Anlaufstelle Athleten Deutschland e.V.: "Zahlen alarmierend"

Léa Krüger, vierfache Deutsche Meisterin im Säbelfechten, ist Sprecherin von Athleten Deutschland e.V. Der 2017 gegründete Verein bietet seit Wochenbeginn eine unabhängige Anlaufstelle für aktive und ehemalige Bundeskaderathletinnen und -athleten an, die physische, psychische oder sexualisierte Gewalt erfahren haben. Krüger ist zudem Mitglied der DOSB-Athletenkommission und Präsidiumsmitglied des Deutschen Fechter-Bundes.

DFB.de: Frau Krüger, warum braucht es außerhalb der Verbände eine solche anonyme Anlaufstelle?

Léa Krüger: Leistungssport findet unabhängig von der Sportart oder Disziplin unter besonderen Bedingungen statt. Immer besteht die Nähe und Abhängigkeit des Athleten oder der Athletin zum Trainer- oder Betreuerstab. Dadurch entstehen Situationen, die eben nicht mit dem Alltagsleben vergleichbar sind. So kann es schneller zu Missbrauch und Gewalt kommen, egal ob nun psychischer, physischer oder sexueller Art. Als Athletensprecherin habe ich mit Betroffenen Gespräche geführt. Zumindest punktuell besteht bei diesen Menschen die Sorge, dass bei einer Information an den zuständigen Sportverband die Anonymität nicht gewährleistet ist. Es kam vor, dass Opfern nicht geglaubt wurde. Man muss einfach erkennen, dass die Verbände strukturell in einem Interessenkonflikt stehen. Einerseits haben die Verbände eine Fürsorgepflicht gegenüber den Athletinnen und Athleten, andererseits sind sie Arbeitgeber der Trainer und Betreuer. Das sind potenziell genau die Leute, die übergriffig geworden sind. Wir als Athleten Deutschland versuchen hier betroffenen Kaderathlet*innen, die bitter nötige Hilfe und Unterstützung niedrigschwellig zukommen zu lassen.

DFB.de: Auslöser für die Gründung der Anlaufstelle von Athleten Deutschland ist die Studie "Safe Sport" aus dem Jahr 2017. Welche Ergebnisse haben Sie damals alarmiert?

Krüger: Es wurden 1500 Athleten und Athletinnen befragt. 37 Prozent haben angegeben, dass sie bereits sexualisierte Gewalt erfahren haben, 86 Prozent psychische Gewalt und 30 Prozent körperliche Gewalt. Ich denke, diese Zahlen haben nicht nur mich alarmiert. Nachdem uns auch einzelne Kaderathlet*innen kontaktiert hatten, haben wir die Einrichtung einer Anlaufstelle als Auftrag angenommen. Unser Angebot richtet sich an Spitzensportler*innen. Grundsätzlich weisen wir aber niemanden ab.

DFB.de: Der DFB bietet mit Experten vom Deutschen Kinderschutzbund eine externe, anonyme, unabhängige Anlaufstelle an. Hierhin können sich alle wenden, die unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes Fußball spielen. Wie bewerten Sie das?

Krüger: Grundsätzlich ist es sehr gut, dass über den DFB eine Anlaufstelle angeboten wird, die sich ja auch in erster Linie an die Breite des Fußballs wendet. Wir machen jetzt eben ein zusätzliches Beratungsangebot für den Spitzensport, das eine weitere Wahlmöglichkeit für Betroffene darstellt.

DFB.de: Was passiert nach einer Kontaktaufnahme?

Krüger: Bei "Anlauf gegen Gewalt" kann man sich telefonisch und per E-Mail melden. Die telefonischen Sprechzeiten sind montags von 11 bis 14 und donnerstags von 16 bis 19 Uhr. Per E-Mail kann man sich jederzeit melden und erhält zeitnah eine Rückmeldung. Hier stehen zwei Ansprechpersonen, die Expertinnen im Handlungsfeld Gewalt und Missbrauch im Sport sind, zur Verfügung. Zuerst suchen wir das Gespräch mit dem betroffenen Athleten oder der Athletin und überlegen gemeinsam, wie die nächsten Schritte sein können. Wir orientieren uns hier an den Bedürfnissen der Athlet*innen. Wichtig ist: wir sind eine parteiische Anlaufstelle, wir stellen also die Schilderung nicht in Frage, sondern glauben den Athlet*innen. Wir bieten den Betroffenen eine kostenlose psychotherapeutisches Erstberatungsgespräch und eine rechtliche Erstberatung. Sollte sich der Athlet entschließen, den Missbrauch an den Verein oder Verband zu melden, auch um Konsequenzen zu erwirken, kann Athleten Deutschland diesen Schritt begleiten. Bis dahin aber bleibt alles vertraulich bei "Anlauf gegen Gewalt".

DFB.de: Wie ist die Anlaufstelle finanziert?

Krüger: Zwei große internationale Stiftungen finanzieren die Anlaufstelle erstmal bis zum Jahresende.

DFB.de: Planen Sie nach einer gewissen Zeit mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen?

Krüger: Die Hilfe muss jetzt erstmal ankommen. Aber sicher werden wir zur gegebenen Zeit eine Zwischenbilanz veröffentlichen.

DFB.de: Im Oktober vergangenen Jahres beschuldigten mehrere US-Profifußballerinnen den Trainer des Ligateams North Carolina Courage der sexuellen Nötigung. In der Folge traten die Geschäftsführerin der Liga, der Trainer und der Geschäftsführer eines weiteren Teams, der Washington Wizards zurück. Gibt es etwas Typisches an diesem Fall?

Krüger: Die mediale Berichterstattung führt dazu, dass sich andere Athlet*innen Gedanken machen und sich vielleicht sogar ermutigt fühlen, einen Missbrauchsfall anzuzeigen. Vor allem wenn man merkt, dass es tatsächlich Konsequenzen für die Täter nach sich zieht. 

DFB.de: Wird alles ständig schlimmer?

Krüger: Mein Eindruck ist, dass die Zahl der Vorfälle nicht zunimmt, dass aber heute eine wesentlich größere Sensibilität vorhanden ist. Heute haben mehr Betroffene den Mut, über den Missbrauch zu sprechen. Vor 30 Jahren wurden solche Vorfälle noch weggedrückt. "Das hast du jetzt mal hinzunehmen, das gehört zum Leistungssport. Beiß einfach die Zähne zusammen", so wurde damals gesprochen. Wir Athleten und Athletinnen sind wesentlich professioneller geworden. Das muss einfach auch für das komplette Umfeld gelten.

[th]

Léa Krüger, vierfache Deutsche Meisterin im Säbelfechten, ist Sprecherin von Athleten Deutschland e.V. Der 2017 gegründete Verein bietet seit Wochenbeginn eine unabhängige Anlaufstelle für aktive und ehemalige Bundeskaderathletinnen und -athleten an, die physische, psychische oder sexualisierte Gewalt erfahren haben. Krüger ist zudem Mitglied der DOSB-Athletenkommission und Präsidiumsmitglied des Deutschen Fechter-Bundes.

DFB.de: Frau Krüger, warum braucht es außerhalb der Verbände eine solche anonyme Anlaufstelle?

Léa Krüger: Leistungssport findet unabhängig von der Sportart oder Disziplin unter besonderen Bedingungen statt. Immer besteht die Nähe und Abhängigkeit des Athleten oder der Athletin zum Trainer- oder Betreuerstab. Dadurch entstehen Situationen, die eben nicht mit dem Alltagsleben vergleichbar sind. So kann es schneller zu Missbrauch und Gewalt kommen, egal ob nun psychischer, physischer oder sexueller Art. Als Athletensprecherin habe ich mit Betroffenen Gespräche geführt. Zumindest punktuell besteht bei diesen Menschen die Sorge, dass bei einer Information an den zuständigen Sportverband die Anonymität nicht gewährleistet ist. Es kam vor, dass Opfern nicht geglaubt wurde. Man muss einfach erkennen, dass die Verbände strukturell in einem Interessenkonflikt stehen. Einerseits haben die Verbände eine Fürsorgepflicht gegenüber den Athletinnen und Athleten, andererseits sind sie Arbeitgeber der Trainer und Betreuer. Das sind potenziell genau die Leute, die übergriffig geworden sind. Wir als Athleten Deutschland versuchen hier betroffenen Kaderathlet*innen, die bitter nötige Hilfe und Unterstützung niedrigschwellig zukommen zu lassen.

DFB.de: Auslöser für die Gründung der Anlaufstelle von Athleten Deutschland ist die Studie "Safe Sport" aus dem Jahr 2017. Welche Ergebnisse haben Sie damals alarmiert?

Krüger: Es wurden 1500 Athleten und Athletinnen befragt. 37 Prozent haben angegeben, dass sie bereits sexualisierte Gewalt erfahren haben, 86 Prozent psychische Gewalt und 30 Prozent körperliche Gewalt. Ich denke, diese Zahlen haben nicht nur mich alarmiert. Nachdem uns auch einzelne Kaderathlet*innen kontaktiert hatten, haben wir die Einrichtung einer Anlaufstelle als Auftrag angenommen. Unser Angebot richtet sich an Spitzensportler*innen. Grundsätzlich weisen wir aber niemanden ab.

DFB.de: Der DFB bietet mit Experten vom Deutschen Kinderschutzbund eine externe, anonyme, unabhängige Anlaufstelle an. Hierhin können sich alle wenden, die unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes Fußball spielen. Wie bewerten Sie das?

Krüger: Grundsätzlich ist es sehr gut, dass über den DFB eine Anlaufstelle angeboten wird, die sich ja auch in erster Linie an die Breite des Fußballs wendet. Wir machen jetzt eben ein zusätzliches Beratungsangebot für den Spitzensport, das eine weitere Wahlmöglichkeit für Betroffene darstellt.

DFB.de: Was passiert nach einer Kontaktaufnahme?

Krüger: Bei "Anlauf gegen Gewalt" kann man sich telefonisch und per E-Mail melden. Die telefonischen Sprechzeiten sind montags von 11 bis 14 und donnerstags von 16 bis 19 Uhr. Per E-Mail kann man sich jederzeit melden und erhält zeitnah eine Rückmeldung. Hier stehen zwei Ansprechpersonen, die Expertinnen im Handlungsfeld Gewalt und Missbrauch im Sport sind, zur Verfügung. Zuerst suchen wir das Gespräch mit dem betroffenen Athleten oder der Athletin und überlegen gemeinsam, wie die nächsten Schritte sein können. Wir orientieren uns hier an den Bedürfnissen der Athlet*innen. Wichtig ist: wir sind eine parteiische Anlaufstelle, wir stellen also die Schilderung nicht in Frage, sondern glauben den Athlet*innen. Wir bieten den Betroffenen eine kostenlose psychotherapeutisches Erstberatungsgespräch und eine rechtliche Erstberatung. Sollte sich der Athlet entschließen, den Missbrauch an den Verein oder Verband zu melden, auch um Konsequenzen zu erwirken, kann Athleten Deutschland diesen Schritt begleiten. Bis dahin aber bleibt alles vertraulich bei "Anlauf gegen Gewalt".

DFB.de: Wie ist die Anlaufstelle finanziert?

Krüger: Zwei große internationale Stiftungen finanzieren die Anlaufstelle erstmal bis zum Jahresende.

DFB.de: Planen Sie nach einer gewissen Zeit mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen?

Krüger: Die Hilfe muss jetzt erstmal ankommen. Aber sicher werden wir zur gegebenen Zeit eine Zwischenbilanz veröffentlichen.

DFB.de: Im Oktober vergangenen Jahres beschuldigten mehrere US-Profifußballerinnen den Trainer des Ligateams North Carolina Courage der sexuellen Nötigung. In der Folge traten die Geschäftsführerin der Liga, der Trainer und der Geschäftsführer eines weiteren Teams, der Washington Wizards zurück. Gibt es etwas Typisches an diesem Fall?

Krüger: Die mediale Berichterstattung führt dazu, dass sich andere Athlet*innen Gedanken machen und sich vielleicht sogar ermutigt fühlen, einen Missbrauchsfall anzuzeigen. Vor allem wenn man merkt, dass es tatsächlich Konsequenzen für die Täter nach sich zieht. 

DFB.de: Wird alles ständig schlimmer?

Krüger: Mein Eindruck ist, dass die Zahl der Vorfälle nicht zunimmt, dass aber heute eine wesentlich größere Sensibilität vorhanden ist. Heute haben mehr Betroffene den Mut, über den Missbrauch zu sprechen. Vor 30 Jahren wurden solche Vorfälle noch weggedrückt. "Das hast du jetzt mal hinzunehmen, das gehört zum Leistungssport. Beiß einfach die Zähne zusammen", so wurde damals gesprochen. Wir Athleten und Athletinnen sind wesentlich professioneller geworden. Das muss einfach auch für das komplette Umfeld gelten.

###more###