Mini-WM in Uruguay: Die Serie reißt am Neujahrstag

Der deutsche Fußball hat viele große Nationalmannschaften gehabt: Allen voran die Helden von Bern, in deren Schatten auch die Weltmeister von München und Rom stehen. Am schönsten spielten angeblich die Europameister der Ramba-Zamba-Ära 1971/72 und wer sie je hat spielen sehen, bekam stets glänzende Augen wenn von der Breslau-Elf die Rede war.

Doch die längste Erfolgsserie in seiner 102-jährigen Länderspielgeschichte, weiß DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras, schrieb die Mannschaft, die Bundestrainer Jupp Derwall im Herbst 1978 übernahm. 23 Spiele blieb sie ungeschlagen, ehe sie an Neujahr 1981 bei der Mini-WM in Uruguay Weltmeister Argentinien unglücklich mit 1:2 unterlag. Auch im Anschluss blieben Niederlagen die Ausnahme und zur WM 1982 in Spanien gelangte die Derwall-Elf ohne Verlustpunkt in der Qualifikation.

1980 wurde Deutschland in Rom mit dieser Mannschaft, damals gerade im Aufbau, Europameister. In einer Manier und einer Formation, die ein Versprechen auf ganz große Taten war. Der Stuttgarter Karl-Heinz Förster, damals Vorstopper und einer der besten Verteidiger der DFB-Historie, ist noch heute überzeugt davon: „Mit etwas mehr Teamgeist wären wir 1982 Weltmeister geworden und die Elf von 1990 hätten wir auch geschlagen, denn wir hatten die besseren Einzelspieler. Ich kann das beurteilen, denn ich habe in der Bundesliga noch gegen die späteren Weltmeister gespielt.“ Mit der vielleicht besten DFB-Elf aller Zeiten nicht Weltmeister geworden zu sein bewegt Förster, der unter Teamchef Franz Beckenbauer auch im verlorenen Finale 1986 von Mexiko City stand, noch immer. Nun, es ist nicht mehr zu ändern, aber allemal einen Rückblick wert.

Kurze Weihnachtsferien, England drückt sich

Dezember 1980. Die Bundesliga geht in die fünfwöchige Winterpause, Hallenturniere verkürzen den Fans die Wartezeit. Bayern München muss in Mailand vor Weihnachten mit allen Stars noch ein Benefizspiel bestreiten – zugunsten von Erdbebenopfern. Für die Nationalspieler sind die Weihnachtsferien 1980 deshalb besonders kurz, Neujahr feiern sie schon auf einem anderen Kontinent. Denn Uruguay hat alle bisherigen Weltmeister im Gedenken an das 50-jährige Jubiläum der ersten WM im eigenen Land zu einer Mini-WM („Mundialito“) eingeladen, es geht um den „Copa de Oro“, den Goldpokal. Zu fehlen wäre äußerst unhöflich.

England drückt sich dennoch und wird vom zweimaligen Vize-Weltmeister Holland vertreten. Die Deutschen aber müssen am 28. Dezember 1980 in Frankfurt den Flieger gen Montevideo besteigen und in den südamerikanischen Sommer reisen. 40 Grad Temperatur-Unterschied kommen auf die 18 Kicker zu, die Bundestrainer Jupp Derwall nominiert hat. Es geht in der Vorrunde gegen die absolute Weltspitze: Argentinien, Brasilien und Deutschland bilden das was man zuweilen etwas leichtfertig eine „Todesgruppe“ nennt.

Es geht also gegen Maradona und Kempes, gegen Zico und Socrates – Herausforderungen von denen jeder Fußballer träumt. Eigentlich. Was damals alle Deutschen nur denken, kann Karl-Heinz Förster heute leicht aussprechen: „Diese Mini-WM war unnötig wie ein Kropf. Ich weiß noch, dass darauf keiner wirklich Lust hatte. Wir Spieler haben nur mit dem Kopf geschüttelt über diese Veranstaltung und es war uns klar, dass es hier passieren könnte.“ Es – das Ende der Super-Serie von 18 Siegen und fünf Unentschieden seit Jupp Derwalls Amtsantritt.

Seit der Schmach von Cordoba bei der WM in Argentinien, jenem legendären 2:3 gegen Österreich, hat sie nicht mehr verloren. Der Rekord der legendären Breslau-Elf Sepp Herbergers, die 1937/38 in 16 Spielen ungeschlagen geblieben war, ist längst überboten worden. 1979 rumpelt es zuweilen noch ein wenig, (0:0 auf Malta und in der Türkei), aber 1980 ist der deutsche Fußball in beeindruckender Weise wiederauferstanden. Zum Europameister-Titel kommen die internationalen Vereinserfolge: das Uefa-Cup-Halbfinale 1979/80 ist eine rein deutsche Veranstaltung, Eintracht Frankfurt triumphiert schließlich gegen Borussia Mönchengladbach – und der HSV erreicht im Mai gegen Nottingham das Landesmeister-Finale.

Derwall setzt auf junge Spieler

Bundestrainer Jupp Derwall hat ein schier unerschöpfliches Reservoir an Kandidaten zur Verfügung, in der Bundesliga sind Ausländer noch seltene Exoten. Beim Aufbau einer neuen Mannschaft hat der Nachfolger Helmut Schöns meist auf die richtigen Spieler gesetzt, er vertraut unerfahrenen Jung-Profis wie Torwart Toni Schumacher, Stopper Förster, Kämpfer Hans-Peter Briegel und den Spielmachern Bernd Schuster und Hansi Müller. Bayern-Stürmer Karl-Heinz Rummenigge schafft in seiner Ära den Durchbruch in die Weltklasse. HSV-Verteidiger Manfred Kaltz, für seine Bananenflanken berühmt, und Madrid-Legionär Ulli Stielike geben den Talenten Halt und Orientierung. Es herrscht ein gutes Klima in den ersten Jahren unter Derwall.

„1980 hatten wir einen Teamgeist, da hat es gepasst mit der Zusammensetzung der Mannschaft. Man hat sich auch mit Derwall wohl gefühlt und ist immer gern zur Nationalmannschaft gefahren“, erinnert sich Förster. Auf dieser Basis wird Deutschland in Italien überraschend Europameister; das Finale von Rom entscheidet der Hamburger Horst Hrubesch in seinem erst fünften Länderspiel. Einige stehen im Zenit ihres Könnens, viele unmittelbar bevor. Es herrscht eine Aufbruchstimmung, der sich niemand entziehen kann.

Als der kicker im Winter 1980/81 seine Rangliste herausbringt, verdienen sich vier Bundesliga-Stars das Prädikat Weltklasse: Schumacher, Briegel, Karl-Heinz Rummenigge – und Bayerns Antreiber Paul Breitner, damals noch aus der Nationalmannschaft verbannt. „Wir hatten sehr viele gute Einzelspieler in jener Zeit“, schwärmt Förster heute noch von der Generation der Derwall-Zeit. Allein die Spielmacher-Frage: hier hat der Rheinländer Derwall die Qual der Wahl. Hansi Müller, Felix Magath oder doch Bernd Schuster?

Mini-WM ohne Bernd Schuster

Letzterer nimmt an der Mini-WM allerdings nicht teil, wie der Barcelona-Legionär überhaupt häufiger mal fehlt. Seine Eskapaden kosten ihn Dutzende Länderspiele – auch die beiden bei der Mini-WM 1981. Jupp Derwall ist schon daran gewöhnt und fragt sich viel mehr, wer denn Libero spielen soll. Das Problem ist seit Franz Beckenbauers Abschied 1977 ungelöst, zumal Europameister Ulli Stielike von Real Madrid zu Tests häufig keine Freigabe erhält. Nach der Bundesliga-Rückkehr des Kaisers im Herbst 1980 zum HSV rechnen die Journalisten im Gastgeberland der Mini-WM übrigens fest mit Beckenbauers Einsatz und halten Derwalls Aufgebot für eine Finte.

Dort taucht mit Rainer Bonhof nach acht Monaten wieder ein anderer Weltmeister von 1974 auf. Der Neu-Kölner hat sein Formtief überwunden und das Fachblatt Kicker rechnet mit seinem Einsatz als Linksverteidiger. Irrtum: Bonhof wird bei der Mini-WM zum Aushilfs-Libero. Er hat zwar die meisten Länderspiele (51), dennoch führt weiterhin der Duisburger Verteidiger Bernard Dietz die Mannschaft als Kapitän an. Außer Bonhof stehen nur Europameister auf dem Feld, ihre Namen kennt jedes Kind: Toni Schumacher im Tor, in der Abwehr Manfred Kaltz, Bonhof, Förster, Dietz, im Mittelfeld mit Briegel, Magath und Müller drei Linksfüßer, im Angriff Rummenigge, Hrubesch und der Düsseldorfer Klaus Allofs.

Die Begegnung findet um 18 Uhr Ortszeit statt, in Deutschland ist es 22 Uhr und so mancher Zuschauer sitzt mit Neujahrskater vor dem Fernseher. ARD und ZDF haben sich erst nach zähen Verhandlungen zu einer Live-Übertragung durchringen können. In Deutschland hat das Turnier nicht den Stellenwert wie in Uruguay, wo alle Spiele schon seit Wochen ausverkauft sind.

Briegel hat Maradona im Griff

Gemessen an den Umständen liefert der Europameister ein hervorragendes Spiel an diesem Neujahrstag 1981. Horst Hrubesch gelingt kurz vor der Pause nach Hansi Müllers Ecke, natürlich per Kopf, die deutsche Führung. Und Diego Maradona macht erstmals in seiner Karriere mit deutscher Zweikampfhärte Bekanntschaft – Briegel schaltet ihn weitgehend aus, wenn er sich dabei auch eine Verwarnung einhandelt. Die hat der Pfälzer in Kauf genommen: „Ich wollte mal antesten, was der so alles nimmt. Da habe ich ihn gleich mal fest zur Brust genommen.“

Ferner berichtet Briegel später vom Duell mit dem 20-jährigen Wunderknaben: „Er war mein erster Gegenspieler, der mich während des ganzen Spiels weder angeguckt noch angeredet hat.“ Er habe schlicht Angst vor ihm gehabt. Der Respekt vor dem deutschen Fußball wuchs auch an diesem Tag mit jeder Minute, der Sieg war zum Greifen nah und die Serie nicht mehr in Gefahr. Eigentlich.

Dann kommt die 85. Minute: Acht Deutsche umringen zwei Argentinier, aber Libero Passarella kommt zum Kopfball. Schumacher hat die Hände schon am Ball, da spitzelt ihm Kaltz diesen noch aus den Händen – Eigentor, 1:1. Ausgerechnet Kaltz, der Mann, der bei allen 23 Spielen der Super-Serie dabei gewesen ist, leitet ihr Ende ein. „Ich habe ihm keinen Vorwurf gemacht und er mir auch nicht. Er zieht voll durch, kann nicht mehr abstoppen, peng“, reflektiert Schumacher später den Unglücksmoment. Rainer Bonhof verdient dagegen schon eher einen Vorwurf, denn der hat seinem Torwart noch mitgeteilt dass von Ramon Diaz’ rechtem Fuß keinerlei Gefahr ausgehe. „Der hat das rechte Bein nur, damit er nicht umkippt“, sagt Bonhof zu Schumacher. Doch als besagter Diaz in der 88. Minute nach Maradonas Pass enteilt, zieht er vom Strafraumeck doch mit dem angeblich so unnützen Fuß ab.

"Argentinisches Wunder"

Das Traumtor wird zum Endpunkt einer stolzen Serie, die bis heute keine DFB-Mannschaft mehr erreicht hat. Zwei Minuten später pfeift der spanische Schiedsrichter ab und Deutschland hat tatsächlich verloren. Ein Gefühl, dass Bundestrainer Derwall noch nicht kennt. „So ein Spiel kann man doch nicht mehr verlieren, oder?“, fragt er perplex in die Journalistenrunde. In 300 fatalen Sekunden wurde der Nimbus der Unbesiegbarkeit zerstört. „Das war das argentinische Wunder“, jubelt Uruguays Zeitung El Pais.

Ist es wirklich ein Wunder, wenn der Europameister dem Weltmeister unterliegt? Das zeugt von viel Respekt für die Deutschen, die nur bis zur Rückkehr ins Quartier Frust schieben. Dann werfen sie Hansi Müller in den Pool und auch Derwall stimmt ins Gelächter mit ein. Er tröstet sich mit den guten Kritiken. Der Kicker analysiert: „Wären diese letzten fünf Minuten nicht gewesen, alle Welt, besonders die Anhänger der deutschen Mannschaft, hätten von einer großartigen Leistung geschwärmt. Das Ergebnis aber wurde zwischen der 85. und 88. Minute auf den Kopf gestellt…“.

Chefredakteur Karl-Heinz Heimann mahnt zur Besonnenheit: „Nichts wäre jetzt verkehrter, als über diese Mannschaft den Stab zu brechen, freilich wird so mancher seine Schwierigkeiten haben nach zweieinhalb Erfolgsjahren wieder eine Niederlage verkraften zu müssen. Gewiss eine ärgerliche, völlig unnötige Niederlage, aber dennoch längst kein Weltuntergang.“ Das folgende 1:4 gegen Brasilien sechs Tage später schon eher, wieder folgt nach eigener Führung (Tor: Allofs) ein Einbruch, diesmal aber nach schwacher Leistung.

Nun macht sich die mangelnde Motivation der Deutschen, die doch so gerne den Weltrekord der Ungarn (33 Spiele) geknackt hätten, bemerkbar. Argentiniens Presse unterstellt ihr glatt Schiebung, Brasilien habe sich den Sieg gekauft. Noch immer ist eine deutsche Niederlage offenbar ein Ding der Unmöglichkeit – auch für das Ausland. Dabei lagen die Gründe auf der Hand: eine ausgelaugte Mannschaft in Urlaubsstimmung in einer anderen Klimazone im Kampf um einen bedingt wertvollen Pokal.

Vielleicht aber hat der 2007 verstorbene Jupp Derwall einfach auch nur nicht die richtigen Worte gefunden damals in Montevideo. Seine Sitzungen beendete er laut Ohrenzeuge Förster gewöhnlich mit diesem Ansporn: „Lasst uns ein gutes Spiel machen, dann können wir ein gemütliches Bierchen trinken und lecker Schnittchen essen.“

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Der deutsche Fußball hat viele große Nationalmannschaften gehabt: Allen voran die Helden von Bern, in deren Schatten auch die Weltmeister von München und Rom stehen. Am schönsten spielten angeblich die Europameister der Ramba-Zamba-Ära 1971/72 und wer sie je hat spielen sehen, bekam stets glänzende Augen wenn von der Breslau-Elf die Rede war.

Doch die längste Erfolgsserie in seiner 102-jährigen Länderspielgeschichte, weiß DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras, schrieb die Mannschaft, die Bundestrainer Jupp Derwall im Herbst 1978 übernahm. 23 Spiele blieb sie ungeschlagen, ehe sie an Neujahr 1981 bei der Mini-WM in Uruguay Weltmeister Argentinien unglücklich mit 1:2 unterlag. Auch im Anschluss blieben Niederlagen die Ausnahme und zur WM 1982 in Spanien gelangte die Derwall-Elf ohne Verlustpunkt in der Qualifikation.

1980 wurde Deutschland in Rom mit dieser Mannschaft, damals gerade im Aufbau, Europameister. In einer Manier und einer Formation, die ein Versprechen auf ganz große Taten war. Der Stuttgarter Karl-Heinz Förster, damals Vorstopper und einer der besten Verteidiger der DFB-Historie, ist noch heute überzeugt davon: „Mit etwas mehr Teamgeist wären wir 1982 Weltmeister geworden und die Elf von 1990 hätten wir auch geschlagen, denn wir hatten die besseren Einzelspieler. Ich kann das beurteilen, denn ich habe in der Bundesliga noch gegen die späteren Weltmeister gespielt.“ Mit der vielleicht besten DFB-Elf aller Zeiten nicht Weltmeister geworden zu sein bewegt Förster, der unter Teamchef Franz Beckenbauer auch im verlorenen Finale 1986 von Mexiko City stand, noch immer. Nun, es ist nicht mehr zu ändern, aber allemal einen Rückblick wert.

Kurze Weihnachtsferien, England drückt sich

Dezember 1980. Die Bundesliga geht in die fünfwöchige Winterpause, Hallenturniere verkürzen den Fans die Wartezeit. Bayern München muss in Mailand vor Weihnachten mit allen Stars noch ein Benefizspiel bestreiten – zugunsten von Erdbebenopfern. Für die Nationalspieler sind die Weihnachtsferien 1980 deshalb besonders kurz, Neujahr feiern sie schon auf einem anderen Kontinent. Denn Uruguay hat alle bisherigen Weltmeister im Gedenken an das 50-jährige Jubiläum der ersten WM im eigenen Land zu einer Mini-WM („Mundialito“) eingeladen, es geht um den „Copa de Oro“, den Goldpokal. Zu fehlen wäre äußerst unhöflich.

England drückt sich dennoch und wird vom zweimaligen Vize-Weltmeister Holland vertreten. Die Deutschen aber müssen am 28. Dezember 1980 in Frankfurt den Flieger gen Montevideo besteigen und in den südamerikanischen Sommer reisen. 40 Grad Temperatur-Unterschied kommen auf die 18 Kicker zu, die Bundestrainer Jupp Derwall nominiert hat. Es geht in der Vorrunde gegen die absolute Weltspitze: Argentinien, Brasilien und Deutschland bilden das was man zuweilen etwas leichtfertig eine „Todesgruppe“ nennt.

Es geht also gegen Maradona und Kempes, gegen Zico und Socrates – Herausforderungen von denen jeder Fußballer träumt. Eigentlich. Was damals alle Deutschen nur denken, kann Karl-Heinz Förster heute leicht aussprechen: „Diese Mini-WM war unnötig wie ein Kropf. Ich weiß noch, dass darauf keiner wirklich Lust hatte. Wir Spieler haben nur mit dem Kopf geschüttelt über diese Veranstaltung und es war uns klar, dass es hier passieren könnte.“ Es – das Ende der Super-Serie von 18 Siegen und fünf Unentschieden seit Jupp Derwalls Amtsantritt.

Seit der Schmach von Cordoba bei der WM in Argentinien, jenem legendären 2:3 gegen Österreich, hat sie nicht mehr verloren. Der Rekord der legendären Breslau-Elf Sepp Herbergers, die 1937/38 in 16 Spielen ungeschlagen geblieben war, ist längst überboten worden. 1979 rumpelt es zuweilen noch ein wenig, (0:0 auf Malta und in der Türkei), aber 1980 ist der deutsche Fußball in beeindruckender Weise wiederauferstanden. Zum Europameister-Titel kommen die internationalen Vereinserfolge: das Uefa-Cup-Halbfinale 1979/80 ist eine rein deutsche Veranstaltung, Eintracht Frankfurt triumphiert schließlich gegen Borussia Mönchengladbach – und der HSV erreicht im Mai gegen Nottingham das Landesmeister-Finale.

Derwall setzt auf junge Spieler

Bundestrainer Jupp Derwall hat ein schier unerschöpfliches Reservoir an Kandidaten zur Verfügung, in der Bundesliga sind Ausländer noch seltene Exoten. Beim Aufbau einer neuen Mannschaft hat der Nachfolger Helmut Schöns meist auf die richtigen Spieler gesetzt, er vertraut unerfahrenen Jung-Profis wie Torwart Toni Schumacher, Stopper Förster, Kämpfer Hans-Peter Briegel und den Spielmachern Bernd Schuster und Hansi Müller. Bayern-Stürmer Karl-Heinz Rummenigge schafft in seiner Ära den Durchbruch in die Weltklasse. HSV-Verteidiger Manfred Kaltz, für seine Bananenflanken berühmt, und Madrid-Legionär Ulli Stielike geben den Talenten Halt und Orientierung. Es herrscht ein gutes Klima in den ersten Jahren unter Derwall.

„1980 hatten wir einen Teamgeist, da hat es gepasst mit der Zusammensetzung der Mannschaft. Man hat sich auch mit Derwall wohl gefühlt und ist immer gern zur Nationalmannschaft gefahren“, erinnert sich Förster. Auf dieser Basis wird Deutschland in Italien überraschend Europameister; das Finale von Rom entscheidet der Hamburger Horst Hrubesch in seinem erst fünften Länderspiel. Einige stehen im Zenit ihres Könnens, viele unmittelbar bevor. Es herrscht eine Aufbruchstimmung, der sich niemand entziehen kann.

Als der kicker im Winter 1980/81 seine Rangliste herausbringt, verdienen sich vier Bundesliga-Stars das Prädikat Weltklasse: Schumacher, Briegel, Karl-Heinz Rummenigge – und Bayerns Antreiber Paul Breitner, damals noch aus der Nationalmannschaft verbannt. „Wir hatten sehr viele gute Einzelspieler in jener Zeit“, schwärmt Förster heute noch von der Generation der Derwall-Zeit. Allein die Spielmacher-Frage: hier hat der Rheinländer Derwall die Qual der Wahl. Hansi Müller, Felix Magath oder doch Bernd Schuster?

Mini-WM ohne Bernd Schuster

Letzterer nimmt an der Mini-WM allerdings nicht teil, wie der Barcelona-Legionär überhaupt häufiger mal fehlt. Seine Eskapaden kosten ihn Dutzende Länderspiele – auch die beiden bei der Mini-WM 1981. Jupp Derwall ist schon daran gewöhnt und fragt sich viel mehr, wer denn Libero spielen soll. Das Problem ist seit Franz Beckenbauers Abschied 1977 ungelöst, zumal Europameister Ulli Stielike von Real Madrid zu Tests häufig keine Freigabe erhält. Nach der Bundesliga-Rückkehr des Kaisers im Herbst 1980 zum HSV rechnen die Journalisten im Gastgeberland der Mini-WM übrigens fest mit Beckenbauers Einsatz und halten Derwalls Aufgebot für eine Finte.

Dort taucht mit Rainer Bonhof nach acht Monaten wieder ein anderer Weltmeister von 1974 auf. Der Neu-Kölner hat sein Formtief überwunden und das Fachblatt Kicker rechnet mit seinem Einsatz als Linksverteidiger. Irrtum: Bonhof wird bei der Mini-WM zum Aushilfs-Libero. Er hat zwar die meisten Länderspiele (51), dennoch führt weiterhin der Duisburger Verteidiger Bernard Dietz die Mannschaft als Kapitän an. Außer Bonhof stehen nur Europameister auf dem Feld, ihre Namen kennt jedes Kind: Toni Schumacher im Tor, in der Abwehr Manfred Kaltz, Bonhof, Förster, Dietz, im Mittelfeld mit Briegel, Magath und Müller drei Linksfüßer, im Angriff Rummenigge, Hrubesch und der Düsseldorfer Klaus Allofs.

Die Begegnung findet um 18 Uhr Ortszeit statt, in Deutschland ist es 22 Uhr und so mancher Zuschauer sitzt mit Neujahrskater vor dem Fernseher. ARD und ZDF haben sich erst nach zähen Verhandlungen zu einer Live-Übertragung durchringen können. In Deutschland hat das Turnier nicht den Stellenwert wie in Uruguay, wo alle Spiele schon seit Wochen ausverkauft sind.

Briegel hat Maradona im Griff

Gemessen an den Umständen liefert der Europameister ein hervorragendes Spiel an diesem Neujahrstag 1981. Horst Hrubesch gelingt kurz vor der Pause nach Hansi Müllers Ecke, natürlich per Kopf, die deutsche Führung. Und Diego Maradona macht erstmals in seiner Karriere mit deutscher Zweikampfhärte Bekanntschaft – Briegel schaltet ihn weitgehend aus, wenn er sich dabei auch eine Verwarnung einhandelt. Die hat der Pfälzer in Kauf genommen: „Ich wollte mal antesten, was der so alles nimmt. Da habe ich ihn gleich mal fest zur Brust genommen.“

Ferner berichtet Briegel später vom Duell mit dem 20-jährigen Wunderknaben: „Er war mein erster Gegenspieler, der mich während des ganzen Spiels weder angeguckt noch angeredet hat.“ Er habe schlicht Angst vor ihm gehabt. Der Respekt vor dem deutschen Fußball wuchs auch an diesem Tag mit jeder Minute, der Sieg war zum Greifen nah und die Serie nicht mehr in Gefahr. Eigentlich.

Dann kommt die 85. Minute: Acht Deutsche umringen zwei Argentinier, aber Libero Passarella kommt zum Kopfball. Schumacher hat die Hände schon am Ball, da spitzelt ihm Kaltz diesen noch aus den Händen – Eigentor, 1:1. Ausgerechnet Kaltz, der Mann, der bei allen 23 Spielen der Super-Serie dabei gewesen ist, leitet ihr Ende ein. „Ich habe ihm keinen Vorwurf gemacht und er mir auch nicht. Er zieht voll durch, kann nicht mehr abstoppen, peng“, reflektiert Schumacher später den Unglücksmoment. Rainer Bonhof verdient dagegen schon eher einen Vorwurf, denn der hat seinem Torwart noch mitgeteilt dass von Ramon Diaz’ rechtem Fuß keinerlei Gefahr ausgehe. „Der hat das rechte Bein nur, damit er nicht umkippt“, sagt Bonhof zu Schumacher. Doch als besagter Diaz in der 88. Minute nach Maradonas Pass enteilt, zieht er vom Strafraumeck doch mit dem angeblich so unnützen Fuß ab.

"Argentinisches Wunder"

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Das Traumtor wird zum Endpunkt einer stolzen Serie, die bis heute keine DFB-Mannschaft mehr erreicht hat. Zwei Minuten später pfeift der spanische Schiedsrichter ab und Deutschland hat tatsächlich verloren. Ein Gefühl, dass Bundestrainer Derwall noch nicht kennt. „So ein Spiel kann man doch nicht mehr verlieren, oder?“, fragt er perplex in die Journalistenrunde. In 300 fatalen Sekunden wurde der Nimbus der Unbesiegbarkeit zerstört. „Das war das argentinische Wunder“, jubelt Uruguays Zeitung El Pais.

Ist es wirklich ein Wunder, wenn der Europameister dem Weltmeister unterliegt? Das zeugt von viel Respekt für die Deutschen, die nur bis zur Rückkehr ins Quartier Frust schieben. Dann werfen sie Hansi Müller in den Pool und auch Derwall stimmt ins Gelächter mit ein. Er tröstet sich mit den guten Kritiken. Der Kicker analysiert: „Wären diese letzten fünf Minuten nicht gewesen, alle Welt, besonders die Anhänger der deutschen Mannschaft, hätten von einer großartigen Leistung geschwärmt. Das Ergebnis aber wurde zwischen der 85. und 88. Minute auf den Kopf gestellt…“.

Chefredakteur Karl-Heinz Heimann mahnt zur Besonnenheit: „Nichts wäre jetzt verkehrter, als über diese Mannschaft den Stab zu brechen, freilich wird so mancher seine Schwierigkeiten haben nach zweieinhalb Erfolgsjahren wieder eine Niederlage verkraften zu müssen. Gewiss eine ärgerliche, völlig unnötige Niederlage, aber dennoch längst kein Weltuntergang.“ Das folgende 1:4 gegen Brasilien sechs Tage später schon eher, wieder folgt nach eigener Führung (Tor: Allofs) ein Einbruch, diesmal aber nach schwacher Leistung.

Nun macht sich die mangelnde Motivation der Deutschen, die doch so gerne den Weltrekord der Ungarn (33 Spiele) geknackt hätten, bemerkbar. Argentiniens Presse unterstellt ihr glatt Schiebung, Brasilien habe sich den Sieg gekauft. Noch immer ist eine deutsche Niederlage offenbar ein Ding der Unmöglichkeit – auch für das Ausland. Dabei lagen die Gründe auf der Hand: eine ausgelaugte Mannschaft in Urlaubsstimmung in einer anderen Klimazone im Kampf um einen bedingt wertvollen Pokal.

Vielleicht aber hat der 2007 verstorbene Jupp Derwall einfach auch nur nicht die richtigen Worte gefunden damals in Montevideo. Seine Sitzungen beendete er laut Ohrenzeuge Förster gewöhnlich mit diesem Ansporn: „Lasst uns ein gutes Spiel machen, dann können wir ein gemütliches Bierchen trinken und lecker Schnittchen essen.“