Knobloch: "Der Sport lehrt, jeder kann sich einbringen"

Wie kann der Fußball gesellschaftliche Akzente setzen? Wie kann der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seine Möglichkeiten einsetzen, um soziales Engagement zu zeigen? Anlässlich der Verleihung des Julius Hirsch Preises, einer vom DFB gestifteten Auszeichnung für couragiertes Auftreten gegen Rassismus und Antisemitismus, unterhielt sich DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth im "DFB.de-Gespräch der Woche" mit Charlotte Knobloch und Gül Keskinler über die Möglichkeiten, mit dem Massenphänomen Fußball sozial etwas zu bewirken.

Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, die Münchnerin Charlotte Knobloch (74), hielt in Duisburg die Laudatio auf die Sieger des Julius Hirsch Preises 2006. Die in Istanbul geborene Gül Keskinler (43) wurde im Dezember 2006 zur Integrationsbeauftragten des DFB benannt.

Frage: Frau Knobloch, Sie sitzen in der Jury des Julius Hirsch Preises. Wieso engagieren Sie sich für diesen vom DFB gestifteten Preis? Und warum fiel das Votum auf die Fanprojekte aus Dortmund und Gelsenkirchen?

Charlotte Knobloch: Ich liebe den Fußball. Ich gehe begeistert ins Stadion und würde mir am liebsten jedes Spiel anschauen, wobei mein Herz rot-blau schlägt. Ich unterstütze also 1860 und den FC Bayern München. Die Bayern waren 2005 die ersten Preisträger des Julius Hirsch Preises. Sie wurden damals für die Ausrichtung eines Jugendspiels mit einer israelisch-palästinensischen Mannschaft geehrt. Den Geldpreis von Euro 20.000 hat der FC Bayern München damals an die israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern überwiesen. So kam auch der erste Kontakt zustande. Unsere beiden Fangruppen in diesem Jahr, das Dortmunder Fanprojekt und die Gelsenkirchner Faninitiative „Dem Ball is’ egal, wer ihn tritt“, sind ideale Preisträger für den Julius Hirsch Preis 2006. Beide haben im Rahmen der WM antirassistische Aktionen durchgeführt. Mir hat insbesondere gefallen, dass beide Projekte den Schwerpunkt auf die Jugendarbeit gelegt haben. Dafür sind die Projekt-Mitarbeiter in die Jugendzentren, Vereine und Schulen gegangen.

Frage: Ist der Fußball das passende Vehikel, um soziale Themen zu transportieren?

Knobloch: Der Zentralrat der Juden prüft immer wieder, was wir tun können, um Bewusstsein zu entwickeln. Unsere Aufgabe ist es, im Dialog mit den politischen Vertretern gegen auftauchenden Antisemitismus vorzugehen. Der Sport spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt werden sich die Leute gerade durch den Sport wieder bewusst, dass sie in einem Land leben, in dem sich jeder einsetzen und einbringen kann. Diese Erfahrung kann nicht überbewertet werden.

Frage: Frau Keskinler, was kann die Integrationsbeauftragte des DFB bewirken?

Gül Keskinler: Sehr viel. Mit seinen 6,5 Millionen Mitgliedern und 26.000 Vereinen verfügt der Deutsche Fußball-Bund über ein großes Potenzial, den Integrationsprozess weiter nach vorne zu treiben.

Frage: Im Rahmen des Länderspiels gegen Dänemark in Duisburg wurde der Julius Hirsch Preis des DFB überreicht, eine Auszeichnung gegen Rassismus und Intoleranz. Auch hier verfolgt der DFB ein gesellschaftliches Anliegen. Ist der Fußball das passende Medium, um soziale Themen anzusprechen und vielleicht sogar gesellschaftliche Konflikte zu entschärfen?

Keskinler: Fußball vermittelt wichtige Werte wie etwa den fairen Umgang miteinander oder die Wichtigkeit des Teamgedanken, dass man dem anderen helfen kann und dass einem auch selbst mal geholfen wird. Fußball ist der Massensport in Deutschland und erreicht viel mehr Menschen als alle anderen Sportarten. Dass viele jugendliche talentierte Deutsche mit Migrationshintergrund in die DFB-Auswahlmannschaften berufen werden, ist ein starkes Zeichen. Wir werden anerkannt, wir werden aufgenommen, wir werden gefördert – das sind die Botschaften.

Frage: Bitte nennen Sie uns einige Eckdaten zur Integration ausländischer Mitbürger in Deutschland.

Keskinler: Insgesamt haben wir landesweit einen Ausländeranteil von zwölf Prozent. In den Großräumen wie etwa rund um Frankfurt, Duisburg, Stuttgart und München, liegt der Anteil wesentlich höher. In einigen Stadtteilen Frankfurts haben wir über 40 Prozent Bürger mit einem Migrationshintergrund. Im Jahr 2010 wird jedes zweite Kind in den Ballungsgebieten eine nicht-deutsche Herkunft haben. Gesellschaftlich haben wir also längst eine Interkulturalität. Der Begriff der Minderheit wird fragwürdig. Damit müssen wir lernen umzugehen.

Frage: Frau Knobloch, Deutschland hat für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft auch international viel Applaus bekommen. Auch den Ihren?

Knobloch: Aber sicher. Die Toleranz für andere Kulturen, das neugierige Aufeinanderzugehen, ist für unser Leben wichtig, nicht nur während einer Fußball-Weltmeisterschaft. Aber im Sommer 2006 war diese Stimmung überall in Deutschland zu spüren. Auf den Fan-Festen trafen Menschen aus aller Welt zusammen, und alle haben friedlich miteinander gefeiert. Das kann nur der Sport bewirken. Veranstaltungen, Organisationen, wir alle müssen Gesicht zeigen und Vorbilder schaffen.

Frage: Frau Keskinler, wie haben Sie die FIFA WM 2006 erlebt?

Keskinler: Gerade während der WM ist man immer wieder mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen zusammen gekommen. Es war wirklich ein Fest der Nationen. Ein Freund aus der Türkei hat in seinem Leben zweimal Köln besucht: einmal während der Karnevalszeit und einmal während der WM. Der meint jetzt, die Deutschen würden pausenlos feiern. Sein Bild von den Deutschen als zielorientierte, distanzierte und pünktliche Menschen wurde völlig auf den Kopf gestellt. Die WM war wirklich eine Werbung für das Land. Die türkische Zeitung Samant hat während der WM mit jeder Ausgabe kleine deutsche Fähnchen verteilt. Die Politik könnte eine solche Bewegung in der Bevölkerung nicht auslösen. Nur der Fußball kann so emotional aufrütteln.

Frage: Frau Knobloch, ausgelöst durch die WM wird viel von einem neuen, leichten und unverkrampften Patriotismus geredet. War’s Ihnen im vergangenen Sommer zuviel Fahnenschwenken?

Knobloch: Überhaupt nicht. Diese Haltung, hinter jeder Entwicklung ein Problem zu sehen, gefällt mir überhaupt nicht. Während der WM haben viele Menschen fröhlich gefeiert und waren stolz auf ihr Heimatland. Warum sollte daran etwas falsch sein? Wichtig bleibt: Wir müssen in der Gegenwart, aber mit einem Bewusstsein für die Vergangenheit leben, und dabei die Zukunft gestalten. Wobei die jungen Menschen keine Schuld tragen an der Vergangenheit - aber ich bürde ihnen schon die Verantwortung auf, wach und kritisch zu sein, also Gesicht zu zeigen.

Frage: Betrachten Sie die rechtsradikalen Gruppierungen rund um den Fußball, die immer wieder mal zu sehen sind, mit Sorge?

Knobloch: Mit Wachsamkeit. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die rechten Rädelsführer neue Nischen suchen. Prügel und Hass, nur weil Menschen einen anderen Gott anbeten oder eine andere Hautfarbe haben, das dürfen wir nicht zulassen. Randalierer haben nichts mit dem Fußball zu tun. Fans fiebern dem Spiel entgegen, nicht der Schlägerei.

Frage: In München hat die Jüdische Gemeinde die neue Synagoge und vor wenigen Wochen das neue Museum eröffnet. Sind Sie mit der Resonanz zufrieden?

Knobloch: Das ist ja das Schöne, das nicht nur die Gebäude stehen. In den ersten Wochen nach Eröffnung der Synagoge und des Museums sind wir buchstäblich überrannt worden. Die Leute stauen sich an den Türen. Akzeptanz und Begeisterung sind enorm. Das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft.

Frage: Dr. Theo Zwanziger hat mit dem Beginn seiner Präsidentschaft beim DFB eine Reihe gesellschaftlicher Themen auf die Agenda gesetzt, unter anderem die Integration. Wie wichtig ist seine Unterstützung für ihre Arbeit, Frau Keskinler?

Keskinler: Nur weil Theo Zwanziger diese Weitsicht und erkannt hat, dass diese Arbeit von einer Person mit Migrationshintergrund gemacht werden muss, sitze ich heute hier. Hätte ich keine Rückendeckung vom Präsidium, könnte ich in dieser großen Organisation DFB nichts bewirken. Dann wäre meine Arbeit nur Alibi.

Frage: Der Präsident des DFB steht auf Ihrer Seite. Aber wie schaut es aus mit den Fußballfans? Wenn Sie für die Kirche oder die Gewerkschaft arbeiten würden, hätten Sie für Ihre Botschaft der Ausländerintegration sicher ein offenes und empfängliches Publikum. Finden Sie bei Fußballfans offene Ohren?

Keskinler: Die Ausländerfrage wird immer sehr emotional diskutiert, egal in welcher Institution. Auch bei der Kirche würde ich mit meiner Arbeit auf Fürsprecher wie auf Kritiker treffen.

Frage: Sie fühlen sich von den Landesverbänden des DFB ausreichend unterstützt?

Keskinler: Nach 100 Tagen ehrenamtlicher Tätigkeit stehe ich noch ganz am Anfang. Natürlich muss ich bei den Vorständen der Landesverbände das Thema platzieren. Ich werde nicht immer auf Zustimmung treffen, aber die Diskussion ist sehr wichtig. Wenn wir die ersten Module installieren, die ersten Schulungen beginnen, fängt die richtige Arbeit an.

Frage: Muss sich die deutsche Gesellschaft weiter öffnen, oder müssen die ausländischen Bürger sich auch kulturell mehr eingliedern?

Keskinler: Integration kann nur heißen, dass wir aufeinander zu gehen. Migration hat bereits Ende der sechziger Jahren angefangen, und dennoch bestehen immer noch große Missverständnisse. Der Islam mit seinen Werten ist ein Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Natürlich steht die Wertevorstellung der einheimischen Bevölkerung im Vordergrund, aber die traditionellen Werte der Einwanderer müssen genauso beachtet werden. Wir müssen die Kinder- und Jugendtrainer, Schiedsrichter und Sportgerichte mit interkulturellen Sensibilisierungsschulungen stark machen für ihre Arbeit. Gleichzeitig müssen wir die Zugewanderten bitten, sich zunehmend ehrenamtlich in den Strukturen des DFB zu engagieren.

Frage: Frau Knobloch, was trauen Sie dem israelischen Fußball zu?

Knobloch: Unsere Nationalmannschaft zeigt eine starke Qualifikationsrunde für die EURO 2008. Auf Vereinsebene tun wir uns schwer. Unsere Klubs spielen halt doch im Vergleich zu Deutschland oder England auf Amateurebene.

Frage: Und wie schaut es mit Ihrem Fußballinteresse aus, Frau Keskinler?

Keskinler: Als Kölnerin muss man ja bekanntlich Fan des 1. FC Köln sein. Und als Neu-Frankfurterin drücke ich der Eintracht die Daumen. Vor unserem Heimspiel gegen die Bayern habe ich in meiner großen fußballerischen Naivität einen Sieg der Eintracht vorhergesagt. Alle habe mich belächelt. Nach dem 1:0 habe ich dann aber eine Rund-SMS schicken können und lachen können.

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Wie kann der Fußball gesellschaftliche Akzente setzen? Wie kann der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seine Möglichkeiten einsetzen, um soziales Engagement zu zeigen? Anlässlich der Verleihung des Julius Hirsch Preises, einer vom DFB gestifteten Auszeichnung für couragiertes Auftreten gegen Rassismus und Antisemitismus, unterhielt sich DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth im "DFB.de-Gespräch der Woche" mit Charlotte Knobloch und Gül Keskinler über die Möglichkeiten, mit dem Massenphänomen Fußball sozial etwas zu bewirken.

Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, die Münchnerin Charlotte Knobloch (74), hielt in Duisburg die Laudatio auf die Sieger des Julius Hirsch Preises 2006. Die in Istanbul geborene Gül Keskinler (43) wurde im Dezember 2006 zur Integrationsbeauftragten des DFB benannt.

Frage: Frau Knobloch, Sie sitzen in der Jury des Julius Hirsch Preises. Wieso engagieren Sie sich für diesen vom DFB gestifteten Preis? Und warum fiel das Votum auf die Fanprojekte aus Dortmund und Gelsenkirchen?

Charlotte Knobloch: Ich liebe den Fußball. Ich gehe begeistert ins Stadion und würde mir am liebsten jedes Spiel anschauen, wobei mein Herz rot-blau schlägt. Ich unterstütze also 1860 und den FC Bayern München. Die Bayern waren 2005 die ersten Preisträger des Julius Hirsch Preises. Sie wurden damals für die Ausrichtung eines Jugendspiels mit einer israelisch-palästinensischen Mannschaft geehrt. Den Geldpreis von Euro 20.000 hat der FC Bayern München damals an die israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern überwiesen. So kam auch der erste Kontakt zustande. Unsere beiden Fangruppen in diesem Jahr, das Dortmunder Fanprojekt und die Gelsenkirchner Faninitiative „Dem Ball is’ egal, wer ihn tritt“, sind ideale Preisträger für den Julius Hirsch Preis 2006. Beide haben im Rahmen der WM antirassistische Aktionen durchgeführt. Mir hat insbesondere gefallen, dass beide Projekte den Schwerpunkt auf die Jugendarbeit gelegt haben. Dafür sind die Projekt-Mitarbeiter in die Jugendzentren, Vereine und Schulen gegangen.

Frage: Ist der Fußball das passende Vehikel, um soziale Themen zu transportieren?

Knobloch: Der Zentralrat der Juden prüft immer wieder, was wir tun können, um Bewusstsein zu entwickeln. Unsere Aufgabe ist es, im Dialog mit den politischen Vertretern gegen auftauchenden Antisemitismus vorzugehen. Der Sport spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt werden sich die Leute gerade durch den Sport wieder bewusst, dass sie in einem Land leben, in dem sich jeder einsetzen und einbringen kann. Diese Erfahrung kann nicht überbewertet werden.

Frage: Frau Keskinler, was kann die Integrationsbeauftragte des DFB bewirken?

Gül Keskinler: Sehr viel. Mit seinen 6,5 Millionen Mitgliedern und 26.000 Vereinen verfügt der Deutsche Fußball-Bund über ein großes Potenzial, den Integrationsprozess weiter nach vorne zu treiben.

Frage: Im Rahmen des Länderspiels gegen Dänemark in Duisburg wurde der Julius Hirsch Preis des DFB überreicht, eine Auszeichnung gegen Rassismus und Intoleranz. Auch hier verfolgt der DFB ein gesellschaftliches Anliegen. Ist der Fußball das passende Medium, um soziale Themen anzusprechen und vielleicht sogar gesellschaftliche Konflikte zu entschärfen?

Keskinler: Fußball vermittelt wichtige Werte wie etwa den fairen Umgang miteinander oder die Wichtigkeit des Teamgedanken, dass man dem anderen helfen kann und dass einem auch selbst mal geholfen wird. Fußball ist der Massensport in Deutschland und erreicht viel mehr Menschen als alle anderen Sportarten. Dass viele jugendliche talentierte Deutsche mit Migrationshintergrund in die DFB-Auswahlmannschaften berufen werden, ist ein starkes Zeichen. Wir werden anerkannt, wir werden aufgenommen, wir werden gefördert – das sind die Botschaften.

Frage: Bitte nennen Sie uns einige Eckdaten zur Integration ausländischer Mitbürger in Deutschland.

Keskinler: Insgesamt haben wir landesweit einen Ausländeranteil von zwölf Prozent. In den Großräumen wie etwa rund um Frankfurt, Duisburg, Stuttgart und München, liegt der Anteil wesentlich höher. In einigen Stadtteilen Frankfurts haben wir über 40 Prozent Bürger mit einem Migrationshintergrund. Im Jahr 2010 wird jedes zweite Kind in den Ballungsgebieten eine nicht-deutsche Herkunft haben. Gesellschaftlich haben wir also längst eine Interkulturalität. Der Begriff der Minderheit wird fragwürdig. Damit müssen wir lernen umzugehen.

Frage: Frau Knobloch, Deutschland hat für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft auch international viel Applaus bekommen. Auch den Ihren?

Knobloch: Aber sicher. Die Toleranz für andere Kulturen, das neugierige Aufeinanderzugehen, ist für unser Leben wichtig, nicht nur während einer Fußball-Weltmeisterschaft. Aber im Sommer 2006 war diese Stimmung überall in Deutschland zu spüren. Auf den Fan-Festen trafen Menschen aus aller Welt zusammen, und alle haben friedlich miteinander gefeiert. Das kann nur der Sport bewirken. Veranstaltungen, Organisationen, wir alle müssen Gesicht zeigen und Vorbilder schaffen.

Frage: Frau Keskinler, wie haben Sie die FIFA WM 2006 erlebt?

Keskinler: Gerade während der WM ist man immer wieder mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen zusammen gekommen. Es war wirklich ein Fest der Nationen. Ein Freund aus der Türkei hat in seinem Leben zweimal Köln besucht: einmal während der Karnevalszeit und einmal während der WM. Der meint jetzt, die Deutschen würden pausenlos feiern. Sein Bild von den Deutschen als zielorientierte, distanzierte und pünktliche Menschen wurde völlig auf den Kopf gestellt. Die WM war wirklich eine Werbung für das Land. Die türkische Zeitung Samant hat während der WM mit jeder Ausgabe kleine deutsche Fähnchen verteilt. Die Politik könnte eine solche Bewegung in der Bevölkerung nicht auslösen. Nur der Fußball kann so emotional aufrütteln.

Frage: Frau Knobloch, ausgelöst durch die WM wird viel von einem neuen, leichten und unverkrampften Patriotismus geredet. War’s Ihnen im vergangenen Sommer zuviel Fahnenschwenken?

Knobloch: Überhaupt nicht. Diese Haltung, hinter jeder Entwicklung ein Problem zu sehen, gefällt mir überhaupt nicht. Während der WM haben viele Menschen fröhlich gefeiert und waren stolz auf ihr Heimatland. Warum sollte daran etwas falsch sein? Wichtig bleibt: Wir müssen in der Gegenwart, aber mit einem Bewusstsein für die Vergangenheit leben, und dabei die Zukunft gestalten. Wobei die jungen Menschen keine Schuld tragen an der Vergangenheit - aber ich bürde ihnen schon die Verantwortung auf, wach und kritisch zu sein, also Gesicht zu zeigen.

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Frage: Betrachten Sie die rechtsradikalen Gruppierungen rund um den Fußball, die immer wieder mal zu sehen sind, mit Sorge?

Knobloch: Mit Wachsamkeit. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die rechten Rädelsführer neue Nischen suchen. Prügel und Hass, nur weil Menschen einen anderen Gott anbeten oder eine andere Hautfarbe haben, das dürfen wir nicht zulassen. Randalierer haben nichts mit dem Fußball zu tun. Fans fiebern dem Spiel entgegen, nicht der Schlägerei.

Frage: In München hat die Jüdische Gemeinde die neue Synagoge und vor wenigen Wochen das neue Museum eröffnet. Sind Sie mit der Resonanz zufrieden?

Knobloch: Das ist ja das Schöne, das nicht nur die Gebäude stehen. In den ersten Wochen nach Eröffnung der Synagoge und des Museums sind wir buchstäblich überrannt worden. Die Leute stauen sich an den Türen. Akzeptanz und Begeisterung sind enorm. Das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft.

Frage: Dr. Theo Zwanziger hat mit dem Beginn seiner Präsidentschaft beim DFB eine Reihe gesellschaftlicher Themen auf die Agenda gesetzt, unter anderem die Integration. Wie wichtig ist seine Unterstützung für ihre Arbeit, Frau Keskinler?

Keskinler: Nur weil Theo Zwanziger diese Weitsicht und erkannt hat, dass diese Arbeit von einer Person mit Migrationshintergrund gemacht werden muss, sitze ich heute hier. Hätte ich keine Rückendeckung vom Präsidium, könnte ich in dieser großen Organisation DFB nichts bewirken. Dann wäre meine Arbeit nur Alibi.

Frage: Der Präsident des DFB steht auf Ihrer Seite. Aber wie schaut es aus mit den Fußballfans? Wenn Sie für die Kirche oder die Gewerkschaft arbeiten würden, hätten Sie für Ihre Botschaft der Ausländerintegration sicher ein offenes und empfängliches Publikum. Finden Sie bei Fußballfans offene Ohren?

Keskinler: Die Ausländerfrage wird immer sehr emotional diskutiert, egal in welcher Institution. Auch bei der Kirche würde ich mit meiner Arbeit auf Fürsprecher wie auf Kritiker treffen.

Frage: Sie fühlen sich von den Landesverbänden des DFB ausreichend unterstützt?

Keskinler: Nach 100 Tagen ehrenamtlicher Tätigkeit stehe ich noch ganz am Anfang. Natürlich muss ich bei den Vorständen der Landesverbände das Thema platzieren. Ich werde nicht immer auf Zustimmung treffen, aber die Diskussion ist sehr wichtig. Wenn wir die ersten Module installieren, die ersten Schulungen beginnen, fängt die richtige Arbeit an.

Frage: Muss sich die deutsche Gesellschaft weiter öffnen, oder müssen die ausländischen Bürger sich auch kulturell mehr eingliedern?

Keskinler: Integration kann nur heißen, dass wir aufeinander zu gehen. Migration hat bereits Ende der sechziger Jahren angefangen, und dennoch bestehen immer noch große Missverständnisse. Der Islam mit seinen Werten ist ein Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Natürlich steht die Wertevorstellung der einheimischen Bevölkerung im Vordergrund, aber die traditionellen Werte der Einwanderer müssen genauso beachtet werden. Wir müssen die Kinder- und Jugendtrainer, Schiedsrichter und Sportgerichte mit interkulturellen Sensibilisierungsschulungen stark machen für ihre Arbeit. Gleichzeitig müssen wir die Zugewanderten bitten, sich zunehmend ehrenamtlich in den Strukturen des DFB zu engagieren.

Frage: Frau Knobloch, was trauen Sie dem israelischen Fußball zu?

Knobloch: Unsere Nationalmannschaft zeigt eine starke Qualifikationsrunde für die EURO 2008. Auf Vereinsebene tun wir uns schwer. Unsere Klubs spielen halt doch im Vergleich zu Deutschland oder England auf Amateurebene.

Frage: Und wie schaut es mit Ihrem Fußballinteresse aus, Frau Keskinler?

Keskinler: Als Kölnerin muss man ja bekanntlich Fan des 1. FC Köln sein. Und als Neu-Frankfurterin drücke ich der Eintracht die Daumen. Vor unserem Heimspiel gegen die Bayern habe ich in meiner großen fußballerischen Naivität einen Sieg der Eintracht vorhergesagt. Alle habe mich belächelt. Nach dem 1:0 habe ich dann aber eine Rund-SMS schicken können und lachen können.