel" in die Arbeitsverträge integrieren. In dieser Hinsicht werden wir sicher Pionierarbeit leisten.

DFB.de: Was genau wird in der Klausel stehen?

Rettig: Wir werden verbindlich regeln, dass sich die Spieler im Laufe eines Vertragsjahres sozial zu engagieren haben. Jedem steht es dabei frei, für welche Aktionen er sich entscheidet, was genau er umsetzen möchte. Wir werden dazu von Vereinsseite aber auch Vorschläge machen. Das kann das Blutspenden sein, die Betreuung älterer Menschen oder Besuche in Kinderheimen und Kitas. Zahlreiche weitere Dinge sind denkbar.

DFB.de: Gehen Sie selbst mit gutem Beispiel voran?

Rettig: Selbstredend werde ich mich an den sozialen Projekten des Vereins beteiligen. Vor allem aber möchte ich vorangehen, was die Unternehmensführung betrifft, zumal ich mich als Mitglied der Arbeitsgruppe "Sports Governance Kommission" mit einem entsprechenden Kodex intensiv beschäftigt habe. So sind beispielsweise in meinem jetzigen Arbeitsvertrag bei der Viktoria mögliche Prämien nicht nur an das Erreichen von sportlichen Ambitionen, sondern auch an klar formulierte Nachhaltigkeitsziele geknüpft.

DFB.de: Die 3. Liga hatten Sie bisher nur aus der Distanz beobachtet. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Rettig: Da bleibe ich Sportler: Auf möglichst viele Siege im Sportpark Höhenberg.

[mspw]

Wenn Andreas Rettig zum 1. Juni 2021 offiziell sein neues Amt als Vorsitzender der Geschäftsführung beim Drittligisten FC Viktoria Köln antritt, dann bringt er jede Menge Erfahrung aus der Bundesliga und 2. Bundesliga sowie von seiner DFL-Tätigkeit (2013 bis 2015) mit. Der 58 Jahre alte gebürtige Leverkusener Rettig spricht im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Ralf Debat über seine neue Aufgabe.

DFB.de: Mit Ihrer Vorstellung als künftiger Vorsitzender der Geschäftsführung löste die Viktoria ein bundesweites Echo aus. Wie sind die Reaktionen in Ihrem persönlichen Umfeld auf Ihren neuen Job ausgefallen, Herr Rettig?

Andreas Rettig: Ausnahmslos positiv. Viele hatten gar nicht mehr auf dem Schirm, dass ich Mitte der 1980er-Jahre selbst mal für die Viktoria in der damals höchsten Amateurliga gespielt hatte. Scheinbar haben meine bescheidenen fußballerischen Leistungen keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. (lacht)

DFB.de: Der Verein hatte sich schon seit einiger Zeit um Sie bemüht. Was hat jetzt den Ausschlag für Ihre Zusage gegeben?

Rettig: Der Standort war sicherlich ein sehr wichtiger Faktor und ein gutes Argument, da meine Frau Cordula und ich entschieden haben, nicht mehr umziehen zu wollen. Eine entscheidende Rolle hatten dabei aber vor allem die handelnden Personen im Verein. Mit Sportvorstand Franz Wunderlich habe ich noch selbst bei der Viktoria zusammengespielt. Vereinsmäzen Franz-Josef Wernze kenne und schätze ich ebenfalls seit vielen Jahren. Die Aussicht, mit den Kollegen bei der Viktoria etwas gestalten zu können, ist sehr attraktiv.

DFB.de: War der inzwischen gesicherte Verbleib in der 3. Liga für die Aufnahme Ihrer Tätigkeit eine Voraussetzung?

Rettig: Ja, durchaus. Es war auf jeden Fall wichtig, in der Klasse zu bleiben. Gerade mein Lieblingsverein Rot-Weiss Essen weiß, wie schwer der Weg aus der Regionalliga zurück in den Profifußball ist.

DFB.de: Die Zusammenarbeit wurde zunächst für vier Jahre fixiert. Welche Zielstellung oder Erwartungshaltung ist damit verbunden? Was nehmen Sie sich vor?

Rettig: Selbstverständlich wollen wir als Fußballverein möglichst viele Spiele gewinnen. Das ist aber nur ein Teil unserer Aufgabe. Eine Branche, die durch und mit der Öffentlichkeit ihr Geld verdient, benötigt unbedingt gesellschaftliche Akzeptanz. Es ist kein Geheimnis, dass diese Akzeptanz in Bezug auf den Profifußball schon seit einigen Jahren schwindet. Hier müssen wir alle gegensteuern. Wir wissen, dass wir nicht die Welt verändern können. Als Viktoria Köln können und wollen wir aber zumindest einen regionalen Beitrag leisten und unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.

DFB.de: Sie sprachen davon, "sportlichen Erfolg anzustreben, aber nicht um jeden Preis". Wie genau ist diese Formulierung zu verstehen?

Rettig: Für wirtschaftliche Vernunft gibt es keinen Ersatz. Nach dem 38. Spieltag einer Saison gibt es in jedem Jahr auch wieder einen 1. Spieltag der kommenden Spielzeit. Das wird oft vergessen. Es gibt nicht wenige Entscheider, die ihre Grundsätze über Bord werfen, wenn es sportlich nicht läuft und die Saisonziele in Gefahr geraten. Dann steigt die Bereitschaft, auch unkalkulierbare Risiken einzugehen, ohne mögliche Folgen ausreichend in den Blick zu nehmen. Eine solche Hasardeur-Mentalität ist mir fremd.

DFB.de: Zu Ihrer eigenen aktiven Zeit bei der Viktoria in der damals noch drittklassigen Oberliga Nordrhein war der Verein von der 2. Bundesliga nicht weit entfernt. Wie würden Sie aktuell den Abstand - sportlich, aber auch infrastrukturell - einschätzen?

Rettig: Die Rahmenbedingungen sind nicht mehr vergleichbar. In dieser Hinsicht hat sich sehr viel zum Positiven verändert. Dennoch gehört auch zur Wahrheit, dass wir im Vergleich mit den Topklubs der 3. Liga noch einigen Nachholbedarf haben. Da laufen wir schon noch hinterher. Das ist aber auch allen Verantwortlichen bewusst.

DFB.de: Beim FC St. Pauli waren Sie zuletzt von 2015 bis 2019 als kaufmännischer Geschäftsführer tätig. War es Ihr Wunsch, sich wieder mehr im sportlichen Bereich zu engagieren, wo bei Ihren früheren Bundesligastationen beim SC Freiburg, 1. FC Köln oder auch beim FC Augsburg eher Ihr Schwerpunkt lag?

Rettig: Grundsätzlich sehe ich mich - in Zusammenarbeit mit meinen beiden Geschäftsführer-Kollegen Eric Bock und Axel Freisewinkel - in der Gesamtverantwortung. Es ist aber klar, dass der Sport dabei eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle einnimmt. In diesem Bereich wird das meiste Geld verdient - oder verbrannt. Genau das gilt es zu verhindern und eine nachhaltige Vereinspolitik zu betreiben.

DFB.de: Die Viktoria hat den Nachbarn Fortuna in den vergangenen Jahren als Nummer zwei in der Stadt abgelöst. Wie bewerten Sie das Verhältnis zum Nachbarn?

Rettig: Ich weiß natürlich um die Rivalität der beiden Klubs und vor allem der verschiedenen Fangruppierungen. Persönlich habe ich aber durchaus auch Sympathien für die Fortuna. Ich werde mich auf jeden Fall für eine gesunde Konkurrenz und gute Nachbarschaft einsetzen.

DFB.de: Sportlich könnte der Abstand zum 1. FC Köln in der kommenden Saison nur noch eine Spielklasse sein. Wie sehr drücken Sie Ihrem Ex-Klub im Abstiegskampf der Bundesliga dennoch die Daumen?

Rettig: Der Verein heißt nicht von ungefähr 1. FC Köln. Es ist der erste Fußballklub in der Stadt - und wird es auch bleiben. Von daher drücke ich dem FC selbstverständlich die Daumen, dass er in der Bundesliga bleibt. Das wäre auch für die Sportstadt Köln wichtig.

DFB.de: Viele ambitionierte Vereine tun sich in der 3. Liga offenbar schwer, nur das auszugeben, was sie auch einnehmen. Sie betonten dagegen direkt bei allen sportlichen Zielen die notwendige "wirtschaftliche Vernunft". Bleibt die Viktoria also eher bescheiden?

Rettig: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie betreffen alle Klubs, also auch uns. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise zwar bei den Finanzverantwortlichen der Vereine angekommen, zu einigen Sportchefs aber noch nicht ganz durchgedrungen sind. Wir werden auf jeden Fall darauf achten, die Ausgaben den - zuletzt ohne Zweifel gesunkenen - Einnahmen entsprechend anzupassen.

DFB.de: Der Aufstieg der Viktoria aus der 5. bis in die 3. Liga war allerdings auch eng mit den großzügigen Investitionen von Hauptsponsor Franz-Josef Wernze verbunden. Muss der Verein finanziell auf eine breitere Basis gestellt werden?

Rettig: Das ist ein Punkt, an dem wir definitiv arbeiten. Als erfolgreicher Unternehmer weiß gerade Franz-Josef Wernze nur zu gut, wie wichtig Nachfolgeregelungen sind. Eine gute Managementqualität zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, Strukturen und Organisationen zu schaffen, die unabhängig von Personen funktionieren.

DFB.de: Werden Sie auch ein besonderes Augenmerk auf die Nachwuchsarbeit richten, um die Durchlässigkeit nach oben noch weiter zu erhöhen? Wie gut sehen Sie den Verein da schon aufgestellt?

Rettig: Die Nachwuchsarbeit liegt mir allein schon aufgrund meiner Vita als langjähriger Verantwortlicher von Bayer 04 Leverkusen für den Juniorenbereich sowie als früherer Vorsitzender der DFB- und DFL-Kommission Leistungszentren ganz besonders am Herzen. Das war auch bei meinen früheren Stationen nicht anders. Bei der Viktoria wird nach meinem Eindruck in diesem Bereich schon gut gearbeitet, wie beispielsweise der aus dem eigenen Nachwuchs aufgerückte Kai Klefisch, der sich bereits zum Leistungsträger entwickelt hat, oder die aktuell leider verletzten Dario de Vita und Alexander Höck belegen. Luft nach oben gibt es aber immer.

DFB.de: Eine wichtige Rolle spielen bei der Viktoria auch Themen wie der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung oder der Einsatz für die Schwächeren der Gesellschaft wie etwa Menschen mit Handicap. Welche Aspekte sind Ihnen besonders wichtig?

Rettig: Das Thema "ESG" mit den drei Säulen "Environment", zu dem vor allem der Klima- und Umweltschutz gehört, "Social", das für gesellschaftliches Engagement steht, und "Governance" für eine gute Unternehmensführung wird in unserem Klub eine bedeutsame Rolle spielen. Damit wollen wir die gesellschaftliche Akzeptanz des Profifußballs ein Stück weit positiv beeinflussen. Deshalb werden wir künftig unter anderem auch bei allen Spielern sowie den Verantwortlichen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle eine "Gemeinwohl-Klausel" in die Arbeitsverträge integrieren. In dieser Hinsicht werden wir sicher Pionierarbeit leisten.

DFB.de: Was genau wird in der Klausel stehen?

Rettig: Wir werden verbindlich regeln, dass sich die Spieler im Laufe eines Vertragsjahres sozial zu engagieren haben. Jedem steht es dabei frei, für welche Aktionen er sich entscheidet, was genau er umsetzen möchte. Wir werden dazu von Vereinsseite aber auch Vorschläge machen. Das kann das Blutspenden sein, die Betreuung älterer Menschen oder Besuche in Kinderheimen und Kitas. Zahlreiche weitere Dinge sind denkbar.

DFB.de: Gehen Sie selbst mit gutem Beispiel voran?

Rettig: Selbstredend werde ich mich an den sozialen Projekten des Vereins beteiligen. Vor allem aber möchte ich vorangehen, was die Unternehmensführung betrifft, zumal ich mich als Mitglied der Arbeitsgruppe "Sports Governance Kommission" mit einem entsprechenden Kodex intensiv beschäftigt habe. So sind beispielsweise in meinem jetzigen Arbeitsvertrag bei der Viktoria mögliche Prämien nicht nur an das Erreichen von sportlichen Ambitionen, sondern auch an klar formulierte Nachhaltigkeitsziele geknüpft.

DFB.de: Die 3. Liga hatten Sie bisher nur aus der Distanz beobachtet. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Rettig: Da bleibe ich Sportler: Auf möglichst viele Siege im Sportpark Höhenberg.

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