Ottmar Walter zum 100.: Für immer ein "Held von Bern"

Im Sommer wird wieder an die Helden von Bern erinnert werden. Vielleicht nicht so umfangreich wie früher, denn der 70. Jahrestag des WM-Triumphes von 1954 fällt mitten in die Heim-EM - und zwei weitere WM-Titel, die von 1974 und 2014, werden auch "rund". Außerdem ist es das erste Jubiläum ohne Zeitzeugen. 2021 verstarb mit Horst Eckel der letzte Weltmeister, im Alter von 89 Jahren. Genauso alt wurde einer seiner Kameraden: Ottmar Walter, der heute 100 Jahre alt geworden wäre. DFB.de würdigt den jüngeren Bruder von DFB-Ehrenspielführer Fritz Walter, in dessen Schatten er gern stand.

Als Kind wollte Ottmar Walter Boxer werden und trat aus Bewunderung für Max Schmeling in einen Box-Klub ein, aber schon seit dem neunten Lebensjahr rannte er dem runden Leder beim 1. FC Kaiserslautern nach. Kein Wunder - bei dem Vorbild. Fritz Walter, sein vier Jahre älterer Bruder, stand schon mit 19 in der Nationalelf. Da wollte Ottmar, der wie Fritz sehr torgefährlich, aber eben nicht so genial war, auch hin. Auch wenn ihn Vater Ludwig provozierte: "Du steifer Jockel wirst niemals so gelenkig wie der Fritz und bringst es auch nie so weit." 1940 aber debütierte er an der Seite des großen Bruder in der ersten Mannschaft des FCK, mit erst 16 Jahren in der Gauliga Südwest gegen den FC Metz. Fortan hatte der FCK ein torgefährliches Brüderpaar. Im Krieg zur Marine einberufen, spielte er kurz für Holstein Kiel und den SV Cuxhaven, im Herzen blieb er immer ein "Betze-Bub".

1943 machte ihm Sepp Herberger Hoffnung auf ein Länderspiel. "Zum nächsten Lehrgang vor dem Länderspiel gegen Finnland in Breslau lade ich Sie ein!", sagte der Chef. Aber auch der konnte nicht verhindern, dass der Länderspielbetrieb wegen der "Frontbegradigung" eingestellt wurde.

Kampf ums Überleben

Statt um den Ball kämpfte Walter wie Millionen Männer aus seiner Generation nun ums Überleben. Beinahe hätte er den Kampf verloren als er mit elf Kameraden 1944 im Ärmelkanal um sein Leben schwamm. Ein englischer Zerstörer hatte das Torpedoboot seiner Einheit versenkt. Stundenlang klammerte er sich an seine Schwimmweste, ehe er gerettet wurde.

Wie seine beiden Brüder geriet er in Kriegsgefangenschaft, allerdings in amerikanische. Dort wurde er operiert und 1946 ließen sie ihn gehen, mit 19 Granatsplittern im Körper - davon vier im Knie. Aber ein deutscher Marinearzt versprach ihm: "Vermutlich können Sie wieder Fußball spielen. Das Knie ist gerettet." Das war alles, was er wollte nach sechs verlorenen Jahren. Er schloss sich wieder dem von Bruder Fritz trainierten FCK an und als der DFB 1950 in die Fifa aufgenommen wurde, stand er am 22. November beim ersten Länderspiel nach dem Krieg gegen die Schweiz (1:0) mit dem Adler auf der Brust in Stuttgart auf dem Platz. "Ich weiß noch genau, was der Chef nach dem Spiel zu mir gesagt hat: Ottmar, danke", erinnerte sich Walter genauestens an den bis dahin größten Tag seines Lebens neben der Hochzeit mit seiner Anneliese, mit der er 66 Jahre verheiratet war und einen Sohn namens Ottmar hatte.

Dann kamen die Meisterschaften mit dem FCK 1951 und 1953, als alle Welt von "der Walter-Elf" schwärmte. Das galt vor allem dem Genius Fritz, in dessen Schatten er immer stand - ohne sich je zu beklagen. Ihm ging es nicht anders als den anderen Zeitgenossen Fritz Walters - er hat ihn schlichtweg bewundert und war stolz, dass der Fritz ihn, "obwohl ich drei Jahre jünger bin, in rund neunzig Prozent aller Fälle um Rat gefragt - gerade in privaten Dingen. Dann rief er an oder kam vorbei, danach erst hat er eine Entscheidung getroffen. Darauf bin ich sehr stolz.", sagte er der WELT 2005.

336 Tore in 321 Pflichtspielen

Stolz durfte er auch auf seine Karriere an der Seite von Fritz sein. Auf seine fabelhaften 336 Tore in 321 Pflichtspielen, die ihn zum Rekordtorjäger des Vereins machten. 51 Tore waren es allein in der Saison 1947/1948 in der Oberliga Südwest - unerreicht. Alles überstrahlen natürlich die Sommer-Tage von Spiez und jener von Bern, das Finale am 4. Juli 1954. Gegen die Ungarn trafen Max Morlock und Helmut Rahn, aber der an eins gesetzte Stürmer im DFB-Team war Ottmar Walter, der bei der WM in der Schweiz vier Tore schoss. Ein fünftes wäre hinzugekommen, hätte "der Boss" in der 84. Minute zum freistehenden Ottmar abgespielt. Aber Rahn schoss lieber selbst - aus dem Hintergrund. Sonst wäre Ottmar, der 21 Länderspiele (zehn Tore) bestritt, vielleicht doch mal aus dem Schatten des großen Bruders getreten.

Vielleicht wäre vieles anders gekommen nach dem letzten Abpfiff 1959, als ihn das Knie mit 34 zum Karriereende zwang. So gut er sich auch im Strafraum zurecht fand, so schwer tat sich der gelernte KFZ-Mechaniker im Berufsleben. Nach dem Reinfall mit einer gepachteten Tankstelle, zu deren Eröffnung Sepp Herberger persönlich erschienen war, verübte er 1969 einen Selbstmordversuch.

Zum Glück misslang er, die Stadt Kaiserslautern fing ihn auf. In der Stadtverwaltung war Ottmar Walter ein fleißiger und geschätzter Kollege. Am Wochenende zog es ihn auf den "Betze" hoch, natürlich hatte er eine Ehrenkarte. Vor seinem 80. Geburtstag wurde er noch auf dem Rasen geehrt. Der Klub schenkte Blumen, die Mannschaft drei Punkte gegen Frankfurt. Bis zu seinem Tode am 16. Juni 2013 blieb Ottmar Walter, der 2004 das Große Bundesverdienstkreuz erhielt, der Weltmeister von nebenan.

[um]

Im Sommer wird wieder an die Helden von Bern erinnert werden. Vielleicht nicht so umfangreich wie früher, denn der 70. Jahrestag des WM-Triumphes von 1954 fällt mitten in die Heim-EM - und zwei weitere WM-Titel, die von 1974 und 2014, werden auch "rund". Außerdem ist es das erste Jubiläum ohne Zeitzeugen. 2021 verstarb mit Horst Eckel der letzte Weltmeister, im Alter von 89 Jahren. Genauso alt wurde einer seiner Kameraden: Ottmar Walter, der heute 100 Jahre alt geworden wäre. DFB.de würdigt den jüngeren Bruder von DFB-Ehrenspielführer Fritz Walter, in dessen Schatten er gern stand.

Als Kind wollte Ottmar Walter Boxer werden und trat aus Bewunderung für Max Schmeling in einen Box-Klub ein, aber schon seit dem neunten Lebensjahr rannte er dem runden Leder beim 1. FC Kaiserslautern nach. Kein Wunder - bei dem Vorbild. Fritz Walter, sein vier Jahre älterer Bruder, stand schon mit 19 in der Nationalelf. Da wollte Ottmar, der wie Fritz sehr torgefährlich, aber eben nicht so genial war, auch hin. Auch wenn ihn Vater Ludwig provozierte: "Du steifer Jockel wirst niemals so gelenkig wie der Fritz und bringst es auch nie so weit." 1940 aber debütierte er an der Seite des großen Bruder in der ersten Mannschaft des FCK, mit erst 16 Jahren in der Gauliga Südwest gegen den FC Metz. Fortan hatte der FCK ein torgefährliches Brüderpaar. Im Krieg zur Marine einberufen, spielte er kurz für Holstein Kiel und den SV Cuxhaven, im Herzen blieb er immer ein "Betze-Bub".

1943 machte ihm Sepp Herberger Hoffnung auf ein Länderspiel. "Zum nächsten Lehrgang vor dem Länderspiel gegen Finnland in Breslau lade ich Sie ein!", sagte der Chef. Aber auch der konnte nicht verhindern, dass der Länderspielbetrieb wegen der "Frontbegradigung" eingestellt wurde.

Kampf ums Überleben

Statt um den Ball kämpfte Walter wie Millionen Männer aus seiner Generation nun ums Überleben. Beinahe hätte er den Kampf verloren als er mit elf Kameraden 1944 im Ärmelkanal um sein Leben schwamm. Ein englischer Zerstörer hatte das Torpedoboot seiner Einheit versenkt. Stundenlang klammerte er sich an seine Schwimmweste, ehe er gerettet wurde.

Wie seine beiden Brüder geriet er in Kriegsgefangenschaft, allerdings in amerikanische. Dort wurde er operiert und 1946 ließen sie ihn gehen, mit 19 Granatsplittern im Körper - davon vier im Knie. Aber ein deutscher Marinearzt versprach ihm: "Vermutlich können Sie wieder Fußball spielen. Das Knie ist gerettet." Das war alles, was er wollte nach sechs verlorenen Jahren. Er schloss sich wieder dem von Bruder Fritz trainierten FCK an und als der DFB 1950 in die Fifa aufgenommen wurde, stand er am 22. November beim ersten Länderspiel nach dem Krieg gegen die Schweiz (1:0) mit dem Adler auf der Brust in Stuttgart auf dem Platz. "Ich weiß noch genau, was der Chef nach dem Spiel zu mir gesagt hat: Ottmar, danke", erinnerte sich Walter genauestens an den bis dahin größten Tag seines Lebens neben der Hochzeit mit seiner Anneliese, mit der er 66 Jahre verheiratet war und einen Sohn namens Ottmar hatte.

Dann kamen die Meisterschaften mit dem FCK 1951 und 1953, als alle Welt von "der Walter-Elf" schwärmte. Das galt vor allem dem Genius Fritz, in dessen Schatten er immer stand - ohne sich je zu beklagen. Ihm ging es nicht anders als den anderen Zeitgenossen Fritz Walters - er hat ihn schlichtweg bewundert und war stolz, dass der Fritz ihn, "obwohl ich drei Jahre jünger bin, in rund neunzig Prozent aller Fälle um Rat gefragt - gerade in privaten Dingen. Dann rief er an oder kam vorbei, danach erst hat er eine Entscheidung getroffen. Darauf bin ich sehr stolz.", sagte er der WELT 2005.

336 Tore in 321 Pflichtspielen

Stolz durfte er auch auf seine Karriere an der Seite von Fritz sein. Auf seine fabelhaften 336 Tore in 321 Pflichtspielen, die ihn zum Rekordtorjäger des Vereins machten. 51 Tore waren es allein in der Saison 1947/1948 in der Oberliga Südwest - unerreicht. Alles überstrahlen natürlich die Sommer-Tage von Spiez und jener von Bern, das Finale am 4. Juli 1954. Gegen die Ungarn trafen Max Morlock und Helmut Rahn, aber der an eins gesetzte Stürmer im DFB-Team war Ottmar Walter, der bei der WM in der Schweiz vier Tore schoss. Ein fünftes wäre hinzugekommen, hätte "der Boss" in der 84. Minute zum freistehenden Ottmar abgespielt. Aber Rahn schoss lieber selbst - aus dem Hintergrund. Sonst wäre Ottmar, der 21 Länderspiele (zehn Tore) bestritt, vielleicht doch mal aus dem Schatten des großen Bruders getreten.

Vielleicht wäre vieles anders gekommen nach dem letzten Abpfiff 1959, als ihn das Knie mit 34 zum Karriereende zwang. So gut er sich auch im Strafraum zurecht fand, so schwer tat sich der gelernte KFZ-Mechaniker im Berufsleben. Nach dem Reinfall mit einer gepachteten Tankstelle, zu deren Eröffnung Sepp Herberger persönlich erschienen war, verübte er 1969 einen Selbstmordversuch.

Zum Glück misslang er, die Stadt Kaiserslautern fing ihn auf. In der Stadtverwaltung war Ottmar Walter ein fleißiger und geschätzter Kollege. Am Wochenende zog es ihn auf den "Betze" hoch, natürlich hatte er eine Ehrenkarte. Vor seinem 80. Geburtstag wurde er noch auf dem Rasen geehrt. Der Klub schenkte Blumen, die Mannschaft drei Punkte gegen Frankfurt. Bis zu seinem Tode am 16. Juni 2013 blieb Ottmar Walter, der 2004 das Große Bundesverdienstkreuz erhielt, der Weltmeister von nebenan.

###more###