Löw: "Wir brauchen eine Mentalität wie 2014"

Die EURO 2020 ist für Joachim Löw das achte Turnier mit der Nationalmannschaft - und das siebte und letzte als Chefcoach. Vor dem ersten EM-Gruppenspiel gegen Frankreich am kommenden Dienstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und bei MagentaTV) spricht der 61 Jahre alte Bundestrainer über den Schlüssel zum Erfolg und seinen Nachfolger Hansi Flick.

Frage: Joachim Löw, Sie waren kürzlich noch bei Angela Merkel zu Besuch. Mit welchem Auftrag schickt die Kanzlerin Sie in die EM?

Joachim Löw: Über das Turnier haben wir relativ wenig gesprochen. Die Bundeskanzlerin hat mich nach dem Zustand der Mannschaft gefragt, nach Thomas Müller oder Mats Hummels, ob wir etwas Erfahrung zurück ins Team holen. Aber es gab natürlich keine Zielvorgabe. Wir haben über verschiedene Dinge gesprochen, die uns bewegen, unter anderen über Politik und über Corona.

Frage: Es ist Ihr letztes Turnier als Bundestrainer - und deshalb ein besonderes?

Löw: Jedes Turnier war für mich besonders, und das nun anstehende ist es auch. Ich bin nicht wehmütig oder besonders motiviert, weil nun mein letztes bevorsteht. Ich bin mit der Entscheidung, nach dem Turnier als Bundestrainer aufzuhören, im Reinen. Meine Gefühlslage und die Abläufe sind ähnlich wie vor den vergangenen Turnieren. Ich bin jetzt voll auf das Turnier fokussiert und darauf, die Mannschaft bestmöglich vorzubereiten. Das macht mir Spaß, ich spüre sehr viel Energie. Ich bin ungeduldig und freue mich auf den Beginn des Turniers.

Frage: Warum wird das Ende erfolgreich?

Löw: Ich bin guten Mutes und sehr optimistisch. Was ich sehe und spüre an Energie und Einsatz in der Mannschaft, ist top. Der Ehrgeiz ist sehr ausgeprägt bei den Spielern, sie wollen erfolgreich sein. Alle wissen: Wir müssen sofort und zu jeder Zeit bereit sein. Wie 2014 Christoph Kramer, der auf den letzten Drücker ins Aufgebot kam und dann im Finale auf dem Platz stand, weil er die Intensität immer hochgehalten hat. Es ist eine gute Dynamik in der Mannschaft. 2018 war die Stimmung anders, da lag eine gewisse Schwere über der Mannschaft - die spüre ich jetzt nicht. Ganz im Gegenteil: Die Stimmung ist sehr gut.

Frage: Schon die Gruppe ist brutal. Was braucht es, um Frankreich oder Portugal zu stoppen?

Löw: Frankreich kennen wir sehr gut, das ist die variabelste Mannschaft der Welt. Wir wissen, wie sie spielen, und trotzdem sind sie kaum auszurechnen, weil sie unendlich flexibel und variabel sind. Das ergibt sich aus der unglaublichen individuellen Klasse der Spieler. Sie sind extrem stark und wahnsinnig schwer auszurechnen. Auch Portugal hat offensiv eine große Wucht, spielt seit 2016 konstant auf sehr hohem Niveau und ist eine sehr homogene Mannschaft. Das sind Gegner, die uns alles abverlangen werden. Du darfst gegen sie keine Fehler machen. Wenn die Konzentration nicht ständig auf dem Höhepunkt ist, nutzen sie das gnadenlos aus.

Frage: Umso wichtiger ist die defensive Kompaktheit, die Ihrer Mannschaft zuletzt fehlte. Für Sie der wichtigste Schlüssel?

Löw: Ja, das ist der Schlüssel, die Kompaktheit ist die Voraussetzung, die Basis. Wenn wir die nicht haben, kommen wir in Schwierigkeiten. Und spielen damit den Franzosen und Portugiesen genau in die Karten. 2018 lagen wir in allen drei Vorrundenspielen zurück - dann verdient man es auch nicht unbedingt weiterzukommen. Wir müssen Fehler vermeiden. Wenn wir wieder Rückständen hinterherlaufen, wird es schwer. Das müssen wir verinnerlichen - ohne die Offensivkraft zu verlieren. Sonst reicht es auf diesem Niveau in der Spitze nicht.

Frage: Umso wichtiger wird daher die von Ihnen geforderte Gewinnermentalität sein. Ist sie schon voll ausgeprägt?

Löw: Sie wächst. Dazu müssen alle ihren Teil beitragen - durch Kritik, durch Lob, über Anfeuern, Mitziehen, Bestärken. Da ist jeder in der Verantwortung, nicht allein der Trainer. Jeder muss aufmerksam sein, auf Fehler hinweisen, kommunizieren. Diese Mentalität muss sich über das gesamte Turnier entwickeln - wie es 2014 der Fall war. Am Anfang gab es durchaus auch unterschiedliche Denkweisen oder Diskussionen über das System - am Ende haben wir uns gefunden, und alle wollten diesen Weltmeistertitel unbedingt. Die Ansätze sind auch dieses Mal gut, aber unter Beweis stellen müssen wir es im Turnier und dort jeden Tag aufs Neue leben.

Frage: Welche Rolle spielen dabei Müller und Hummels?

Löw: Thomas und Mats spielen eine wichtige Rolle, sie sollen führen. Wir hatten mit Neuer, Kimmich, Kroos, Gündogan oder Goretzka vorher schon Spieler, die sehr aktiv sind. Jetzt kommt weitere Erfahrung dazu, das tut uns gut...

Frage: ... und womöglich auch noch Ihrem Nachfolger Hansi Flick. Warum ist er der Richtige?

Löw: Wir sind uns alle einig, dass Hansi hervorragende Voraussetzungen hat für dieses Amt. Er hat bei Bayern München bewiesen, dass er Topspieler führen kann. Die Ausrichtung des Spiels, die Spielkultur, die Idee, die er verfolgt - das finde ich alles sehr, sehr gut.

Frage: Wenn Ihr letztes Spiel als Bundestrainer gespielt ist - was soll, abgesehen von den Titeln, von Ihrer Ära bleiben?

Löw: Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich zurückdenke an die Anfänge bei der Nationalmannschaft, war die fußballerische Entwicklung das Allerwichtigste für mich - dafür habe ich immer gekämpft. Ich habe gesagt: Es reicht nicht, in ein Turnier zu gehen und zu sagen: Wir gewinnen irgendwie. Einsatz, Kampf, individuelle Klasse - das ist nicht genug. Das war unser Projekt. In dieser Hinsicht haben wir in den vergangenen Jahren eine große Entwicklung gemacht. Wir haben auch bittere Niederlagen eingesteckt, aber die gehören dazu. Wir haben vor allem aber auch viele Spiele gemacht, auch bei Turnieren, die waren technisch und fußballerisch super, da waren wir die Benchmark. Das war schon 2006 mein Anspruch - wir haben also viel erreicht, mit dem Höhepunkt 2014.

Frage: Und wenn es dann vorbei ist, zieht es Sie in Ihrer Auszeit noch einmal auf den Kilimandscharo, oder lieber auf den heimischen Belchen?

Löw: Den Belchen möchte ich noch einmal sehen, das ist mein Hausberg. Ich habe noch keine Pläne gemacht, aber ich muss sicher erst mal emotional Abstand gewinnen. In den ersten Wochen danach im Schwarzwald mal wieder die Gegend intensiver anschauen, Zeit mit der Familie und mit Freunden verbringen - darauf freue ich mich.

[sid]

Die EURO 2020 ist für Joachim Löw das achte Turnier mit der Nationalmannschaft - und das siebte und letzte als Chefcoach. Vor dem ersten EM-Gruppenspiel gegen Frankreich am kommenden Dienstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und bei MagentaTV) spricht der 61 Jahre alte Bundestrainer über den Schlüssel zum Erfolg und seinen Nachfolger Hansi Flick.

Frage: Joachim Löw, Sie waren kürzlich noch bei Angela Merkel zu Besuch. Mit welchem Auftrag schickt die Kanzlerin Sie in die EM?

Joachim Löw: Über das Turnier haben wir relativ wenig gesprochen. Die Bundeskanzlerin hat mich nach dem Zustand der Mannschaft gefragt, nach Thomas Müller oder Mats Hummels, ob wir etwas Erfahrung zurück ins Team holen. Aber es gab natürlich keine Zielvorgabe. Wir haben über verschiedene Dinge gesprochen, die uns bewegen, unter anderen über Politik und über Corona.

Frage: Es ist Ihr letztes Turnier als Bundestrainer - und deshalb ein besonderes?

Löw: Jedes Turnier war für mich besonders, und das nun anstehende ist es auch. Ich bin nicht wehmütig oder besonders motiviert, weil nun mein letztes bevorsteht. Ich bin mit der Entscheidung, nach dem Turnier als Bundestrainer aufzuhören, im Reinen. Meine Gefühlslage und die Abläufe sind ähnlich wie vor den vergangenen Turnieren. Ich bin jetzt voll auf das Turnier fokussiert und darauf, die Mannschaft bestmöglich vorzubereiten. Das macht mir Spaß, ich spüre sehr viel Energie. Ich bin ungeduldig und freue mich auf den Beginn des Turniers.

Frage: Warum wird das Ende erfolgreich?

Löw: Ich bin guten Mutes und sehr optimistisch. Was ich sehe und spüre an Energie und Einsatz in der Mannschaft, ist top. Der Ehrgeiz ist sehr ausgeprägt bei den Spielern, sie wollen erfolgreich sein. Alle wissen: Wir müssen sofort und zu jeder Zeit bereit sein. Wie 2014 Christoph Kramer, der auf den letzten Drücker ins Aufgebot kam und dann im Finale auf dem Platz stand, weil er die Intensität immer hochgehalten hat. Es ist eine gute Dynamik in der Mannschaft. 2018 war die Stimmung anders, da lag eine gewisse Schwere über der Mannschaft - die spüre ich jetzt nicht. Ganz im Gegenteil: Die Stimmung ist sehr gut.

Frage: Schon die Gruppe ist brutal. Was braucht es, um Frankreich oder Portugal zu stoppen?

Löw: Frankreich kennen wir sehr gut, das ist die variabelste Mannschaft der Welt. Wir wissen, wie sie spielen, und trotzdem sind sie kaum auszurechnen, weil sie unendlich flexibel und variabel sind. Das ergibt sich aus der unglaublichen individuellen Klasse der Spieler. Sie sind extrem stark und wahnsinnig schwer auszurechnen. Auch Portugal hat offensiv eine große Wucht, spielt seit 2016 konstant auf sehr hohem Niveau und ist eine sehr homogene Mannschaft. Das sind Gegner, die uns alles abverlangen werden. Du darfst gegen sie keine Fehler machen. Wenn die Konzentration nicht ständig auf dem Höhepunkt ist, nutzen sie das gnadenlos aus.

Frage: Umso wichtiger ist die defensive Kompaktheit, die Ihrer Mannschaft zuletzt fehlte. Für Sie der wichtigste Schlüssel?

Löw: Ja, das ist der Schlüssel, die Kompaktheit ist die Voraussetzung, die Basis. Wenn wir die nicht haben, kommen wir in Schwierigkeiten. Und spielen damit den Franzosen und Portugiesen genau in die Karten. 2018 lagen wir in allen drei Vorrundenspielen zurück - dann verdient man es auch nicht unbedingt weiterzukommen. Wir müssen Fehler vermeiden. Wenn wir wieder Rückständen hinterherlaufen, wird es schwer. Das müssen wir verinnerlichen - ohne die Offensivkraft zu verlieren. Sonst reicht es auf diesem Niveau in der Spitze nicht.

Frage: Umso wichtiger wird daher die von Ihnen geforderte Gewinnermentalität sein. Ist sie schon voll ausgeprägt?

Löw: Sie wächst. Dazu müssen alle ihren Teil beitragen - durch Kritik, durch Lob, über Anfeuern, Mitziehen, Bestärken. Da ist jeder in der Verantwortung, nicht allein der Trainer. Jeder muss aufmerksam sein, auf Fehler hinweisen, kommunizieren. Diese Mentalität muss sich über das gesamte Turnier entwickeln - wie es 2014 der Fall war. Am Anfang gab es durchaus auch unterschiedliche Denkweisen oder Diskussionen über das System - am Ende haben wir uns gefunden, und alle wollten diesen Weltmeistertitel unbedingt. Die Ansätze sind auch dieses Mal gut, aber unter Beweis stellen müssen wir es im Turnier und dort jeden Tag aufs Neue leben.

Frage: Welche Rolle spielen dabei Müller und Hummels?

Löw: Thomas und Mats spielen eine wichtige Rolle, sie sollen führen. Wir hatten mit Neuer, Kimmich, Kroos, Gündogan oder Goretzka vorher schon Spieler, die sehr aktiv sind. Jetzt kommt weitere Erfahrung dazu, das tut uns gut...

Frage: ... und womöglich auch noch Ihrem Nachfolger Hansi Flick. Warum ist er der Richtige?

Löw: Wir sind uns alle einig, dass Hansi hervorragende Voraussetzungen hat für dieses Amt. Er hat bei Bayern München bewiesen, dass er Topspieler führen kann. Die Ausrichtung des Spiels, die Spielkultur, die Idee, die er verfolgt - das finde ich alles sehr, sehr gut.

Frage: Wenn Ihr letztes Spiel als Bundestrainer gespielt ist - was soll, abgesehen von den Titeln, von Ihrer Ära bleiben?

Löw: Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich zurückdenke an die Anfänge bei der Nationalmannschaft, war die fußballerische Entwicklung das Allerwichtigste für mich - dafür habe ich immer gekämpft. Ich habe gesagt: Es reicht nicht, in ein Turnier zu gehen und zu sagen: Wir gewinnen irgendwie. Einsatz, Kampf, individuelle Klasse - das ist nicht genug. Das war unser Projekt. In dieser Hinsicht haben wir in den vergangenen Jahren eine große Entwicklung gemacht. Wir haben auch bittere Niederlagen eingesteckt, aber die gehören dazu. Wir haben vor allem aber auch viele Spiele gemacht, auch bei Turnieren, die waren technisch und fußballerisch super, da waren wir die Benchmark. Das war schon 2006 mein Anspruch - wir haben also viel erreicht, mit dem Höhepunkt 2014.

Frage: Und wenn es dann vorbei ist, zieht es Sie in Ihrer Auszeit noch einmal auf den Kilimandscharo, oder lieber auf den heimischen Belchen?

Löw: Den Belchen möchte ich noch einmal sehen, das ist mein Hausberg. Ich habe noch keine Pläne gemacht, aber ich muss sicher erst mal emotional Abstand gewinnen. In den ersten Wochen danach im Schwarzwald mal wieder die Gegend intensiver anschauen, Zeit mit der Familie und mit Freunden verbringen - darauf freue ich mich.

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