Regensburgs Grüttner übers Fair Play: "Das kam fast instinktiv"

Marco Grüttner ist Deutschlands fairster Profifußballer der Saison 2017/2018. Am Sonntag, wenige Stunden vor dem Peru-Länderspiel in Sinsheim, wird DFB-Präsident Reinhard Grindel dem 32 Jahre alter Stürmer vom SSV Jahn Regensburg die Fair Play-Medaille überreichen. Mit DFB.de spricht Grüttner über sein instinktives Fair Play.

DFB.de: Der 9. Dezember vergangenes Jahr, 2. Bundesliga, Heimspiel des SSV Jahn Regensburg gegen den VfL Bochum. Die 90. Minute läuft, Ihre Mannschaft liegt 0:1 hinten, bekommt nochmal einen Eckball gepfiffen. Und Sie sagen, ich war noch am Ball. Herr Grüttner, würden Sie zustimmen, dass es sich um ein eher unübliches Verhalten im harten Profigeschäft handelt?

Marco Grüttner: Was heißt unüblich? Bei mir kam das jedenfalls aus dem Moment heraus. Für mich war es einfach so deutlich, dass ich noch dran war, deswegen bin ich sofort zum Schiedsrichter und habe ihn informiert. Ich hatte das Gefühl, dass jeder im Stadion gesehen hatte, dass es eben kein Eckball war, auch die Bochumer reklamierten gleich. Das kam dann fast instinktiv aus mir heraus. Ehrlich gesagt, welche Spielminute läuft, darüber habe ich null nachgedacht. Ich war noch am Ball gewesen. Punkt aus.

DFB.de: Trotzdem nochmal die Frage, wie üblich ist so ein Verhalten in der 2. Bundesliga?

Grüttner: Jedenfalls geben Spieler so etwas nicht so oft zu, wie es sein sollte.

DFB.de: Wie sehr ärgert es Sie, wenn der Gegner kontrolliert am Trikot zieht, so dass es der Schiedsrichter nicht sehen kann?

Grüttner: Natürlich geht es bei uns um richtig viel. Wir sind alle keine Heiligen. Auch ich werde jetzt nicht bei jeder Kleinigkeit alles revidieren. Schließlich steht der Schiedsrichter auf dem Platz und muss die Entscheidungen fällen. Aber ich meine schon, dass es in manchen Situationen einfach wichtig ist, die Wahrheit zu sagen.

DFB.de: Es war Anfang Dezember, der Jahn war Aufsteiger, da weiß man nie, ob man den Punkt nicht noch gut gebrauchen kann. In dem Moment ging es nur um einen Eckball, perspektivisch um viel mehr.

Grüttner: Aber so etwas kommt einem erst im Nachhinein. Nach dem Spiel habe ich mir schon Gedanken gemacht, was ist, wenn uns am Ende der Saison genau dieser Punkt fehlt. Ich meine, es war auch nur ein Eckball. Ob wir daraus den Ausgleich erzielen, steht in den Sternen. Dennoch, wenn man sich denkt, mit dem Punkt retten wir am Ende vielleicht die Klasse, ist das schon Wahnsinn. Doch in der Situation hielt ich mein Verhalten für richtig. Und danach habe ich es nie bereut.

DFB.de: Jahn Regensburg stand als Aufsteiger am Ende der Saison auf dem 5. Tabellenplatz.

Grüttner: Ja, Gott sei Dank! (lacht)

DFB.de: Hat Sie Ihr Trainer Achim Beierlorzer nach dem Spiel auf die Aktion angesprochen?

Grüttner: Nein. Irgendwann bei der Videoanalyse schon noch mal. Während des Spiels wurde das alles ja auch gar nicht so deutlich. Erst später, als sich die Spieler des VfL Bochum per Facebook-Post bedankten, wurde die Geschichte allmählich größer.

DFB.de: Sie werden im Oktober 33 Jahre alt und haben vergangene Saison 13 Tore in 36 Einsätzen geschossen. Hilft die Reife?

Grüttner: Gewisse Erfahrungen helfen schon, aber auch mit über 30 Jahren hat man noch nicht ausgelernt. Es gibt immer wieder neue Situationen. Man muss lernwillig bleiben, darf nie sagen, man habe schon alles erreicht, dass man jetzt das Geschäft kennt. Ich hatte ja einen besonderen fußballerischen Werdegang, habe in vielen Ligen gespielt und bin relativ spät Profi geworden. Wenn man mit über 30 Jahren in die 2. Bundesliga kommt, ist das erstmal eine neue Welt. Ich habe mich auf die Saison gefreut. Dass letztendlich alles so gut geklappt hat, freut mich natürlich.

DFB.de: Was haben Sie fußballerisch in Regensburg dazugelernt?

Grüttner: Jetzt die zwei Jahre beim Jahn haben mich nochmal deutlich weitergebracht. Da wir sehr hoch angreifen, bin ich als Stürmer immer ins Spiel eingebunden. Der Stürmer, den man 90 Minuten nicht sieht, und der dann die eine Chance reinmacht, den gibt es bei uns nicht. Jeder Spieler des SSV Jahn ist von Minute eins bis neunzig voll involviert. Dadurch habe ich mich natürlich fußballerisch verbessert. Die Qualität der Gegenspieler in der 2. Liga ist bemerkenswert. Ich musste mich neu beweisen.

DFB.de: Machen Sie sich verrückt, wenn Sie eine Weile nicht getroffen haben?

Grüttner: Also ich verzweifele in solchen Phasen nicht, aber man freut sich schon, wenn man wieder einen gemacht hat. Manchmal schießt man ein Tor und weiß gar nicht, wie der jetzt reingegangen ist. Die Aufs und Abs, das ist der Fußball.

DFB.de: Sie sind niemand, der die Dinge überstürzt. Erst mit 25 Jahren das erste Profispiel, damals für den VfR Aalen in der 3. Liga. Hat Sie das als Persönlichkeit geprägt?

Grüttner: Ich bereue überhaupt gar nichts und ich denke auch nicht, was wäre wenn. Hätte ich mich damals nicht verletzt, hätte ich dort das Tor mehr gemacht, wäre ich da anders gewechselt. Das interessiert mich nicht. Ich habe einfach immer hart gearbeitet. Ich freue mich heute in der 2. Bundesliga zu spielen. Ich schaue nur nach vorne.

DFB.de: "Ich kann nicht nur von Fair Play reden, sondern muss es auch vorleben. Zum Beispiel auch meiner Tochter gegenüber", sagten Sie damals nach dem Spiel gegen den VfL Bochum. Wie alt ist denn Ihre Tochter?

Grüttner: Im Dezember wird sie drei. Wir sind leider im DFB-Pokal in der ersten Runde beim Fünftligisten Chemie Leipzig ausgeschieden. Ich war so enttäuscht, wie noch nie in meinem Fußballerleben. Das war die schlimmste Niederlage, die ich je erleben musste. Ich bin dann spät abends nach Hause gekommen. Und am nächsten Morgen steht meine kleine Laia vor mir und sagt: "Papa, ich hab‘ dich lieb". Da weiß man, Fußball ist nicht alles. Für einen kurzen Moment konnte ich Chemie Leipzig vergessen. Aber auch nur ganz kurz (lacht).

DFB.de: Ihr faires Verhalten beim Spiel gegen den VfL Bochum ist nochmal bemerkenswerter, weil Ihnen in der 56. Minute nach einem Ellbogencheck im Bochumer Strafraum der Elfmeter verwehrt wurde. Dachten Sie da in der 90. Minute nicht, na, den Eckball haben wir uns doch verdient?

Grüttner: Ich war in der 56. Minute richtig stinkig, der Cut musste geklebt werden, und aus meiner Sicht war das ein klarer Elfmeter. Aber daran habe ich in der 90. Minute nicht mehr gedacht. Das wäre auch der vollkommen falsche Ansatz, wenn ich als Fußballer durch ein gegnerisches unfaires Verhalten mein eigenes unfaires Handeln rechtfertigen würde.

[th]

Marco Grüttner ist Deutschlands fairster Profifußballer der Saison 2017/2018. Am Sonntag, wenige Stunden vor dem Peru-Länderspiel in Sinsheim, wird DFB-Präsident Reinhard Grindel dem 32 Jahre alter Stürmer vom SSV Jahn Regensburg die Fair Play-Medaille überreichen. Mit DFB.de spricht Grüttner über sein instinktives Fair Play.

DFB.de: Der 9. Dezember vergangenes Jahr, 2. Bundesliga, Heimspiel des SSV Jahn Regensburg gegen den VfL Bochum. Die 90. Minute läuft, Ihre Mannschaft liegt 0:1 hinten, bekommt nochmal einen Eckball gepfiffen. Und Sie sagen, ich war noch am Ball. Herr Grüttner, würden Sie zustimmen, dass es sich um ein eher unübliches Verhalten im harten Profigeschäft handelt?

Marco Grüttner: Was heißt unüblich? Bei mir kam das jedenfalls aus dem Moment heraus. Für mich war es einfach so deutlich, dass ich noch dran war, deswegen bin ich sofort zum Schiedsrichter und habe ihn informiert. Ich hatte das Gefühl, dass jeder im Stadion gesehen hatte, dass es eben kein Eckball war, auch die Bochumer reklamierten gleich. Das kam dann fast instinktiv aus mir heraus. Ehrlich gesagt, welche Spielminute läuft, darüber habe ich null nachgedacht. Ich war noch am Ball gewesen. Punkt aus.

DFB.de: Trotzdem nochmal die Frage, wie üblich ist so ein Verhalten in der 2. Bundesliga?

Grüttner: Jedenfalls geben Spieler so etwas nicht so oft zu, wie es sein sollte.

DFB.de: Wie sehr ärgert es Sie, wenn der Gegner kontrolliert am Trikot zieht, so dass es der Schiedsrichter nicht sehen kann?

Grüttner: Natürlich geht es bei uns um richtig viel. Wir sind alle keine Heiligen. Auch ich werde jetzt nicht bei jeder Kleinigkeit alles revidieren. Schließlich steht der Schiedsrichter auf dem Platz und muss die Entscheidungen fällen. Aber ich meine schon, dass es in manchen Situationen einfach wichtig ist, die Wahrheit zu sagen.

DFB.de: Es war Anfang Dezember, der Jahn war Aufsteiger, da weiß man nie, ob man den Punkt nicht noch gut gebrauchen kann. In dem Moment ging es nur um einen Eckball, perspektivisch um viel mehr.

Grüttner: Aber so etwas kommt einem erst im Nachhinein. Nach dem Spiel habe ich mir schon Gedanken gemacht, was ist, wenn uns am Ende der Saison genau dieser Punkt fehlt. Ich meine, es war auch nur ein Eckball. Ob wir daraus den Ausgleich erzielen, steht in den Sternen. Dennoch, wenn man sich denkt, mit dem Punkt retten wir am Ende vielleicht die Klasse, ist das schon Wahnsinn. Doch in der Situation hielt ich mein Verhalten für richtig. Und danach habe ich es nie bereut.

DFB.de: Jahn Regensburg stand als Aufsteiger am Ende der Saison auf dem 5. Tabellenplatz.

Grüttner: Ja, Gott sei Dank! (lacht)

DFB.de: Hat Sie Ihr Trainer Achim Beierlorzer nach dem Spiel auf die Aktion angesprochen?

Grüttner: Nein. Irgendwann bei der Videoanalyse schon noch mal. Während des Spiels wurde das alles ja auch gar nicht so deutlich. Erst später, als sich die Spieler des VfL Bochum per Facebook-Post bedankten, wurde die Geschichte allmählich größer.

DFB.de: Sie werden im Oktober 33 Jahre alt und haben vergangene Saison 13 Tore in 36 Einsätzen geschossen. Hilft die Reife?

Grüttner: Gewisse Erfahrungen helfen schon, aber auch mit über 30 Jahren hat man noch nicht ausgelernt. Es gibt immer wieder neue Situationen. Man muss lernwillig bleiben, darf nie sagen, man habe schon alles erreicht, dass man jetzt das Geschäft kennt. Ich hatte ja einen besonderen fußballerischen Werdegang, habe in vielen Ligen gespielt und bin relativ spät Profi geworden. Wenn man mit über 30 Jahren in die 2. Bundesliga kommt, ist das erstmal eine neue Welt. Ich habe mich auf die Saison gefreut. Dass letztendlich alles so gut geklappt hat, freut mich natürlich.

DFB.de: Was haben Sie fußballerisch in Regensburg dazugelernt?

Grüttner: Jetzt die zwei Jahre beim Jahn haben mich nochmal deutlich weitergebracht. Da wir sehr hoch angreifen, bin ich als Stürmer immer ins Spiel eingebunden. Der Stürmer, den man 90 Minuten nicht sieht, und der dann die eine Chance reinmacht, den gibt es bei uns nicht. Jeder Spieler des SSV Jahn ist von Minute eins bis neunzig voll involviert. Dadurch habe ich mich natürlich fußballerisch verbessert. Die Qualität der Gegenspieler in der 2. Liga ist bemerkenswert. Ich musste mich neu beweisen.

DFB.de: Machen Sie sich verrückt, wenn Sie eine Weile nicht getroffen haben?

Grüttner: Also ich verzweifele in solchen Phasen nicht, aber man freut sich schon, wenn man wieder einen gemacht hat. Manchmal schießt man ein Tor und weiß gar nicht, wie der jetzt reingegangen ist. Die Aufs und Abs, das ist der Fußball.

DFB.de: Sie sind niemand, der die Dinge überstürzt. Erst mit 25 Jahren das erste Profispiel, damals für den VfR Aalen in der 3. Liga. Hat Sie das als Persönlichkeit geprägt?

Grüttner: Ich bereue überhaupt gar nichts und ich denke auch nicht, was wäre wenn. Hätte ich mich damals nicht verletzt, hätte ich dort das Tor mehr gemacht, wäre ich da anders gewechselt. Das interessiert mich nicht. Ich habe einfach immer hart gearbeitet. Ich freue mich heute in der 2. Bundesliga zu spielen. Ich schaue nur nach vorne.

DFB.de: "Ich kann nicht nur von Fair Play reden, sondern muss es auch vorleben. Zum Beispiel auch meiner Tochter gegenüber", sagten Sie damals nach dem Spiel gegen den VfL Bochum. Wie alt ist denn Ihre Tochter?

Grüttner: Im Dezember wird sie drei. Wir sind leider im DFB-Pokal in der ersten Runde beim Fünftligisten Chemie Leipzig ausgeschieden. Ich war so enttäuscht, wie noch nie in meinem Fußballerleben. Das war die schlimmste Niederlage, die ich je erleben musste. Ich bin dann spät abends nach Hause gekommen. Und am nächsten Morgen steht meine kleine Laia vor mir und sagt: "Papa, ich hab‘ dich lieb". Da weiß man, Fußball ist nicht alles. Für einen kurzen Moment konnte ich Chemie Leipzig vergessen. Aber auch nur ganz kurz (lacht).

DFB.de: Ihr faires Verhalten beim Spiel gegen den VfL Bochum ist nochmal bemerkenswerter, weil Ihnen in der 56. Minute nach einem Ellbogencheck im Bochumer Strafraum der Elfmeter verwehrt wurde. Dachten Sie da in der 90. Minute nicht, na, den Eckball haben wir uns doch verdient?

Grüttner: Ich war in der 56. Minute richtig stinkig, der Cut musste geklebt werden, und aus meiner Sicht war das ein klarer Elfmeter. Aber daran habe ich in der 90. Minute nicht mehr gedacht. Das wäre auch der vollkommen falsche Ansatz, wenn ich als Fußballer durch ein gegnerisches unfaires Verhalten mein eigenes unfaires Handeln rechtfertigen würde.

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