Mediziner Jelkmann: "EPO-Doping lohnt sich auch beim Fußball"

Der Humanmediziner Prof. Wolfgang Jelkmann hat seit Jahrzehnten die sauerstoffabhängige Synthese von Erythropoietin untersucht, landläufig als EPO bekannt. Er hat mehrere auch international erschienene Monografien über das Hormon verfasst. DFB.de hat mit ihm über einen Wirkstoff gesprochen, der Fluch und Segen zugleich ist.

DFB.de: Herr Professor Jelkmann, sie haben sich ein Forscherleben lang mit Erythropoietin beschäftigt. Bitte erklären Sie uns, was ist EPO? Und bitte so, dass wir Laien auch mitkommen.

Professor Wolfgang Jelkmann: EPO ist die Abkürzung für das Hormon Erythropoietin. Es wird beim Erwachsenen vor allem in den Nieren gebildet, gelangt ins Blut und wirkt auf Gewebe ein. Der Name kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt "rot machen". EPO fördert die Bildung roter Blutzellen, nämlich der Erythrozyten, die den roten Blutfarbstoff Hämoglobin enthalten, der wiederum den Sauerstoff im Blut transportiert. Hämoglobin wird in den Lungengefäßen mit Sauerstoff beladen und gibt ihn in den peripheren Geweben, wie zum Beispiel der Muskulatur, wieder ab. Die Erythrozyten sind vollgepackt mit Hämoglobin, sie bestehen praktisch aus nichts anderem.

DFB.de: Welche Lebenszeit haben Erythrozyten im Körper?

Jelkmann: Zwischen 100 bis 120 Tagen. Permanent müssen also neue Erythrozyten gebildet werden. Ungefähr ein Prozent der rund zweieinhalb Liter Erythrozyten in einem erwachsenen Menschen werden binnen 24 Stunden erneuert. Das ist sehr, sehr viel, etwa eine halbe Kaffeetasse, also ein sehr aktiver Prozess.

DFB.de: Wie unterscheiden sich körpereigenes und gentechnisch hergestelltes EPO?

Jelkmann: Das körpereigene wie auch das gentechnisch hergestellte rekombinante Erythropoietin sind Glykoproteine. Sie haben einen Peptidanteil, der aufgebaut ist aus Aminosäuren, nämlich 165 Aminosäuren in einer Sequenz. An diesem Aminosäurengrundgerüst hängen vier Kohlenhydratseitenketten. Das rekombinante EPO können wir anhand dieser Zuckerketten unterscheiden, denn sie sind kompletter und weisen eine andere elektrische Ladung auf. Genau auf dieser Grundlage können Biochemiker körpereigenes und gentechnisch hergestelltes Erythropoietin unterscheiden.

DFB.de: Wie wird rekombinantes Erythropoietin hergestellt, sei es in der Pharmazie oder in den Dopinglaboren?

Jelkmann: Lassen Sie mich erst mal erklären, warum wir von rekombinantem EPO sprechen. Es heißt so, weil eine Rekombination von Genen in bestimmten Wirtzellen stattgefunden hat. Man hat also in Wirtzellen das menschliche Erythropoietin-Gen eingeschleust. Die pharmazeutische Industrie benutzt für die Produktion des gentechnischen EPO ein Zellkultursystem, das man vor Jahrzehnten aus dem Eierstock eines Hamsters gewonnen hat.

DFB.de: Die EPO-Skandale machten uns Sportfans bewusst, dass die Einnahme von rekombinantem Erythropoietin einen enormen Leistungsboost bewirkt. Wie erklärt sich diese starke Wirkung?

Jelkmann: Je höher die Hämoglobin-Konzentration, desto mehr Sauerstoff kann im Blut transportiert werden. Und damit eben auch angeliefert werden an die Muskulatur. Wie wir wissen, gibt es verbotene und erlaubte Methoden, diesen Effekt zu erzielen. Erlaubt ist der Höhenaufenthalt. Denn bei Sauerstoffmangel wird mehr Erythropoietin produziert. Das macht der Körper sehr schlau, denn wenn man etwa bei einer Verletzung blutet, dadurch weniger Sauerstoff im Körper hat, bilden die Nieren mehr Erythropoietin. Sauerstoffmangel ist also der Reiz. Und der Sauerstoffmangel tritt auch auf in großer Höhe. Man kann diesen Effekt auch durch den Aufenthalt in sogenannten Hypoxie-Kammern erzielen, das ist nicht verboten. Verboten ist die Transfusion von Erythrozyten, und verboten ist selbstverständlich auch die Injektion von rekombinantem EPO.

DFB.de: Wie lange hält der Effekt an?

Jelkmann: Nach einem Höhenaufenthalt hat man etwa zwei Monate lang eine erhöhte Anzahl von Erythrozyten im Blut.

DFB.de: Wie bewerten Sie bei einer hochdosierten und hochfrequenten Einnahme die Gesundheitsrisiken für den Sportler oder die Sportlerin?

Jelkmann: Da stellen Sie mir eine schwierige Frage, denn aus der Sicht des Arztes ist das gentechnisch gewonnene Erythropoietin ein Segen. Etwa für Patienten, die an einer renalen Anämie leiden oder zur Behandlung der Anämie von Krebspatienten während einer Chemotherapie sowie für AIDS-Patienten und anämische Neugeborene. Für all diese Patienten kann man die Hämoglobin-Konzentration durch die Gabe von rekombinantem EPO anheben. Ich möchte keine Patienten verunsichern, indem ich hier über riesige gesundheitliche Risiken spreche. Denn wenn es korrekt eingesetzt wird, hat EPO kaum oder nur selten auftretende gefährliche Nebenwirkungen. Bei einer hohen Dosierung über einen langen Zeitraum aber bildet sich eine große Anzahl von Erythrozyten, es kommt also zu einem sehr hohen Hämatokritwert. Der liegt bei Männern normalerweise so bei 47 Prozent, bei Frauen bei 42 Prozent. Durch die Einnahme von EPO steigt dieser Wert, das Blut wird dickflüssiger. Dann besteht die Gefahr von Thrombosen. Wenn die Thromben, also die Blutgerinnsel, fortgeschwemmt werden, sprechen wir von einer Embolie.

DFB.de: In den Enthüllungsbüchern wurde von Fahrern der Tour de France berichtet, die zigfach nachts geweckt werden und die Hotelflure hoch und runter gehen mussten.

Jelkmann: In den 90er-Jahren starben vermehrt Sportler durch Thrombosen, und zwar auffällig häufig in der Nacht. Man hatte noch kaum Erfahrungen beim EPO-Doping. Im Schlaf ist die Fließgeschwindigkeit des Blutes sehr niedrig. Man spricht auch von der Stase des Blutes. Das begünstigt die Bildung von Thrombosen. Wenn der Hämatokritwert aber über 50 Prozent liegt, wird es gefährlich. Dazu kommt, dass die roten Blutkörperchen die Blutplättchen an die Gefäßwand drücken, auch dadurch wird die Entstehung einer Thrombose befördert.

DFB.de: Sind langfristige Schädigungen bekannt?

Jelkmann: Das ist ein umstrittenes Thema. Für mich gibt es keine überzeugende Evidenz dafür, dass Erythropoietin das Entstehen von Tumoren befördert. Im Sport wird man deutlich niedrigere Dosen verabreichen als etwa in der Onkologie. Untersuchungen bei Höhenbewohnern, wo ja physiologisch bedingt die EPO-Bildung ansteigt, haben gezeigt, dass die Tumorbildung nicht vermehrt ist. Ich sehe diese Gefahr nicht, im Gegensatz zur Gefahr von Thromboembolien bei einem hohen Hämatokritwert. Auch die Erhöhung des Blutdrucks ist in der Regel bei Sportlern nicht ausgeprägt, sondern wurde vermehrt bei Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz beobachtet.

DFB.de: Ist Fußball potenziell eine EPO-Sportart? Platt gefragt, lohnt sich das überhaupt beim Fußball?

Jelkmann: Wenn ich platt antworten darf, würde ich sagen: Ja, EPO-Doping lohnt sich, auch beim Fußball. Es wird immer darauf abgehoben, dass Erythropoietin die Ausdauer fördert. Es sind aber gerade Sportarten wie der Radsport, wo es zu "bursts" kommt, wo Ausbrüche, explosive Leistungsanstiege, notwendig sind. Wenn jemand also schon zwei Stunden gefahren ist, und jetzt kommt der Steilanstieg. Da ist es sehr hilfreich, wenn mehr Sauerstoff im Blut transportiert werden kann. Diese Situation sehe ich auch im Fußball. Für den erfolgreichen Sprint in der 80. Minute mag eine hohe Sauerstoffkapazität des Blutes nützlich sein. Gleichzeitig kommt es gerade beim Fußball auf so viele andere Qualitäten an, etwa die Ballbehandlung, Technik und Taktik, den Teamspirit, psychologische Faktoren. Deshalb spielt EPO, anders als etwa im Radsport oder auch beim Skilanglauf, meiner Meinung nach im Hochleistungsfußball keine große Rolle.

DFB.de: Ist die Detektion im Kampf gegen die international operierenden Dopingmärkte finanziell, personell und methodisch stark genug aufgestellt?

Jelkmann: Die WADA und die NADA sind sicher nicht komplett erfolgreich. Aber ich halte das, was sie machen, die Durchführung der Kontrollen und das Bestimmen verbotener Substanzen und Techniken, für eine wichtige Funktion. Meine Sorge gilt dabei insbesondere dem Breitensport. Untersuchungen auch in Deutschland haben gezeigt, dass schon junge Sportler verbotene Substanzen einsetzen. Denken wir nur an die Androgene, die im Kraftsport verwendet werden, und bei dauerhaftem Einsatz massive Gesundheitsschäden bewirken.

DFB.de: Zur Aufdeckung von EPO-Doping wird in den WADA-Laboratorien in Köln und Kreischa das sogenannte Sars-PAGE-Verfahren angewendet. Wie bewerten Sie die Aussagekraft dieses Verfahrens?

Jelkmann: Wir haben ja vorhin schon erklärt, dass sich das rekombinante EPO vom körpereigenen unterscheidet. Man sollte ergänzend sagen, dass auch unser körpereigenes Erythropoietin keine einheitliche Struktur aufweist. Humanes Insulin etwa sieht immer gleich aus. Die Erythropoietine in meinem Körper dagegen unterscheiden sich, und zwar in Bezug auf die Kohlenhydratseitenketten. Das bedeutet auch, dass bei einer Untersuchung der Ladung, also isoelektrischer Fokussierung, Unterschiede festgestellt werden. Das rekombinante Erythropoietin ist in der Summe größer als das körpereigene. Aber es gibt bei der Elektrophorese nicht einen einzelnen Strich, sondern sichtbar sind breitere Bande. Die breiten Banden kommen dadurch zu Stande, dass immer mehrere unterschiedliche Isoformen vorhanden sind, in den körpereigenen wie auch in den rekombinanten.

DFB.de: Noch mal nachgefragt, wie bewerten Sie die Aussagekraft des Sars-PAGE-Verfahrens?

Jelkmann: Ich selbst bin kein Dopinganalyst und habe das Verfahren auch noch nicht durchgeführt, aber wie ich aus dem Kollegenkreis höre, ist das Sars-PAGE-Verfahren aktuell die beste Methode, um körpereigenes und rekombinantes Erythropoietin in Urinproben zu unterscheiden.

DFB.de: Sie haben 1974 promoviert, Erythropoietin wurde dann ihr Forschungsschwerpunkt. Hatten Sie damals geahnt, dass EPO eine solche Bedeutung haben würde, sowohl medikamentös wie auch als Dopingmittel?

Jelkmann: Ich wollte eigentlich Chirurg werden und habe an der Universität in Regensburg studiert. Tagsüber forschte ich zu Hämoglobin, und um mich weiterzubilden, habe ich nachts in einer chirurgischen Klinik gearbeitet. Während einer solchen Nachtschicht las ich einen Artikel über Erythropoietin, in dem beschrieben wurde, wie bescheiden der Forschungsstand sei. Wir wissen noch nicht mal, wo das herkommt, schrieb der Autor. Da dachte ich, hier ist ein Thema, auf das du dich stürzen kannst. Ich ging zu einem Fachmann in die USA und habe mich mit seiner Hilfe erst mal eingearbeitet. Damals hätte ich wirklich nie gedacht, dass Erythropoietin mal so ein wertvolles Medikament sein könnte, aber auch nicht, dass es eine solche Rolle beim Sportdoping spielen würde. Keiner konnte damals Erythropoietin isolieren. Ich selbst war der erste Forscher, der es aus Nieren extrahierte. Den Wert dieses Entwicklungsschritts haben viele meiner damaligen Kollegen anfangs nicht erkannt. Für mich als Forscher war Erythropoietin ein Glücksfall.

Prof. Dr. med. Wolfgang Jelkmann war ab 1995 Inhaber einer C-4 Professur und Direktor des Instituts für Physiologie an der Medizinischen Universität zu Lübeck. Er veröffentlichte 140 Originalpublikationen, darunter die Monografie "Erythropoietin" (Springer-Verlag, 1989) und "Erythropoietin: Molecular Biology and Clinical Use" (F.P. Graham Publishing, 2003).

[th]

Der Humanmediziner Prof. Wolfgang Jelkmann hat seit Jahrzehnten die sauerstoffabhängige Synthese von Erythropoietin untersucht, landläufig als EPO bekannt. Er hat mehrere auch international erschienene Monografien über das Hormon verfasst. DFB.de hat mit ihm über einen Wirkstoff gesprochen, der Fluch und Segen zugleich ist.

DFB.de: Herr Professor Jelkmann, sie haben sich ein Forscherleben lang mit Erythropoietin beschäftigt. Bitte erklären Sie uns, was ist EPO? Und bitte so, dass wir Laien auch mitkommen.

Professor Wolfgang Jelkmann: EPO ist die Abkürzung für das Hormon Erythropoietin. Es wird beim Erwachsenen vor allem in den Nieren gebildet, gelangt ins Blut und wirkt auf Gewebe ein. Der Name kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt "rot machen". EPO fördert die Bildung roter Blutzellen, nämlich der Erythrozyten, die den roten Blutfarbstoff Hämoglobin enthalten, der wiederum den Sauerstoff im Blut transportiert. Hämoglobin wird in den Lungengefäßen mit Sauerstoff beladen und gibt ihn in den peripheren Geweben, wie zum Beispiel der Muskulatur, wieder ab. Die Erythrozyten sind vollgepackt mit Hämoglobin, sie bestehen praktisch aus nichts anderem.

DFB.de: Welche Lebenszeit haben Erythrozyten im Körper?

Jelkmann: Zwischen 100 bis 120 Tagen. Permanent müssen also neue Erythrozyten gebildet werden. Ungefähr ein Prozent der rund zweieinhalb Liter Erythrozyten in einem erwachsenen Menschen werden binnen 24 Stunden erneuert. Das ist sehr, sehr viel, etwa eine halbe Kaffeetasse, also ein sehr aktiver Prozess.

DFB.de: Wie unterscheiden sich körpereigenes und gentechnisch hergestelltes EPO?

Jelkmann: Das körpereigene wie auch das gentechnisch hergestellte rekombinante Erythropoietin sind Glykoproteine. Sie haben einen Peptidanteil, der aufgebaut ist aus Aminosäuren, nämlich 165 Aminosäuren in einer Sequenz. An diesem Aminosäurengrundgerüst hängen vier Kohlenhydratseitenketten. Das rekombinante EPO können wir anhand dieser Zuckerketten unterscheiden, denn sie sind kompletter und weisen eine andere elektrische Ladung auf. Genau auf dieser Grundlage können Biochemiker körpereigenes und gentechnisch hergestelltes Erythropoietin unterscheiden.

DFB.de: Wie wird rekombinantes Erythropoietin hergestellt, sei es in der Pharmazie oder in den Dopinglaboren?

Jelkmann: Lassen Sie mich erst mal erklären, warum wir von rekombinantem EPO sprechen. Es heißt so, weil eine Rekombination von Genen in bestimmten Wirtzellen stattgefunden hat. Man hat also in Wirtzellen das menschliche Erythropoietin-Gen eingeschleust. Die pharmazeutische Industrie benutzt für die Produktion des gentechnischen EPO ein Zellkultursystem, das man vor Jahrzehnten aus dem Eierstock eines Hamsters gewonnen hat.

DFB.de: Die EPO-Skandale machten uns Sportfans bewusst, dass die Einnahme von rekombinantem Erythropoietin einen enormen Leistungsboost bewirkt. Wie erklärt sich diese starke Wirkung?

Jelkmann: Je höher die Hämoglobin-Konzentration, desto mehr Sauerstoff kann im Blut transportiert werden. Und damit eben auch angeliefert werden an die Muskulatur. Wie wir wissen, gibt es verbotene und erlaubte Methoden, diesen Effekt zu erzielen. Erlaubt ist der Höhenaufenthalt. Denn bei Sauerstoffmangel wird mehr Erythropoietin produziert. Das macht der Körper sehr schlau, denn wenn man etwa bei einer Verletzung blutet, dadurch weniger Sauerstoff im Körper hat, bilden die Nieren mehr Erythropoietin. Sauerstoffmangel ist also der Reiz. Und der Sauerstoffmangel tritt auch auf in großer Höhe. Man kann diesen Effekt auch durch den Aufenthalt in sogenannten Hypoxie-Kammern erzielen, das ist nicht verboten. Verboten ist die Transfusion von Erythrozyten, und verboten ist selbstverständlich auch die Injektion von rekombinantem EPO.

DFB.de: Wie lange hält der Effekt an?

Jelkmann: Nach einem Höhenaufenthalt hat man etwa zwei Monate lang eine erhöhte Anzahl von Erythrozyten im Blut.

DFB.de: Wie bewerten Sie bei einer hochdosierten und hochfrequenten Einnahme die Gesundheitsrisiken für den Sportler oder die Sportlerin?

Jelkmann: Da stellen Sie mir eine schwierige Frage, denn aus der Sicht des Arztes ist das gentechnisch gewonnene Erythropoietin ein Segen. Etwa für Patienten, die an einer renalen Anämie leiden oder zur Behandlung der Anämie von Krebspatienten während einer Chemotherapie sowie für AIDS-Patienten und anämische Neugeborene. Für all diese Patienten kann man die Hämoglobin-Konzentration durch die Gabe von rekombinantem EPO anheben. Ich möchte keine Patienten verunsichern, indem ich hier über riesige gesundheitliche Risiken spreche. Denn wenn es korrekt eingesetzt wird, hat EPO kaum oder nur selten auftretende gefährliche Nebenwirkungen. Bei einer hohen Dosierung über einen langen Zeitraum aber bildet sich eine große Anzahl von Erythrozyten, es kommt also zu einem sehr hohen Hämatokritwert. Der liegt bei Männern normalerweise so bei 47 Prozent, bei Frauen bei 42 Prozent. Durch die Einnahme von EPO steigt dieser Wert, das Blut wird dickflüssiger. Dann besteht die Gefahr von Thrombosen. Wenn die Thromben, also die Blutgerinnsel, fortgeschwemmt werden, sprechen wir von einer Embolie.

DFB.de: In den Enthüllungsbüchern wurde von Fahrern der Tour de France berichtet, die zigfach nachts geweckt werden und die Hotelflure hoch und runter gehen mussten.

Jelkmann: In den 90er-Jahren starben vermehrt Sportler durch Thrombosen, und zwar auffällig häufig in der Nacht. Man hatte noch kaum Erfahrungen beim EPO-Doping. Im Schlaf ist die Fließgeschwindigkeit des Blutes sehr niedrig. Man spricht auch von der Stase des Blutes. Das begünstigt die Bildung von Thrombosen. Wenn der Hämatokritwert aber über 50 Prozent liegt, wird es gefährlich. Dazu kommt, dass die roten Blutkörperchen die Blutplättchen an die Gefäßwand drücken, auch dadurch wird die Entstehung einer Thrombose befördert.

DFB.de: Sind langfristige Schädigungen bekannt?

Jelkmann: Das ist ein umstrittenes Thema. Für mich gibt es keine überzeugende Evidenz dafür, dass Erythropoietin das Entstehen von Tumoren befördert. Im Sport wird man deutlich niedrigere Dosen verabreichen als etwa in der Onkologie. Untersuchungen bei Höhenbewohnern, wo ja physiologisch bedingt die EPO-Bildung ansteigt, haben gezeigt, dass die Tumorbildung nicht vermehrt ist. Ich sehe diese Gefahr nicht, im Gegensatz zur Gefahr von Thromboembolien bei einem hohen Hämatokritwert. Auch die Erhöhung des Blutdrucks ist in der Regel bei Sportlern nicht ausgeprägt, sondern wurde vermehrt bei Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz beobachtet.

DFB.de: Ist Fußball potenziell eine EPO-Sportart? Platt gefragt, lohnt sich das überhaupt beim Fußball?

Jelkmann: Wenn ich platt antworten darf, würde ich sagen: Ja, EPO-Doping lohnt sich, auch beim Fußball. Es wird immer darauf abgehoben, dass Erythropoietin die Ausdauer fördert. Es sind aber gerade Sportarten wie der Radsport, wo es zu "bursts" kommt, wo Ausbrüche, explosive Leistungsanstiege, notwendig sind. Wenn jemand also schon zwei Stunden gefahren ist, und jetzt kommt der Steilanstieg. Da ist es sehr hilfreich, wenn mehr Sauerstoff im Blut transportiert werden kann. Diese Situation sehe ich auch im Fußball. Für den erfolgreichen Sprint in der 80. Minute mag eine hohe Sauerstoffkapazität des Blutes nützlich sein. Gleichzeitig kommt es gerade beim Fußball auf so viele andere Qualitäten an, etwa die Ballbehandlung, Technik und Taktik, den Teamspirit, psychologische Faktoren. Deshalb spielt EPO, anders als etwa im Radsport oder auch beim Skilanglauf, meiner Meinung nach im Hochleistungsfußball keine große Rolle.

DFB.de: Ist die Detektion im Kampf gegen die international operierenden Dopingmärkte finanziell, personell und methodisch stark genug aufgestellt?

Jelkmann: Die WADA und die NADA sind sicher nicht komplett erfolgreich. Aber ich halte das, was sie machen, die Durchführung der Kontrollen und das Bestimmen verbotener Substanzen und Techniken, für eine wichtige Funktion. Meine Sorge gilt dabei insbesondere dem Breitensport. Untersuchungen auch in Deutschland haben gezeigt, dass schon junge Sportler verbotene Substanzen einsetzen. Denken wir nur an die Androgene, die im Kraftsport verwendet werden, und bei dauerhaftem Einsatz massive Gesundheitsschäden bewirken.

DFB.de: Zur Aufdeckung von EPO-Doping wird in den WADA-Laboratorien in Köln und Kreischa das sogenannte Sars-PAGE-Verfahren angewendet. Wie bewerten Sie die Aussagekraft dieses Verfahrens?

Jelkmann: Wir haben ja vorhin schon erklärt, dass sich das rekombinante EPO vom körpereigenen unterscheidet. Man sollte ergänzend sagen, dass auch unser körpereigenes Erythropoietin keine einheitliche Struktur aufweist. Humanes Insulin etwa sieht immer gleich aus. Die Erythropoietine in meinem Körper dagegen unterscheiden sich, und zwar in Bezug auf die Kohlenhydratseitenketten. Das bedeutet auch, dass bei einer Untersuchung der Ladung, also isoelektrischer Fokussierung, Unterschiede festgestellt werden. Das rekombinante Erythropoietin ist in der Summe größer als das körpereigene. Aber es gibt bei der Elektrophorese nicht einen einzelnen Strich, sondern sichtbar sind breitere Bande. Die breiten Banden kommen dadurch zu Stande, dass immer mehrere unterschiedliche Isoformen vorhanden sind, in den körpereigenen wie auch in den rekombinanten.

DFB.de: Noch mal nachgefragt, wie bewerten Sie die Aussagekraft des Sars-PAGE-Verfahrens?

Jelkmann: Ich selbst bin kein Dopinganalyst und habe das Verfahren auch noch nicht durchgeführt, aber wie ich aus dem Kollegenkreis höre, ist das Sars-PAGE-Verfahren aktuell die beste Methode, um körpereigenes und rekombinantes Erythropoietin in Urinproben zu unterscheiden.

DFB.de: Sie haben 1974 promoviert, Erythropoietin wurde dann ihr Forschungsschwerpunkt. Hatten Sie damals geahnt, dass EPO eine solche Bedeutung haben würde, sowohl medikamentös wie auch als Dopingmittel?

Jelkmann: Ich wollte eigentlich Chirurg werden und habe an der Universität in Regensburg studiert. Tagsüber forschte ich zu Hämoglobin, und um mich weiterzubilden, habe ich nachts in einer chirurgischen Klinik gearbeitet. Während einer solchen Nachtschicht las ich einen Artikel über Erythropoietin, in dem beschrieben wurde, wie bescheiden der Forschungsstand sei. Wir wissen noch nicht mal, wo das herkommt, schrieb der Autor. Da dachte ich, hier ist ein Thema, auf das du dich stürzen kannst. Ich ging zu einem Fachmann in die USA und habe mich mit seiner Hilfe erst mal eingearbeitet. Damals hätte ich wirklich nie gedacht, dass Erythropoietin mal so ein wertvolles Medikament sein könnte, aber auch nicht, dass es eine solche Rolle beim Sportdoping spielen würde. Keiner konnte damals Erythropoietin isolieren. Ich selbst war der erste Forscher, der es aus Nieren extrahierte. Den Wert dieses Entwicklungsschritts haben viele meiner damaligen Kollegen anfangs nicht erkannt. Für mich als Forscher war Erythropoietin ein Glücksfall.

Prof. Dr. med. Wolfgang Jelkmann war ab 1995 Inhaber einer C-4 Professur und Direktor des Instituts für Physiologie an der Medizinischen Universität zu Lübeck. Er veröffentlichte 140 Originalpublikationen, darunter die Monografie "Erythropoietin" (Springer-Verlag, 1989) und "Erythropoietin: Molecular Biology and Clinical Use" (F.P. Graham Publishing, 2003).

###more###