Meyer: "Kopfballverbot aktuell nicht sinnvoll"

Offenbar planen der Englische Fußball-Verband (FA) und der Schottische Fußball-Verband (SFA) ein Kopfballverbot für Kinder- und Jugendliche zumindest im Training. Diese Überlegung wird dargestellt als Konsequenz einer u. a. von FA und Spielergewerkschaft PFA in Auftrag gegebenen Untersuchung, deren Ergebnis war, dass Profifußballer ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko haben, an einer Demenz zu versterben. Im DFB.de-Interview spricht Prof. Dr. Tim Meyer, Arzt der Nationalmannschaft und Vorsitzender der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), über Kopfbälle und ihre Folgen.

DFB.de: Herr Meyer, ist auch für Deutschland ein Verbot von Kopfbällen für Kinder und Jugendliche vorstellbar?

Tim Meyer: Ein Kopfballverbot halten wir aktuell nicht für sinnvoll. Schon deswegen nicht, weil Kinder in den unteren Altersklassen im Bereich des DFB in Spiel und Training nur selten Aktionen mit dem Kopf haben. So ist im Curriculum für Jugendtrainer ein spezifisches Kopfballtraining erst nach dem 13. Lebensjahr vorgesehen. Zusätzlich würde die Situation entschärft, wenn nach Abschluss der Pilotphase in Deutschland im Kinderfußball flächendeckend die neuen Spielformen eingeführt werden. Spiele auf Kleinfelder und vier kleine Tore, Spiele mit Mannschaftsstärken von zwei gegen zwei bis fünf gegen fünf, der Verzicht auf Abstoß und Abschlag - all das ist ausgelegt auf Dribblings und auf flache und kurze Pässe – und nicht auf Flanken und Kopfbälle.

DFB.de: Die Ergebnisse der schottischen Studie alarmieren Sie nicht?

Meyer: Sicherlich muss man die Ergebnisse ernst nehmen, aber mir scheint auch an manchen Orten eine Überinterpretation stattzufinden. So liefert diese Studie keine Erkenntnisse darüber, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Kopfbällen und dem erhöhten Demenzrisiko besteht. Genauso möglich ist, dass das erhöhte Demenzrisiko auf einer Aufsummierung von Kopfverletzungen im Laufe einer Karriere oder auf anderen Faktoren, die mit dem Fußball assoziiert sind, beruht. So lässt die Studie relevante Umstände außer Acht, etwa den Konsum von Alkohol oder anderen schädigenden Substanzen. Außerdem muss man beachten, dass die Spieler, die in diese Untersuchung eingeschlossen wurden, vor sehr langer Zeit gespielt haben. Insofern kann die aktuelle Wirklichkeit des Profifußballs überhaupt nicht widergespiegelt werden. Ich halte die wissenschaftliche Grundlage derzeit für zu dünn, um daraus angesichts der ohnehin wenigen Kopfbälle im Kinderfußball ein Verbot abzuleiten. Hier fehlt mir einfach das Augenmaß. Ich bin daher froh, dass wir mit der seit Beginn des Jahres laufenden NAKO-Gesundheitsstudie voraussichtlich in absehbarer Zeit relevante Daten erhalten werden, auf Grundlage derer wir gegebenenfalls sinnvolle Maßnahmen ergreifen können.

DFB.de: NAKO ist eine bundesweite Gesundheitsstudie mit über 200.000 erfassten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen, um Prävention, Früherkennung und Behandlung in Deutschland zu verbessern.

Meyer: Genau. Die Beteiligung an der Studie ist ein gemeinsames Projekt von DFB, DFL und gesetzlicher Unfallversicherung VBG. Gegenstand ist die Erforschung von langfristigen Auswirkungen des Profisports auf die Gesundheit von ehemaligen Profi-Fußballspielerinnen und -spielern. Über einen Zeitraum von drei Jahren werden wir den Gesundheitszustand von 300 bis 500 Ex-Fußballprofis im Alter zwischen 40 und 69 Jahren mit dem umfangreichen NAKO-Untersuchungsprogramm messen. Durch die Einbettung in die NAKO-Gesundheitsstudie können die Werte der Ex-Fußballer mit einer enorm großen Datenbasis verglichen werden – das erhöht die Qualität der Erkenntnisse ungemein. Zudem werden viele fußballspezifische Daten erhoben, darunter ein Maß für die Kopfballhäufigkeit über die Karriere. Der Ansatz geht somit deutlich weiter als in bisherigen Studien, die häufig eben nicht eine unmittelbare Übertragbarkeit ermöglichten, so dass Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge offenbleiben mussten.

DFB.de: Können Sie ausschließen, dass in Deutschland nach Abschluss der Studie nicht doch ein Kopfball-Verbot für Kinder und Jugendliche eingeführt wird?

Meyer: Ich bin Arzt. Und als Arzt finde ich alles gut, was der Gesundheit der Spieler förderlich ist. Ich bin aber auch Wissenschaftler. Und als Wissenschaftler halte ich wenig davon, über Schlussfolgerungen zu spekulieren, bevor die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit ausreichender Sicherheit gewonnen sind. Insofern wäre es unseriös, etwas gänzlich auszuschließen, aber derzeit ist keine Notwendigkeit zu erkennen.

[sl]

Offenbar planen der Englische Fußball-Verband (FA) und der Schottische Fußball-Verband (SFA) ein Kopfballverbot für Kinder- und Jugendliche zumindest im Training. Diese Überlegung wird dargestellt als Konsequenz einer u. a. von FA und Spielergewerkschaft PFA in Auftrag gegebenen Untersuchung, deren Ergebnis war, dass Profifußballer ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko haben, an einer Demenz zu versterben. Im DFB.de-Interview spricht Prof. Dr. Tim Meyer, Arzt der Nationalmannschaft und Vorsitzender der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), über Kopfbälle und ihre Folgen.

DFB.de: Herr Meyer, ist auch für Deutschland ein Verbot von Kopfbällen für Kinder und Jugendliche vorstellbar?

Tim Meyer: Ein Kopfballverbot halten wir aktuell nicht für sinnvoll. Schon deswegen nicht, weil Kinder in den unteren Altersklassen im Bereich des DFB in Spiel und Training nur selten Aktionen mit dem Kopf haben. So ist im Curriculum für Jugendtrainer ein spezifisches Kopfballtraining erst nach dem 13. Lebensjahr vorgesehen. Zusätzlich würde die Situation entschärft, wenn nach Abschluss der Pilotphase in Deutschland im Kinderfußball flächendeckend die neuen Spielformen eingeführt werden. Spiele auf Kleinfelder und vier kleine Tore, Spiele mit Mannschaftsstärken von zwei gegen zwei bis fünf gegen fünf, der Verzicht auf Abstoß und Abschlag - all das ist ausgelegt auf Dribblings und auf flache und kurze Pässe – und nicht auf Flanken und Kopfbälle.

DFB.de: Die Ergebnisse der schottischen Studie alarmieren Sie nicht?

Meyer: Sicherlich muss man die Ergebnisse ernst nehmen, aber mir scheint auch an manchen Orten eine Überinterpretation stattzufinden. So liefert diese Studie keine Erkenntnisse darüber, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Kopfbällen und dem erhöhten Demenzrisiko besteht. Genauso möglich ist, dass das erhöhte Demenzrisiko auf einer Aufsummierung von Kopfverletzungen im Laufe einer Karriere oder auf anderen Faktoren, die mit dem Fußball assoziiert sind, beruht. So lässt die Studie relevante Umstände außer Acht, etwa den Konsum von Alkohol oder anderen schädigenden Substanzen. Außerdem muss man beachten, dass die Spieler, die in diese Untersuchung eingeschlossen wurden, vor sehr langer Zeit gespielt haben. Insofern kann die aktuelle Wirklichkeit des Profifußballs überhaupt nicht widergespiegelt werden. Ich halte die wissenschaftliche Grundlage derzeit für zu dünn, um daraus angesichts der ohnehin wenigen Kopfbälle im Kinderfußball ein Verbot abzuleiten. Hier fehlt mir einfach das Augenmaß. Ich bin daher froh, dass wir mit der seit Beginn des Jahres laufenden NAKO-Gesundheitsstudie voraussichtlich in absehbarer Zeit relevante Daten erhalten werden, auf Grundlage derer wir gegebenenfalls sinnvolle Maßnahmen ergreifen können.

DFB.de: NAKO ist eine bundesweite Gesundheitsstudie mit über 200.000 erfassten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen, um Prävention, Früherkennung und Behandlung in Deutschland zu verbessern.

Meyer: Genau. Die Beteiligung an der Studie ist ein gemeinsames Projekt von DFB, DFL und gesetzlicher Unfallversicherung VBG. Gegenstand ist die Erforschung von langfristigen Auswirkungen des Profisports auf die Gesundheit von ehemaligen Profi-Fußballspielerinnen und -spielern. Über einen Zeitraum von drei Jahren werden wir den Gesundheitszustand von 300 bis 500 Ex-Fußballprofis im Alter zwischen 40 und 69 Jahren mit dem umfangreichen NAKO-Untersuchungsprogramm messen. Durch die Einbettung in die NAKO-Gesundheitsstudie können die Werte der Ex-Fußballer mit einer enorm großen Datenbasis verglichen werden – das erhöht die Qualität der Erkenntnisse ungemein. Zudem werden viele fußballspezifische Daten erhoben, darunter ein Maß für die Kopfballhäufigkeit über die Karriere. Der Ansatz geht somit deutlich weiter als in bisherigen Studien, die häufig eben nicht eine unmittelbare Übertragbarkeit ermöglichten, so dass Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge offenbleiben mussten.

DFB.de: Können Sie ausschließen, dass in Deutschland nach Abschluss der Studie nicht doch ein Kopfball-Verbot für Kinder und Jugendliche eingeführt wird?

Meyer: Ich bin Arzt. Und als Arzt finde ich alles gut, was der Gesundheit der Spieler förderlich ist. Ich bin aber auch Wissenschaftler. Und als Wissenschaftler halte ich wenig davon, über Schlussfolgerungen zu spekulieren, bevor die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit ausreichender Sicherheit gewonnen sind. Insofern wäre es unseriös, etwas gänzlich auszuschließen, aber derzeit ist keine Notwendigkeit zu erkennen.

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