Psychologe Hermann: "Gewonnene Druckspiele sind Brustlöser"

Kein Beinbruch, man kann ein Spiel verlieren, andere deutsche Mannschaften, auch spätere Weltmeister, haben WM-Gruppenspiele verloren. Doch eine Lappalie ist die bittere 0:1-Auftaktniederlage gegen Mexiko in Moskau auch nicht. Denn sie zieht harte Konsequenzen nach sich. Die Nationalmannschaft hat jetzt sechs (statt der WM-üblichen vier) K.o.-Spiele vor der Brust. Das erste am Samstag (ab 20 Uhr, live in der ARD und bei Sky) gegen Schweden.

Das Team des Titelverteidigers wird in Sotschi mindestens ein Tor - besser mehr - gegen eine schwedische Mannschaft erzielen müssen, die (nur zur Erinnerung) in den WM-Playoffs Italien rausgeworfen hat. Beim damals entscheidenden WM-Qualifikationsspiel im Mailänder Guiseppe Meazza hatte Italien 74 Prozent Ballbesitz und schoss 17-mal aufs Tor. Endstand war trotzdem 0:0. Auch im ersten WM-Spiel blieb die "Tre Kronors" gegen Südkorea beim 1:0 ohne Gegentreffer. Addiert man dazu noch die mittlerweile totzitierte Statistik, dass drei der vergangenen vier Weltmeister im folgenden Turnier die Gruppenphase nicht überstanden haben, steht unter dem Strich die Erkenntnis: Der Druck ist enorm.

Klose: "Druckspiele sind etwas Besonderes"

Der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft freut sich jedenfalls auf den Samstag. "Druckspiele sind etwas Besonderes, da geht es um alles", sagt Miroslav Klose, der während seiner Karriere in Dutzenden solcher Spiele stand. Erstmals im Herbst 2001, als ganz junger Nationalspieler. Punktgleich mit den Engländern war man in der WM-Qualifikationsgruppe nur Zweiter geworden, musste in die Playoffs gegen die Ukraine. "Ich war sehr jung, saß nur auf der Bank, aber da habe ich zum ersten Mal dieses Gefühl gespürt, hier steht jetzt richtig etwas auf dem Spiel, hier könnten wir aus der WM fliegen", so Klose. Zwei Ballack-Tore beim 4:1 im Rückspiel ebneten den Weg nach Asien, der dann bekanntlich bis ins WM-Finale gegen Brasilien führte. "Unter Druck ist es noch viel schwieriger, die Sachen umzusetzen", sagt Klose. "Deshalb geht es gerade in einem Druckspiel nicht darum, einen Beinschuss anzusetzen."

Dr. Hans-Dieter Hermann folgte 2004 dem Ruf von Jürgen Klinsmann, seitdem betreut er die Nationalmannschaft sportpsychologisch. Druck entstehe aus psychologischer Sicht immer dann, wenn das Ziel erstrebenswert erscheint, der Ausgang aber ungewiss sei, erklärt der 58 Jahre alte Sportpsychologe. Werde mit dem Druck richtig umgegangen, seien Sportler in der Lage, ganz besondere Leistungen abzurufen. Werde der Druck aber zu groß, können auch negative Folgen eintreten.

Die häufigste, so Hermann, sei es, dass Spieler überpacen. "Zum Beispiel im Training, weil sie dann einfach zu aggressiv in die Zweikämpfe gehen. Oder im Spiel, indem sie den Job vom Nebenmann übernehmen wollen oder eher übermotiviert zu Werke gehen. Im kritischen Fall muss der Trainer einschreiten." Die Trainingseinheiten am Mittwoch und Donnerstag lassen "HDH", wie er im Team genannt wird, optimistisch aufs Schweden-Spiel schauen: "Keiner hat überpaced, die Spieler waren fokussiert."

WM-Qualifikation 2009: Dramatik in Moskau

Im Herbst 2009 fand ebenfalls ein "Druckspiel" statt. Die Mannschaft trat damals in Moskau an und durfte nicht in Russland verlieren, um sicher zur WM zu fahren. Bei einer Niederlage drohte das Abrutschen auf den zweiten Gruppenplatz und damit die Playoffs (in denen die Russen später scheiterten). Klose, damals Stürmer beim FC Bayern München, erinnert sich: "Das Spiel in Moskau fand auf einem Kunstrasen statt, deshalb trainierten wir vor dem Abflug ein paarmal in Mainz, dort lag ein sehr ähnlicher Kunstrasen. Wir wollten auch rausfinden, ob wir besser mit Noppen oder kleinen Stollen spielen sollten." "Druckspiele" verlangen eben eine noch akribischere Vorbereitung.

In Moskau wurde es dramatisch. Die starken Russen erspielten sich etliche Torchancen. Jerome Boateng bekam bei seinem Debüt (zu Unrecht) in der 69. Minute die Rote Karte gezeigt. Das einzige Tor machte Klose nach 35 Minuten. Er schildert es so: "Poldi spielt auf Mesut, der steckt durch und ich komme noch vor den Mann und treffe mit der Außenseite ins lange Eck." Die Partie endete in Unterzahl 1:0, es war das WM-Ticket.

Hermann: "Mannschaft kann mit Druck umgehen"

Nun also heißt der Gegner Schweden. Beide, Hermann und Klose, waren bei der Mannschaftssitzung am Dienstag dabei. Die Deutung als "klärendes Gewitter" findet Klose überzogen: "Die Sitzung war kein Gewitter. Aber es ist unheimlich wichtig, dass innerhalb der Mannschaft Dinge angesprochen werden." Hans-Dieter Hermann berichtet: "Die Sitzung hat die Mannschaft eindeutig weitergebracht, auch weil sich viele beteiligt haben. Es wurde sehr klar geredet, auch selbstkritisch. Alle konnten sich danach in die Augen schauen.“

Noch so ein "Druckspiel" in der Geschichte der Nationalmannschaft, das dritte Gruppenspiel bei der WM 2010, der Gegner hieß Ghana. Zuvor war man Serbien 0:1 unterlegen. Weil man nicht wusste, wie das Parallelspiel ausgehen würde, brauchte es in Johannesburg einen Sieg. Es war eine zähe Angelegenheit, die schließlich Mesut Özil mit einem bemerkenswerten Distanzschuss für Deutschland entschied. Danach spielte die deutsche Mannschaft wie entfesselt. Es folgten das 4:1 über England im Achtelfinale und im Viertelfinale das 4:0 gegen Argentinien.

"Diese Mannschaft und dieser Trainer haben oft schon bewiesen, dass sie mit Druck umgehen können", sagt Hans-Dieter Hermann. Gewonnene "Druckspiele" seien Brustlöser. "Druckspiele sind definitiv die große Chance, sich selbst zu bestätigen. Die Psyche lässt sich nicht belügen." Billige Erfolgsmomente geben keinen Schub, erklärt der Teampsychologe. "Aber unter Druck etwas zu leisten, sagt dem Selbstbewusstsein: Hey, du kannst es. Das gibt einen starken und nachhaltigen Impuls." Miro Klose betont einen anderen Ratschlag, der universelle Gültigkeit im Fußball hat, umso mehr aber sicher vor "Druckspielen". Und zwar: "Jetzt gilt es nicht soviel zu reden. Jetzt müssen wir Taten sprechen lassen."

[th]

Kein Beinbruch, man kann ein Spiel verlieren, andere deutsche Mannschaften, auch spätere Weltmeister, haben WM-Gruppenspiele verloren. Doch eine Lappalie ist die bittere 0:1-Auftaktniederlage gegen Mexiko in Moskau auch nicht. Denn sie zieht harte Konsequenzen nach sich. Die Nationalmannschaft hat jetzt sechs (statt der WM-üblichen vier) K.o.-Spiele vor der Brust. Das erste am Samstag (ab 20 Uhr, live in der ARD und bei Sky) gegen Schweden.

Das Team des Titelverteidigers wird in Sotschi mindestens ein Tor - besser mehr - gegen eine schwedische Mannschaft erzielen müssen, die (nur zur Erinnerung) in den WM-Playoffs Italien rausgeworfen hat. Beim damals entscheidenden WM-Qualifikationsspiel im Mailänder Guiseppe Meazza hatte Italien 74 Prozent Ballbesitz und schoss 17-mal aufs Tor. Endstand war trotzdem 0:0. Auch im ersten WM-Spiel blieb die "Tre Kronors" gegen Südkorea beim 1:0 ohne Gegentreffer. Addiert man dazu noch die mittlerweile totzitierte Statistik, dass drei der vergangenen vier Weltmeister im folgenden Turnier die Gruppenphase nicht überstanden haben, steht unter dem Strich die Erkenntnis: Der Druck ist enorm.

Klose: "Druckspiele sind etwas Besonderes"

Der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft freut sich jedenfalls auf den Samstag. "Druckspiele sind etwas Besonderes, da geht es um alles", sagt Miroslav Klose, der während seiner Karriere in Dutzenden solcher Spiele stand. Erstmals im Herbst 2001, als ganz junger Nationalspieler. Punktgleich mit den Engländern war man in der WM-Qualifikationsgruppe nur Zweiter geworden, musste in die Playoffs gegen die Ukraine. "Ich war sehr jung, saß nur auf der Bank, aber da habe ich zum ersten Mal dieses Gefühl gespürt, hier steht jetzt richtig etwas auf dem Spiel, hier könnten wir aus der WM fliegen", so Klose. Zwei Ballack-Tore beim 4:1 im Rückspiel ebneten den Weg nach Asien, der dann bekanntlich bis ins WM-Finale gegen Brasilien führte. "Unter Druck ist es noch viel schwieriger, die Sachen umzusetzen", sagt Klose. "Deshalb geht es gerade in einem Druckspiel nicht darum, einen Beinschuss anzusetzen."

Dr. Hans-Dieter Hermann folgte 2004 dem Ruf von Jürgen Klinsmann, seitdem betreut er die Nationalmannschaft sportpsychologisch. Druck entstehe aus psychologischer Sicht immer dann, wenn das Ziel erstrebenswert erscheint, der Ausgang aber ungewiss sei, erklärt der 58 Jahre alte Sportpsychologe. Werde mit dem Druck richtig umgegangen, seien Sportler in der Lage, ganz besondere Leistungen abzurufen. Werde der Druck aber zu groß, können auch negative Folgen eintreten.

Die häufigste, so Hermann, sei es, dass Spieler überpacen. "Zum Beispiel im Training, weil sie dann einfach zu aggressiv in die Zweikämpfe gehen. Oder im Spiel, indem sie den Job vom Nebenmann übernehmen wollen oder eher übermotiviert zu Werke gehen. Im kritischen Fall muss der Trainer einschreiten." Die Trainingseinheiten am Mittwoch und Donnerstag lassen "HDH", wie er im Team genannt wird, optimistisch aufs Schweden-Spiel schauen: "Keiner hat überpaced, die Spieler waren fokussiert."

WM-Qualifikation 2009: Dramatik in Moskau

Im Herbst 2009 fand ebenfalls ein "Druckspiel" statt. Die Mannschaft trat damals in Moskau an und durfte nicht in Russland verlieren, um sicher zur WM zu fahren. Bei einer Niederlage drohte das Abrutschen auf den zweiten Gruppenplatz und damit die Playoffs (in denen die Russen später scheiterten). Klose, damals Stürmer beim FC Bayern München, erinnert sich: "Das Spiel in Moskau fand auf einem Kunstrasen statt, deshalb trainierten wir vor dem Abflug ein paarmal in Mainz, dort lag ein sehr ähnlicher Kunstrasen. Wir wollten auch rausfinden, ob wir besser mit Noppen oder kleinen Stollen spielen sollten." "Druckspiele" verlangen eben eine noch akribischere Vorbereitung.

In Moskau wurde es dramatisch. Die starken Russen erspielten sich etliche Torchancen. Jerome Boateng bekam bei seinem Debüt (zu Unrecht) in der 69. Minute die Rote Karte gezeigt. Das einzige Tor machte Klose nach 35 Minuten. Er schildert es so: "Poldi spielt auf Mesut, der steckt durch und ich komme noch vor den Mann und treffe mit der Außenseite ins lange Eck." Die Partie endete in Unterzahl 1:0, es war das WM-Ticket.

Hermann: "Mannschaft kann mit Druck umgehen"

Nun also heißt der Gegner Schweden. Beide, Hermann und Klose, waren bei der Mannschaftssitzung am Dienstag dabei. Die Deutung als "klärendes Gewitter" findet Klose überzogen: "Die Sitzung war kein Gewitter. Aber es ist unheimlich wichtig, dass innerhalb der Mannschaft Dinge angesprochen werden." Hans-Dieter Hermann berichtet: "Die Sitzung hat die Mannschaft eindeutig weitergebracht, auch weil sich viele beteiligt haben. Es wurde sehr klar geredet, auch selbstkritisch. Alle konnten sich danach in die Augen schauen.“

Noch so ein "Druckspiel" in der Geschichte der Nationalmannschaft, das dritte Gruppenspiel bei der WM 2010, der Gegner hieß Ghana. Zuvor war man Serbien 0:1 unterlegen. Weil man nicht wusste, wie das Parallelspiel ausgehen würde, brauchte es in Johannesburg einen Sieg. Es war eine zähe Angelegenheit, die schließlich Mesut Özil mit einem bemerkenswerten Distanzschuss für Deutschland entschied. Danach spielte die deutsche Mannschaft wie entfesselt. Es folgten das 4:1 über England im Achtelfinale und im Viertelfinale das 4:0 gegen Argentinien.

"Diese Mannschaft und dieser Trainer haben oft schon bewiesen, dass sie mit Druck umgehen können", sagt Hans-Dieter Hermann. Gewonnene "Druckspiele" seien Brustlöser. "Druckspiele sind definitiv die große Chance, sich selbst zu bestätigen. Die Psyche lässt sich nicht belügen." Billige Erfolgsmomente geben keinen Schub, erklärt der Teampsychologe. "Aber unter Druck etwas zu leisten, sagt dem Selbstbewusstsein: Hey, du kannst es. Das gibt einen starken und nachhaltigen Impuls." Miro Klose betont einen anderen Ratschlag, der universelle Gültigkeit im Fußball hat, umso mehr aber sicher vor "Druckspielen". Und zwar: "Jetzt gilt es nicht soviel zu reden. Jetzt müssen wir Taten sprechen lassen."

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