Lingor: "Wille war entscheidender Faktor"

Showdown in Frankreich: Im Viertelfinale der Frauen-Weltmeisterschaft trifft Deutschland am Samstag (ab 18.30 Uhr, live in der ARD und bei DAZN) auf Schweden. Dieses Duell hat es schon mehrfach gegeben, das wichtigste bei einer WM war das Endspiel 2003. Die Vorlage zum Golden Goal von Nia Künzer kam von Renate Lingor. Im DFB.de-Interview erinnert sich die inzwischen 43 Jahre alte Ex-Nationalspielerin an diesen Moment.

DFB.de: Frau Lingor, bevor wir über das Spiel am Samstag sprechen, lassen Sie uns bitte einmal kurz zurück ins Jahr 2003 reisen. Und zwar zum 12. Oktober, dem Tag des WM-Endspiels vor 16 Jahren. Was geht Ihnen spontan durch den Kopf, wenn Sie sich daran erinnern?

Renate Lingor: Es war einer der größten Tage meiner Karriere. Man sagt ja immer so schön, dass jeder Titel ein Erlebnis ist. Aber der WM-Triumph 2003 überstrahlt aus meiner Sicht alles. Und das nicht nur wegen des Stellenwerts des Turniers, sondern vor allem, weil der Erfolg ziemlich unerwartet kam. Die USA waren Gastgeber und der ganz große Favorit. Aber wir haben sie im Halbfinale mit 3:0 aus dem Wettbewerb befördert. Damit hatten im Vorfeld die wenigsten gerechnet. Entsprechend selbstbewusst sind wir dann ins Endspiel gegangen. Die vier Wochen in den USA waren für mich insgesamt schon sehr emotional. Da gab es Momente, die vergisst man einfach nicht mehr.

DFB.de: Zum Beispiel Ihre Freistoßflanke zum Golden Goal von Nia Künzer?

Lingor: Das gehört natürlich dazu. Das war ein krasser Augenblick.

DFB.de: Können Sie ihn bitte nochmal aus Ihrer ganz persönlichen Sicht beschreiben?

Lingor: Um die Geschichte von Anfang an zu erzählen, muss ich ein wenig ausholen. Denn diesem Golden Goal ging eigentlich ein Fehler vor mir voraus. Aber das wissen viele nicht.

DFB.de: Erzählen Sie bitte.

Lingor: Im Augenblick des Freistoßes hätte ich auch die Möglichkeit gehabt, Maren Meinert mit einem kurzen Pass zu bedienen. Sie wäre dann alleine auf das Tor zugelaufen und hätte die Begegnung zu unseren Gunsten entscheiden können. Diesen Moment habe ich jedoch leider verpennt. Ich hätte den Freistoß eigentlich schnell ausführen müssen. Das wäre die bessere Option gewesen.

DFB.de: Die zweite Option war ja auch nicht schlecht.

Lingor: Nia war erst kurz vorher in die Begegnung gekommen. Ich kannte ihre Kopfballstärke sehr genau, weil wir schon lange in Frankfurt zusammengespielt hatten. Bevor ich den Freistoß in den Strafraum geschlagen habe, habe ich noch Nias Namen gerufen, um sie auf den Kopfball vorzubereiten. Ich wollte ihr signalisieren: "Das ist deine Situation, mach ihn rein!". Schön, dass sie so gut auf mich gehört hat. (lächelt)

DFB.de: Also war es klar, dass Sie den Freistoß schießen?

Lingor: Ja, das war geplant und in der Vorbereitung wirklich sehr akribisch trainiert. Ich habe während des Turniers alle Standards übernommen. Das hat gut funktioniert. Zum Beispiel sind wir im Halbfinale gegen die USA durch einen Kopfball von Kerstin Garefrekes nach einer Ecke von mir in Führung gegangen.

DFB.de: Wie haben Sie das Duell im Finale 2003 insgesamt erlebt?

Lingor: Es war eine enge Partie mit Chancen auf beiden Seiten. Wir hatten meiner Meinung nach zwar die besseren Möglichkeiten, aber es war definitiv kein Spiel auf ein Tor. Trotzdem war ich immer davon überzeugt, dass wir am Ende als Siegerinnen vom Platz gehen werden. Zum Glück habe ich Recht behalten. Unser Wille war letztlich ein ganz entscheidender Faktor. Außerdem hatten wir damals einen überragenden Teamgeist. Auch diejenigen, die nicht gespielt haben, haben uns total nach vorne gepusht. Ganz ähnlich erlebe ich es übrigens aktuell beim DFB-Team. Deshalb bin ich zuversichtlich für Samstag.

DFB.de: Was macht die DFB-Auswahl aus Ihrer Sicht in diesem Jahr so stark?

Lingor: Das Team hat ein großes Ziel und alle ziehen an einem Strang. Die Mannschaft arbeitet sehr konzentriert, aber der Spaß kommt dabei nicht zu kurz. Die Kombination ist optimal.

DFB.de: Die DFB-Auswahl ist ohne Gegentor ins Viertelfinale eingezogen. Was erwarten Sie jetzt von dem Aufeinandertreffen mit Schweden?

Lingor: Schweden ist eine große Nation im Frauenfußball – auch wenn sie noch nicht eines der bedeutendsten Turniere gewinnen konnten. Aber sie waren oft nah dran und sie sind auch in diesem Jahr bei der WM ganz sicher eines der Topteams. Wir brauchen eine Topleistung, weil Schweden nie aufgibt und bestimmt bis zum Schlusspfiff kämpfen wird. Darauf müssen wir uns einstellen. Außerdem haben sie einige schnelle Spielerinnen in ihren Reihen. Konkret denke ich zum Beispiel an Stina Blackstenius, aber ich könnte auch weitere aufzählen. Es waren oft Duelle auf Augenhöhe, bei denen wir uns am Ende dann glücklicherweise häufiger durchgesetzt haben. Die Schwedinnen arbeiten auf den Moment hin, das zu ändern, aber ich hoffe nicht, dass das jetzt geschieht. Wir sollten selbstbewusst sein und die Favoritenrolle annehmen. Die Mannschaft kann ganz sicher noch mehr, als sie bis jetzt gezeigt hat. Aber es ist ein K.o.-Spiel, bei dem alles passieren kann. Zudem nimmt der Druck natürlich auch immer mehr zu, was auch ein Faktor werden kann.

DFB.de: Kann dieser Druck zum Problem werden?

Lingor: Wenn man richtig damit umgeht, dann nicht. Man weiß ja vorher, dass bei einer Weltmeisterschaft irgendwann die Alles-oder-Nichts-Spiele kommen. Das hat es für mich persönlich immer erst richtig interessant gemacht. Da kommt es auf den Moment an. Ich war in diesen Partien immer voller Adrenalin und habe dann oft meine besten Leistungen abgerufen. Es ist wichtig, dass die jungen Spielerinnen weiterhin frei aufspielen. Gleichzeitig haben wir mit Alexandra Popp eine Persönlichkeit in unseren Reihen, die wirklich eine echte Kapitänin ist und die anderen mit ihrer Art mitreißen kann. Das gefällt mir richtig gut.

DFB.de: Ist die Mischung also im Moment perfekt?

Lingor: Ja, genau so ist. Wir haben extrem talentierte junge Spielerinnen dabei. Aber auch erfahrene Kräfte, die schon einige Länderspiele auf dem Buckel haben und auch im Verein auf internationaler Ebene zahlreiche wichtige Spiele bestritten haben. Neben Alex Popp und Almuth Schult sollte man auch Sara Däbritz nicht vergessen, die für mich ein super Turnier spielt. Sie zieht die anderen mit und leitet die Mannschaft auf dem Feld. Das beeindruckt mich.

DFB.de: Was ist möglich im Rückblick auf die vier Begegnungen bisher, aber auch mit Blick auf die Auftritte der Konkurrenten?

Lingor: Wir müssen uns vor niemandem verstecken, wir können jeden schlagen. Wir haben uns eine super Ausgangsposition erarbeitet. Ich würde gar nicht groß auf die anderen schauen. Wir sollten auf uns selbst schauen und an unsere Stärken glauben. Dann kann das Turnier für uns noch weitergehen.

[sw]

Showdown in Frankreich: Im Viertelfinale der Frauen-Weltmeisterschaft trifft Deutschland am Samstag (ab 18.30 Uhr, live in der ARD und bei DAZN) auf Schweden. Dieses Duell hat es schon mehrfach gegeben, das wichtigste bei einer WM war das Endspiel 2003. Die Vorlage zum Golden Goal von Nia Künzer kam von Renate Lingor. Im DFB.de-Interview erinnert sich die inzwischen 43 Jahre alte Ex-Nationalspielerin an diesen Moment.

DFB.de: Frau Lingor, bevor wir über das Spiel am Samstag sprechen, lassen Sie uns bitte einmal kurz zurück ins Jahr 2003 reisen. Und zwar zum 12. Oktober, dem Tag des WM-Endspiels vor 16 Jahren. Was geht Ihnen spontan durch den Kopf, wenn Sie sich daran erinnern?

Renate Lingor: Es war einer der größten Tage meiner Karriere. Man sagt ja immer so schön, dass jeder Titel ein Erlebnis ist. Aber der WM-Triumph 2003 überstrahlt aus meiner Sicht alles. Und das nicht nur wegen des Stellenwerts des Turniers, sondern vor allem, weil der Erfolg ziemlich unerwartet kam. Die USA waren Gastgeber und der ganz große Favorit. Aber wir haben sie im Halbfinale mit 3:0 aus dem Wettbewerb befördert. Damit hatten im Vorfeld die wenigsten gerechnet. Entsprechend selbstbewusst sind wir dann ins Endspiel gegangen. Die vier Wochen in den USA waren für mich insgesamt schon sehr emotional. Da gab es Momente, die vergisst man einfach nicht mehr.

DFB.de: Zum Beispiel Ihre Freistoßflanke zum Golden Goal von Nia Künzer?

Lingor: Das gehört natürlich dazu. Das war ein krasser Augenblick.

DFB.de: Können Sie ihn bitte nochmal aus Ihrer ganz persönlichen Sicht beschreiben?

Lingor: Um die Geschichte von Anfang an zu erzählen, muss ich ein wenig ausholen. Denn diesem Golden Goal ging eigentlich ein Fehler vor mir voraus. Aber das wissen viele nicht.

DFB.de: Erzählen Sie bitte.

Lingor: Im Augenblick des Freistoßes hätte ich auch die Möglichkeit gehabt, Maren Meinert mit einem kurzen Pass zu bedienen. Sie wäre dann alleine auf das Tor zugelaufen und hätte die Begegnung zu unseren Gunsten entscheiden können. Diesen Moment habe ich jedoch leider verpennt. Ich hätte den Freistoß eigentlich schnell ausführen müssen. Das wäre die bessere Option gewesen.

DFB.de: Die zweite Option war ja auch nicht schlecht.

Lingor: Nia war erst kurz vorher in die Begegnung gekommen. Ich kannte ihre Kopfballstärke sehr genau, weil wir schon lange in Frankfurt zusammengespielt hatten. Bevor ich den Freistoß in den Strafraum geschlagen habe, habe ich noch Nias Namen gerufen, um sie auf den Kopfball vorzubereiten. Ich wollte ihr signalisieren: "Das ist deine Situation, mach ihn rein!". Schön, dass sie so gut auf mich gehört hat. (lächelt)

DFB.de: Also war es klar, dass Sie den Freistoß schießen?

Lingor: Ja, das war geplant und in der Vorbereitung wirklich sehr akribisch trainiert. Ich habe während des Turniers alle Standards übernommen. Das hat gut funktioniert. Zum Beispiel sind wir im Halbfinale gegen die USA durch einen Kopfball von Kerstin Garefrekes nach einer Ecke von mir in Führung gegangen.

DFB.de: Wie haben Sie das Duell im Finale 2003 insgesamt erlebt?

Lingor: Es war eine enge Partie mit Chancen auf beiden Seiten. Wir hatten meiner Meinung nach zwar die besseren Möglichkeiten, aber es war definitiv kein Spiel auf ein Tor. Trotzdem war ich immer davon überzeugt, dass wir am Ende als Siegerinnen vom Platz gehen werden. Zum Glück habe ich Recht behalten. Unser Wille war letztlich ein ganz entscheidender Faktor. Außerdem hatten wir damals einen überragenden Teamgeist. Auch diejenigen, die nicht gespielt haben, haben uns total nach vorne gepusht. Ganz ähnlich erlebe ich es übrigens aktuell beim DFB-Team. Deshalb bin ich zuversichtlich für Samstag.

DFB.de: Was macht die DFB-Auswahl aus Ihrer Sicht in diesem Jahr so stark?

Lingor: Das Team hat ein großes Ziel und alle ziehen an einem Strang. Die Mannschaft arbeitet sehr konzentriert, aber der Spaß kommt dabei nicht zu kurz. Die Kombination ist optimal.

DFB.de: Die DFB-Auswahl ist ohne Gegentor ins Viertelfinale eingezogen. Was erwarten Sie jetzt von dem Aufeinandertreffen mit Schweden?

Lingor: Schweden ist eine große Nation im Frauenfußball – auch wenn sie noch nicht eines der bedeutendsten Turniere gewinnen konnten. Aber sie waren oft nah dran und sie sind auch in diesem Jahr bei der WM ganz sicher eines der Topteams. Wir brauchen eine Topleistung, weil Schweden nie aufgibt und bestimmt bis zum Schlusspfiff kämpfen wird. Darauf müssen wir uns einstellen. Außerdem haben sie einige schnelle Spielerinnen in ihren Reihen. Konkret denke ich zum Beispiel an Stina Blackstenius, aber ich könnte auch weitere aufzählen. Es waren oft Duelle auf Augenhöhe, bei denen wir uns am Ende dann glücklicherweise häufiger durchgesetzt haben. Die Schwedinnen arbeiten auf den Moment hin, das zu ändern, aber ich hoffe nicht, dass das jetzt geschieht. Wir sollten selbstbewusst sein und die Favoritenrolle annehmen. Die Mannschaft kann ganz sicher noch mehr, als sie bis jetzt gezeigt hat. Aber es ist ein K.o.-Spiel, bei dem alles passieren kann. Zudem nimmt der Druck natürlich auch immer mehr zu, was auch ein Faktor werden kann.

DFB.de: Kann dieser Druck zum Problem werden?

Lingor: Wenn man richtig damit umgeht, dann nicht. Man weiß ja vorher, dass bei einer Weltmeisterschaft irgendwann die Alles-oder-Nichts-Spiele kommen. Das hat es für mich persönlich immer erst richtig interessant gemacht. Da kommt es auf den Moment an. Ich war in diesen Partien immer voller Adrenalin und habe dann oft meine besten Leistungen abgerufen. Es ist wichtig, dass die jungen Spielerinnen weiterhin frei aufspielen. Gleichzeitig haben wir mit Alexandra Popp eine Persönlichkeit in unseren Reihen, die wirklich eine echte Kapitänin ist und die anderen mit ihrer Art mitreißen kann. Das gefällt mir richtig gut.

DFB.de: Ist die Mischung also im Moment perfekt?

Lingor: Ja, genau so ist. Wir haben extrem talentierte junge Spielerinnen dabei. Aber auch erfahrene Kräfte, die schon einige Länderspiele auf dem Buckel haben und auch im Verein auf internationaler Ebene zahlreiche wichtige Spiele bestritten haben. Neben Alex Popp und Almuth Schult sollte man auch Sara Däbritz nicht vergessen, die für mich ein super Turnier spielt. Sie zieht die anderen mit und leitet die Mannschaft auf dem Feld. Das beeindruckt mich.

DFB.de: Was ist möglich im Rückblick auf die vier Begegnungen bisher, aber auch mit Blick auf die Auftritte der Konkurrenten?

Lingor: Wir müssen uns vor niemandem verstecken, wir können jeden schlagen. Wir haben uns eine super Ausgangsposition erarbeitet. Ich würde gar nicht groß auf die anderen schauen. Wir sollten auf uns selbst schauen und an unsere Stärken glauben. Dann kann das Turnier für uns noch weitergehen.

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