Mythos Fritz Walter: Eine Seele von Mensch

384 Spiele, 327 Tore, mehrfacher Deutscher Meister, Weltmeister und Ehrenspielführer: Friedrich "Fritz" Walter ist ein deutsche Fußballlegende. Heute würde der 2002 verstorbene Kapitän der "Helden von Bern" 100 Jahre alt. Zum Jubiläum würdigt DFB.de den ersten DFB-Ehrenspielführer mit einer Serie. Im vierten Teil geht es um Fritz Walter als Menschen.

In Fleiß und Betragen hatte er ein "sehr lobenswert", in allen Fächern von Buchführung bis Wirtschaftsgeographie ein "sehr gut". Das Entlassungszeugnis des Friedrich "Fritz" Walter, von der Berufsschule Kaiserslautern am 12. April 1938 ausgestellt, gab zu großen Hoffnungen Anlass. Im Juni 1939 trat er eine Lehre als Bankkaufmann an, und vielleicht wäre er einmal Sparkassendirektor geworden, wenn der Fußball nicht dazwischen gekommen wäre.

"Er steht zu Recht auf einem unumstößlichen Denkmal"

Obwohl der ihn auf die höchsten Gipfel klettern ließ, blieb er immer ein bodenständiger Mensch - und auch dem wurde nur das beste Zeugnis ausgestellt. Von allen, überall und immer wieder. Aus der Flut der Loblieder auf den Kapitän der Weltmeister von Bern, der längst Mythos geworden ist, seien nur einige wenige Zitate angeführt, denn sie gleichen sich alle im Wesentlichen. Der frühere FCK-Präsident Udo Sopp sagte: "Fritz Walter ist das Synonym für Vereinstreue, Fairness, fußballerischen Glanz und menschliche Noblesse. Er steht zu Recht auf einem unumstößlichen Denkmal. Er steht für Charakter und Größe im Sport und im Leben außerhalb des Sports."

Uwe Seeler, der mit ihm noch bei der WM 1958 stürmte und nach ihm DFB-Ehrenspielführer wurde, befand: "Selten habe ich einen so selbstlosen Menschen erlebt wie ihn. Großzügig, offenherzig, sensibel, hilfsbereit und vor allem: mein Freund." Kurt Beck, früherer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz: "Wenn man die Ehre hatte, ihm persönlich zu begegnen, und wenn man sein Leben und Wirken mitverfolgen konnte, so kann man sagen, dass Fritz Walter trotz der vielen Erfolge mit beiden Beinen auf dem Boden blieb, ein Mensch, trotz seiner enormen Popularität ohne Starallüren, heimatverbunden, immer Pfälzer und Rheinland-Pfälzer."

Fritz Walter wirkte weit über das Rasenrechteck, das ihm die Welt bedeutete, hinaus. Kein Sportler vor ihm wurde in Deutschland mit derart vielen Ehrungen überhäuft. Eine kleine Auswahl: Ehrenspielführer Deutschlands und des 1. FC Kaiserslautern, Träger des Bundesverdienstkreuzes, dreimaliger Träger des Silberlorbeerblatts, Ehrenbürger von Rheinland-Pfalz, Ehrenpreisträger der FIFA. Staatsmänner, Künstler und Showstars zählten zu seinen Freunden, deren Zahl stetig wuchs. Denn wer sein Freund war, den ließ er nicht mehr von der Angel, verschickte Grußkarten und Sekt zu allen denkbaren Anlässen, verweigerte nie ein Autogramm, und stets las es sich gestochen scharf. Das war sein Verständnis von Respekt.

"Helden fallen im Krieg - ich bin kein Held"

Er unterschied nicht zwischen Groß und Klein, Arm und Reich, Promi oder Nicht-Promi. Bezeichnend die Anekdote, die sich auf einer Veranstaltung in Baden-Baden abspielte, als ihn eine junge Frau um ein Autogramm für ihren Vater bat, der sein Fan sei und am nächsten Tag Geburtstag habe. Fritz beließ es nicht beim Autogramm, sondern erbat sich noch die Telefonnummer und gratulierte dem Wildfremden am nächsten Tag persönlich. Seine Fans waren keine Kunden für ihn, sondern in erster Linie Menschen.

Der Fritz vergaß eben nie, wo er herkam. Vater Ludwig, mit 16 Jahren vorübergehend in die USA ausgewandert und bei Ausbruch des 1. Weltkriegs heimgekehrt, führte das Klubheim des FCK. Einfache Leute verkehrten dort und Fritz, so die allgemeine Lesart, fühlte sich ihnen stets zugehörig. Dass er irgendwann ein Star wurde, änderte daran nichts. Er wollte nie einer sein, schon gar kein Held: "Helden fallen im Krieg. Ich bin kein Held."

In der Tat hatte er einige liebenswerte Schwächen, die Helden eher nicht haben. So sehr er auch ein Faible für Romanhelden hatte; die Bände von Karl May verschlang er wie fast alle Jungen seiner Generation und am besten gefiel ihm "Der Schatz im Silbersee". Aber im realen Leben war er kein Old Shatterhand. Er hatte Angst vor dem Fliegen, was auf einem Kriegserlebnis beruhte, über das er nie sprach, und machte 1957 selbst eine USA-Reise seines FCK lieber mit dem Dampfer. Schon Tage vorher brach er dafür auf, und auch im Land reiste er individuell mit der Bahn von Spielort zu Spielort. Seinem FCK entgingen in den glorreichen Fünfzigern allerlei lukrative Einnahmen, wenn die Meistermannschaft eine Gastspieleinladung mal wieder ohne Fritz antreten musste, der partout nicht in den Flieger zu bewegen war. Dann war die Elf nur noch die Hälfte wert.

Ehefrau Italia als große Stütze

Er hatte in seiner Spielerzeit keinen Führerschein und lief lieber zu jedem Training hoch auf den Betzenberg, was er sogar besser fand, weil "die zum Fahren erforderliche Konzentration körperlich und geistig anstrengt und Kräfte verbraucht, die dann einfach fehlen". Als er mit etwa 40 Jahren dann doch den Führerschein machte, fand er keinen Spaß am Autofahren und überließ seiner Frau Italia nach einem Streit über seine Fahrkünste mitten im Frankfurter Stadtverkehr das Steuer, ganz so wie zuhause.

Fritz' Zitate über seine Italia lesen sich wie folgt: "Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich längst nicht alles so gemacht und all das erreicht. Sie ist es auch, die das Geld zusammenhält. Wenn sie mal etwas lauter Italienisch spricht, dann hab' ich bestimmt etwas falsch gemacht." Seine Geschäftsreisen machte er mit der Bahn. "Jeder Zugführer von Fernzügen kannte ihn, und er kannte jeden größeren Bahnhof", schrieb der Fußballhistoriker und FCK-Kenner Heiner Breyer.

Herberger: "Bei Fritz war ich mehr Psychologe als Trainer"

Walter war oft pessimistisch – auch bei dem, was er am besten konnte: Fußball. "Bei Fritz war ich mehr Psychologe als Trainer", gestand Sepp Herberger, der heilfroh war, wenn es am Spieltag regnete. Wie in Bern 1954, auch im WM-Finale war Fritz-Walter-Wetter. Was nach Aberglaube klingt, hat eine ernste Bewandtnis: Walter war im Krieg an Malaria erkrankt, es heilte nie ganz aus. Deshalb vertrug er keine Hitze. Trotzdem musste es nicht unbedingt regnen, wichtiger war, dass es geregnet hatte.

Fritz erklärte sein Wetter einmal so: "Es darf unter keinen Umständen zu heiß sein. Am liebsten sind mir bewölkter Himmel und ein frisches Lüftchen. Der Rasen sollte satt und nass sein. Man kann auf weichem Boden den Ball besser führen und gefühlvoller kombinieren als bei hartem." Weshalb Herberger bekanntlich plante, vor dem Finale in Bern den Rasen sprengen zu lassen, falls es nicht regne. Doch es regnete – zum Glück.

"Begründer des realen Pessimismus"

Walter selbst hielt sich nie für einen Glücksbringer und nötigte meist seine Italia dazu, etwa als er später den SV Alsenborn betreute, telefonisch Spielstände einzuholen. Nervös wie er vor jedem Spiel war, traute er sich erst bei sicherer Führung zum nahe gelegenen Sportplatz, aber diese Spielstände mussten erst einmal im Klubheim oder irgendeiner Redaktion ermittelt werden. Das war Italias Job, denn "wenn ich anruf', liegen sie doch wieder zurück".

So war es später auch, wenn er seinem FCK in der Bundesliga in Titelrennen oder Abstiegskampf zwar die Daumen drückte, sich aber nicht auf seinen Ehrenplatz im Stadion traute. Dann tigerte er samstagnachmittags durch den Garten, bis Italia per Fingerzeichen Entwarnung gab – oder auch mal nicht. Er sei der "Begründer des realen Pessimismus", hat mal ein nicht mehr zu ermittelnder Spötter gesagt. Nachzulesen im wunderbaren Buch der Fritz-Walter-Stiftung anlässlich seines 90. Geburtstages ("Kapitän für Deutschland").

Seine Sensibilität war legendär und ließ sich oft nur durch ein Fläschchen Sekt bekämpfen, das ihm sogar in der Halbzeit genehmigt wurde. "Ganz ausgetrunken hat er's nie, aber das war Medizin für ihn", plauderte Fritz Herkenrath, Torwart bei der WM 1958, mal aus. Der "Held" musste dauernd gestützt werden.

Walter und Puskas: Erst Gegner, dann Freunde

Die Heirat im September 1948 bezeichnete Fritz Walter als "Wende meines Lebens", denn in diesem wurde Gemahlin Italia, die ihre Herkunft im Namen trug, zur wichtigsten Stütze. Sie kannte seine Schwächen nur zu gut und schickte ihm 1954 nach Spiez einen Eilbrief voraus, den er in den WM-Tagen immer wieder las: "Du wirst die Spiele Deines Lebens spielen, damit ich auch weiß, warum ich Dich in den vergangenen Jahren so oft habe entbehren müssen." Einen früheren Brief, ebenfalls aufmunternder Natur, trug er sogar immer in seiner Brieftasche bei sich. Als Doping für die Seele. Es war eine tiefe Liebe, die erst der Tod schied. Italia ging ein Jahr vor ihm.

Ihretwegen löste Fritz sogar eine Verlobung mit einem Pfälzer Mädchen und musste sich deshalb einiges anhören. Walter sagte: "Alle haben mir abgeraten. Was haben sie mir alles prophezeit! Sie würde mich verhexen und mir als Spieler Kraft rauben! Dabei habe ich dann besser gespielt als je zuvor!" Kinder hatten sie nicht, und der Versuch, eine Großnichte Italias zu adoptieren, scheiterte. Umso stärker hielt das Band zu seinen Freunden. Weltmeister und FCK-Mitspieler Horst Eckel: "Für Fritz waren alle Spieler seine Sportkameraden."

Auch die Gegner von einst zählten dazu. Ferenc Puskas, Kapitän der Ungarn 1954, lud ihn zu seinem 70. Geburtstag ein, und als Walter eine Rede halten musste, war es ihm direkt unbehaglich, damals in Bern gewonnen zu haben. "Es wäre doch schön, wenn wir beide gewonnen hätten." So war er.

Eckel: "Fritz war der beste Fußballer, der größte Mensch"

Wenn er helfen konnte, half er. Sein Besuch beim SC Freiburg, dessen Ex-Präsident Fritz Keller, heute DFB-Präsident, sein Patenkind war, brachte dem Verein eine neue Tribüne ein. Bloß weil Walter im Interview sagte, die Strukturen müssten dem wunderbaren Fußball angepasst werden, der da gespielt werde. Plötzlich schwanden alle Bedenken der Stadtoberen.

Mitspieler blieben Kameraden bis ans Lebensende. Jedes Jahr am 4. Juli verschickte der frühere Kapitän Karten an die Weltmeister, auch an die Reservisten. Und alle fünf Jahre trafen sie sich an diesem Tag. Fritz organisierte die Feier. Horst Eckel: "Von Fritz habe ich viel gelernt. Und wenn die Leute sagen, er sei mein zweiter Vater gewesen, dann macht mich das stolz. Fritz war der beste Fußballer, der größte Mensch. Ohne ihn wäre ich nichts."

Fritz-Walter-Stiftung hilft benachteiligten Jugendlichen

1998, vier Jahre vor seinem Tod, trug RLP-Ministerpräsident Kurt Beck, selbst großer FCK-Fan, an Walter die Idee heran, eine Stiftung zu gründen. So wie sein "Chef", Sepp Herberger, es schon 1977 getan hatte. Walter war nicht gleich Feuer und Flamme, verwies auf die Herberger-Stiftung, für die er sich engagierte, und wollte wissen was, überhaupt der Zweck der Stiftung sei. Ihm war vor allem daran gelegen, etwas für benachteiligte Jugendliche zu tun. So kam es, und seit dem 2. Juni 1999 gibt es die vom DFB und FCK mitgetragene Fritz-Walter-Stiftung, mit einem Stiftungskapital von damals einer Million Mark. Es wuchs ebenso wie die Zahl der Veranstaltungen und Projekte, mit denen bundesweit Schulen, Vereine und Verbände unterstützt werden. Der Name Fritz Walter lebt fort, auch dank seiner Stiftung.

Es gibt jährlich den Fritz-Walter-Cup für Schulen in Rheinland-Pfalz und die Fritz-Walter-Medaillen für die besten Talente Deutschlands, ihre Ausbildungsvereine werden bezuschusst. Auch eine Fritz-Walter-Gala hat sich etabliert. Seit 2000 trägt eine Schule für Lernbehinderte den Namen Fritz-Walter-Schule, auf die die Kinder voller Stolz gehen. Vorher hat man sie gehänselt, davor schützt sie nun der Ruf eines großartigen Menschens.

Zu seinem 50. Geburtstag schrieb der kicker: "Fritz war nie ein strahlender Held. Das Auf und Ab des Lebens spiegelte sich in seiner Laufbahn wider. Deswegen wurde er nicht nur verehrt, sondern geliebt." Und so sieht man in Kaiserslautern an Spieltagen noch immer Menschen in Farben der Roten Teufel Stunden vor Anpfiff andächtig am Grabe Fritz Walters stehen. Still um Beistand bittend in Stunden sportlicher Not, die sich gehäuft haben nach seinem Ableben 2002. "Ausgerechnet mich", würde er sagen…

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384 Spiele, 327 Tore, mehrfacher Deutscher Meister, Weltmeister und Ehrenspielführer: Friedrich "Fritz" Walter ist ein deutsche Fußballlegende. Heute würde der 2002 verstorbene Kapitän der "Helden von Bern" 100 Jahre alt. Zum Jubiläum würdigt DFB.de den ersten DFB-Ehrenspielführer mit einer Serie. Im vierten Teil geht es um Fritz Walter als Menschen.

In Fleiß und Betragen hatte er ein "sehr lobenswert", in allen Fächern von Buchführung bis Wirtschaftsgeographie ein "sehr gut". Das Entlassungszeugnis des Friedrich "Fritz" Walter, von der Berufsschule Kaiserslautern am 12. April 1938 ausgestellt, gab zu großen Hoffnungen Anlass. Im Juni 1939 trat er eine Lehre als Bankkaufmann an, und vielleicht wäre er einmal Sparkassendirektor geworden, wenn der Fußball nicht dazwischen gekommen wäre.

"Er steht zu Recht auf einem unumstößlichen Denkmal"

Obwohl der ihn auf die höchsten Gipfel klettern ließ, blieb er immer ein bodenständiger Mensch - und auch dem wurde nur das beste Zeugnis ausgestellt. Von allen, überall und immer wieder. Aus der Flut der Loblieder auf den Kapitän der Weltmeister von Bern, der längst Mythos geworden ist, seien nur einige wenige Zitate angeführt, denn sie gleichen sich alle im Wesentlichen. Der frühere FCK-Präsident Udo Sopp sagte: "Fritz Walter ist das Synonym für Vereinstreue, Fairness, fußballerischen Glanz und menschliche Noblesse. Er steht zu Recht auf einem unumstößlichen Denkmal. Er steht für Charakter und Größe im Sport und im Leben außerhalb des Sports."

Uwe Seeler, der mit ihm noch bei der WM 1958 stürmte und nach ihm DFB-Ehrenspielführer wurde, befand: "Selten habe ich einen so selbstlosen Menschen erlebt wie ihn. Großzügig, offenherzig, sensibel, hilfsbereit und vor allem: mein Freund." Kurt Beck, früherer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz: "Wenn man die Ehre hatte, ihm persönlich zu begegnen, und wenn man sein Leben und Wirken mitverfolgen konnte, so kann man sagen, dass Fritz Walter trotz der vielen Erfolge mit beiden Beinen auf dem Boden blieb, ein Mensch, trotz seiner enormen Popularität ohne Starallüren, heimatverbunden, immer Pfälzer und Rheinland-Pfälzer."

Fritz Walter wirkte weit über das Rasenrechteck, das ihm die Welt bedeutete, hinaus. Kein Sportler vor ihm wurde in Deutschland mit derart vielen Ehrungen überhäuft. Eine kleine Auswahl: Ehrenspielführer Deutschlands und des 1. FC Kaiserslautern, Träger des Bundesverdienstkreuzes, dreimaliger Träger des Silberlorbeerblatts, Ehrenbürger von Rheinland-Pfalz, Ehrenpreisträger der FIFA. Staatsmänner, Künstler und Showstars zählten zu seinen Freunden, deren Zahl stetig wuchs. Denn wer sein Freund war, den ließ er nicht mehr von der Angel, verschickte Grußkarten und Sekt zu allen denkbaren Anlässen, verweigerte nie ein Autogramm, und stets las es sich gestochen scharf. Das war sein Verständnis von Respekt.

"Helden fallen im Krieg - ich bin kein Held"

Er unterschied nicht zwischen Groß und Klein, Arm und Reich, Promi oder Nicht-Promi. Bezeichnend die Anekdote, die sich auf einer Veranstaltung in Baden-Baden abspielte, als ihn eine junge Frau um ein Autogramm für ihren Vater bat, der sein Fan sei und am nächsten Tag Geburtstag habe. Fritz beließ es nicht beim Autogramm, sondern erbat sich noch die Telefonnummer und gratulierte dem Wildfremden am nächsten Tag persönlich. Seine Fans waren keine Kunden für ihn, sondern in erster Linie Menschen.

Der Fritz vergaß eben nie, wo er herkam. Vater Ludwig, mit 16 Jahren vorübergehend in die USA ausgewandert und bei Ausbruch des 1. Weltkriegs heimgekehrt, führte das Klubheim des FCK. Einfache Leute verkehrten dort und Fritz, so die allgemeine Lesart, fühlte sich ihnen stets zugehörig. Dass er irgendwann ein Star wurde, änderte daran nichts. Er wollte nie einer sein, schon gar kein Held: "Helden fallen im Krieg. Ich bin kein Held."

In der Tat hatte er einige liebenswerte Schwächen, die Helden eher nicht haben. So sehr er auch ein Faible für Romanhelden hatte; die Bände von Karl May verschlang er wie fast alle Jungen seiner Generation und am besten gefiel ihm "Der Schatz im Silbersee". Aber im realen Leben war er kein Old Shatterhand. Er hatte Angst vor dem Fliegen, was auf einem Kriegserlebnis beruhte, über das er nie sprach, und machte 1957 selbst eine USA-Reise seines FCK lieber mit dem Dampfer. Schon Tage vorher brach er dafür auf, und auch im Land reiste er individuell mit der Bahn von Spielort zu Spielort. Seinem FCK entgingen in den glorreichen Fünfzigern allerlei lukrative Einnahmen, wenn die Meistermannschaft eine Gastspieleinladung mal wieder ohne Fritz antreten musste, der partout nicht in den Flieger zu bewegen war. Dann war die Elf nur noch die Hälfte wert.

Ehefrau Italia als große Stütze

Er hatte in seiner Spielerzeit keinen Führerschein und lief lieber zu jedem Training hoch auf den Betzenberg, was er sogar besser fand, weil "die zum Fahren erforderliche Konzentration körperlich und geistig anstrengt und Kräfte verbraucht, die dann einfach fehlen". Als er mit etwa 40 Jahren dann doch den Führerschein machte, fand er keinen Spaß am Autofahren und überließ seiner Frau Italia nach einem Streit über seine Fahrkünste mitten im Frankfurter Stadtverkehr das Steuer, ganz so wie zuhause.

Fritz' Zitate über seine Italia lesen sich wie folgt: "Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich längst nicht alles so gemacht und all das erreicht. Sie ist es auch, die das Geld zusammenhält. Wenn sie mal etwas lauter Italienisch spricht, dann hab' ich bestimmt etwas falsch gemacht." Seine Geschäftsreisen machte er mit der Bahn. "Jeder Zugführer von Fernzügen kannte ihn, und er kannte jeden größeren Bahnhof", schrieb der Fußballhistoriker und FCK-Kenner Heiner Breyer.

Herberger: "Bei Fritz war ich mehr Psychologe als Trainer"

Walter war oft pessimistisch – auch bei dem, was er am besten konnte: Fußball. "Bei Fritz war ich mehr Psychologe als Trainer", gestand Sepp Herberger, der heilfroh war, wenn es am Spieltag regnete. Wie in Bern 1954, auch im WM-Finale war Fritz-Walter-Wetter. Was nach Aberglaube klingt, hat eine ernste Bewandtnis: Walter war im Krieg an Malaria erkrankt, es heilte nie ganz aus. Deshalb vertrug er keine Hitze. Trotzdem musste es nicht unbedingt regnen, wichtiger war, dass es geregnet hatte.

Fritz erklärte sein Wetter einmal so: "Es darf unter keinen Umständen zu heiß sein. Am liebsten sind mir bewölkter Himmel und ein frisches Lüftchen. Der Rasen sollte satt und nass sein. Man kann auf weichem Boden den Ball besser führen und gefühlvoller kombinieren als bei hartem." Weshalb Herberger bekanntlich plante, vor dem Finale in Bern den Rasen sprengen zu lassen, falls es nicht regne. Doch es regnete – zum Glück.

"Begründer des realen Pessimismus"

Walter selbst hielt sich nie für einen Glücksbringer und nötigte meist seine Italia dazu, etwa als er später den SV Alsenborn betreute, telefonisch Spielstände einzuholen. Nervös wie er vor jedem Spiel war, traute er sich erst bei sicherer Führung zum nahe gelegenen Sportplatz, aber diese Spielstände mussten erst einmal im Klubheim oder irgendeiner Redaktion ermittelt werden. Das war Italias Job, denn "wenn ich anruf', liegen sie doch wieder zurück".

So war es später auch, wenn er seinem FCK in der Bundesliga in Titelrennen oder Abstiegskampf zwar die Daumen drückte, sich aber nicht auf seinen Ehrenplatz im Stadion traute. Dann tigerte er samstagnachmittags durch den Garten, bis Italia per Fingerzeichen Entwarnung gab – oder auch mal nicht. Er sei der "Begründer des realen Pessimismus", hat mal ein nicht mehr zu ermittelnder Spötter gesagt. Nachzulesen im wunderbaren Buch der Fritz-Walter-Stiftung anlässlich seines 90. Geburtstages ("Kapitän für Deutschland").

Seine Sensibilität war legendär und ließ sich oft nur durch ein Fläschchen Sekt bekämpfen, das ihm sogar in der Halbzeit genehmigt wurde. "Ganz ausgetrunken hat er's nie, aber das war Medizin für ihn", plauderte Fritz Herkenrath, Torwart bei der WM 1958, mal aus. Der "Held" musste dauernd gestützt werden.

Walter und Puskas: Erst Gegner, dann Freunde

Die Heirat im September 1948 bezeichnete Fritz Walter als "Wende meines Lebens", denn in diesem wurde Gemahlin Italia, die ihre Herkunft im Namen trug, zur wichtigsten Stütze. Sie kannte seine Schwächen nur zu gut und schickte ihm 1954 nach Spiez einen Eilbrief voraus, den er in den WM-Tagen immer wieder las: "Du wirst die Spiele Deines Lebens spielen, damit ich auch weiß, warum ich Dich in den vergangenen Jahren so oft habe entbehren müssen." Einen früheren Brief, ebenfalls aufmunternder Natur, trug er sogar immer in seiner Brieftasche bei sich. Als Doping für die Seele. Es war eine tiefe Liebe, die erst der Tod schied. Italia ging ein Jahr vor ihm.

Ihretwegen löste Fritz sogar eine Verlobung mit einem Pfälzer Mädchen und musste sich deshalb einiges anhören. Walter sagte: "Alle haben mir abgeraten. Was haben sie mir alles prophezeit! Sie würde mich verhexen und mir als Spieler Kraft rauben! Dabei habe ich dann besser gespielt als je zuvor!" Kinder hatten sie nicht, und der Versuch, eine Großnichte Italias zu adoptieren, scheiterte. Umso stärker hielt das Band zu seinen Freunden. Weltmeister und FCK-Mitspieler Horst Eckel: "Für Fritz waren alle Spieler seine Sportkameraden."

Auch die Gegner von einst zählten dazu. Ferenc Puskas, Kapitän der Ungarn 1954, lud ihn zu seinem 70. Geburtstag ein, und als Walter eine Rede halten musste, war es ihm direkt unbehaglich, damals in Bern gewonnen zu haben. "Es wäre doch schön, wenn wir beide gewonnen hätten." So war er.

Eckel: "Fritz war der beste Fußballer, der größte Mensch"

Wenn er helfen konnte, half er. Sein Besuch beim SC Freiburg, dessen Ex-Präsident Fritz Keller, heute DFB-Präsident, sein Patenkind war, brachte dem Verein eine neue Tribüne ein. Bloß weil Walter im Interview sagte, die Strukturen müssten dem wunderbaren Fußball angepasst werden, der da gespielt werde. Plötzlich schwanden alle Bedenken der Stadtoberen.

Mitspieler blieben Kameraden bis ans Lebensende. Jedes Jahr am 4. Juli verschickte der frühere Kapitän Karten an die Weltmeister, auch an die Reservisten. Und alle fünf Jahre trafen sie sich an diesem Tag. Fritz organisierte die Feier. Horst Eckel: "Von Fritz habe ich viel gelernt. Und wenn die Leute sagen, er sei mein zweiter Vater gewesen, dann macht mich das stolz. Fritz war der beste Fußballer, der größte Mensch. Ohne ihn wäre ich nichts."

Fritz-Walter-Stiftung hilft benachteiligten Jugendlichen

1998, vier Jahre vor seinem Tod, trug RLP-Ministerpräsident Kurt Beck, selbst großer FCK-Fan, an Walter die Idee heran, eine Stiftung zu gründen. So wie sein "Chef", Sepp Herberger, es schon 1977 getan hatte. Walter war nicht gleich Feuer und Flamme, verwies auf die Herberger-Stiftung, für die er sich engagierte, und wollte wissen was, überhaupt der Zweck der Stiftung sei. Ihm war vor allem daran gelegen, etwas für benachteiligte Jugendliche zu tun. So kam es, und seit dem 2. Juni 1999 gibt es die vom DFB und FCK mitgetragene Fritz-Walter-Stiftung, mit einem Stiftungskapital von damals einer Million Mark. Es wuchs ebenso wie die Zahl der Veranstaltungen und Projekte, mit denen bundesweit Schulen, Vereine und Verbände unterstützt werden. Der Name Fritz Walter lebt fort, auch dank seiner Stiftung.

Es gibt jährlich den Fritz-Walter-Cup für Schulen in Rheinland-Pfalz und die Fritz-Walter-Medaillen für die besten Talente Deutschlands, ihre Ausbildungsvereine werden bezuschusst. Auch eine Fritz-Walter-Gala hat sich etabliert. Seit 2000 trägt eine Schule für Lernbehinderte den Namen Fritz-Walter-Schule, auf die die Kinder voller Stolz gehen. Vorher hat man sie gehänselt, davor schützt sie nun der Ruf eines großartigen Menschens.

Zu seinem 50. Geburtstag schrieb der kicker: "Fritz war nie ein strahlender Held. Das Auf und Ab des Lebens spiegelte sich in seiner Laufbahn wider. Deswegen wurde er nicht nur verehrt, sondern geliebt." Und so sieht man in Kaiserslautern an Spieltagen noch immer Menschen in Farben der Roten Teufel Stunden vor Anpfiff andächtig am Grabe Fritz Walters stehen. Still um Beistand bittend in Stunden sportlicher Not, die sich gehäuft haben nach seinem Ableben 2002. "Ausgerechnet mich", würde er sagen…

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