"Ohne Transparenz und Offenheit geht es nicht"

Viermal war Herbert Fandel Deutschlands "Schiedsrichter des Jahres". Fandel war als Unparteiischer bei den Olympischen Spielen in Sydney, zu seinen Höhepunkten gehören daneben seine Einsätze bei der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz.

Nach seinem letzten Pfiff als Aktiver hat er für das Schiedsrichterwesen in anderer Funktion Verantwortung übernommen. Seit Mai 2010 steht er der Schiedsrichter-Kommission des DFB als Vorsitzender vor. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht er über Arbeit und Erfolge der Schiedsrichter-Kommission sowie die Probleme und Herausforderungen im deutschen Schiedsrichterwesen.

DFB.de: Herr Fandel, 2011 war für den Schiedsrichterbereich kein einfaches Jahr. Es wurde viel über Steuerfragen, den Suizidversuch von Babak Rafati und den Druck für die Schiedsrichter gesprochen. Nehmen Sie trotzdem positive Aspekte und Erkenntnisse mit ins neue Jahr?

Herbert Fandel: Es stimmt schon: Leider sind in den vergangenen Monaten viele belastende Dinge auf uns eingeströmt, die mit der fachlichen Arbeit nichts zu tun haben. Wenn ich ehrlich bin, fällt es mir deswegen im Moment ein bisschen schwer, das Positive herauszustellen. Aber wir in der Schiedsrichterführung wissen, dass wir zahlreiche wichtige Schritte der Professionalisierung und Modernisierung unternommen haben, auch wenn dies öffentlich kaum wahrgenommen wird.

DFB.de: Können Sie dies konkretisieren?

Fandel: Es war für uns ein großes Anliegen, das Umfeld der Schiedsrichter zu professionalisieren und sie individuell zu betreuen. Besonders wichtig war dabei der Beobachter- und Coaching-Bereich. Die Schiedsrichter sind einem großen Druck ausgesetzt, gerade die jüngeren Schiedsrichter müssen sich an diesen Druck erst gewöhnen und dann ist es gut, direkte Ansprechpartner zu haben.

DFB.de: Wie kann man dabei helfen?

Fandel: Wir haben den Schiedsrichtern Fachleute an die Seite gestellt, die mit ihnen über ihre Spielleitungen sprechen, sie analysieren und in einer vernünftigen Art und Weise aufarbeiten sollen. Es ist wichtig, dass diese Ansprechpartner selber optimal geschult werden. Darüber hinaus war und ist es wichtig, dass die neue Schiedsrichter-Führung mit Hellmut Krug, Lutz Michael Fröhlich, Lutz Wagner, Eugen Strigel und mir für unsere Schiedsrichter ständig zur Verfügung steht, um über Spielleitung und auch über Probleme zu reden.



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Viermal war Herbert Fandel Deutschlands "Schiedsrichter des Jahres". Fandel war als Unparteiischer bei den Olympischen Spielen in Sydney, zu seinen Höhepunkten gehören daneben seine Einsätze bei der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz.

Nach seinem letzten Pfiff als Aktiver hat er für das Schiedsrichterwesen in anderer Funktion Verantwortung übernommen. Seit Mai 2010 steht er der Schiedsrichter-Kommission des DFB als Vorsitzender vor. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht er über Arbeit und Erfolge der Schiedsrichter-Kommission sowie die Probleme und Herausforderungen im deutschen Schiedsrichterwesen.

DFB.de: Herr Fandel, 2011 war für den Schiedsrichterbereich kein einfaches Jahr. Es wurde viel über Steuerfragen, den Suizidversuch von Babak Rafati und den Druck für die Schiedsrichter gesprochen. Nehmen Sie trotzdem positive Aspekte und Erkenntnisse mit ins neue Jahr?

Herbert Fandel: Es stimmt schon: Leider sind in den vergangenen Monaten viele belastende Dinge auf uns eingeströmt, die mit der fachlichen Arbeit nichts zu tun haben. Wenn ich ehrlich bin, fällt es mir deswegen im Moment ein bisschen schwer, das Positive herauszustellen. Aber wir in der Schiedsrichterführung wissen, dass wir zahlreiche wichtige Schritte der Professionalisierung und Modernisierung unternommen haben, auch wenn dies öffentlich kaum wahrgenommen wird.

DFB.de: Können Sie dies konkretisieren?

Fandel: Es war für uns ein großes Anliegen, das Umfeld der Schiedsrichter zu professionalisieren und sie individuell zu betreuen. Besonders wichtig war dabei der Beobachter- und Coaching-Bereich. Die Schiedsrichter sind einem großen Druck ausgesetzt, gerade die jüngeren Schiedsrichter müssen sich an diesen Druck erst gewöhnen und dann ist es gut, direkte Ansprechpartner zu haben.

DFB.de: Wie kann man dabei helfen?

Fandel: Wir haben den Schiedsrichtern Fachleute an die Seite gestellt, die mit ihnen über ihre Spielleitungen sprechen, sie analysieren und in einer vernünftigen Art und Weise aufarbeiten sollen. Es ist wichtig, dass diese Ansprechpartner selber optimal geschult werden. Darüber hinaus war und ist es wichtig, dass die neue Schiedsrichter-Führung mit Hellmut Krug, Lutz Michael Fröhlich, Lutz Wagner, Eugen Strigel und mir für unsere Schiedsrichter ständig zur Verfügung steht, um über Spielleitung und auch über Probleme zu reden.

DFB.de: Im Maßnahmenkatalog der neuen Schiedsrichter-Kommission fand sich auch das Vorhaben, für eine größere Transparenz bei den Karriereentscheidungen zu sorgen, nach innen und nach außen. Ist dies aus Ihrer Sicht gelungen?

Fandel: Wir haben von Beginn an betont, dass es ohne Transparenz und Offenheit nicht geht. Deswegen legen wir alle Parameter für den Aufstieg eines Schiedsrichters offen. Das schließt die Bewertungen seiner Leistungen ein. Wir verheimlichen auch nicht, welche Parameter uns bei welchem Schiedsrichter für den Aufstieg besonders wichtig waren. Damit machen wir klar, weswegen sich ein Schiedsrichter für eine höhere Liga qualifiziert hat. Transparenter und offener kann man mit diesen Dingen aus meiner Sicht nicht umgehen.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die individuellen Leistungen, beispielsweise von Bibiana Steinhaus, die bei der Frauen-WM das Finale leiten durfte und zur "Schiedsrichterin des Jahres" gewählt wurde?

Fandel: Für das Schiedsrichterwesen in Deutschland insgesamt und im Speziellen für unsere Schiedsrichterinnen war ihr Einsatz im WM-Finale großartig. Über die erstklassigen Leistungen von Bibiana Steinhaus hat sich niemand mehr gefreut als ich. Dass das Endspiel von unserer Schiedsrichterin gepfiffen wurde, zeigt, wie gut Bibiana Steinhaus als Schiedsrichterin ist. Ich will aber auch die Männer nicht vergessen. Auch dort haben wir junge Schiedsrichter, die nach vorne drängen und die mit exzellenten Leistungen verdeutlicht haben, dass sie die Fähigkeiten besitzen, künftig das Bild der Schiedsrichter in Deutschland zu prägen.

DFB.de: Felix Zwayer und Marco Fritz zum Beispiel, die neu für die FIFA-Liste benannt wurden?

Fandel: Die beiden würde ich erwähnen, aber nicht nur. Auch Christian Dingert, Tobias Welz und Robert Hartmann gehören zum Beispiel dazu. Sie sind die Vorreiter einer jungen Garde an Schiedsrichtern, die nachdrängen und die deutlich machen, dass sie unseren Weg der immer stärkeren Professionalisierung mitgehen wollen.

DFB.de: Gehört der Videobeweis zur Professionalisierung der Schiedsrichter dazu?

Fandel: Nein. Der Videobeweis macht bei fast allen Entscheidungen keinen Sinn. Hilfreich ist er nur bei Schwarz-Weiß-Situationen, bei denen es keinen Ermessensspielraum gibt. Für mich ist dies letztlich zum Beispiel bei der Frage der Fall, ob der Ball hinter der Linie war oder nicht. Deswegen bin ich auch ein Befürworter der Torlinientechnologie. Diese Technik kann für die Schiedsrichter eine enorme Hilfe sein. Alles andere lehne ich ab.

DFB.de: FIFA-Präsident Joseph S. Blatter hat zuletzt die Einführung von Profi-Schiedsrichtern angeregt. Was halten Sie davon?

Fandel: Auch hier gilt: Für mich kann nur die Qualität eines Schiedsrichters der Maßstab sein, nicht sein Status. Ein guter Schiedsrichter ist eine Führungspersönlichkeit –und ein Schiedsrichter ist nicht deswegen eine bessere Führungspersönlichkeit, weil er Profi ist. Dann wäre er von den Einkünften aus seiner Schiedsrichter-Tätigkeit abhängig. Verletzungen und schwächere Leistungen würden zur existenziellen Gefährdung eines Schiedsrichters, diesen Druck möchte ich für unsere Unparteiischen nicht. Wenn Schiedsrichter einem regulären Beruf nachgehen, gibt ihnen dies eine gewisse Gelassenheit. Und für einen Schiedsrichter in der Spitze ist nichts so wichtig wie Gelassenheit.

DFB.de: Im Zusammenhang mit dem Suizidversuch von Babak Rafati ist viel über den Druck gesprochen worden, dem die Schiedsrichter ausgesetzt sind. Wie haben Sie diesen in Ihrer Karriere empfunden?

Fandel: Ich konnte mit dem Druck umgehen. In meiner Karriere hatte ich das Glück, viele prominente und wichtige Spiele leiten zu dürfen. Ich weiß, wie viel Arbeit ich dafür investiert habe. Deswegen habe ich den Druck als Bestätigung und Lohn meiner Arbeit empfunden. Daraus ist eine Zufriedenheit gewachsen, aus der heraus ich den Druck sehr gut aushalten konnte.

DFB.de: Nicht allen gelingt dies so gut. Sie haben deswegen für ein Umdenken geworben und dafür plädiert, dass sich Spieler, Trainer und Verantwortliche künftig gegenüber den Schiedsrichtern mit mehr Bedacht äußern.

Fandel: Einiges von dem, was immer wieder gegenüber Schiedsrichtern rund um die Spiele geäußert wurde, geht deutlich über das hinaus, was der Fußball vertragen kann. Es darf doch bei aller verständlichen Emotionalität nicht sein, dass ein Schiedsrichter auf zum Teil verletzende Weise zum öffentlichen Sündenbock gemacht wird. Auch wenn dies platt klingen mag: Wir sitzen alle in einem Boot, deswegen muss es immer ein Miteinander und vor allem einen respektvollen Umgang miteinander geben. Dafür plädiere ich eindringlich.

DFB.de: Was kann die Schiedsrichter-Kommission konkret machen, damit das von Ihnen geforderte Umdenken tatsächlich einsetzt?

Fandel: Wir kommunizieren offen, das haben wir bisher getan, und das werden wir auch weiter tun. Hellmut Krug, Lutz Michael Fröhlich und ich waren von Beginn an auf allen Trainer-Tagungen persönlich vor Ort. Wir waren auch bei den Tagungen der Manager. Dort haben wir die Arbeit der Schiedsrichter erläutert und dafür geworben, dass man in gewissen Dingen sensibel bleibt und nicht immer die eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellt.

DFB.de: Zum Beispiel?

Fandel: In den Video-Schulungen vor der Saison haben wir beispielsweise das Schulungs-Video für die Vereine gemeinsam mit den Trainern besprochen. Das ist ein völlig neuer Ansatz der Schiedsrichterei den Vereinen gegenüber. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir das Recht haben, darauf hinzuweisen, wenn von einer Seite die Dinge überzogen werden. Nur wenn offen miteinander statt übereinander gesprochen wird, lassen sich die Dinge verändern.

DFB.de: Inwieweit sind Sie enttäuscht, dass es trotz der offenen Kommunikation im Alltag immer wieder zu Verbalattacken kommt?

Fandel: Moment mal. Wir dürfen die Dinge auch nicht schlechter reden als sie sind. In 95 Prozent der Fälle ist der Umgang miteinander ausgezeichnet. Wir haben grundsätzlich ein exzellentes Verhältnis zu den Vereinen, zu den Trainern und zu den Funktionsträgern. Aber ich sehe es als meine Aufgabe an, einzelne Vorfälle anzusprechen, damit die Ausnahme nicht zur Regel wird.

DFB.de: Hoher Druck, große Belastung, öffentliche Kritik. Wenn sich heute ein junger Mensch an Sie wendet und überlegt, eine Laufbahn als Schiedsrichter einzuschlagen, wie würden Sie ihm diese schmackhaft machen?

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Fandel: Schiedsrichter zu sein, ist eine wundervolle Aufgabe. Es ist eine Lebensschule, die einen nicht loslässt. Man lernt, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu fällen und zu ihnen zu stehen. Man lernt Menschen zu führen und selbstkritisch mit seiner Leistung umzugehen. Ich hatte immer sehr viel Freude an der Tätigkeit des Schiedsrichters.

DFB.de: Sie haben am 16. Mai 2009 beim Spiel zwischen Hannover 96 und dem VfL Wolfsburg Ihr letztes Spiel in der Bundesliga gepfiffen. Vermissen Sie die Tätigkeit auf dem Platz?

Fandel: Gar nicht. Ich habe in den letzten Jahren meiner Karriere all das erreicht, wofür ich drei Jahrzehnte lange hart gekämpft habe. Ich durfte weltweit bedeutende Spiele leiten. Deshalb bin ich mit großer Zufriedenheit und selbstbestimmt zwei Jahre vor Erreichen der Altersgrenze vom Platz gegangen. Ich habe danach ganz bewusst Verantwortung im deutschen Fußball übernommen. Die Schiedsrichter, die in ihrer Karriere in vorderster Reihe standen, sollten danach Verantwortung für die jungen Kollegen übernehmen. Zum Glück machen dies einige, leider nicht alle.

DFB.de: Mit welchen Hoffnungen und Wünschen blicken Sie ins Jahr 2012?

Fandel: Mein größter Wunsch ist es, dass das Führungsteam der Schiedsrichter-Kommission zu ausschließlich fachlichen Themen zurückkehren kann. Das Schiedsrichterwesen muss weiter modernisiert und professionalisiert werden. Inhaltlich. Personell. Strukturell. Vor eineinhalb Jahren bin ich als Vorsitzender der Kommission angetreten, um einen fachlichen Weg der Professionalisierung voranzutreiben. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich im Jahr 2012 die Gelegenheit bekäme, ausschließlich dies zu tun.