Plötzlicher Herztod: Experten-Tipps zur Vorbeugung

Jens Kleinefeld, als Medical Officer der UEFA seit etwa 20 Jahren bei Länderspielen im Einsatz, referierte beim UEFA Medical Symposium am DFB-Campus zum plötzlichen Herztod. In einem anschließenden Workshop schulte er die Teilnehmer*innen des Treffens an Puppen und ließ sie mit dem Defibrillator üben. Im DFB.de-Interview spricht Kleinefeld über seine Erfahrungen im Umgang mit Kollabierten.

DFB.de: Wann spricht man von einem Herzinfarkt und wann vom plötzlichen Herztod?

Jens Kleinefeld: Herzinfarkt ist eine medizinische Diagnose. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine Koronararterie verstopft ist. Teile der Muskulatur sterben ab, das kann zum Tod führen. Damit haben wir es im Fußball beziehungsweise im Leistungssport selten zu tun. Der plötzliche Herztod kommt häufiger vor und ist ein Rhythmusereignis. Dabei ist nichts verstopft, stattdessen ist der Herzrhythmus aus den Fugen geraten und es kommt zum Kammerflimmern.

DFB.de: Gibt es Statistiken darüber, wie oft ein plötzlicher Herztod im Profifußball auftritt?

Kleinefeld: Nein. Das ist garantiert im Promillebereich, ein seltenes Ereignis. Es tritt aber auf und ist, gerade, weil Fußballspiele im Fernsehen übertragen werden, relevant. Jeder Todesfall ist zu viel. Wenn Christian Eriksen wegen inadäquater Hilfe auf dem Platz verstoben wäre, wäre das eine Katastrophe gewesen.

DFB.de: Wie wichtig ist es, eine Datenbasis zu schaffen?

Kleinefeld: Da ist Tim Meyer dran. Er hat ein deutsches bzw. internationales Herztod-Register aufgebaut. Er sammelt die Daten, das ist sehr sinnvoll.

DFB.de: Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema?

Kleinefeld: Seit Anfang der 2000er. Miklos Feher und Marc-Vivienne Foé waren die ersten Fälle im Fußball. Ich hatte sie jeweils im Fernsehen gesehen und festgestellt, dass die ergriffenen Maßnahmen schlecht waren. Man hätte beide vielleicht retten können. Damals bin ich an den DFB herangetreten und habe das Thema auf einem Vortrag präsentiert. Ich war der Meinung, dass man Mannschaftsärzte und Physiotherapeuten schulen muss, sodass sie einen Herztod erkennen können. Im weiteren Verlauf haben dann auch UEFA und FIFA Minimalstandards vorgeschrieben, welches Notfallequipment am Spielfeldrand vorhanden sein muss, um solche Situationen beherrschen zu können.

DFB.de: Wie sind die Überlebenschancen?

Kleinefeld: Der plötzliche Herztod, der durch ein Rhythmusereignis ausgelöst wird, hat eine hohe Überlebenschance, wenn von Anfang an alles richtig gemacht wird. So wie bei Christian Eriksen, wo ich dabei war.

DFB.de: Stichwort schlechte Maßnahmen. Was sind No-Gos im Umgang mit dem Herztod?

Kleinefeld: Es gab auch nach Foé und Feher weitere Fälle. Jedes Jahr kommt es vor, siehe bei Abdelhak Nouri oder Davide Astori. Dabei wurde immer der gleiche Fehler gemacht - der Herztod wurde viel zu spät erkannt. Daraus resultierten Übersprungshandlungen. Wenn jemand kollabiert, läuft er nach einer Minute blau an. Die falsche Folgerung vor Ort war: Der kann nicht mehr atmen. In solchen Stresssituationen haben sich die Ersthelfer minutenlang damit beschäftigt, irgendwie die Zunge aus dem Hals zu holen. Dadurch gehen kostbare Minuten verloren. ​Im Moment, wenn jemand einen plötzlichen Herzkreislaufstillstand erleidet, wird das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und der Patient ist nicht mehr ansprechbar. Es passiert gar nicht selten, dass Betroffene dann einen Krampfanfall bekommen. Die kausale Verbindung zwischen plötzlichem Herztod und Krampfanfall wird oftmals nicht hergestellt. Auch das "blau Anlaufen des Gesichtes" wird anfänglich aufgrund eines Kreislaufstillstandes verursacht. Entscheidend ist aber das sofortige Erkennen des plötzlichen Herztodes.

DFB.de: Woran erkennt man einen plötzlichen Herztod?

Kleinefeld: Es gibt Reanimationsrichtlinien (ERC oder ILCOR), die alle fünf Jahre überarbeitet werden. Darin steht: 1. Der Athlet ist nicht mehr ansprechbar und reagiert nicht auf Reize. 2. Er atmet nicht mehr normal. Wofür ich sensibilisieren möchte: Beim beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand kann es durchaus sein, dass die Betroffenen sich in den ersten 20 bis 30 Sekunden noch bewegen. Sie laufen noch nicht blau an. Für Laien ist es in der ersten Minute schwer zu erkennen, ob der Betroffene normal atmet oder nicht. Deshalb zeige ich in der Ausbildung Videos von einem beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand. International haben wir festgelegt: Jeder Körperkollaps auf dem Spielfeld ohne Körperkontakt ist ein plötzlicher Herztod, bis das Gegenteil bewiesen ist. Wenn jemand auf dem Spielfeld kollabiert und nicht mehr ansprechbar ist, muss der erste Gedankengang sein: Das ist ein plötzlicher Herztod. Wird das Gehirn nur drei bis vier Sekunden nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt, schaltet es ab. Die Folge ist eine tiefe Ohnmacht. Dann muss man schnell handeln. In Schulungen nehmen wir den Teilnehmern die Angst vor der Herzdruckmassage,- selbst im Fall einer Fehldeutung der Symptome und es liegt kein plötzlicher Herztod vor - schädigt man den Patienten nicht mit der Herzdruckmassage.

DFB.de: Gibt es bekannte Beispiele dafür?

Kleinefeld: Ja, beim DFB-Pokalfinale 2022 brach ein am Spielfeldrand Beschäftigter zusammen. Da hat der Rettungsdienst richtigerweise mit der Herzdruckmassage angefangen. Danach wurde ein Defibrillator angeschlossen, der zeigte, dass kein Kammerflimmern vorliegt. Der Mann kollabierte aus anderen Gründen. Das Rettungsteam hat alles richtig gemacht, obwohl es wahrscheinlich keine Reanimation benötigt hätte. Das Herz des Patienten wurde dadurch nicht geschädigt. Die Message ist: Die Retter müssen mit der Herzdruckmassage anfangen - auch wenn sich später herausstellt, dass sie vielleicht gar nicht nötig war. Es braucht schnelle Entscheidungen. Die Überlebenschancen sinken pro Minute um zehn Prozent.

DFB.de: Warum gibt es falsche Interpretationen davon, was einem Kollabierten widerfahren ist?

Kleinefeld: Selbst Ärzte, die Notarztwagen gefahren sind, haben zum Teil noch nie einen beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand gesehen. Wenn sie nach fünf Minuten beim Betroffenen ankommen, sind die Leute hypoxisch, nicht ansprechbar und ohne Bewegung. Beobachtete Herz-Kreislauf-Stillstände kenne ich nur aus der Klinik. Dann sieht man auf den Monitoren das Kammerflimmern - aber die Leute bewegen sich anfänglich noch, richten sich manchmal sogar auf. Und genau diese Bilder zeigen wir bei unseren Schulungen anhand von vorhandenem Videomaterial bei einem plötzlichen Kreislaufkollaps auf dem Fußballplatz. Nur so bringt das etwas. Das ist eine spezielle Ausbildung. Man muss den Leuten zeigen, wie ein plötzlicher Herztod aussieht.

DFB.de: Welche Rolle spielt der Defibrillator bei Akutmaßnahmen?

Kleinefeld: Ein AED, also ein automatischer, externer Defibrillator, ist für die Laien-Reanimation konzipiert. Diese Geräte führen nach dem Kleben der Elektroden selbstständig eine Analyse durch und geben weitere Anweisungen. Ich war kürzlich auf einem Sportmediziner-Kongress in Österreich. Dort habe ich die Herztod-Schulung gegeben. Daraufhin meldete sich ein Kollege: In meinem Vortrag hätte ich gar nicht die Wichtigkeit der Pulskontrolle erwähnt. Die Pulskontrolle wurde aber schon vor Jahren aus den Richtlinien gestrichen, weil Studien gezeigt haben, dass die Pulskontrolle viele falsch-positive Ergebnisse liefert. Die Retter haben oft den eigenen Puls im Finger gespürt. Auch deshalb sind Schulungen zu dem Thema so wichtig: man vermittelt die aktuellen Richtlinien.

DFB.de: Was sind Ursachen für den plötzlichen Herztod?

Kleinefeld: Das wissen wir nicht genau. Bei Profifußballern, die komplett durchgecheckt werden, können wir davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Myokard-Infarkt handelt. In der Gesamtbevölkerung ist dieses hingegen die häufigste Todesursache. Im Fußball stehen unter anderem angeborene Herzerkrankungen, die Herz-Rhythmus-Störungen auslösen können, im Vordergrund. Diese können an sich harmlos sein, aber unter maximaler Herzbelastung zum Kammerflimmern führen. Man weiß, dass eine genetische Komponente eine Rolle spielt. Die angeborenen Herzerkrankungen spielen also in bestimmten Regionen eine größere Rolle. Nordafrikaner und Süditaliener haben zum Beispiel ein erhöhtes Risiko. Hinzu kommt die Entzündungskomponente: Akute Herzmuskelentzündungen können, genau wie eine abgelaufene Myokarditis, die eine Narbe im Gewebe hinterlassen hat, zum plötzlichen Herztod führen.

DFB.de: Was sind neue Erkenntnisse in Zusammenhang mit dem plötzlichen Herztod?

Kleinefeld: Der Fall Eriksen hat weltweit einiges verändert. Allein durch das riesige mediale Echo. Daraufhin habe ich von vielen Sportverbänden Anfragen bekommen, ob ich ihre Trainer oder Physiotherapeuten ausbilden könne. Der Fall hat auch viele Hobbyfußballer sensibilisiert. Auch technisch hat sich etwas getan. AEDs brauchen normalerweise 15 bis 20 Sekunden, um eine Analyse zu machen. Die neuen Geräte schaffen das in maximal fünf Sekunden. Wir reden mittlerweile​ nicht mehr von Minuten, sondern von Sekunden. Je eher man handelt, desto höher sind die Überlebenschancen.

DFB.de: Welche Schritte sind zu befolgen, wenn in meiner direkten Umgebung jemand kollabiert?

Kleinefeld: 1. Professionelle Hilfe rufen 2. Mit den Basismaßnahmen beginnen: Ist derjenige ansprechbar? 3. Wenn nicht: Mit der Herzdruckmassage anfangen. 4. Gibt es einen Defibrillator in der Nähe? 5. Den Defibrillator anschließen und möglichst schnell einsetzen. Herzstillstand heißt: Das Herz macht gar nichts mehr. Kammerflimmern bedeutet: Das Herz kontrahiert sich noch, aber nicht synchron. Es flimmert. Wenn das Herz flimmert, ist das Gehirn, das das Zielorgan bei einer Reanimation ist, nicht mehr durchblutet. Ich muss also einen Ersatzkreislauf aufbauen und mit einer tiefen Herzdruckmassage beginnen. D.h. fünf bis sechs Zentimeter, 100 bis 120 Mal pro Minute - möglichst ohne Unterbrechung. Es braucht Zeit, bis ein Kreislauf aufgebaut ist. Sobald ich einmal nicht drücke, bricht der Kreislauf zusammen. Und nur wenn ein Kreislauf da ist, wird Sauerstoff in Gehirn transportiert. Wenn man nicht allein ist, sollte man schauen, ob es einen Defibrillator in der Nähe gibt. In vielen Gebäuden an Fußballplätzen hängt mittlerweile einer. Dann jemanden losschicken und möglichst schnell defibrillieren. Das sind die Basismaßnahmen.

DFB.de: Was ist mit der Beatmung?

Kleinefeld: Die haben wir aus den Richtlinien herausgenommen. Viele haben sich vor der Mund-zu-Mund- oder der Mund-zu-Nase-Beatmung gescheut. Der menschliche Körper hat normalerweise eine Sauerstoffreserve für vier bis fünf Minuten im Körper - der muss nur transportiert werden. Sollte innerhalb dieser Zeit kein Rettungsdient da sein, sollte man aber mit der Beatmung beginnen. Zumindest in der Stadt ist der Rettungswagen in Deutschland meist da, bevor die Beatmung notwendig wird.

DFB.de: Für Laien geht es also darum, die Zeit bis zum Eintreffen eines Arztes zu überbrücken und mit diesen fünf Schritten zu beginnen.

Kleinefeld: Genau. In Deutschland sind wir europaweit an vorletzter Stelle, was die Ersthelfer-Maßnahmen angeht. Das sehe ich als Notarzt selbst. Nur in seltensten Fällen hat jemand mit der Herzdruckmassage begonnen, bevor wir eintreffen.

DFB.de: Wie erklären Sie sich das?

Kleinefeld: Angst. Mangelnde Ausbildung. In Deutschland machen wir nur einmal, in der Führerscheinprüfung, einen Erste-Hilfe-Kurs. Dabei liegt der Fokus nicht allein auf der Herzdruckmassage. Beispielhaft ist für mich die Niederlande, wo Schüler in der Oberstufe Reanimationskurse bekommen und ihnen das beigebracht wird.

DFB.de: Wie können wir gegensteuern?

Kleinefeld: Hierzulande muss man den Leuten die Scheu vor einer Reanimation nehmen. Das schaffen wir nur, indem wir gut ausbilden. Eine kleine Anekdote: Als ich für die Deutsche Herzstiftung tätig war, gab es einen Ersthelferkurs für Ehepartner. Selbst bei denen war die Scheu riesig, eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu machen. Da kann man sich vorstellen, wie wir Deutsche uns verhalten, wenn ein Fremder kollabiert. Diese Angst müssen wir nehmen. Man schädigt niemanden, wenn man die Maßnahmen ergreift, und sie im Nachhinein nicht notwendig gewesen wären. Das ist ganz wichtig.

DFB.de: Wie sieht es im Breitensport aus?

Kleinefeld: Außerhalb des Profifußballs wissen zum Beispiel viele Menschen, die hobbymäßig Marathon laufen oder Fußball spielen, oft gar nicht, dass sie eine angeborene Herzerkrankung haben. Dabei kommt das gar nicht so selten vor. Betroffene dürfen solche Sportarten dann leider nicht mehr ausführen. Jeder, der eine Ausdauersportart betreibt, sollte im Vorfeld mindestens einmal zum Kardiologen oder zum Hausarzt gehen und sich checken lassen. So minimiert man das Risiko, irgendwann zu kollabieren.

DFB.de: Gibt es - abgesehen von allgemeinen Aussagen wie gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung im Alltag - weitere Empfehlungen, um einem Herzflimmern präventiv entgegenwirken zu können?

Kleinefeld: Wie Sie sagen, Sport wirkt präventiv, zum Beispiel gegen einen Myokard-Infarkt. Körperliche Bewegung ist sehr sinnvoll. Im Profibereich ist das dem Körper nicht immer zuträglich. Aber abgesehen davon gibt es genügend Studien, die beweisen, dass sportliche Leute ein gesünderes Leben führen. Inklusive eines deutlich reduzierten Herzinfarkt-Risikos. Alle Hobbyausdauersportler sollten sich im Vorfeld ärztlich durchecken lassen. Im Alter, ab 60, sowieso. Es gibt aber auch einige Erkrankungen, die junge Leute betreffen. Das fängt ab der Pubertät an. Wenn beispielsweise ein 24-Jähriger zum ersten Mal Marathon läuft, er eine nicht entdeckte Herzerkrankung hat, kann er durchaus versterben. Jeder, der über den reinen Breitensport hinaus an Wettkampfveranstaltungen teilnimmt, sollte sich untersuchen lassen. Das kann ich nur jedem raten.

[jf]

Jens Kleinefeld, als Medical Officer der UEFA seit etwa 20 Jahren bei Länderspielen im Einsatz, referierte beim UEFA Medical Symposium am DFB-Campus zum plötzlichen Herztod. In einem anschließenden Workshop schulte er die Teilnehmer*innen des Treffens an Puppen und ließ sie mit dem Defibrillator üben. Im DFB.de-Interview spricht Kleinefeld über seine Erfahrungen im Umgang mit Kollabierten.

DFB.de: Wann spricht man von einem Herzinfarkt und wann vom plötzlichen Herztod?

Jens Kleinefeld: Herzinfarkt ist eine medizinische Diagnose. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine Koronararterie verstopft ist. Teile der Muskulatur sterben ab, das kann zum Tod führen. Damit haben wir es im Fußball beziehungsweise im Leistungssport selten zu tun. Der plötzliche Herztod kommt häufiger vor und ist ein Rhythmusereignis. Dabei ist nichts verstopft, stattdessen ist der Herzrhythmus aus den Fugen geraten und es kommt zum Kammerflimmern.

DFB.de: Gibt es Statistiken darüber, wie oft ein plötzlicher Herztod im Profifußball auftritt?

Kleinefeld: Nein. Das ist garantiert im Promillebereich, ein seltenes Ereignis. Es tritt aber auf und ist, gerade, weil Fußballspiele im Fernsehen übertragen werden, relevant. Jeder Todesfall ist zu viel. Wenn Christian Eriksen wegen inadäquater Hilfe auf dem Platz verstoben wäre, wäre das eine Katastrophe gewesen.

DFB.de: Wie wichtig ist es, eine Datenbasis zu schaffen?

Kleinefeld: Da ist Tim Meyer dran. Er hat ein deutsches bzw. internationales Herztod-Register aufgebaut. Er sammelt die Daten, das ist sehr sinnvoll.

DFB.de: Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema?

Kleinefeld: Seit Anfang der 2000er. Miklos Feher und Marc-Vivienne Foé waren die ersten Fälle im Fußball. Ich hatte sie jeweils im Fernsehen gesehen und festgestellt, dass die ergriffenen Maßnahmen schlecht waren. Man hätte beide vielleicht retten können. Damals bin ich an den DFB herangetreten und habe das Thema auf einem Vortrag präsentiert. Ich war der Meinung, dass man Mannschaftsärzte und Physiotherapeuten schulen muss, sodass sie einen Herztod erkennen können. Im weiteren Verlauf haben dann auch UEFA und FIFA Minimalstandards vorgeschrieben, welches Notfallequipment am Spielfeldrand vorhanden sein muss, um solche Situationen beherrschen zu können.

DFB.de: Wie sind die Überlebenschancen?

Kleinefeld: Der plötzliche Herztod, der durch ein Rhythmusereignis ausgelöst wird, hat eine hohe Überlebenschance, wenn von Anfang an alles richtig gemacht wird. So wie bei Christian Eriksen, wo ich dabei war.

DFB.de: Stichwort schlechte Maßnahmen. Was sind No-Gos im Umgang mit dem Herztod?

Kleinefeld: Es gab auch nach Foé und Feher weitere Fälle. Jedes Jahr kommt es vor, siehe bei Abdelhak Nouri oder Davide Astori. Dabei wurde immer der gleiche Fehler gemacht - der Herztod wurde viel zu spät erkannt. Daraus resultierten Übersprungshandlungen. Wenn jemand kollabiert, läuft er nach einer Minute blau an. Die falsche Folgerung vor Ort war: Der kann nicht mehr atmen. In solchen Stresssituationen haben sich die Ersthelfer minutenlang damit beschäftigt, irgendwie die Zunge aus dem Hals zu holen. Dadurch gehen kostbare Minuten verloren. ​Im Moment, wenn jemand einen plötzlichen Herzkreislaufstillstand erleidet, wird das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und der Patient ist nicht mehr ansprechbar. Es passiert gar nicht selten, dass Betroffene dann einen Krampfanfall bekommen. Die kausale Verbindung zwischen plötzlichem Herztod und Krampfanfall wird oftmals nicht hergestellt. Auch das "blau Anlaufen des Gesichtes" wird anfänglich aufgrund eines Kreislaufstillstandes verursacht. Entscheidend ist aber das sofortige Erkennen des plötzlichen Herztodes.

DFB.de: Woran erkennt man einen plötzlichen Herztod?

Kleinefeld: Es gibt Reanimationsrichtlinien (ERC oder ILCOR), die alle fünf Jahre überarbeitet werden. Darin steht: 1. Der Athlet ist nicht mehr ansprechbar und reagiert nicht auf Reize. 2. Er atmet nicht mehr normal. Wofür ich sensibilisieren möchte: Beim beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand kann es durchaus sein, dass die Betroffenen sich in den ersten 20 bis 30 Sekunden noch bewegen. Sie laufen noch nicht blau an. Für Laien ist es in der ersten Minute schwer zu erkennen, ob der Betroffene normal atmet oder nicht. Deshalb zeige ich in der Ausbildung Videos von einem beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand. International haben wir festgelegt: Jeder Körperkollaps auf dem Spielfeld ohne Körperkontakt ist ein plötzlicher Herztod, bis das Gegenteil bewiesen ist. Wenn jemand auf dem Spielfeld kollabiert und nicht mehr ansprechbar ist, muss der erste Gedankengang sein: Das ist ein plötzlicher Herztod. Wird das Gehirn nur drei bis vier Sekunden nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt, schaltet es ab. Die Folge ist eine tiefe Ohnmacht. Dann muss man schnell handeln. In Schulungen nehmen wir den Teilnehmern die Angst vor der Herzdruckmassage,- selbst im Fall einer Fehldeutung der Symptome und es liegt kein plötzlicher Herztod vor - schädigt man den Patienten nicht mit der Herzdruckmassage.

DFB.de: Gibt es bekannte Beispiele dafür?

Kleinefeld: Ja, beim DFB-Pokalfinale 2022 brach ein am Spielfeldrand Beschäftigter zusammen. Da hat der Rettungsdienst richtigerweise mit der Herzdruckmassage angefangen. Danach wurde ein Defibrillator angeschlossen, der zeigte, dass kein Kammerflimmern vorliegt. Der Mann kollabierte aus anderen Gründen. Das Rettungsteam hat alles richtig gemacht, obwohl es wahrscheinlich keine Reanimation benötigt hätte. Das Herz des Patienten wurde dadurch nicht geschädigt. Die Message ist: Die Retter müssen mit der Herzdruckmassage anfangen - auch wenn sich später herausstellt, dass sie vielleicht gar nicht nötig war. Es braucht schnelle Entscheidungen. Die Überlebenschancen sinken pro Minute um zehn Prozent.

DFB.de: Warum gibt es falsche Interpretationen davon, was einem Kollabierten widerfahren ist?

Kleinefeld: Selbst Ärzte, die Notarztwagen gefahren sind, haben zum Teil noch nie einen beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand gesehen. Wenn sie nach fünf Minuten beim Betroffenen ankommen, sind die Leute hypoxisch, nicht ansprechbar und ohne Bewegung. Beobachtete Herz-Kreislauf-Stillstände kenne ich nur aus der Klinik. Dann sieht man auf den Monitoren das Kammerflimmern - aber die Leute bewegen sich anfänglich noch, richten sich manchmal sogar auf. Und genau diese Bilder zeigen wir bei unseren Schulungen anhand von vorhandenem Videomaterial bei einem plötzlichen Kreislaufkollaps auf dem Fußballplatz. Nur so bringt das etwas. Das ist eine spezielle Ausbildung. Man muss den Leuten zeigen, wie ein plötzlicher Herztod aussieht.

DFB.de: Welche Rolle spielt der Defibrillator bei Akutmaßnahmen?

Kleinefeld: Ein AED, also ein automatischer, externer Defibrillator, ist für die Laien-Reanimation konzipiert. Diese Geräte führen nach dem Kleben der Elektroden selbstständig eine Analyse durch und geben weitere Anweisungen. Ich war kürzlich auf einem Sportmediziner-Kongress in Österreich. Dort habe ich die Herztod-Schulung gegeben. Daraufhin meldete sich ein Kollege: In meinem Vortrag hätte ich gar nicht die Wichtigkeit der Pulskontrolle erwähnt. Die Pulskontrolle wurde aber schon vor Jahren aus den Richtlinien gestrichen, weil Studien gezeigt haben, dass die Pulskontrolle viele falsch-positive Ergebnisse liefert. Die Retter haben oft den eigenen Puls im Finger gespürt. Auch deshalb sind Schulungen zu dem Thema so wichtig: man vermittelt die aktuellen Richtlinien.

DFB.de: Was sind Ursachen für den plötzlichen Herztod?

Kleinefeld: Das wissen wir nicht genau. Bei Profifußballern, die komplett durchgecheckt werden, können wir davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Myokard-Infarkt handelt. In der Gesamtbevölkerung ist dieses hingegen die häufigste Todesursache. Im Fußball stehen unter anderem angeborene Herzerkrankungen, die Herz-Rhythmus-Störungen auslösen können, im Vordergrund. Diese können an sich harmlos sein, aber unter maximaler Herzbelastung zum Kammerflimmern führen. Man weiß, dass eine genetische Komponente eine Rolle spielt. Die angeborenen Herzerkrankungen spielen also in bestimmten Regionen eine größere Rolle. Nordafrikaner und Süditaliener haben zum Beispiel ein erhöhtes Risiko. Hinzu kommt die Entzündungskomponente: Akute Herzmuskelentzündungen können, genau wie eine abgelaufene Myokarditis, die eine Narbe im Gewebe hinterlassen hat, zum plötzlichen Herztod führen.

DFB.de: Was sind neue Erkenntnisse in Zusammenhang mit dem plötzlichen Herztod?

Kleinefeld: Der Fall Eriksen hat weltweit einiges verändert. Allein durch das riesige mediale Echo. Daraufhin habe ich von vielen Sportverbänden Anfragen bekommen, ob ich ihre Trainer oder Physiotherapeuten ausbilden könne. Der Fall hat auch viele Hobbyfußballer sensibilisiert. Auch technisch hat sich etwas getan. AEDs brauchen normalerweise 15 bis 20 Sekunden, um eine Analyse zu machen. Die neuen Geräte schaffen das in maximal fünf Sekunden. Wir reden mittlerweile​ nicht mehr von Minuten, sondern von Sekunden. Je eher man handelt, desto höher sind die Überlebenschancen.

DFB.de: Welche Schritte sind zu befolgen, wenn in meiner direkten Umgebung jemand kollabiert?

Kleinefeld: 1. Professionelle Hilfe rufen 2. Mit den Basismaßnahmen beginnen: Ist derjenige ansprechbar? 3. Wenn nicht: Mit der Herzdruckmassage anfangen. 4. Gibt es einen Defibrillator in der Nähe? 5. Den Defibrillator anschließen und möglichst schnell einsetzen. Herzstillstand heißt: Das Herz macht gar nichts mehr. Kammerflimmern bedeutet: Das Herz kontrahiert sich noch, aber nicht synchron. Es flimmert. Wenn das Herz flimmert, ist das Gehirn, das das Zielorgan bei einer Reanimation ist, nicht mehr durchblutet. Ich muss also einen Ersatzkreislauf aufbauen und mit einer tiefen Herzdruckmassage beginnen. D.h. fünf bis sechs Zentimeter, 100 bis 120 Mal pro Minute - möglichst ohne Unterbrechung. Es braucht Zeit, bis ein Kreislauf aufgebaut ist. Sobald ich einmal nicht drücke, bricht der Kreislauf zusammen. Und nur wenn ein Kreislauf da ist, wird Sauerstoff in Gehirn transportiert. Wenn man nicht allein ist, sollte man schauen, ob es einen Defibrillator in der Nähe gibt. In vielen Gebäuden an Fußballplätzen hängt mittlerweile einer. Dann jemanden losschicken und möglichst schnell defibrillieren. Das sind die Basismaßnahmen.

DFB.de: Was ist mit der Beatmung?

Kleinefeld: Die haben wir aus den Richtlinien herausgenommen. Viele haben sich vor der Mund-zu-Mund- oder der Mund-zu-Nase-Beatmung gescheut. Der menschliche Körper hat normalerweise eine Sauerstoffreserve für vier bis fünf Minuten im Körper - der muss nur transportiert werden. Sollte innerhalb dieser Zeit kein Rettungsdient da sein, sollte man aber mit der Beatmung beginnen. Zumindest in der Stadt ist der Rettungswagen in Deutschland meist da, bevor die Beatmung notwendig wird.

DFB.de: Für Laien geht es also darum, die Zeit bis zum Eintreffen eines Arztes zu überbrücken und mit diesen fünf Schritten zu beginnen.

Kleinefeld: Genau. In Deutschland sind wir europaweit an vorletzter Stelle, was die Ersthelfer-Maßnahmen angeht. Das sehe ich als Notarzt selbst. Nur in seltensten Fällen hat jemand mit der Herzdruckmassage begonnen, bevor wir eintreffen.

DFB.de: Wie erklären Sie sich das?

Kleinefeld: Angst. Mangelnde Ausbildung. In Deutschland machen wir nur einmal, in der Führerscheinprüfung, einen Erste-Hilfe-Kurs. Dabei liegt der Fokus nicht allein auf der Herzdruckmassage. Beispielhaft ist für mich die Niederlande, wo Schüler in der Oberstufe Reanimationskurse bekommen und ihnen das beigebracht wird.

DFB.de: Wie können wir gegensteuern?

Kleinefeld: Hierzulande muss man den Leuten die Scheu vor einer Reanimation nehmen. Das schaffen wir nur, indem wir gut ausbilden. Eine kleine Anekdote: Als ich für die Deutsche Herzstiftung tätig war, gab es einen Ersthelferkurs für Ehepartner. Selbst bei denen war die Scheu riesig, eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu machen. Da kann man sich vorstellen, wie wir Deutsche uns verhalten, wenn ein Fremder kollabiert. Diese Angst müssen wir nehmen. Man schädigt niemanden, wenn man die Maßnahmen ergreift, und sie im Nachhinein nicht notwendig gewesen wären. Das ist ganz wichtig.

DFB.de: Wie sieht es im Breitensport aus?

Kleinefeld: Außerhalb des Profifußballs wissen zum Beispiel viele Menschen, die hobbymäßig Marathon laufen oder Fußball spielen, oft gar nicht, dass sie eine angeborene Herzerkrankung haben. Dabei kommt das gar nicht so selten vor. Betroffene dürfen solche Sportarten dann leider nicht mehr ausführen. Jeder, der eine Ausdauersportart betreibt, sollte im Vorfeld mindestens einmal zum Kardiologen oder zum Hausarzt gehen und sich checken lassen. So minimiert man das Risiko, irgendwann zu kollabieren.

DFB.de: Gibt es - abgesehen von allgemeinen Aussagen wie gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung im Alltag - weitere Empfehlungen, um einem Herzflimmern präventiv entgegenwirken zu können?

Kleinefeld: Wie Sie sagen, Sport wirkt präventiv, zum Beispiel gegen einen Myokard-Infarkt. Körperliche Bewegung ist sehr sinnvoll. Im Profibereich ist das dem Körper nicht immer zuträglich. Aber abgesehen davon gibt es genügend Studien, die beweisen, dass sportliche Leute ein gesünderes Leben führen. Inklusive eines deutlich reduzierten Herzinfarkt-Risikos. Alle Hobbyausdauersportler sollten sich im Vorfeld ärztlich durchecken lassen. Im Alter, ab 60, sowieso. Es gibt aber auch einige Erkrankungen, die junge Leute betreffen. Das fängt ab der Pubertät an. Wenn beispielsweise ein 24-Jähriger zum ersten Mal Marathon läuft, er eine nicht entdeckte Herzerkrankung hat, kann er durchaus versterben. Jeder, der über den reinen Breitensport hinaus an Wettkampfveranstaltungen teilnimmt, sollte sich untersuchen lassen. Das kann ich nur jedem raten.

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