Markus Merk ist 60: Eine Karriere wie keine

Er stand schon umgezogen auf dem Platz, als sein Einsatz noch vor dem Anpfiff beendet wurde. Der Vater eines anderen Jungen hatte gefordert dass sein Sohn aufgestellt werde und der Trainer gehorchte. So musste der kleine Markus in den sauren Apfel beißen und sich das Spiel, das er so liebte, von draußen ansehen. Ein Vorgang mit Folgen. "Das habe ich als große Ungerechtigkeit empfunden", hat er später einmal erzählt und von einer "Initialzündung" gesprochen. Denn was macht einer, der den Fußball liebt und ein Gerechtigkeitsfanatiker ist? Er wird Schiedsrichter. Das Schlüsselerlebnis in der C-Jugend seines 1. FC Kaiserslautern und natürlich auch die familiäre Vorbelastung durch Vater Rudi führten dazu, dass Markus Merk eine der größten Schiedsrichterkarrieren einschlug, die es im DFB-Bereich bisher gegeben hat. Heute feiert Merk bei guter Gesundheit seinen 60. Geburtstag und pfeift nicht mehr, ist aber dem Sport weiterhin verbunden. Er hält sich unter anderem mit Läufen an der Deutschen Weinstraße oder in den französischen Alpen fit.

Dem Fußball ist er schon deshalb fest verbunden, weil er ja Fan seines FCK ist und Fan-Sein ist eine Herzensangelegenheit. In der Regel lebenslänglich. Zwar schied er im Dezember aus zwei Gremien des Drittligisten aus, aber er geht weiterhin zu den Heimspielen und steht zur Verfügung, wenn sein Rat gefragt ist. Das kommt öfter vor. Es ist ja schließlich kaum ein Lauterer weiter um die Welt gekommen als Markus Merk. Doch der Reihe nach.

1975 als "Deutschlands jüngster Schiedsrichter" im kicker

Am 27. Februar 1975 erschien auf der letzten Seite des kicker, Donnerstagsausgabe, ein Foto mit einem Rudel Fußballknirpsen. Alle im Trikot, bis auf einen: Markus Merk, damals zwölf, trug schon da das Schwarz des Unparteiischen. "Deutschlands jüngster Schiedsrichter", so der kicker, leitete nach bestandener Prüfung bereits Kleinfeldspiele von Kindern, die nicht viel kleiner als er waren. Wir lesen: "Er hat mit gutem Erfolg schon bei der E- und D-Jugend gepfiffen und erhielt von den Zuschauern (wo gibt’s das schon bei seinen großen Kollegen?) Beifall auf offener Szene. Früh übt sich, was ein Meister werden will."

Meister kann ein Schiedsrichter zwar nie werden, aber er kann Spiele meistern und sich für höhere Aufgaben bewerben. Und Auszeichnungen. Mit 14 leitete Merk die ersten Seniorenspiele, mit 18 war er schon bei den Profis angelangt, als Linienrichter in der 2. Liga und mit 23 leitete er dort erstmals ein Spiel. 86 waren es insgesamt im Unterhaus, weit mehr (338) in der Bundesliga. Nur Wolfgang Stark hat noch ein paar mehr (344). Merks Debüt: VfL Bochum – Bayer Uerdingen am 20.8.1988. Da war er 26 und hatte schon Fans. "Merk merkt alles", stand auf einem Transparent im Ruhrstadion. Der kicker kürte ihn zum "Mann des Tages" und entlockte ihm dieses Statement: "Mein Bundesligadebüt kündigte sich bei mir durch nervöses Kribbeln an wie mein erstes Spiel vor nunmehr 14 Jahren." Zwei Gelbe Karten musste er zücken. Viele kamen hinzu, das liegt in der Natur der Fußballsache. 87 Platzverweise verhängte Merk bis zu seinem letzten Bundesligaspiel im Mai 2008, als er einen 4:1-Sieg der Bayern gegen Hertha BSC miterlebte. Es war auch das letzte Spiel von Oliver Kahn.

Eine Karriere wie keine

Sei berühmtestes Spiel fiel auch auf einen Mai-Tag und Kahn war wieder dabei. Der letzte Spieltag der Saison 2000/01, als die Bayern beim HSV die Meisterschaft fast schon verspielt hatten. Da gab Merk in der Nachspielzeit einen äußerst seltenen indirekten Freistoß nach einem Rückpass auf das HSV-Tor, den Torwart Matthias Schober mit den Händen aufnahm. Die Frage ob Absicht oder nicht spaltet die Gemüter bis heute, die indirekt betroffenen Schalker sind da weiter unversöhnlich. Merk aber hatte keine Zweifel und sagte noch 20 Jahre später auf die Frage, ob er wieder Freistoß pfeifen würde: "Ja! Weil sie die einzig mögliche und regeltechnisch korrekte Entscheidung war und ist – auch wenn sie einer Mannschaft sehr weh getan hat." Was folgte, ist Allgemeinwissen: Patrik Andersson schoss den Ball durch die HSV-Mauer und die Bayern zum Meister, auf Schalke flossen Tränen. In der Zahnarztpraxis von Merk mussten sie am Montag schon ab zehn Uhr das Telefon abstellen, "es ging einfach nichts mehr". Noch tagelang prasselten Beschimpfungen und sogar Morddrohungen auf ihn und seine Mitarbeiterinnen ein. Da lernte er die Schattenseiten seines Nebenberufs in voller Härte kennen. Er gestand: "Diese Dimension von Betroffenheit war schon heftig, das bewegt mich auch nach 20 Jahren noch." Ein Spiel von Schalke pfiff er nie wieder, auf eigenen Wunsch. Als er ein Jahrzehnt später als TV-Experte für Sky in das Schalker Stadion zurückkehrte, flogen immer noch Bierbecher.

Zu den Höhepunkten seiner Karriere gehören zwei Teilnahmen an WM-Endrunden (2002 und 2006) und EM-Endrunden (2000 und 2004), die Leitung zweier Olympiaspiele (1992) und zweier Europacupfinales (1997 und 2003) sowie des DFB-Pokalfinals 1993. International leitete Merk 50 Länderspiele und 78 Europapokalspiele und ein Meisterschaftsspiel in Brasilien, wofür ihn der Verband extra angefordert hatte. Der Star war der Schiri, denn "Hunderte Daumen zeigten nach oben. Die hatten mich und meine Leistung akzeptiert." 2004, 2005 und 2007 wurde der Mann mit der energischen Gestik sogar Weltschiedsrichter des Jahres. Dennoch war er nicht der Prophet, der im eigenen Lande nichts galt: Siebenmal wurde er DFB-Schiedsrichter des Jahres. Eine Karriere wie keine.

Bundesverdienstkreuz für soziales Engagement

Nicht weniger Respekt verdient er für sein soziales Engagement, für das er im März 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Es begann mit einer Indienreise 1991, als er das Elend, in dem dort viele Menschen leben, mit eigenen Augen sah. Da entschloss er sich zu helfen. Regelmäßig reiste er wieder hin, nun nicht mehr als Tourist, sondern als Arzt. Kostenlos behandelte Merk die Zähne in Kinderheimen, teilweise waren es 2000 Patienten binnen 14 Tagen. 1993 kaufte er mit seiner Frau Brigitte ein großes Grundstück und errichtete dort ein Waisenhaus. 1999 gründete er eine Stiftung, die Indienhilfe Kaiserslautern. Schon damals erkannte er, was auch in heutiger Zeit allen Menschen bewusster denn je ist: "Vor jedem Spiel wird von einem Schicksalsspiel geredet. Das ist Quatsch. Schicksal ist was ganz anderes."

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Er stand schon umgezogen auf dem Platz, als sein Einsatz noch vor dem Anpfiff beendet wurde. Der Vater eines anderen Jungen hatte gefordert dass sein Sohn aufgestellt werde und der Trainer gehorchte. So musste der kleine Markus in den sauren Apfel beißen und sich das Spiel, das er so liebte, von draußen ansehen. Ein Vorgang mit Folgen. "Das habe ich als große Ungerechtigkeit empfunden", hat er später einmal erzählt und von einer "Initialzündung" gesprochen. Denn was macht einer, der den Fußball liebt und ein Gerechtigkeitsfanatiker ist? Er wird Schiedsrichter. Das Schlüsselerlebnis in der C-Jugend seines 1. FC Kaiserslautern und natürlich auch die familiäre Vorbelastung durch Vater Rudi führten dazu, dass Markus Merk eine der größten Schiedsrichterkarrieren einschlug, die es im DFB-Bereich bisher gegeben hat. Heute feiert Merk bei guter Gesundheit seinen 60. Geburtstag und pfeift nicht mehr, ist aber dem Sport weiterhin verbunden. Er hält sich unter anderem mit Läufen an der Deutschen Weinstraße oder in den französischen Alpen fit.

Dem Fußball ist er schon deshalb fest verbunden, weil er ja Fan seines FCK ist und Fan-Sein ist eine Herzensangelegenheit. In der Regel lebenslänglich. Zwar schied er im Dezember aus zwei Gremien des Drittligisten aus, aber er geht weiterhin zu den Heimspielen und steht zur Verfügung, wenn sein Rat gefragt ist. Das kommt öfter vor. Es ist ja schließlich kaum ein Lauterer weiter um die Welt gekommen als Markus Merk. Doch der Reihe nach.

1975 als "Deutschlands jüngster Schiedsrichter" im kicker

Am 27. Februar 1975 erschien auf der letzten Seite des kicker, Donnerstagsausgabe, ein Foto mit einem Rudel Fußballknirpsen. Alle im Trikot, bis auf einen: Markus Merk, damals zwölf, trug schon da das Schwarz des Unparteiischen. "Deutschlands jüngster Schiedsrichter", so der kicker, leitete nach bestandener Prüfung bereits Kleinfeldspiele von Kindern, die nicht viel kleiner als er waren. Wir lesen: "Er hat mit gutem Erfolg schon bei der E- und D-Jugend gepfiffen und erhielt von den Zuschauern (wo gibt’s das schon bei seinen großen Kollegen?) Beifall auf offener Szene. Früh übt sich, was ein Meister werden will."

Meister kann ein Schiedsrichter zwar nie werden, aber er kann Spiele meistern und sich für höhere Aufgaben bewerben. Und Auszeichnungen. Mit 14 leitete Merk die ersten Seniorenspiele, mit 18 war er schon bei den Profis angelangt, als Linienrichter in der 2. Liga und mit 23 leitete er dort erstmals ein Spiel. 86 waren es insgesamt im Unterhaus, weit mehr (338) in der Bundesliga. Nur Wolfgang Stark hat noch ein paar mehr (344). Merks Debüt: VfL Bochum – Bayer Uerdingen am 20.8.1988. Da war er 26 und hatte schon Fans. "Merk merkt alles", stand auf einem Transparent im Ruhrstadion. Der kicker kürte ihn zum "Mann des Tages" und entlockte ihm dieses Statement: "Mein Bundesligadebüt kündigte sich bei mir durch nervöses Kribbeln an wie mein erstes Spiel vor nunmehr 14 Jahren." Zwei Gelbe Karten musste er zücken. Viele kamen hinzu, das liegt in der Natur der Fußballsache. 87 Platzverweise verhängte Merk bis zu seinem letzten Bundesligaspiel im Mai 2008, als er einen 4:1-Sieg der Bayern gegen Hertha BSC miterlebte. Es war auch das letzte Spiel von Oliver Kahn.

Eine Karriere wie keine

Sei berühmtestes Spiel fiel auch auf einen Mai-Tag und Kahn war wieder dabei. Der letzte Spieltag der Saison 2000/01, als die Bayern beim HSV die Meisterschaft fast schon verspielt hatten. Da gab Merk in der Nachspielzeit einen äußerst seltenen indirekten Freistoß nach einem Rückpass auf das HSV-Tor, den Torwart Matthias Schober mit den Händen aufnahm. Die Frage ob Absicht oder nicht spaltet die Gemüter bis heute, die indirekt betroffenen Schalker sind da weiter unversöhnlich. Merk aber hatte keine Zweifel und sagte noch 20 Jahre später auf die Frage, ob er wieder Freistoß pfeifen würde: "Ja! Weil sie die einzig mögliche und regeltechnisch korrekte Entscheidung war und ist – auch wenn sie einer Mannschaft sehr weh getan hat." Was folgte, ist Allgemeinwissen: Patrik Andersson schoss den Ball durch die HSV-Mauer und die Bayern zum Meister, auf Schalke flossen Tränen. In der Zahnarztpraxis von Merk mussten sie am Montag schon ab zehn Uhr das Telefon abstellen, "es ging einfach nichts mehr". Noch tagelang prasselten Beschimpfungen und sogar Morddrohungen auf ihn und seine Mitarbeiterinnen ein. Da lernte er die Schattenseiten seines Nebenberufs in voller Härte kennen. Er gestand: "Diese Dimension von Betroffenheit war schon heftig, das bewegt mich auch nach 20 Jahren noch." Ein Spiel von Schalke pfiff er nie wieder, auf eigenen Wunsch. Als er ein Jahrzehnt später als TV-Experte für Sky in das Schalker Stadion zurückkehrte, flogen immer noch Bierbecher.

Zu den Höhepunkten seiner Karriere gehören zwei Teilnahmen an WM-Endrunden (2002 und 2006) und EM-Endrunden (2000 und 2004), die Leitung zweier Olympiaspiele (1992) und zweier Europacupfinales (1997 und 2003) sowie des DFB-Pokalfinals 1993. International leitete Merk 50 Länderspiele und 78 Europapokalspiele und ein Meisterschaftsspiel in Brasilien, wofür ihn der Verband extra angefordert hatte. Der Star war der Schiri, denn "Hunderte Daumen zeigten nach oben. Die hatten mich und meine Leistung akzeptiert." 2004, 2005 und 2007 wurde der Mann mit der energischen Gestik sogar Weltschiedsrichter des Jahres. Dennoch war er nicht der Prophet, der im eigenen Lande nichts galt: Siebenmal wurde er DFB-Schiedsrichter des Jahres. Eine Karriere wie keine.

Bundesverdienstkreuz für soziales Engagement

Nicht weniger Respekt verdient er für sein soziales Engagement, für das er im März 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Es begann mit einer Indienreise 1991, als er das Elend, in dem dort viele Menschen leben, mit eigenen Augen sah. Da entschloss er sich zu helfen. Regelmäßig reiste er wieder hin, nun nicht mehr als Tourist, sondern als Arzt. Kostenlos behandelte Merk die Zähne in Kinderheimen, teilweise waren es 2000 Patienten binnen 14 Tagen. 1993 kaufte er mit seiner Frau Brigitte ein großes Grundstück und errichtete dort ein Waisenhaus. 1999 gründete er eine Stiftung, die Indienhilfe Kaiserslautern. Schon damals erkannte er, was auch in heutiger Zeit allen Menschen bewusster denn je ist: "Vor jedem Spiel wird von einem Schicksalsspiel geredet. Das ist Quatsch. Schicksal ist was ganz anderes."

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