Resozialisierung: Als Herberger erstmals Strafgefangene besuchte

"Wer Sie einmal kennengelernt hat, möchte auf ein Wiedersehen mit Ihnen nicht verzichten." Vielleicht waren es Worte wie diese, die der Strafgefangene Heinz Oerlemans in seinem Brief vom März 1971 fand, die Sepp Herberger dazu bewegten, dass es noch viele Wiedersehen gab in deutschen Justizvollzugsanstalten. Bis zu seinem Ableben mit ihm persönlich, danach mit vielen anderen Größen des Fußballs. Alle in seinem Geiste, seit einem halben Jahrhundert schon.

Am 28. September 1970 suchte der Alt-Bundestrainer in Begleitung seiner Ehefrau Eva erstmals eine Strafanstalt auf, auf Einladung des damaligen Oberpfarrers und späteren Dekans Walter Schmitt, dem katholischen Seelsorger der JVA Bruchsal. Seelsorge schloss körperliche Betätigung nicht aus. Schmitt war damals gerade dabei, ein Sportprogramm aufzubauen, und nun sollte das erste "offizielle Fußballspiel" stattfinden. Seine Idee: Die Veranstaltung durch den Besuch "einer Persönlichkeit des deutschen Sports" aufzuwerten, und damit auch deren Protagonisten. Schmitt: "Der Tag soll dem Gefangenen ein Erlebnis vermitteln, sodass er spürt, er ist von draußen nicht abgeschrieben."

Es war nicht der erste derartige Versuch bei Herberger, schon im Mai 1967 wandte sich die JVA Butzbach anlässlich des 15-jährigen Bestehens ihres Sportkreises an den "Chef" – auf Wunsch der Belegschaft. Damals musste Herberger wegen einer anstehenden Operation zu seinem Bedauern absagen. Doch Resozialisierung ist ein langer, oft mühevoller, aber auch verdienstvoller Prozess, und so sollte es noch viele Möglichkeiten für den Chef geben, der nach dem Motto lebte: "Wer oben ist, darf die unten nicht vergessen."

Eckel, Seeler, Rehhagel: Alle kamen gerne

Die Bruchsaler erlebten 1970 die Premiere einer Erfolgsgeschichte, die sich nicht in Titeln, Triumphen und Geldscheinen messen lässt. Niemand hat die Besuche gezählt, die seit jenem Tag und erst recht seit Errichtung der Sepp-Herberger-Stiftung am 28. März 1977 stattfanden. Die Zahl muss an die Tausend gehen, wenn allein Ehrenspielführer Fritz Walter, anfangs noch in Begleitung Herbergers, über 200 absolviert hat. 50 Jahre Resozialisierung – ein Ruhmesblatt der Stiftung, von dem viel zu selten die Rede ist. Weil in den Medien das Spiel mit seinen Nebengeräuschen immer im Vordergrund steht, aber Fußball eben mehr als ein 1:0 ist. Herberger hat viele weise Sprüche von sich gegeben, dieser war nicht von ihm – aber er hätte von ihm sein können. Sein Testament, das in die Satzung der Stiftung einfloss, gibt beredte Auskunft darüber. Er setzt sich darin bekanntlich stark für soziale, karitative und integrative Zwecke ein und unter Punkt d bei "Zweck der Stiftung" wird auch die Förderung der Strafanstalten verfügt – finanziell "und durch die Bereitstellung von technischem Gerät". Nicht erwähnt werden die Anstaltsbesuche, denn diese kamen in all den Jahren von Herzen, und es wäre befremdlich, müsste man sie anordnen.

Doch so, wie es anfing, mussten sie ja alle – von Horst Eckel über Uwe Seeler bis Otto Rehhagel – gerne kommen. Dass die Stiftung sich auch für Strafgefangene stark macht, geht übrigens auf die Initiative des Dekans Schmitt zurück, der Herberger den Vorschlag machte, als der ihm von der Gründungsabsicht erzählte, die wiederum der DFB erstmals 1970 an den Chef herantrug. Aber schon sieben Jahre vor der Gründung der Stiftung ging es ja los. Wie war das also am 28. September 1970?

Der Oberbürgermeister von Bruchsal schickte seinen persönlichen Fahrer nach Hohensachsen an der Bergstraße, um das Ehepaar Herberger abzuholen. Als sie in der JVA eintrafen, spielte eine kleine Kapelle einen Begrüßungsmarsch. Die Presse kam natürlich auch zum Spiel von Flügel 1/4 gegen 2/2, von der Bruchsaler Rundschau vereinfacht als "Rot gegen Gelb" dargestellt. Herberger führte den Anstoß aus, dann mischte er sich unter die Zuschauer im Gefängnishof. Andere sahen aus ihren Zellen zu. In der Halbzeit gab er "taktische Anweisungen", für welche Elf, ist nicht überliefert. Vermutlich für beide...

Leichte Stunden für schwere Jungs

Das Ergebnis lautete 3:1 für Rot und stand doch klar im Schatten des Erlebnisses. Das Erlebnis, den populären Weltmeistertrainer von 1954 leibhaftig gesehen und gehört zu haben. Viele erhaschten ein Autogramm, selbst durch die Zellenfenster, und die Bruchsaler Rundschau schrieb: "Sepp Herberger wurde vor, während und nach dem Spiel als das gefeiert, was er in Wirklichkeit ist: der König des deutschen Fußballs!"

Es waren leichte Stunden für die schweren Jungs, und bei der anschließenden Fragerunde, als der Chef natürlich auch wieder vom "Wunder von Bern" erzählen musste, gewann er ihre Herzen. Nicht nur mit dem Versprechen, der Anstalt demnächst ein paar Fußballschuhe schenken zu wollen. Mehr noch wirkte seine starke, faszinierende Persönlichkeit ermutigend auf die oft so unglücklichen Männer. Davon künden etliche Briefe, die sich in Herbergers Nachlass finden. Es sind keineswegs nur weitere Autogrammwünsche (bitte mit Bild!), es sind aufrichtige Dankesschreiben darunter, die die Sinnhaftigkeit der nun beginnenden Periode unterstreichen, in der auch der Chef "eine neue Lebensaufgabe" (Dekan Schmitt) fand. So erhielt das Ehepaar Herberger 1970 Weihnachtsgrüße von den "Roten Teufeln" mit 23 Unterschriften, ein langes Weihnachtsgedicht und selbst gezeichnete Porträts aus Bruchsal, nach der Vorlage vorher erbetener Fotos von Eva und Sepp. Der Künstler hatte unmittelbar nach dem Besuch seinen Mithäftling Heinz Oerlemans gefragt: "Mensch Heinz, wenn ich nur wüsste, mit was und wie ich unserem Seppl Herberger eine Freude bereiten könnte."

Besagter Oerlemans öffnete ihm sein Herz in schöner Regelmäßigkeit, es entstand eine echte Brieffreundschaft. Von ihm erfuhr Herberger, was sein Besuch außer einigen Artikeln mit reißerischen Überschriften wie "Sepp Herberger hinter Gittern" noch bewirkt hatte: "Durch Ihr Erscheinen in unserer Anstalt … und der damit verbundenen Berichte in der Presse haben gewiss sehr viele Menschen eine positivere Einstellung zu uns Straf­gefangenen gefunden. Für uns, die wir nach unserer Entlassung Menschen brau­chen, die uns nicht einfach abschreiben, ist die geistige Aufgeschlossenheit ge­genüber dem Strafgefangenen von aus­schlaggebender Bedeutung…" Er selbst versicherte dem Chef, "dass es mir see­ isch viel besser geht, seit ich zum ers­ten Mal einen Brief von Ihnen erhalten habe." Als er 1972 entlassen wurde, bat er Herberger sogar, seine Kameraden nicht zu vergessen: "Für so manchen von ihnen bedeutet Ihr Erscheinen sehr viel. An Ihnen hat sich so mancher wieder seelisch aufgerichtet, der schon so ziem­lich fertig war." Ein anderer Häftling besuchte nach seiner Freilassung sogar Herbergers "Museum" in Hohensachsen.

Herberger-Besuch macht Schule

Resozialisierung wurde ein immer größeres Thema in der Gesellschaft der BRD, Herbergers Engagement trug offenkundig dazu bei. Am 4. Juli 1971 kamen eine Handball- und eine Fußballmannschaft aus einem Vorort von Karlsruhe zu einem Spiel nach Bruchsal, für Heinz Oerlemans war klar: "Es war ein groß­artiger Anfang, mit Sportkameraden von draußen einen so schönen Kontakt zu ha­ben. Wir alle wissen, dass Sie in hohem Maße mit dazu beigetragen haben, dass es endlich so weit gekommen ist."

Herberger, der Wegbereiter. Nicht nur zum WM-Titel, sondern auch zur besseren Zukunft von Menschen, die vom rechten Weg abgekommen sind. Dafür musste er niemanden anrufen und sein Netzwerk bemühen wie früher, als er für seine Spieler da war – besonders im Krieg und den ersten Nachkriegsjahren. Nein, es reichte schon, ihnen Mut gemacht und ihr Selbstwertgefühl gehoben zu haben. Auch aus der Ferne, er hat jeden Brief eines Häftlings beantwortet. Wobei sein Netzwerk zuweilen trotzdem bemüht wurde, konnte er doch den Zeugwart von Bern, Adi Dassler, dazu bewegen, den Insassen von Bruchsal zu Weihnachten Schuhe und Bälle zu schenken. Herberger selbst fuhr sie, den Wagen randvoll bepackt, Heiligabend in die JVA.

Mit im Geschenkpaket: Autogrammkarten der Weltmeister von 1954 und ein Regelheftchen für den Schiedsrichter der fortan regelmäßigen Anstaltsspiele. Herberger hat in seinen restlichen Lebensjahren Bruchsal noch einige Male besucht, auch die Justizvollzugsanstalten in Ludwigshafen und Mannheim. Von einem anderen Ort aus sieht er seit bald 43 Jahren gewiss mit Zufriedenheit, dass sein Werk in seinem Sinne fortgesetzt wurde. Zunächst von seinen "Männern" von 1954, wie Fritz Walter und Horst Eckel. Da blieb es nicht bei Fragestunden; wenn es die Fitness der Weltmeister erlaubte, leiteten sie auch schon mal ein Training. Ebenso wichtig sind die Gespräche, und die Prominenten müssen sich oft traurige Lebensgeschichten anhören. Dass sie bereit sind, aus ihrem in der Regel sorgenfreien Leben für einige Stunden einzutauchen in die harte Gefängniswelt, zeichnet die Initiative aus. "Ich möchte euch etwas von meinen Werten mitgeben, aber ich möchte auch etwas von euch mitnehmen", sagte der damalige Mainzer Bundesliga-Trainer Sandro Schwarz bei einem Besuch der JVA Rockenberg im vergangenen Herbst, bei dem er mit den Tränen rang. Hoffnung gegen Verständnis, das ist der Deal.

"Lira hat mir zwei Tore aufgelegt"

Auch in Frauengefängnisse geht die Stiftung, Ex-Nationalspielerin Lira Alushi, ehemals Bajramaj, besuchte im Juni 2019 die JVA Köln und kickte mit den Häftlingen. Was das bringt, außer dem Gefühl, von draußen nicht vergessen zu werden? Alushi sagte: "Man lernt beim Fußball den respektvollen Umgang und Regeln zu akzeptieren, das kann den Frauen auch nach der Haftentlassung weiterhelfen." Freude bereiten aber auch, "Lira hat mir zwei Tore aufgelegt", berichtete eine Inhaftierte voller Stolz.

Die Akzeptanz durch einen bekannten Sportler konnte für so manchen der "Anstoß für ein neues Leben" sein. Die gleichnamige Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung im Jugendstrafvollzug ist in Europa einmalig und wurde von der UEFA im September 2019 als "bestes Breitenfußballprojekt" ausgezeichnet ist. Es begann in Bruchsal.

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"Wer Sie einmal kennengelernt hat, möchte auf ein Wiedersehen mit Ihnen nicht verzichten." Vielleicht waren es Worte wie diese, die der Strafgefangene Heinz Oerlemans in seinem Brief vom März 1971 fand, die Sepp Herberger dazu bewegten, dass es noch viele Wiedersehen gab in deutschen Justizvollzugsanstalten. Bis zu seinem Ableben mit ihm persönlich, danach mit vielen anderen Größen des Fußballs. Alle in seinem Geiste, seit einem halben Jahrhundert schon.

Am 28. September 1970 suchte der Alt-Bundestrainer in Begleitung seiner Ehefrau Eva erstmals eine Strafanstalt auf, auf Einladung des damaligen Oberpfarrers und späteren Dekans Walter Schmitt, dem katholischen Seelsorger der JVA Bruchsal. Seelsorge schloss körperliche Betätigung nicht aus. Schmitt war damals gerade dabei, ein Sportprogramm aufzubauen, und nun sollte das erste "offizielle Fußballspiel" stattfinden. Seine Idee: Die Veranstaltung durch den Besuch "einer Persönlichkeit des deutschen Sports" aufzuwerten, und damit auch deren Protagonisten. Schmitt: "Der Tag soll dem Gefangenen ein Erlebnis vermitteln, sodass er spürt, er ist von draußen nicht abgeschrieben."

Es war nicht der erste derartige Versuch bei Herberger, schon im Mai 1967 wandte sich die JVA Butzbach anlässlich des 15-jährigen Bestehens ihres Sportkreises an den "Chef" – auf Wunsch der Belegschaft. Damals musste Herberger wegen einer anstehenden Operation zu seinem Bedauern absagen. Doch Resozialisierung ist ein langer, oft mühevoller, aber auch verdienstvoller Prozess, und so sollte es noch viele Möglichkeiten für den Chef geben, der nach dem Motto lebte: "Wer oben ist, darf die unten nicht vergessen."

Eckel, Seeler, Rehhagel: Alle kamen gerne

Die Bruchsaler erlebten 1970 die Premiere einer Erfolgsgeschichte, die sich nicht in Titeln, Triumphen und Geldscheinen messen lässt. Niemand hat die Besuche gezählt, die seit jenem Tag und erst recht seit Errichtung der Sepp-Herberger-Stiftung am 28. März 1977 stattfanden. Die Zahl muss an die Tausend gehen, wenn allein Ehrenspielführer Fritz Walter, anfangs noch in Begleitung Herbergers, über 200 absolviert hat. 50 Jahre Resozialisierung – ein Ruhmesblatt der Stiftung, von dem viel zu selten die Rede ist. Weil in den Medien das Spiel mit seinen Nebengeräuschen immer im Vordergrund steht, aber Fußball eben mehr als ein 1:0 ist. Herberger hat viele weise Sprüche von sich gegeben, dieser war nicht von ihm – aber er hätte von ihm sein können. Sein Testament, das in die Satzung der Stiftung einfloss, gibt beredte Auskunft darüber. Er setzt sich darin bekanntlich stark für soziale, karitative und integrative Zwecke ein und unter Punkt d bei "Zweck der Stiftung" wird auch die Förderung der Strafanstalten verfügt – finanziell "und durch die Bereitstellung von technischem Gerät". Nicht erwähnt werden die Anstaltsbesuche, denn diese kamen in all den Jahren von Herzen, und es wäre befremdlich, müsste man sie anordnen.

Doch so, wie es anfing, mussten sie ja alle – von Horst Eckel über Uwe Seeler bis Otto Rehhagel – gerne kommen. Dass die Stiftung sich auch für Strafgefangene stark macht, geht übrigens auf die Initiative des Dekans Schmitt zurück, der Herberger den Vorschlag machte, als der ihm von der Gründungsabsicht erzählte, die wiederum der DFB erstmals 1970 an den Chef herantrug. Aber schon sieben Jahre vor der Gründung der Stiftung ging es ja los. Wie war das also am 28. September 1970?

Der Oberbürgermeister von Bruchsal schickte seinen persönlichen Fahrer nach Hohensachsen an der Bergstraße, um das Ehepaar Herberger abzuholen. Als sie in der JVA eintrafen, spielte eine kleine Kapelle einen Begrüßungsmarsch. Die Presse kam natürlich auch zum Spiel von Flügel 1/4 gegen 2/2, von der Bruchsaler Rundschau vereinfacht als "Rot gegen Gelb" dargestellt. Herberger führte den Anstoß aus, dann mischte er sich unter die Zuschauer im Gefängnishof. Andere sahen aus ihren Zellen zu. In der Halbzeit gab er "taktische Anweisungen", für welche Elf, ist nicht überliefert. Vermutlich für beide...

Leichte Stunden für schwere Jungs

Das Ergebnis lautete 3:1 für Rot und stand doch klar im Schatten des Erlebnisses. Das Erlebnis, den populären Weltmeistertrainer von 1954 leibhaftig gesehen und gehört zu haben. Viele erhaschten ein Autogramm, selbst durch die Zellenfenster, und die Bruchsaler Rundschau schrieb: "Sepp Herberger wurde vor, während und nach dem Spiel als das gefeiert, was er in Wirklichkeit ist: der König des deutschen Fußballs!"

Es waren leichte Stunden für die schweren Jungs, und bei der anschließenden Fragerunde, als der Chef natürlich auch wieder vom "Wunder von Bern" erzählen musste, gewann er ihre Herzen. Nicht nur mit dem Versprechen, der Anstalt demnächst ein paar Fußballschuhe schenken zu wollen. Mehr noch wirkte seine starke, faszinierende Persönlichkeit ermutigend auf die oft so unglücklichen Männer. Davon künden etliche Briefe, die sich in Herbergers Nachlass finden. Es sind keineswegs nur weitere Autogrammwünsche (bitte mit Bild!), es sind aufrichtige Dankesschreiben darunter, die die Sinnhaftigkeit der nun beginnenden Periode unterstreichen, in der auch der Chef "eine neue Lebensaufgabe" (Dekan Schmitt) fand. So erhielt das Ehepaar Herberger 1970 Weihnachtsgrüße von den "Roten Teufeln" mit 23 Unterschriften, ein langes Weihnachtsgedicht und selbst gezeichnete Porträts aus Bruchsal, nach der Vorlage vorher erbetener Fotos von Eva und Sepp. Der Künstler hatte unmittelbar nach dem Besuch seinen Mithäftling Heinz Oerlemans gefragt: "Mensch Heinz, wenn ich nur wüsste, mit was und wie ich unserem Seppl Herberger eine Freude bereiten könnte."

Besagter Oerlemans öffnete ihm sein Herz in schöner Regelmäßigkeit, es entstand eine echte Brieffreundschaft. Von ihm erfuhr Herberger, was sein Besuch außer einigen Artikeln mit reißerischen Überschriften wie "Sepp Herberger hinter Gittern" noch bewirkt hatte: "Durch Ihr Erscheinen in unserer Anstalt … und der damit verbundenen Berichte in der Presse haben gewiss sehr viele Menschen eine positivere Einstellung zu uns Straf­gefangenen gefunden. Für uns, die wir nach unserer Entlassung Menschen brau­chen, die uns nicht einfach abschreiben, ist die geistige Aufgeschlossenheit ge­genüber dem Strafgefangenen von aus­schlaggebender Bedeutung…" Er selbst versicherte dem Chef, "dass es mir see­ isch viel besser geht, seit ich zum ers­ten Mal einen Brief von Ihnen erhalten habe." Als er 1972 entlassen wurde, bat er Herberger sogar, seine Kameraden nicht zu vergessen: "Für so manchen von ihnen bedeutet Ihr Erscheinen sehr viel. An Ihnen hat sich so mancher wieder seelisch aufgerichtet, der schon so ziem­lich fertig war." Ein anderer Häftling besuchte nach seiner Freilassung sogar Herbergers "Museum" in Hohensachsen.

Herberger-Besuch macht Schule

Resozialisierung wurde ein immer größeres Thema in der Gesellschaft der BRD, Herbergers Engagement trug offenkundig dazu bei. Am 4. Juli 1971 kamen eine Handball- und eine Fußballmannschaft aus einem Vorort von Karlsruhe zu einem Spiel nach Bruchsal, für Heinz Oerlemans war klar: "Es war ein groß­artiger Anfang, mit Sportkameraden von draußen einen so schönen Kontakt zu ha­ben. Wir alle wissen, dass Sie in hohem Maße mit dazu beigetragen haben, dass es endlich so weit gekommen ist."

Herberger, der Wegbereiter. Nicht nur zum WM-Titel, sondern auch zur besseren Zukunft von Menschen, die vom rechten Weg abgekommen sind. Dafür musste er niemanden anrufen und sein Netzwerk bemühen wie früher, als er für seine Spieler da war – besonders im Krieg und den ersten Nachkriegsjahren. Nein, es reichte schon, ihnen Mut gemacht und ihr Selbstwertgefühl gehoben zu haben. Auch aus der Ferne, er hat jeden Brief eines Häftlings beantwortet. Wobei sein Netzwerk zuweilen trotzdem bemüht wurde, konnte er doch den Zeugwart von Bern, Adi Dassler, dazu bewegen, den Insassen von Bruchsal zu Weihnachten Schuhe und Bälle zu schenken. Herberger selbst fuhr sie, den Wagen randvoll bepackt, Heiligabend in die JVA.

Mit im Geschenkpaket: Autogrammkarten der Weltmeister von 1954 und ein Regelheftchen für den Schiedsrichter der fortan regelmäßigen Anstaltsspiele. Herberger hat in seinen restlichen Lebensjahren Bruchsal noch einige Male besucht, auch die Justizvollzugsanstalten in Ludwigshafen und Mannheim. Von einem anderen Ort aus sieht er seit bald 43 Jahren gewiss mit Zufriedenheit, dass sein Werk in seinem Sinne fortgesetzt wurde. Zunächst von seinen "Männern" von 1954, wie Fritz Walter und Horst Eckel. Da blieb es nicht bei Fragestunden; wenn es die Fitness der Weltmeister erlaubte, leiteten sie auch schon mal ein Training. Ebenso wichtig sind die Gespräche, und die Prominenten müssen sich oft traurige Lebensgeschichten anhören. Dass sie bereit sind, aus ihrem in der Regel sorgenfreien Leben für einige Stunden einzutauchen in die harte Gefängniswelt, zeichnet die Initiative aus. "Ich möchte euch etwas von meinen Werten mitgeben, aber ich möchte auch etwas von euch mitnehmen", sagte der damalige Mainzer Bundesliga-Trainer Sandro Schwarz bei einem Besuch der JVA Rockenberg im vergangenen Herbst, bei dem er mit den Tränen rang. Hoffnung gegen Verständnis, das ist der Deal.

"Lira hat mir zwei Tore aufgelegt"

Auch in Frauengefängnisse geht die Stiftung, Ex-Nationalspielerin Lira Alushi, ehemals Bajramaj, besuchte im Juni 2019 die JVA Köln und kickte mit den Häftlingen. Was das bringt, außer dem Gefühl, von draußen nicht vergessen zu werden? Alushi sagte: "Man lernt beim Fußball den respektvollen Umgang und Regeln zu akzeptieren, das kann den Frauen auch nach der Haftentlassung weiterhelfen." Freude bereiten aber auch, "Lira hat mir zwei Tore aufgelegt", berichtete eine Inhaftierte voller Stolz.

Die Akzeptanz durch einen bekannten Sportler konnte für so manchen der "Anstoß für ein neues Leben" sein. Die gleichnamige Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung im Jugendstrafvollzug ist in Europa einmalig und wurde von der UEFA im September 2019 als "bestes Breitenfußballprojekt" ausgezeichnet ist. Es begann in Bruchsal.

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