Last-Minute-Tor für Irland: Keane schockt Kahn und Co.

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

5. Juni 2002 in Ibaraki - Vorrunde: Deutschland - Irland 1:1

Vor dem Spiel:

Nach dem höchsten deutschen WM-Sieg gab es keinen Grund für Änderungen in der Start-Elf. Carsten Ramelow war wiederhergestellt und blieb Chef der Dreierkette, der in der Qualifikation noch gesetzte Marko Rehmer – nun ebenfalls wieder fit – blieb im Wartestand. Im Blickpunkt der Medien stand der Shooting Star Miroslav Klose, über den nun allerlei nette Geschichten zu lesen waren und ganz Deutschland lernte seinen Heimatort Blaubach-Diedelkopf kennen. Die Journalisten mussten Geschichten wie diese schreiben, da sie an die abgeschirmte Mannschaft kaum heran kamen. "Diese Mannschaft war die geheimste, die Deutschland jemals vertreten hat (...) So abgelegen wie in diesem modernen Plattenbau in Miyazaki hat ein deutsches Nationalteam seit der WM 1978 in Argentinien nicht mehr gewohnt", schrieb die Süddeutsche Zeitung im Rückblick auf die WM 2002.

Wenn freilich aus der Ruhe derart kraftvolle Ergebnisse entspringen, dann war zunächst mal alles richtig. Mit einem Sieg gegen die Iren (1:1 zum Auftakt gegen Kamerun) konnte und wollte man das Achtelfinale bereits klar machen, Teamchef Rudi Völler versprach es sogar: "Mit unserem neuen Selbstvertrauen erreichen wir schon im zweiten Spiel das Achtelfinale." Bild forderte gewohnt forsch: "Ballert, bis sie grün werden!" Bei den Wettbüros rangierte Deutschland schon an sechster Stelle der Titelfavoriten. Für den DFB beobachtete Ex-Nationalspieler Ulli Stielike die Iren im Auftaktspiel gegen Kamerun. Er berichtete nach Miyazaki: "Ihre Qualität liegt eindeutig in der Defensive. Vierer-Reihe mit zwei zentralen Staubsaugern im Mittelfeld, in das sich Robbie Keane immer wieder zurückfallen lässt." Gegen Kamerun hatte es ein Remis gegeben (1:1), das strebte Trainer Mick McCarthy auch gegen die Deutschen an, "und es müsste auch zu schaffen sein. Ich glaube nämlich nicht, dass die Deutschen besser sind als Holland und Portugal, gegen die wir in der Qualifikation gespielt haben." Da Holland es gar nicht zur WM schaffte, was in deutschen Medien und Stadien für allerlei Spott sorgte, war dies fast schon eine Provokation.

McCarthy hatte ohnehin keine Angst vor Konfrontationen und warf noch vor Turnierstart Kapitän Roy Keane (Manchester United) aus dem Kader, der auf Kritik in einer Teamsitzung allzu unflätig reagiert hatte, so dass sogar alle 22 Kollegen seinen Ausschluss guthießen. Damit hatten sich die Iren selbst geschwächt, aber schwach fühlten sie sich vor ihrer WM-Premiere mit Deutschland nicht. "Wir sind hier ein Team von 22 Spielern und wollen die irischen Farben würdig vertreten. Das geht auch ohne Roy Keane", sagte Irlands erster Torschütze bei dieser WM, Matt Holland. Gespielt wurde offiziell in Ibaraki, doch so hieß nur die Präfektur. Der Spielort hieß Kashima (62.000 Einwohner). Um ihn zu erreichen, mussten die Deutschen, ganz im Süden Japans einquartiert, wieder in den Flieger steigen.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

5. Juni 2002 in Ibaraki - Vorrunde: Deutschland - Irland 1:1

Vor dem Spiel:

Nach dem höchsten deutschen WM-Sieg gab es keinen Grund für Änderungen in der Start-Elf. Carsten Ramelow war wiederhergestellt und blieb Chef der Dreierkette, der in der Qualifikation noch gesetzte Marko Rehmer – nun ebenfalls wieder fit – blieb im Wartestand. Im Blickpunkt der Medien stand der Shooting Star Miroslav Klose, über den nun allerlei nette Geschichten zu lesen waren und ganz Deutschland lernte seinen Heimatort Blaubach-Diedelkopf kennen. Die Journalisten mussten Geschichten wie diese schreiben, da sie an die abgeschirmte Mannschaft kaum heran kamen. "Diese Mannschaft war die geheimste, die Deutschland jemals vertreten hat (...) So abgelegen wie in diesem modernen Plattenbau in Miyazaki hat ein deutsches Nationalteam seit der WM 1978 in Argentinien nicht mehr gewohnt", schrieb die Süddeutsche Zeitung im Rückblick auf die WM 2002.

Wenn freilich aus der Ruhe derart kraftvolle Ergebnisse entspringen, dann war zunächst mal alles richtig. Mit einem Sieg gegen die Iren (1:1 zum Auftakt gegen Kamerun) konnte und wollte man das Achtelfinale bereits klar machen, Teamchef Rudi Völler versprach es sogar: "Mit unserem neuen Selbstvertrauen erreichen wir schon im zweiten Spiel das Achtelfinale." Bild forderte gewohnt forsch: "Ballert, bis sie grün werden!" Bei den Wettbüros rangierte Deutschland schon an sechster Stelle der Titelfavoriten. Für den DFB beobachtete Ex-Nationalspieler Ulli Stielike die Iren im Auftaktspiel gegen Kamerun. Er berichtete nach Miyazaki: "Ihre Qualität liegt eindeutig in der Defensive. Vierer-Reihe mit zwei zentralen Staubsaugern im Mittelfeld, in das sich Robbie Keane immer wieder zurückfallen lässt." Gegen Kamerun hatte es ein Remis gegeben (1:1), das strebte Trainer Mick McCarthy auch gegen die Deutschen an, "und es müsste auch zu schaffen sein. Ich glaube nämlich nicht, dass die Deutschen besser sind als Holland und Portugal, gegen die wir in der Qualifikation gespielt haben." Da Holland es gar nicht zur WM schaffte, was in deutschen Medien und Stadien für allerlei Spott sorgte, war dies fast schon eine Provokation.

McCarthy hatte ohnehin keine Angst vor Konfrontationen und warf noch vor Turnierstart Kapitän Roy Keane (Manchester United) aus dem Kader, der auf Kritik in einer Teamsitzung allzu unflätig reagiert hatte, so dass sogar alle 22 Kollegen seinen Ausschluss guthießen. Damit hatten sich die Iren selbst geschwächt, aber schwach fühlten sie sich vor ihrer WM-Premiere mit Deutschland nicht. "Wir sind hier ein Team von 22 Spielern und wollen die irischen Farben würdig vertreten. Das geht auch ohne Roy Keane", sagte Irlands erster Torschütze bei dieser WM, Matt Holland. Gespielt wurde offiziell in Ibaraki, doch so hieß nur die Präfektur. Der Spielort hieß Kashima (62.000 Einwohner). Um ihn zu erreichen, mussten die Deutschen, ganz im Süden Japans einquartiert, wieder in den Flieger steigen.

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Klose trifft wieder, Keane kontert

Spielbericht:

Die Veranstalter begrüßen die WM in ihrer Stadt mit einem Feuerwerk. Gibt es auch eins auf dem Platz? Die Bedingungen sind etwas unangenehmer als in Sapporo – 25 Grad und eine drückende Schwüle. Der deutsche TV-Zuschauer kann wählen, welchem Reporter er folgen möchte. 10.000 Iren sorgen für Stimmung, in der Überzahl sind sie allemal. Für das ZDF überträgt Bela Rethy, für den Pay-TV-Sender Premiere ist Marcel Reif im Einsatz. In Deutschland ist es 13.30 Uhr an diesem Mittwoch und vielen stellt sich die Frage: Arbeit oder Fußball gucken? Im deutschen Bundestag gewinnt der Fußball, zur Fragestunde der Regierung erscheinen nur 20 Abgeordnete.

In Kashima wird schnell deutlich: heute gibt es kein 8:0. Die Iren machen vom Start weg Druck und warten im Gegensatz zu den Arabern nicht darauf, was den Deutschen wohl so einfällt. Zu Torchancen führt ihre Spielweise aber auch nicht. Nach 12 Minuten muss der irische Keeper erstmals eingreifen, Shay Given holt sich einen Jancker-Kopfball. Kurz darauf fordert Klose einen Elfmeter, Steve Staunton soll ihn gefoult haben. Der dänische Schiedsrichter Kim Milton Nielsen sieht das anders, selbst die Bild hält die Aktion für "schwalbenverdächtig". Klose bleibt ein Unruheherd, nach 19 Minuten schreibt er das nächste Kapitel in seinem WM-Märchen. Michael Ballack schlägt aus 35 Metern von halblinks hoch vors Tor, Klose ist Widersacher Gary Breen gedanklich und physisch einen Schritt voraus, steigt hoch und trifft – natürlich wieder per Kopf. "Und wieder zeigt er, wie prima er Kopfballspiel beherrscht!", stellt Marcel Reif fest. Vier Tore nach zwei Spielen – was für ein Einstand. Und zum zweiten Mal bei dieser WM sieht man seinen Salto.

Die Iren zeigen eine wütende Reaktion. Damien Duff bricht durch, Oliver Kahn rettet im Verteidigerstil per Grätsche an der Seitenauslinie. Ein Schuss von Matt Holland verfehlt sein Ziel nur knapp. Holland legt nach, versucht nach Christoph Metzelders unfreiwilliger Vorlage aus fünf Metern einen Fallrückzieher, doch zum Glück für die Deutschen verfehlt er den Ball. Der Halbzeitpfiff verhindert Schlimmeres, die deutsche Führung ist nicht sonderlich verdient. Ein Grund: Im Mittelfeld geht wenig zusammen. "War beim Saudi-Spiel das Mittelfeld mit Ballack, Hamann und Schneider noch ein echter Trumpf, so verstanden die drei es gegen die Iren nur sporadisch, System in ihre Aktionen zu bringen. Ballack wirkte ungewohnt nervös, Hamann hatte alle Mühe, die Löcher im Mittelfeld zu stopfen, und Schneider verzettelte sich eine Stunde lang in ungeordneter Laufarbeit.", analysiert der am nächsten Tag erscheinende Kicker. In der Kabine wird Klose am Knie behandelt, schon in der 10. Minute hat er einen Schlag bekommen, die Schmerzen stellen sich erst jetzt ein.

Wiederanpfiff. Der irische Druck steigt, der gegen die Saudis beschäftigungslose Kahn bekommt mehr zu tun als ihm lieb ist. Duff schießt ihn aus sieben Metern an, eigentlich kaum zu vergeben, diese Chance. In der 68. Minute endlich etwas Entlastung: Ballack bedient Carsten Jancker, der es allein vor Given mit einem Heber versucht – doch er verhebt sich. Drüber. Das DFB-Team versucht, den Vorsprung über die Zeit zu retten, spielt auf Konter. So kommt eine Ballbesitzstatistik von 58:42 (in Prozent) für die Iren zustande. Völler bringt Oliver Bierhoff für den permanent Abseits stehenden Carsten Jancker, ein positionsgetreuer Wechsel. Mittelstürmer für Mittelstürmer – warum kommt kein Dribbler wie Oliver Neuville? –, fragt man sich nicht nur auf der Pressetribüne. "Ich habe hundertprozentig damit gerechnet, dass er Oliver Neuville statt Oliver Bierhoff bringt. Denn den schnellen Leverkusener hätte Rudi gut gebraucht", sagt etwa Ex-Nationalspieler Karl-Heinz Förster. Völler wird später sagen, er habe Bierhoff wegen seiner Kopfballstärke auch im eigenen Strafraum gebraucht, da die Iren ihrerseits zwei Hünen eingewechselt haben.

Die Iren feuern aus allen Lagen, Steven Reid probiert es aus 22 Metern – vorbei. Auch Klose kann mal daneben köpfen, wie sich in der 78. Minute nach einer Flanke von Thorsten Frings zeigt. Robbie Keane, nicht mit dem suspendierten Kapitän Roy Keane zu verwechseln, bricht durch, Kahn wirft sich ihm vor die Füße und rettet. Kann das gut gehen? Völler versucht Zeit zu gewinnen, wechselt noch zweimal aus: Marco Bode gibt sein WM-Debüt, in der Nachspielzeit kommt auch Jens Jeremies. Die Nachspielzeit läuft. Rudi Völler hält es längst nicht mehr auf seinem Sitzplatz. Jeremies, kaum im Spiel und in Gedanken womöglich noch auf der Bank, spielt ungenau zu Ballack, der Ball rollt ins Aus – es gibt Einwurf für die Iren. Noch ein letzter langer Schlag in den deutschen Strafraum, abgeschickt aus der irischen Hälfte. Der Ball ist lang in der Luft, Metzelder verliert das Kopfballduell gegen Niall Quinn kurz vor dem Strafraum trotzdem. Der Ball fällt genau in den Lauf von Robbie Keane und zwischen Carsten Ramelow und Thomas Linke, sie können ihn nicht mehr erreichen. Kahn wirft sich Keane noch entgegen, lenkt den Ball an den Innenpfosten, aber im Netz landet er trotzdem. 1:1 – Ende, Aus.

"Es ist absolut verdient. Die Iren waren die einzige Mannschaft, die in der 2. Halbzeit etwas für dieses Spiel getan hat", urteilt Kommentator Marcel Reif. In der 103 Sekunde der Nachspielzeit hat Deutschland den Einzug ins Achtelfinale wieder hergegeben. Kahn wirft wütend seine Handschuhe weg, so wie Deutschland den Sieg. Als Rudi Völler nach 23 Uhr Ortszeit aus der Kabine heraustritt und sich den Journalisten stellt, lächelt er schon wieder, aber seine Worte passen nicht zur Mimik: "Der Ärger und die Enttäuschung sind riesengroß."

Aufstellung: Kahn – Linke, Ramelow, Metzelder – Frings, Hamann, Ziege – Schneider (90. Jeremies) Ballack – Klose (85. Bode), Jancker (75. Bierhoff).

Tore: 1:0 Klose (18.), 1:1 Keane (90.).

Zuschauer: 35.854 in Ibaraki.

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"Eine sehr große Enttäuschung"

Stimmen zum Spiel:

Rudi Völler: "Die Mannschaft ist geknickt. Die Spieler haben aber alles gegeben. Wir hatten viele Chancen, aber nach dem 1:0 war wohl entscheidend, dass der letzte Pass in die Spitze häufig nicht richtig kam. Wir haben nicht mehr Fußball gespielt, zu wenig kombiniert. Und es ist uns auch nicht gelungen, die Konter richtig zu setzen. Wir sind aber weiter Tabellenführer und nach Adam Riese müsste ein Punkt gegen Kamerun reichen. Jetzt gibt es sechs Tage Pause und dann werden wir drei Punkte holen."

Michael Ballack: "Die Stimmung ist nach dem 1:1 ziemlich gedrückt. Wir hatten uns eigentlich schon für das Achtelfinale qualifiziert und dann kam doch noch der Gegentreffer."

Oliver Kahn: "So einen Fehler darf man auch in der 92. Minute nicht machen. Nun befinden wir uns in einer Drucksituation. Wir müssen zeigen, dass wir dem Druck standhalten können."

Miroslav Klose: "Ich bin auch von mir enttäuscht. Wir haben zu lange versucht, das 1:0 über die Zeit zu retten. Wir haben uns zu wenig bewegt. Wir hatten einfach nur im Kopf: das wird schon reichen. Aber es reichte nicht."

Thomas Linke: "Wir haben am Ende um das Gegentor gebettelt. Wir haben uns dumm angestellt, das hätte nicht passieren dürfen."

Mick McCarthy (Trainer Irlands): "Ich habe immer gesagt, dass wir weiter kämpfen müssen, und das hat sich dann auch ausgezahlt. Ich bin stolz auf meine Mannschaft und freue mich für diese großartigen Fans."

Gerhard Schröder (Bundeskanzler): "Eine Schlappe ist das 1:1 gegen Irland nicht, das kommt schon mal vor. Der Gegner ist doch mit einer guten Mannschaft aufs Feld gelaufen."

Gerhard Mayer-Vorfelder (DFB-Präsident): "Das war eine sehr große Enttäuschung und kein gutes Spiel. Man hat die Mängel wieder gesehen."

"Willkommen zurück auf dem Teppich" (Bild)

"Die Punkteteilung war nicht einmal unverdient. Denn zum einen imponierten die Iren mit temporeichem Vorwärtsspiel sowie nie ermüdendem Einsatz. Zum anderen blieb Rudi Völlers Team – in identischer Aufstellung wie gegen die Saudis – zumindest spielerisch den Nachweis schuldig, dass jenes 8:0 primär eigener Klasse entsprang. Die deutsche Mannschaft wurde somit den hohen Erwartungen nicht gerecht. Hoffen wir, dass es die Ausnahme war." (kicker)

"Stolz und Ruhm! Irland war ganz einfach wunderbar und hätte den Sieg gegen die Deutschen verdient gehabt. Ihr Kampfgeist wurde durch eine selten schöne Aktion und ein Tor wie aus massivem Gold belohnt." (Irish Examer/Irland)

"Die Iren versüßten sich das Bier genau zum richtigen Zeitpunkt." (Ekstra Bladet/Dänemark)

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