Palästina: Mit dem Fußball dem Alltag entkommen

Laut war es, sehr sogar. Meistens waren die Teilnehmerinnen fröhlich und ausgelassen, immer waren sie engagiert und mit vollem Elan bei der Sache. Die 18 Kandidatinnen haben viel Lärm gemacht, immer wenn sie mit DFB-Auslandsexpertin Anja Palusevic auf dem Spielfeld standen.

Es wurde gejubelt, manchmal geschrien, mitunter geweint und viel gelacht. Richtig ruhig wurde es fast nie, mit zwei Ausnahmen: Wenn Palusevic ihrer Pfeife einen schrillen Ton entlockte. Oder wenn der Muezzin rief. Dann wandten sich einige der 18 Lehrerinnen dem Gebet zu, die Übung musste ruhen, das Gespräch mit Allah war wichtiger.

Alltag in Palästina. Alltag in Ramallah. Alltag für Palusevic. Die Deutsche war im Auftrag von DFB, DOSB und Auswärtigem Amt in Palästina, um ein Projekt des Palästinensischen Fußball-Verbandes zu unterstützen. Im „National Institute for Educational Training“ in Ramallah übernahm sie für zehn Tage die fußballerische Ausbildung von Palästinenserinnen. Es war ein Alltag mit vielen Widrigkeiten, mit vielen Herausforderungen, vielen Lösungen und vielen kleinen und großen Überraschungen.

Weg mit dem Konzept - Improvisation gefragt

Die erste Überraschung war eine unerfreuliche. Mitte November war Anja Palusevic in die West Bank gereist. Der Auftrag war klar formuliert: die Weiterbildung von fortgeschrittenen Trainerinnen. Palusevic hatte, ganz deutsch, akribisch ein Konzept ausgearbeitet, hatte sich viele Gedanken gemacht über Unterrichtsinhalte, über Taktik und Didaktik. Gemünzt auf Trainerinnen, gemünzt auf Frauen mit nicht unerheblichem Fachverstand.

Tatsächlich standen ihr keine Frauen vom Fach, sondern Sportlehrerinnen gegenüber, für die Fußball ein Fremdwort war. Kurzerhand hatte der Palästinensische Fußball-Verband das Konzept geändert, in Kooperation mit dem Schul- und Sportministeriums Palästinas wurde entschieden, den Fußball verstärkt in den Sportunterricht von Mädchen einzubinden.

Also musste Palusevic nicht Expertinnen weiterbilden, sondern Novizen einweisen und schulen. Und ihr schönes Konzept flog in hohem Bogen in den Papierkorb. Fortan war Improvisation gefragt. Und zunächst das kleine Einmaleins. Einen Elfmeter schießt man aus elf Metern, ein Einwurf wird geworfen, der Ball muss ins Tor.

Frauenfußball steckt in den Kinderschuhen

Der Fußball steckt in Palästina noch in den Kinderschuhen, der Frauenfußball besonders. Doch ganz langsam greifen die Maßnahmen - und immerhin: Mittlerweile spielen in Palästina in zwei Ligen insgesamt 17 Frauenteams organisiert Fußball. Die Region hat Ambitionen und eine Auswahlmannschaft, die Ambitionen hat. Wenn es auch aktuell noch nicht reicht, um international konkurrenzfähig zu sein. Demonstriert wurde dies im Oktober in Hebron bei einem Spiel gegen eine Auswahl aus Japan, bei dem die Spielerinnen aus dem Land des Weltmeisters den Gastgeberinnen in allen Belangen überlegen waren.

Noch. Nach und nach soll der Abstand mit einer Vielzahl von Maßnahmen verkürzt werden. In Palästina soll im Rahmen des Mädchensportunterrichts der Fußball als festes Element etabliert werden, auf diese Weise sollen mehr Mädchen für den Sport begeistert und damit die Basis gestärkt werden.

Als ein Schritt sollen die von Palusevic geschulten Lehrerinnen an ihren Schulen Mannschaften bilden, später sollen sich diese einmal im Jahr im Rahmen eines Palästina-weiten Turniers messen. Schritt für Schritt soll und wird es vorangehen - und irgendwann sollen Teams wie die der Japanerinnen nicht länger mehr als eine Nummer zu groß sein.

Kantersieg für Japan, Kantersieg für den Frauenfußball

Zukunftsmusik. In der Gegenwart waren die Japanerinnen 21 Tore besser als die Frauen aus Palästina - und doch war das Spiel ein Kantersieg für den Frauenfußball und damit die Frauen in der Region. Frauenfußball in Hebron, 11.000 zumeist weibliche Zuschauer im Stadion, deutlicher kann ein Zeichen kaum gesetzt werden.

Es war ein Zeichen der Freiheit und ein Zeichen für die Rechte der Frauen in einer muslimischen Gesellschaft. Ganz bewusst wurde Hebron als Austragungsort gewählt, eine konservative Stadt, in der es Fußball spielenden Frauen noch schwerer haben als in vielen anderen Teilen der Region. Die Partie war von Protesten begleitet, einige religiöse Führer versuchten, die Ausführung zu verhindern. Ohne Erfolg.

„Der Verband in Palästina steht voll und ganz hinter den Frauen“, sagt Palusevic. Das Spiel gegen den Weltmeister war dafür ein großes Signal, in ihrer täglichen Arbeit hat die Sozialpädagogin viele kleine Signale erhalten. Taktiktafeln, Hütchen, Trainingsmaterialien in allen Facetten, kaum war ein Wunsch ausgesprochen, war er auch schon erfüllt. Palusevic hat schon in Namibia gearbeitet, im Togo und in der Türkei. Groß war die Unterstützung überall, so groß wie in Ramallah noch nirgends. „Da bin ich anderes gewohnt“, sagt sie.

Pferd vor dem Tor

Ungewöhnlich war auch ihr finales Erlebnis in Palästina. Bei der Abschlussprüfung lief lange alles reibungslos, alle 18 Teilnehmerinnen bestanden die theoretischen Aufgaben. Auch bei der Praxis lief es wie am Schnürchen, eine Lehrerin nach der anderen zeigte sich reif für das Zertifikat, besondere Vorkommnisse: keine.

Bis Kandidatin Nummer 18 an der Reihe war. Auf einmal wurde es ruhig auf dem Platz, und Palusevic wunderte sich: Stille? Dabei hatte weder sie ihre Pfeife sprechen lassen noch der Muezzin gerufen. Dafür hat ein Gaul gewiehert. „Auf einmal kam ein Pferd auf dem Platz galoppiert“, erzählt Palusevic. Was tun? Kurzerhand wurde aus der Abschlussprüfung für palästinensische Lehrerinnen eine Reitstunde für die Deutsche. „Wir sind dann alle kurz auf dem Pferd geritten“, sagt sie.

Ach ja, bestanden hat natürlich auch Teilnehmerin Nummer 18. „Wir haben die Übung dann später nachgeholt“, sagt Palusevic und fasst ihre zehn Tage in Palästina in einem Satz zusammen: „Es war ein tolles und spannendes Erlebnis, bei dem auch ich einiges gelernt habe.“ Dazu gehört die Erkenntnis: In Deutschland stehen Pferde auf dem Flur, in Palästina vor dem Tor.

[sl]

[bild1]

Laut war es, sehr sogar. Meistens waren die Teilnehmerinnen fröhlich und ausgelassen, immer waren sie engagiert und mit vollem Elan bei der Sache. Die 18 Kandidatinnen haben viel Lärm gemacht, immer wenn sie mit DFB-Auslandsexpertin Anja Palusevic auf dem Spielfeld standen.

Es wurde gejubelt, manchmal geschrien, mitunter geweint und viel gelacht. Richtig ruhig wurde es fast nie, mit zwei Ausnahmen: Wenn Palusevic ihrer Pfeife einen schrillen Ton entlockte. Oder wenn der Muezzin rief. Dann wandten sich einige der 18 Lehrerinnen dem Gebet zu, die Übung musste ruhen, das Gespräch mit Allah war wichtiger.

Alltag in Palästina. Alltag in Ramallah. Alltag für Palusevic. Die Deutsche war im Auftrag von DFB, DOSB und Auswärtigem Amt in Palästina, um ein Projekt des Palästinensischen Fußball-Verbandes zu unterstützen. Im „National Institute for Educational Training“ in Ramallah übernahm sie für zehn Tage die fußballerische Ausbildung von Palästinenserinnen. Es war ein Alltag mit vielen Widrigkeiten, mit vielen Herausforderungen, vielen Lösungen und vielen kleinen und großen Überraschungen.

Weg mit dem Konzept - Improvisation gefragt

Die erste Überraschung war eine unerfreuliche. Mitte November war Anja Palusevic in die West Bank gereist. Der Auftrag war klar formuliert: die Weiterbildung von fortgeschrittenen Trainerinnen. Palusevic hatte, ganz deutsch, akribisch ein Konzept ausgearbeitet, hatte sich viele Gedanken gemacht über Unterrichtsinhalte, über Taktik und Didaktik. Gemünzt auf Trainerinnen, gemünzt auf Frauen mit nicht unerheblichem Fachverstand.

Tatsächlich standen ihr keine Frauen vom Fach, sondern Sportlehrerinnen gegenüber, für die Fußball ein Fremdwort war. Kurzerhand hatte der Palästinensische Fußball-Verband das Konzept geändert, in Kooperation mit dem Schul- und Sportministeriums Palästinas wurde entschieden, den Fußball verstärkt in den Sportunterricht von Mädchen einzubinden.

Also musste Palusevic nicht Expertinnen weiterbilden, sondern Novizen einweisen und schulen. Und ihr schönes Konzept flog in hohem Bogen in den Papierkorb. Fortan war Improvisation gefragt. Und zunächst das kleine Einmaleins. Einen Elfmeter schießt man aus elf Metern, ein Einwurf wird geworfen, der Ball muss ins Tor.

Frauenfußball steckt in den Kinderschuhen

Der Fußball steckt in Palästina noch in den Kinderschuhen, der Frauenfußball besonders. Doch ganz langsam greifen die Maßnahmen - und immerhin: Mittlerweile spielen in Palästina in zwei Ligen insgesamt 17 Frauenteams organisiert Fußball. Die Region hat Ambitionen und eine Auswahlmannschaft, die Ambitionen hat. Wenn es auch aktuell noch nicht reicht, um international konkurrenzfähig zu sein. Demonstriert wurde dies im Oktober in Hebron bei einem Spiel gegen eine Auswahl aus Japan, bei dem die Spielerinnen aus dem Land des Weltmeisters den Gastgeberinnen in allen Belangen überlegen waren.

Noch. Nach und nach soll der Abstand mit einer Vielzahl von Maßnahmen verkürzt werden. In Palästina soll im Rahmen des Mädchensportunterrichts der Fußball als festes Element etabliert werden, auf diese Weise sollen mehr Mädchen für den Sport begeistert und damit die Basis gestärkt werden.

Als ein Schritt sollen die von Palusevic geschulten Lehrerinnen an ihren Schulen Mannschaften bilden, später sollen sich diese einmal im Jahr im Rahmen eines Palästina-weiten Turniers messen. Schritt für Schritt soll und wird es vorangehen - und irgendwann sollen Teams wie die der Japanerinnen nicht länger mehr als eine Nummer zu groß sein.

Kantersieg für Japan, Kantersieg für den Frauenfußball

Zukunftsmusik. In der Gegenwart waren die Japanerinnen 21 Tore besser als die Frauen aus Palästina - und doch war das Spiel ein Kantersieg für den Frauenfußball und damit die Frauen in der Region. Frauenfußball in Hebron, 11.000 zumeist weibliche Zuschauer im Stadion, deutlicher kann ein Zeichen kaum gesetzt werden.

Es war ein Zeichen der Freiheit und ein Zeichen für die Rechte der Frauen in einer muslimischen Gesellschaft. Ganz bewusst wurde Hebron als Austragungsort gewählt, eine konservative Stadt, in der es Fußball spielenden Frauen noch schwerer haben als in vielen anderen Teilen der Region. Die Partie war von Protesten begleitet, einige religiöse Führer versuchten, die Ausführung zu verhindern. Ohne Erfolg.

„Der Verband in Palästina steht voll und ganz hinter den Frauen“, sagt Palusevic. Das Spiel gegen den Weltmeister war dafür ein großes Signal, in ihrer täglichen Arbeit hat die Sozialpädagogin viele kleine Signale erhalten. Taktiktafeln, Hütchen, Trainingsmaterialien in allen Facetten, kaum war ein Wunsch ausgesprochen, war er auch schon erfüllt. Palusevic hat schon in Namibia gearbeitet, im Togo und in der Türkei. Groß war die Unterstützung überall, so groß wie in Ramallah noch nirgends. „Da bin ich anderes gewohnt“, sagt sie.

[bild2]

Pferd vor dem Tor

Ungewöhnlich war auch ihr finales Erlebnis in Palästina. Bei der Abschlussprüfung lief lange alles reibungslos, alle 18 Teilnehmerinnen bestanden die theoretischen Aufgaben. Auch bei der Praxis lief es wie am Schnürchen, eine Lehrerin nach der anderen zeigte sich reif für das Zertifikat, besondere Vorkommnisse: keine.

Bis Kandidatin Nummer 18 an der Reihe war. Auf einmal wurde es ruhig auf dem Platz, und Palusevic wunderte sich: Stille? Dabei hatte weder sie ihre Pfeife sprechen lassen noch der Muezzin gerufen. Dafür hat ein Gaul gewiehert. „Auf einmal kam ein Pferd auf dem Platz galoppiert“, erzählt Palusevic. Was tun? Kurzerhand wurde aus der Abschlussprüfung für palästinensische Lehrerinnen eine Reitstunde für die Deutsche. „Wir sind dann alle kurz auf dem Pferd geritten“, sagt sie.

Ach ja, bestanden hat natürlich auch Teilnehmerin Nummer 18. „Wir haben die Übung dann später nachgeholt“, sagt Palusevic und fasst ihre zehn Tage in Palästina in einem Satz zusammen: „Es war ein tolles und spannendes Erlebnis, bei dem auch ich einiges gelernt habe.“ Dazu gehört die Erkenntnis: In Deutschland stehen Pferde auf dem Flur, in Palästina vor dem Tor.