Köpke über Neuer: "Ich bin stolz auf ihn"

Als erster Torhüter Deutschlands hat Manuel Neuer die 100 durchbrochen, beim Auftakt in die EURO 2020 gegen Weltmeister Frankreich am Dienstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und auf MagentaTV) bestreitet der Welttorhüter sein 101. Länderspiel. Von Beginn an dabei war Andreas Köpke. Im DFB.de-Interview spricht der 59 Jahre alte Torwarttrainer der DFB-Auswahl über den gemeinsamen Weg und die besonderen Fähigkeiten der Nummer eins.

DFB.de: Herr Köpke, beim Länderspiel gegen Lettland haben Spieler und Betreuer ein Spalier für Manuel Neuer gebildet - es war sein 100. Auftritt für Deutschland. Wie emotional waren diese Momente für Sie?

Andreas Köpke: Mir ging es unter die Haut, diese Augenblicke waren sehr emotional. Auch Manu ging es so. Am Abend hat er intern noch eine Rede gehalten, dabei war zu merken, wie ergriffen er war. Ihn so zu erleben - das war schon besonders. Ich bin stolz auf ihn, stolz auf seine Entwicklung und brutal stolz darauf, ihn von seinem ersten bis zum 100. Länderspiel begleitet zu haben.

DFB.de: 100 Länderspiele beginnen mit dem ersten. Wie präsent ist Ihnen die Asienreise mit der Nationalmannschaft 2009, wie hat sich Neuer damals im Kreis der Mannschaft bewegt?

Köpke: Wir wollten Manu unbedingt dabeihaben, da wir wussten, was für ein großes Talent er ist. Es gab damals intern Diskussionen, da sich die U 21 zur gleichen Zeit in der Vorbereitung auf die U 21-EM befand. Matthias Sammer wollte, dass Manu bei der U 21 bleibt. Für uns war aber entscheidender, dass wir Manu bei uns erleben und er sein erstes Länderspiel bestreitet. Letztlich war diese Entscheidung für alle die Richtige: Nach der Asienreise mit der A-Mannschaft wurde er mit der U 21 auch noch Europameister!

DFB.de: Das Spiel gegen die Vereinigten Arabischen Emirate endete 7:2. Nach einem Bewerbungsschreiben für weitere Einsätze klingt das nicht.

Köpke: Zwei Gegentore im ersten Länderspiel wünscht sich kein Torwart, das stimmt. Manu hat dennoch ein richtig gutes Spiel gemacht. Er hat keine Nervosität gezeigt, war sehr präsent und hat Ruhe ausgestrahlt. Bei den Gegentoren war er machtlos. Es gab einige Situationen, in denen er sich auszeichnen konnte, er hat ein paar Bälle gehalten, die man nicht halten muss.

DFB.de: Dem ersten Spiel folgte 99 weitere, Neuer ist Weltmeister, fünfmaliger Welttorhüter, nicht wenige halten ihn für den Besten aller Zeiten. War eine solche Entwicklung schon vor zwölf Jahren zu ahnen?

Köpke: Uns war klar, was für ein riesiges Potenzial Manu hat - aber so eine Entwicklung kann man nicht wirklich vorhersehen. Es gibt so viele Faktoren, die Karrieren positiv und negativ beeinflussen können, Verletzungen, Entscheidungen bei Vereinswechseln. Es wäre vermessen, wenn ich behaupte, dass wir Manus Zukunft damals genauso prognostiziert hätten. Aber das in ihm das Talent für Außergewöhnliches steckt, das war schwer zu übersehen.

DFB.de: Welche Entscheidungen und Ereignisse waren für diese Entwicklung wesentlich?

Köpke: Für ihn war es mit Sicherheit kein Nachteil, dass wir ihn nach dem Ausfall von René Adler schon bei der WM in Südafrika zur Nummer eins gemacht haben. Dabei geht es weniger um das Torwartspezifische als um die Erfahrung, dem Druck standgehalten und auf der größtmöglichen Bühne seine Leistung abgerufen zu haben. Ich glaube ansonsten, dass er mit seinen Karriere-Entscheidungen viel richtig gemacht hat. Allen voran mit dem Wechsel zum FC Bayern. In München misst er sich täglich mit den Besten, muss sich gegen Robert Lewandowski und Thomas Müller beweisen und wird auf höchstem Niveau gefordert. Es ist doch klar, dass davon auch sein Spiel profitiert.

DFB.de: Wenn Sie den Torwart Neuer von 2009 mit dem von 2021 vergleichen, in welchen Bereichen hat er die größten Fortschritte gemacht?

Köpke: Schon 2009 war es so, dass er keine klaren Schwächen hatte, bei ihm war und ist die gesamte Bandbreite des Torhüterspiels abgedeckt. Aber natürlich hat er sich durch die vielen Spiele und Jahre insgesamt noch einmal gesteigert und auf ein neues Niveau gehoben. Die Erfahrung, die er nun hat, spielt dabei eine große Rolle, auch die Aura, die er mittlerweile ausstrahlt.

DFB.de: Die sportliche Entwicklung ist das eine, auf einem anderen Blatt steht die des Menschen. Wie fällt hier Ihr Vergleich zwischen 2009 und 2021 aus?

Köpke: Manu war und ist ein richtig guter Typ. Mit ihm kann man Spaß haben, mit ihm kann man nachdenklich sein, mit ihm kann man gut diskutieren. Aber natürlich hat er sich als Mensch weiterentwickelt. Ich glaube, dass er heute noch mehr als früher über den Tellerrand schaut und ein sehr interessierter Mensch ist. Es sagt viel über seinen Charakter, dass er schon früh eine eigene Stiftung gegründet hat und er sich dort mit viel persönlichen Einsatz einbringt. In dieses Bild fügt sich, dass er bei der Errichtung der der Stiftung der Mannschaft federführend war. Manu ist das Gegenteil von abgehoben, er nimmt sehr bewusst wahr, was rechts und links von ihm passiert. Als unser Kapitän hat er ein Gespür für Stimmungen in der Mannschaft, er erkennt die Bedürfnisse seiner Mitspieler, sein Umgang mit den jungen Spielern ist absolut vorbildlich.

DFB.de: Er hat viele überragende Spiele bei der Mannschaft gemacht. Können Sie ein Spiel benennen, bei dem seine Torhüterleistung aus Ihrer Sicht am stärksten war?

Köpke: Es ist fast unmöglich, das zu bewerten. Manuel hat sehr viele sehr starke Spiele gemacht. Ganz sicher gehört das Achtelfinale gegen Algerien bei der WM 2014 dazu. In diesem Spiel hat er grandiose Paraden gezeigt, tolle Reflexe, und er hat als Libero fungiert und häufig Situationen 30, 40 Meter vor dem Tor geklärt. In diesem Spiel hat er das moderne Torwartspiel geprägt, er hat gut antizipiert, hat das Spiel eröffnet, es war alles top. Ein Spiel wird nie von einem Spieler allein gewonnen, aber bei diesem Spiel war es so, dass Manu mit seiner Leistung der Mannschaft den Weg geebnet hat.

DFB.de: Sie arbeiten seit zwölf Jahren zusammen, kennen sich in- und auswendig. Gibt es dennoch Momente, in denen er Sie noch überrascht?

Köpke: Es gibt schon Situationen, bei denen ich mich frage, wie er das nun wieder gemacht hat. Und sonst? Überraschen ist das falsche Wort. Es ist eher so, dass es mich immer wieder beeindruckt, wie Manu sich auf die Spiele fokussieren kann. Er spielt mit hohem Risiko, dennoch hat man nie das Gefühl, das etwas schiefgehen kann. Seine Sicherheit überträgt er auf andere, auch auf mich. Das ist nicht mehr überraschend - aber immer wieder imponierend. Ansonsten herrscht zwischen uns mittlerweile ein fast blindes Verständnis. Viele Ding müssen wir gar nicht besprechen, ich weiß, wie er tickt, weiß, wann er auch mal seine Ruhe braucht.

DFB.de: Neuer ist nun der erste Torhüter, der 100 Länderspiele für Deutschland absolviert hat. Was trauen Sie ihm zu - welche Zahl steht bei seinen Länderspieleinsätzen, wenn er seine Kariere beendet hat?

Köpke: Diese Frage kann nur Manu beantworten. Stand jetzt ist er topfit und spielt auf höchstem Niveau. Ganz wichtig ist: Ihm macht es großen Spaß, in der Nationalmannschaft zu spielen. Solange dies so bleibt und sein Körper mitspielt, hat er gute Voraussetzungen für weitere gute Jahre.

[sl]

Als erster Torhüter Deutschlands hat Manuel Neuer die 100 durchbrochen, beim Auftakt in die EURO 2020 gegen Weltmeister Frankreich am Dienstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und auf MagentaTV) bestreitet der Welttorhüter sein 101. Länderspiel. Von Beginn an dabei war Andreas Köpke. Im DFB.de-Interview spricht der 59 Jahre alte Torwarttrainer der DFB-Auswahl über den gemeinsamen Weg und die besonderen Fähigkeiten der Nummer eins.

DFB.de: Herr Köpke, beim Länderspiel gegen Lettland haben Spieler und Betreuer ein Spalier für Manuel Neuer gebildet - es war sein 100. Auftritt für Deutschland. Wie emotional waren diese Momente für Sie?

Andreas Köpke: Mir ging es unter die Haut, diese Augenblicke waren sehr emotional. Auch Manu ging es so. Am Abend hat er intern noch eine Rede gehalten, dabei war zu merken, wie ergriffen er war. Ihn so zu erleben - das war schon besonders. Ich bin stolz auf ihn, stolz auf seine Entwicklung und brutal stolz darauf, ihn von seinem ersten bis zum 100. Länderspiel begleitet zu haben.

DFB.de: 100 Länderspiele beginnen mit dem ersten. Wie präsent ist Ihnen die Asienreise mit der Nationalmannschaft 2009, wie hat sich Neuer damals im Kreis der Mannschaft bewegt?

Köpke: Wir wollten Manu unbedingt dabeihaben, da wir wussten, was für ein großes Talent er ist. Es gab damals intern Diskussionen, da sich die U 21 zur gleichen Zeit in der Vorbereitung auf die U 21-EM befand. Matthias Sammer wollte, dass Manu bei der U 21 bleibt. Für uns war aber entscheidender, dass wir Manu bei uns erleben und er sein erstes Länderspiel bestreitet. Letztlich war diese Entscheidung für alle die Richtige: Nach der Asienreise mit der A-Mannschaft wurde er mit der U 21 auch noch Europameister!

DFB.de: Das Spiel gegen die Vereinigten Arabischen Emirate endete 7:2. Nach einem Bewerbungsschreiben für weitere Einsätze klingt das nicht.

Köpke: Zwei Gegentore im ersten Länderspiel wünscht sich kein Torwart, das stimmt. Manu hat dennoch ein richtig gutes Spiel gemacht. Er hat keine Nervosität gezeigt, war sehr präsent und hat Ruhe ausgestrahlt. Bei den Gegentoren war er machtlos. Es gab einige Situationen, in denen er sich auszeichnen konnte, er hat ein paar Bälle gehalten, die man nicht halten muss.

DFB.de: Dem ersten Spiel folgte 99 weitere, Neuer ist Weltmeister, fünfmaliger Welttorhüter, nicht wenige halten ihn für den Besten aller Zeiten. War eine solche Entwicklung schon vor zwölf Jahren zu ahnen?

Köpke: Uns war klar, was für ein riesiges Potenzial Manu hat - aber so eine Entwicklung kann man nicht wirklich vorhersehen. Es gibt so viele Faktoren, die Karrieren positiv und negativ beeinflussen können, Verletzungen, Entscheidungen bei Vereinswechseln. Es wäre vermessen, wenn ich behaupte, dass wir Manus Zukunft damals genauso prognostiziert hätten. Aber das in ihm das Talent für Außergewöhnliches steckt, das war schwer zu übersehen.

DFB.de: Welche Entscheidungen und Ereignisse waren für diese Entwicklung wesentlich?

Köpke: Für ihn war es mit Sicherheit kein Nachteil, dass wir ihn nach dem Ausfall von René Adler schon bei der WM in Südafrika zur Nummer eins gemacht haben. Dabei geht es weniger um das Torwartspezifische als um die Erfahrung, dem Druck standgehalten und auf der größtmöglichen Bühne seine Leistung abgerufen zu haben. Ich glaube ansonsten, dass er mit seinen Karriere-Entscheidungen viel richtig gemacht hat. Allen voran mit dem Wechsel zum FC Bayern. In München misst er sich täglich mit den Besten, muss sich gegen Robert Lewandowski und Thomas Müller beweisen und wird auf höchstem Niveau gefordert. Es ist doch klar, dass davon auch sein Spiel profitiert.

DFB.de: Wenn Sie den Torwart Neuer von 2009 mit dem von 2021 vergleichen, in welchen Bereichen hat er die größten Fortschritte gemacht?

Köpke: Schon 2009 war es so, dass er keine klaren Schwächen hatte, bei ihm war und ist die gesamte Bandbreite des Torhüterspiels abgedeckt. Aber natürlich hat er sich durch die vielen Spiele und Jahre insgesamt noch einmal gesteigert und auf ein neues Niveau gehoben. Die Erfahrung, die er nun hat, spielt dabei eine große Rolle, auch die Aura, die er mittlerweile ausstrahlt.

DFB.de: Die sportliche Entwicklung ist das eine, auf einem anderen Blatt steht die des Menschen. Wie fällt hier Ihr Vergleich zwischen 2009 und 2021 aus?

Köpke: Manu war und ist ein richtig guter Typ. Mit ihm kann man Spaß haben, mit ihm kann man nachdenklich sein, mit ihm kann man gut diskutieren. Aber natürlich hat er sich als Mensch weiterentwickelt. Ich glaube, dass er heute noch mehr als früher über den Tellerrand schaut und ein sehr interessierter Mensch ist. Es sagt viel über seinen Charakter, dass er schon früh eine eigene Stiftung gegründet hat und er sich dort mit viel persönlichen Einsatz einbringt. In dieses Bild fügt sich, dass er bei der Errichtung der der Stiftung der Mannschaft federführend war. Manu ist das Gegenteil von abgehoben, er nimmt sehr bewusst wahr, was rechts und links von ihm passiert. Als unser Kapitän hat er ein Gespür für Stimmungen in der Mannschaft, er erkennt die Bedürfnisse seiner Mitspieler, sein Umgang mit den jungen Spielern ist absolut vorbildlich.

DFB.de: Er hat viele überragende Spiele bei der Mannschaft gemacht. Können Sie ein Spiel benennen, bei dem seine Torhüterleistung aus Ihrer Sicht am stärksten war?

Köpke: Es ist fast unmöglich, das zu bewerten. Manuel hat sehr viele sehr starke Spiele gemacht. Ganz sicher gehört das Achtelfinale gegen Algerien bei der WM 2014 dazu. In diesem Spiel hat er grandiose Paraden gezeigt, tolle Reflexe, und er hat als Libero fungiert und häufig Situationen 30, 40 Meter vor dem Tor geklärt. In diesem Spiel hat er das moderne Torwartspiel geprägt, er hat gut antizipiert, hat das Spiel eröffnet, es war alles top. Ein Spiel wird nie von einem Spieler allein gewonnen, aber bei diesem Spiel war es so, dass Manu mit seiner Leistung der Mannschaft den Weg geebnet hat.

DFB.de: Sie arbeiten seit zwölf Jahren zusammen, kennen sich in- und auswendig. Gibt es dennoch Momente, in denen er Sie noch überrascht?

Köpke: Es gibt schon Situationen, bei denen ich mich frage, wie er das nun wieder gemacht hat. Und sonst? Überraschen ist das falsche Wort. Es ist eher so, dass es mich immer wieder beeindruckt, wie Manu sich auf die Spiele fokussieren kann. Er spielt mit hohem Risiko, dennoch hat man nie das Gefühl, das etwas schiefgehen kann. Seine Sicherheit überträgt er auf andere, auch auf mich. Das ist nicht mehr überraschend - aber immer wieder imponierend. Ansonsten herrscht zwischen uns mittlerweile ein fast blindes Verständnis. Viele Ding müssen wir gar nicht besprechen, ich weiß, wie er tickt, weiß, wann er auch mal seine Ruhe braucht.

DFB.de: Neuer ist nun der erste Torhüter, der 100 Länderspiele für Deutschland absolviert hat. Was trauen Sie ihm zu - welche Zahl steht bei seinen Länderspieleinsätzen, wenn er seine Kariere beendet hat?

Köpke: Diese Frage kann nur Manu beantworten. Stand jetzt ist er topfit und spielt auf höchstem Niveau. Ganz wichtig ist: Ihm macht es großen Spaß, in der Nationalmannschaft zu spielen. Solange dies so bleibt und sein Körper mitspielt, hat er gute Voraussetzungen für weitere gute Jahre.

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