Mats Hummels: Stabile Weltklasse

Auf dem Platz ist Mats Hummels ein Anführer, daneben ein Wortführer – und beides macht er mit Klarheit und Übersicht. Einer wie er kann sogar mal mit Löchern in den Schuhen spielen. Womöglich hat die Welt noch nie einen besseren Mats Hummels gesehen als 2017. Und was kommt 2018?

Im August 2017 stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Mats Hummels eine hypothetische, aber nicht grundlose Frage: Ob er, vierzig Jahre früher auf die Welt gekommen, gern ein Spielmacher alter Schule geworden wäre? "Ja, vielleicht", sagte der Mann, dessen lange Außenristpässe manchmal bis in die spielerisch weiträumigen Siebziger zu segeln scheinen, jene immer noch erfolgreichste Zeit des deutschen Fußballs. "Oder wohl noch eher Libero", sagte er dann. "Manche nennen mich zum Spaß noch so. Ich mich manchmal auch. Dann, wenn eine Situation zum früheren Libero-Spiel passt: Ball erobern und direkt nach vorn treiben." Dann lächelte er: "Ich glaube, ich hätte damals Spaß gehabt."

Er hat ihn auch heute. Drei Monate nach dem Interview erlebte Hummels, wie ihn nun auch die deutschen Zeitungen "Libero" nannten – beim 0:0 des Nationalteams in London, wo er viele Betrachter an die Spielweise eines Franz Beckenbauer erinnerte. "Ich würde nicht widersprechen", sagte Hummels der Bild am Sonntag zu diesem Vergleich. "Ich fühle mich sehr geschmeichelt." Schon zu Kaisers Zeiten, ehe der klassische Libero durch Vierer- und Dreierketten wegrationalisiert wurde, begriffen die Großen des Metiers diese Rolle weniger als Position, eher als Haltung. Nicht nur auf dem Platz. So ist Hummels auch. Er ist so frei – zum Beispiel so frei, Ultra-Fans genauso zu kritisieren wie Kommerz-Auswüchse. Oder "die steigenden Erträge im Fußball mit einem tieferen Sinn zu verbinden", worauf er sich als erster deutscher Fußballstar der Bewegung "Common Goal" anschloss. Für deren soziale Fußballprojekte in aller Welt spendet er ein Prozent seines Brutto-, also knapp zwei seines Nettogehalts.

Beständig herausragend - und daher "unantastbar"

Aber Hummels nimmt sich auch die Freiheit zum lustvoll spätpubertären Auftritt, wenn er wilde Kopfsprünge oder Versuche als Rapper über soziale Medien verbreitet. Ja, selbst die Freiheit zur Ironie, die im privaten Gespräch etwas Feines, in öffentlicher Äußerung aber etwas Tückisches ist – weil immer irgendjemand alles wörtlich, also falsch verstehen wird. Als ein Twitter-User sich beschwerte, dass Hummels den Augsburger Torwart Marwin Hitz fälschlich Marvin schrieb, antwortete Hummels, er habe einen Grund dafür: Weil er "dauernd meine Bälle hält."

All das kann sich jemand, der öffentlich lebt, nur leisten, wenn es von Leistung begleitet ist. Und diese hat Hummels, je näher die WM in Russland rückte, immer eindrucksvoller geliefert. Während einige der 14 Finalhelden von Rio 2014 sich, sofern nicht zurückgetreten, mit Verletzungen und Formschwankungen herumplagten, hat Hummels in seinem letzten halben Jahr in Dortmund und in anderthalb in München immer mehr an Statur gewonnen – erst recht im Nationalteam.

Teamchef Oliver Bierhoff zählt ihn zu den "Unantastbaren". Warum, sah jeder beim 2:1 in Prag, dem einzigen der zehn deutschen Qualifikations-Siege, für den Deutschland Glück brauchte – und einen Glücksbringer. Hummels übernahm das, hielt die Defensive zusammen und lieferte mit einem famosen Kopfball das Siegtor. Ebenso wichtig war, was er nach dem Abpfiff tat. Entschieden verhinderte er, dass das Team in die Kurve lief, um den mitgereisten Fans zu danken. Ein kleiner deutscher Mob hatte Nazi-Parolen gegrölt. Später ging Hummels als Erster auch vor den Mikrofonen in die Offensive. "Eine Katastrophe" nannte er das Verhalten jener Idioten, "die nichts mit Fußballfans zu tun haben" und die "wir aus dem Stadion rauskriegen müssen."



Auf dem Platz ist Mats Hummels ein Anführer, daneben ein Wortführer – und beides macht er mit Klarheit und Übersicht. Einer wie er kann sogar mal mit Löchern in den Schuhen spielen. Womöglich hat die Welt noch nie einen besseren Mats Hummels gesehen als 2017. Und was kommt 2018?

Im August 2017 stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Mats Hummels eine hypothetische, aber nicht grundlose Frage: Ob er, vierzig Jahre früher auf die Welt gekommen, gern ein Spielmacher alter Schule geworden wäre? "Ja, vielleicht", sagte der Mann, dessen lange Außenristpässe manchmal bis in die spielerisch weiträumigen Siebziger zu segeln scheinen, jene immer noch erfolgreichste Zeit des deutschen Fußballs. "Oder wohl noch eher Libero", sagte er dann. "Manche nennen mich zum Spaß noch so. Ich mich manchmal auch. Dann, wenn eine Situation zum früheren Libero-Spiel passt: Ball erobern und direkt nach vorn treiben." Dann lächelte er: "Ich glaube, ich hätte damals Spaß gehabt."

Er hat ihn auch heute. Drei Monate nach dem Interview erlebte Hummels, wie ihn nun auch die deutschen Zeitungen "Libero" nannten – beim 0:0 des Nationalteams in London, wo er viele Betrachter an die Spielweise eines Franz Beckenbauer erinnerte. "Ich würde nicht widersprechen", sagte Hummels der Bild am Sonntag zu diesem Vergleich. "Ich fühle mich sehr geschmeichelt." Schon zu Kaisers Zeiten, ehe der klassische Libero durch Vierer- und Dreierketten wegrationalisiert wurde, begriffen die Großen des Metiers diese Rolle weniger als Position, eher als Haltung. Nicht nur auf dem Platz. So ist Hummels auch. Er ist so frei – zum Beispiel so frei, Ultra-Fans genauso zu kritisieren wie Kommerz-Auswüchse. Oder "die steigenden Erträge im Fußball mit einem tieferen Sinn zu verbinden", worauf er sich als erster deutscher Fußballstar der Bewegung "Common Goal" anschloss. Für deren soziale Fußballprojekte in aller Welt spendet er ein Prozent seines Brutto-, also knapp zwei seines Nettogehalts.

Beständig herausragend - und daher "unantastbar"

Aber Hummels nimmt sich auch die Freiheit zum lustvoll spätpubertären Auftritt, wenn er wilde Kopfsprünge oder Versuche als Rapper über soziale Medien verbreitet. Ja, selbst die Freiheit zur Ironie, die im privaten Gespräch etwas Feines, in öffentlicher Äußerung aber etwas Tückisches ist – weil immer irgendjemand alles wörtlich, also falsch verstehen wird. Als ein Twitter-User sich beschwerte, dass Hummels den Augsburger Torwart Marwin Hitz fälschlich Marvin schrieb, antwortete Hummels, er habe einen Grund dafür: Weil er "dauernd meine Bälle hält."

All das kann sich jemand, der öffentlich lebt, nur leisten, wenn es von Leistung begleitet ist. Und diese hat Hummels, je näher die WM in Russland rückte, immer eindrucksvoller geliefert. Während einige der 14 Finalhelden von Rio 2014 sich, sofern nicht zurückgetreten, mit Verletzungen und Formschwankungen herumplagten, hat Hummels in seinem letzten halben Jahr in Dortmund und in anderthalb in München immer mehr an Statur gewonnen – erst recht im Nationalteam.

Teamchef Oliver Bierhoff zählt ihn zu den "Unantastbaren". Warum, sah jeder beim 2:1 in Prag, dem einzigen der zehn deutschen Qualifikations-Siege, für den Deutschland Glück brauchte – und einen Glücksbringer. Hummels übernahm das, hielt die Defensive zusammen und lieferte mit einem famosen Kopfball das Siegtor. Ebenso wichtig war, was er nach dem Abpfiff tat. Entschieden verhinderte er, dass das Team in die Kurve lief, um den mitgereisten Fans zu danken. Ein kleiner deutscher Mob hatte Nazi-Parolen gegrölt. Später ging Hummels als Erster auch vor den Mikrofonen in die Offensive. "Eine Katastrophe" nannte er das Verhalten jener Idioten, "die nichts mit Fußballfans zu tun haben" und die "wir aus dem Stadion rauskriegen müssen."

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Im 61. Länderspiel erstmals Kapitän

Zwei Monate später schien es logisch, dass er in London in Vertretung des verletzten Manuel Neuer in seinem 61. Länderspiel die Nationalmannschaft erstmals als Kapitän aufs Spielfeld führte. Und dass er nachher ein Sonderlob vom Bundestrainer erhielt, der ihn als "Stabilisator der Defensive" pries. In seinen frühen Jahren im Nationalteam seit dem Debüt gegen Malta 2010 schien Hummels nicht immer einen leichten Stand bei Joachim Löw zu haben, der ein Kurzpassspiel nach Art der Spanier den langen, öffnenden Bällen, wie sie Hummels gern schlug, vorzog. Doch Löw hat das Spiel seines Teams, nicht zuletzt wegen Hummels, auch um diese Variante bereichert und damit noch weniger berechenbar gemacht.

Weil die lädierten Großzehen schmerzten, spielte Hummels mit Löchern in den Fußballschuhen. Wer aber einen wie ihn hat, das weiß auch Löw, den drückt der Schuh so leicht nicht. Die Stärken dieses Verteidigers kann jeder fast auf den ersten Blick erkennen: Spielaufbau, Stellungsspiel, Timing beim Kopfball, Zweikampfstärke. Wer ihn länger studiert, spürt, dass etwas Unsichtbares hinzukommt: eine Einfühlung in den Lauf des Balles und den Plan des Gegenspielers und, aus beidem gespeist, ein Gespür für den richtigen Schritt im richtigen Moment. Alles zusammen verleiht Hummels eine manchmal fast magnetische Wirkung. Er genießt sie: "Es macht Spaß, wenn die Bälle reinfliegen und irgendwie zielen sie immer auf meinen Kopf."

Beim Lesen der Gedanken von Stürmern hilft Hummels, dass er selber zehn Jahre einer war, in der Jugend des FC Bayern – bis er "zu groß und zu schwer" wurde und "die Spritzigkeit für die kleinen, schnellen Bewegungen" verloren ging. So wurde er Verteidiger, einer der zukunftsweisenden Art, den der kicker schon mit 22 Jahren, als Abwehrchef des Meisters Borussia Dortmund, "Prototyp eines modernen Verteidigers" nannte: "Kein Grätscher, kein Rasen-Mäher."

Vorfreude auf den Spaß nach der Karriere

Die stabile Weltklasse, die er mit 29 verkörpert, hat er aber erst gewonnen, seit er den Stürmer in sich im Zaum hielt. Das geschah durch ein Umdenken nach der WM, als er in einer enttäuschenden Saison mit Dortmund sein Spiel veränderte. "Heute spiele ich nicht mehr ganz so riskant spektakulär", sagt er und beschreibt "das Gefühl, eine enorme Konstanz gefunden zu haben, ohne große Fehler. Darüber, diese Sicherheit in der Abwägung gefunden zu haben, wann gehe ich ins Risiko, wann nicht, im Zweikampf, im Aufbau, bin ich sehr glücklich." So wirkt Mats Hummels wie ein Mann auf der Höhe seines Schaffens. Er hofft, "noch ein paar richtig gute Jahre vor mir zu haben." Und freut sich schon auf den Spaß danach. "Nach der Profikarriere möchte ich gern noch ein bisschen niederklassig weiterspielen", erzählte er der FAZ. "Ganz einfach, trainieren, spielen, zusammen was trinken, diskutieren. Keine Marketingtermine, kein Werbe-Shooting. Nur Fußball."

Bei alldem zeigt er, dass man immer noch beides zugleich sein kann: moderner Top-Profi und altmodischer Liebhaber des einfachen, des "puren Fußballs". Hummels vermisst manches Gute von gestern, wie den Torjubel ohne Tormusik. Und wie die guten alten Trainingslager, irgendwo abgeschottet in den Alpen. Beides, Ruhe zum Trainieren, Ruhe nach dem Tor, verspricht der Sommer bei der Nationalmannschaft – im Mai im WM-Camp in Südtirol, im Juni in den russischen Stadien. Und im Juli vielleicht, ganz altmodisch, einen WM-Titel mit Libero. Einem der neuen Art.

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