Kemme: "Ich bereue nichts, ich fühle mich komplett rein"

Karriereende, Knorpelschaden, Corona - Tabea Kemme hat viele Themen, die sie derzeit beschäftigen. Im DFB.de-Interview spricht die 47-malige deutsche Nationalspielerin über alle Aspekte. Und die 28 Jahre alte Olympiasiegerin von 2016 verrät, worauf sie sich nun freut.

DFB.de: Tabea Kemme, das Coronavirus bestimmt gerade unser Leben. Wie gehen Sie als Polizistin damit um?

Tabea Kemme: Im Moment bin ich wegen meines Knorpelschadens noch krankgeschrieben und deshalb nicht im Dienst. Aber natürlich hat Corona gerade auch Einfluss auf mein Leben. Eigentlich sollte ich derzeit in der Reha in Berlin sein. Da ich jedoch keine Notfallpatientin bin, wird mein Platz derzeit für andere Personen freigehalten. Ich mache meine Reha deshalb im Moment auf dem Hof bei meinen Eltern. Wir sind hier so weit abgelegen, dass Corona bei uns zum Glück nur ein Thema ist, wenn wir die Nachrichten anschalten. Dennoch ist es für uns alle auch sehr belastend, die schlimmen Informationen aus der ganzen Welt zu bekommen.

DFB.de: Hatten Sie zuletzt mal Kontakt mit Polizeikollegen?

Kemme: Ja, eine meiner besten Freundinnen ist derzeit im Dienst unterwegs. Was ich dort an Feedback bekommen habe, macht mich teilweise fassungslos. Vor zwei Wochen mussten sie sechs oder sieben Hauspartys auflösen. Da frage ich mich natürlich, ob die Menschen den Ernst der Lage nicht erkannt haben. Zuletzt hat sich die Situation wohl entspannt, und die meisten folgen wirklich den Anweisungen. So muss es sein. Nur gemeinsam können wir diese Krise meistern.

DFB.de: Ist es schon absehbar, wann Sie in den Dienst zurückkehren werden?

Kemme: Nein, soweit sind wir noch nicht. Ich muss zunächst zusehen, wieder richtig gesund zu werden und das Knie zu stabilisieren. Ich bin auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel. Mein Knie muss sich jetzt noch an die normale Alltagsbelastung gewöhnen. Ich versuche, die Belastung zu steigern, so weit es geht. Kürzlich war ich 20 Minuten joggen, das hat super funktioniert. Den nächsten Lauf musste ich dann abbrechen, weil ich Schmerzen hatte. Gestern war ich 25 Minuten im Wald unterwegs, das hat wieder problemlos geklappt. Es ist im Moment ein Auf und Ab. Ich muss mich selbst disziplinieren und darf nicht zu ungeduldig sein. Teilweise muss ich die Belastung herunterfahren, um mein Knie nicht zu überfordern.

DFB.de: Und wie klappt es im Alltag?

Kemme: Da habe ich kaum noch Probleme. Ich muss jetzt noch dahin kommen, dass ich Bewegungen auch unüberlegt machen kann, ohne direkt Schmerzen zu haben. Wenn ich die Kontrolle über meinen Körper habe, ist alles gut. Wenn aber etwas Unvorhergesehenes passiert, wenn ich zum Beispiel in ein Loch trete oder zu schnell die Richtung wechsele, dann habe ich noch Probleme. Ich muss dranbleiben und die Muskulatur an den entscheidenden Stellen aufbauen, damit der Knorpel entlastet wird.

DFB.de: Sie waren mehr als 15 Jahre mit Leib und Seele Fußballerin…

Kemme: …ja, das volle Programm.

DFB.de: Wie schwer war es für Sie, Ihre Karriere wegen einer Verletzung zu beenden?

Kemme: So ein Ende wünscht sich keine Spielerin. Das ist mal sicher. Ich bin aber nie in ein Loch gefallen, weil ich mir persönlich schon früh einen sehr genauen Plan überlegt hatte. Direkt nach dem Abitur war für mich klar, dass ich mir ein zweites Standbein aufbauen muss, um nicht nur auf die Karte Fußball zu setzen. Das kommt mir heute total zugute. Ich wollte dafür sorgen, dass mich irgendetwas auffängt, falls ich ungeplant meine Karriere beenden muss. Und genauso ist es jetzt gekommen. Es scheint fast so, als hätte ich es damals vorhergesehen. Ich bin glücklich darüber, bald als Polizistin arbeiten zu können. Das ist eine super Perspektive, ich freue mich darauf.

DFB.de: Wie war der Tag, an dem Sie für sich entschieden haben, dass es mit dem Fußball keinen Sinn mehr macht?

Kemme: Es war ein Tag der Befreiung für mich. Ich habe mich lange gequält und gedanklich verschiedene Szenarien durchgespielt. Ich hatte erst kurz darauf einen Termin bei meinem Doktor, der mir erklärt hat, dass er diesen Beschluss für richtig hält. Ich wollte vermeiden, dass der Arzt die Entscheidung trifft. Ich wollte das selbst bestimmen, das war mir wichtig.

DFB.de: Wie war es dann, diesen Entschluss öffentlich zu kommunizieren?

Kemme: Das war einer der schwersten und emotionalsten Schritte in meinem Leben.

DFB.de: Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Kemme: Ich habe immer wieder überlegt, wie ich es sagen werde. Die drei Tage vor der Verkündung habe ich kaum gegessen und sehr schlecht geschlafen.

DFB.de: Und dann?

Kemme: In dem Moment, in dem ich mich vor die Mannschaft gestellt habe, ist eine Last von mir gefallen. Es war wie eine Befreiung. Erst habe ich es gegenüber meinen Mitspielerinnen beim FC Arsenal verkündet. Ich habe 14 Jahre Fußball gespielt, ich habe für diesen Sport gebrannt, ich habe ihm vieles untergeordnet, er war ein extrem wichtiger Teil meines Lebens. Von heute auf morgen war all das auf einmal weg. Plötzlich hatte ich viel Zeit. Ich musste nicht lernen, die freien Tage zu genießen. Das kann ich, mit dieser Fähigkeit bin ich auf die Welt gekommen. Ich musste lernen, wie ich die schlechten Tage zu managen weiß. Das war mein großes Problem. Für mich stand nie der Fußball an erster Stelle, sondern immer das Leben. Trotzdem kann ich mir nichts vorwerfen. Ich habe immer alles dafür gegeben, das Comeback zu schaffen. Aber mein Körper hat nicht mitgemacht. Deshalb mache ich mir keinerlei Vorwürfe. Ich bereue nichts, ich fühle mich komplett rein.

DFB.de: Wie war das Feedback?

Kemme: Überwältigend. Vor allem aus dem Lager von Turbine Potsdam. Dort bin ich erwachsen geworden. Auch von den Fans habe ich viel Zuspruch bekommen. Das hat unfassbar gut getan und mich in meiner Entscheidung bestärkt. Außerdem hat es mir gezeigt, dass ich in meiner Karriere offenbar vieles richtig gemacht habe. Sonst hätte ich diese Anerkennung wahrscheinlich nicht bekommen.

DFB.de: Gab es keine Chance, dass Knie noch mal fit für den Profifußball zu bekommen?

Kemme: Nein, das haben die vergangenen Wochen und Monate sehr deutlich gezeigt. Mein Spiel war immer sehr physisch. Ich bin nicht mehr in der Lage, bei höchster Belastung zu spielen. Ich kann nicht mehr aus vollem Sprint extrem abbremsen. Das sind beim Fußball wichtige Faktoren. Wenn ich es trotzdem gemacht habe, hatte ich hinterher riesige Probleme, so dass ich sogar Schmerztabletten nehmen musste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Es hat keinen Sinn mehr. Ich tue meinem Körper damit keinen Gefallen. Ich höre auf!

DFB.de: Wie haben Sie die Zeit beim FC Arsenal erlebt?

Kemme: Sehr lehrreich. Leider habe ich wegen meiner Verletzung kaum für Arsenal auf dem Platz stehen können. Es war immer mein Wunsch, dass ich über den Fußball den Schritt ins Ausland schaffe. Diesen Traum konnte ich mir erfüllen. Sportlich war es kompliziert für mich, weil ich dem Verein nicht helfen konnte. Aber persönlich nehme ich sehr viel mit - sprachlich, kulturell, auch sportlich.

DFB.de: Wie war es denn sportlich dort?

Kemme: Ich habe dort noch mal eine ganz andere Trainingsphilosophie kennengelernt. Ich kann jetzt viel besser über Dinge urteilen, weil ich einen Vergleich habe. Es ist schade, dass ich so selten im Mannschaftstraining dabei sein konnte. Aber wenn ich mit dem Team auf dem Platz stehen konnte, war es perfekt.

DFB.de: Beim Rückblick auf Ihre Karriere sticht natürlich die Zeit bei Turbine Potsdam heraus.

Kemme: Dem Verein verdanke ich sehr viel. Mit Turbine konnten wir die Champions League gewinnen, viel mehr geht im Frauen-Vereinsfußball nicht. Ich bin mit 14 Jahren nach Potsdam gegangen und habe mit 16 Jahren mein Debüt in der Bundesliga gefeiert. Bernd Schröder war dort unser Trainer. Und jeder, der ihn ein wenig kennt, kann gut beurteilen, was das bedeutet. Er hat mich geformt. Es war eine harte und lehrreiche Schule. Ich habe es durchgezogen und bin dafür belohnt worden. Darauf bin ich stolz.

DFB.de: Auch mit der Nationalmannschaft haben Sie große Erfolge gefeiert.

Kemme: Da war ich eine Spätstarterin. 2010 war ich erstmals zu einem Lehrgang eingeladen, aber erst 2013 habe ich mein Debüt gefeiert. Es war großartig für mich. Jedes Länderspiel war für mich eine Ehre. Am Ende sind es 47 Partien für die A-Nationalmannschaft geworden. Vielleicht hätten es mehr werden können, aber ich war nie ausschließlich auf Fußball fokussiert. Mich interessieren zu viele Dinge, um mein Leben nur einer Sache zu widmen. Fußball ist nicht mein Leben, Fußball ist ein Teil meines Lebens und wird es auch bleiben. Es gibt noch so viele andere schöne Dinge auf dieser Welt. Eigentlich bräuchte ich sieben Leben, um all die Sachen zu machen, die ich gerne erleben würde. Ich habe Fußball nie als meinen Beruf angesehen, sondern als Berufung. Das kann man mir vorwerfen, ich habe es als eine persönliche Stärke gesehen. Das war ein Leitfaden, nach dem ich gelebt habe. Wenn ich noch mal in der Situation wäre, würde ich es genauso wieder machen.

DFB.de: Was sind nun Ihre nächsten Ziele, die Sie verfolgen werden, wenn das Coronavirus es zulässt?

Kemme: Ich weiß es noch nicht. Mein nächstes Ziel ist es jetzt erst mal, wieder in den Polizeiberuf zurückzukehren. Als Mannschaftssportlerin bin ich sehr verwöhnt. Ich hatte Menschen um mich herum, die alle dasselbe Ziel verfolgt haben, wie ich auch. Wir wollten gewinnen und Erfolge feiern. Wir haben immer an einem Strang gezogen. Ich bin gespannt, wie das im Berufsleben wird. Ich werde dort sicher nicht so verwöhnt werden, wie ich es gewohnt war.

DFB.de: Werden Sie dem Fußball treu bleiben?

Kemme: Ja, ganz sicher. Aber man wird mich bestimmt nicht als Trainerin an der Seitenlinie sehen. Dafür bin ich nicht der Typ, dafür bin ich zu ungeduldig. Ich denke, dass ich im Fußball fast alles erlebt habe, was man erleben kann. Ich möchte gerne meine Wissen weitergeben und den Frauenfußball in Deutschland voranbringen. Dazu sehe ich mich in der Pflicht. Wir haben noch Luft nach oben, ich sehe noch viel Potenzial.

DFB.de: Wie könnte das aussehen?

Kemme: Es könnte was Kreatives sein. Vielleicht planen wir mit anderen aktuellen oder ehemaligen Spielerinnen Events. Ich weiß es noch nicht. Mal sehen, was kommt.

[sw]

Karriereende, Knorpelschaden, Corona - Tabea Kemme hat viele Themen, die sie derzeit beschäftigen. Im DFB.de-Interview spricht die 47-malige deutsche Nationalspielerin über alle Aspekte. Und die 28 Jahre alte Olympiasiegerin von 2016 verrät, worauf sie sich nun freut.

DFB.de: Tabea Kemme, das Coronavirus bestimmt gerade unser Leben. Wie gehen Sie als Polizistin damit um?

Tabea Kemme: Im Moment bin ich wegen meines Knorpelschadens noch krankgeschrieben und deshalb nicht im Dienst. Aber natürlich hat Corona gerade auch Einfluss auf mein Leben. Eigentlich sollte ich derzeit in der Reha in Berlin sein. Da ich jedoch keine Notfallpatientin bin, wird mein Platz derzeit für andere Personen freigehalten. Ich mache meine Reha deshalb im Moment auf dem Hof bei meinen Eltern. Wir sind hier so weit abgelegen, dass Corona bei uns zum Glück nur ein Thema ist, wenn wir die Nachrichten anschalten. Dennoch ist es für uns alle auch sehr belastend, die schlimmen Informationen aus der ganzen Welt zu bekommen.

DFB.de: Hatten Sie zuletzt mal Kontakt mit Polizeikollegen?

Kemme: Ja, eine meiner besten Freundinnen ist derzeit im Dienst unterwegs. Was ich dort an Feedback bekommen habe, macht mich teilweise fassungslos. Vor zwei Wochen mussten sie sechs oder sieben Hauspartys auflösen. Da frage ich mich natürlich, ob die Menschen den Ernst der Lage nicht erkannt haben. Zuletzt hat sich die Situation wohl entspannt, und die meisten folgen wirklich den Anweisungen. So muss es sein. Nur gemeinsam können wir diese Krise meistern.

DFB.de: Ist es schon absehbar, wann Sie in den Dienst zurückkehren werden?

Kemme: Nein, soweit sind wir noch nicht. Ich muss zunächst zusehen, wieder richtig gesund zu werden und das Knie zu stabilisieren. Ich bin auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel. Mein Knie muss sich jetzt noch an die normale Alltagsbelastung gewöhnen. Ich versuche, die Belastung zu steigern, so weit es geht. Kürzlich war ich 20 Minuten joggen, das hat super funktioniert. Den nächsten Lauf musste ich dann abbrechen, weil ich Schmerzen hatte. Gestern war ich 25 Minuten im Wald unterwegs, das hat wieder problemlos geklappt. Es ist im Moment ein Auf und Ab. Ich muss mich selbst disziplinieren und darf nicht zu ungeduldig sein. Teilweise muss ich die Belastung herunterfahren, um mein Knie nicht zu überfordern.

DFB.de: Und wie klappt es im Alltag?

Kemme: Da habe ich kaum noch Probleme. Ich muss jetzt noch dahin kommen, dass ich Bewegungen auch unüberlegt machen kann, ohne direkt Schmerzen zu haben. Wenn ich die Kontrolle über meinen Körper habe, ist alles gut. Wenn aber etwas Unvorhergesehenes passiert, wenn ich zum Beispiel in ein Loch trete oder zu schnell die Richtung wechsele, dann habe ich noch Probleme. Ich muss dranbleiben und die Muskulatur an den entscheidenden Stellen aufbauen, damit der Knorpel entlastet wird.

DFB.de: Sie waren mehr als 15 Jahre mit Leib und Seele Fußballerin…

Kemme: …ja, das volle Programm.

DFB.de: Wie schwer war es für Sie, Ihre Karriere wegen einer Verletzung zu beenden?

Kemme: So ein Ende wünscht sich keine Spielerin. Das ist mal sicher. Ich bin aber nie in ein Loch gefallen, weil ich mir persönlich schon früh einen sehr genauen Plan überlegt hatte. Direkt nach dem Abitur war für mich klar, dass ich mir ein zweites Standbein aufbauen muss, um nicht nur auf die Karte Fußball zu setzen. Das kommt mir heute total zugute. Ich wollte dafür sorgen, dass mich irgendetwas auffängt, falls ich ungeplant meine Karriere beenden muss. Und genauso ist es jetzt gekommen. Es scheint fast so, als hätte ich es damals vorhergesehen. Ich bin glücklich darüber, bald als Polizistin arbeiten zu können. Das ist eine super Perspektive, ich freue mich darauf.

DFB.de: Wie war der Tag, an dem Sie für sich entschieden haben, dass es mit dem Fußball keinen Sinn mehr macht?

Kemme: Es war ein Tag der Befreiung für mich. Ich habe mich lange gequält und gedanklich verschiedene Szenarien durchgespielt. Ich hatte erst kurz darauf einen Termin bei meinem Doktor, der mir erklärt hat, dass er diesen Beschluss für richtig hält. Ich wollte vermeiden, dass der Arzt die Entscheidung trifft. Ich wollte das selbst bestimmen, das war mir wichtig.

DFB.de: Wie war es dann, diesen Entschluss öffentlich zu kommunizieren?

Kemme: Das war einer der schwersten und emotionalsten Schritte in meinem Leben.

DFB.de: Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Kemme: Ich habe immer wieder überlegt, wie ich es sagen werde. Die drei Tage vor der Verkündung habe ich kaum gegessen und sehr schlecht geschlafen.

DFB.de: Und dann?

Kemme: In dem Moment, in dem ich mich vor die Mannschaft gestellt habe, ist eine Last von mir gefallen. Es war wie eine Befreiung. Erst habe ich es gegenüber meinen Mitspielerinnen beim FC Arsenal verkündet. Ich habe 14 Jahre Fußball gespielt, ich habe für diesen Sport gebrannt, ich habe ihm vieles untergeordnet, er war ein extrem wichtiger Teil meines Lebens. Von heute auf morgen war all das auf einmal weg. Plötzlich hatte ich viel Zeit. Ich musste nicht lernen, die freien Tage zu genießen. Das kann ich, mit dieser Fähigkeit bin ich auf die Welt gekommen. Ich musste lernen, wie ich die schlechten Tage zu managen weiß. Das war mein großes Problem. Für mich stand nie der Fußball an erster Stelle, sondern immer das Leben. Trotzdem kann ich mir nichts vorwerfen. Ich habe immer alles dafür gegeben, das Comeback zu schaffen. Aber mein Körper hat nicht mitgemacht. Deshalb mache ich mir keinerlei Vorwürfe. Ich bereue nichts, ich fühle mich komplett rein.

DFB.de: Wie war das Feedback?

Kemme: Überwältigend. Vor allem aus dem Lager von Turbine Potsdam. Dort bin ich erwachsen geworden. Auch von den Fans habe ich viel Zuspruch bekommen. Das hat unfassbar gut getan und mich in meiner Entscheidung bestärkt. Außerdem hat es mir gezeigt, dass ich in meiner Karriere offenbar vieles richtig gemacht habe. Sonst hätte ich diese Anerkennung wahrscheinlich nicht bekommen.

DFB.de: Gab es keine Chance, dass Knie noch mal fit für den Profifußball zu bekommen?

Kemme: Nein, das haben die vergangenen Wochen und Monate sehr deutlich gezeigt. Mein Spiel war immer sehr physisch. Ich bin nicht mehr in der Lage, bei höchster Belastung zu spielen. Ich kann nicht mehr aus vollem Sprint extrem abbremsen. Das sind beim Fußball wichtige Faktoren. Wenn ich es trotzdem gemacht habe, hatte ich hinterher riesige Probleme, so dass ich sogar Schmerztabletten nehmen musste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Es hat keinen Sinn mehr. Ich tue meinem Körper damit keinen Gefallen. Ich höre auf!

DFB.de: Wie haben Sie die Zeit beim FC Arsenal erlebt?

Kemme: Sehr lehrreich. Leider habe ich wegen meiner Verletzung kaum für Arsenal auf dem Platz stehen können. Es war immer mein Wunsch, dass ich über den Fußball den Schritt ins Ausland schaffe. Diesen Traum konnte ich mir erfüllen. Sportlich war es kompliziert für mich, weil ich dem Verein nicht helfen konnte. Aber persönlich nehme ich sehr viel mit - sprachlich, kulturell, auch sportlich.

DFB.de: Wie war es denn sportlich dort?

Kemme: Ich habe dort noch mal eine ganz andere Trainingsphilosophie kennengelernt. Ich kann jetzt viel besser über Dinge urteilen, weil ich einen Vergleich habe. Es ist schade, dass ich so selten im Mannschaftstraining dabei sein konnte. Aber wenn ich mit dem Team auf dem Platz stehen konnte, war es perfekt.

DFB.de: Beim Rückblick auf Ihre Karriere sticht natürlich die Zeit bei Turbine Potsdam heraus.

Kemme: Dem Verein verdanke ich sehr viel. Mit Turbine konnten wir die Champions League gewinnen, viel mehr geht im Frauen-Vereinsfußball nicht. Ich bin mit 14 Jahren nach Potsdam gegangen und habe mit 16 Jahren mein Debüt in der Bundesliga gefeiert. Bernd Schröder war dort unser Trainer. Und jeder, der ihn ein wenig kennt, kann gut beurteilen, was das bedeutet. Er hat mich geformt. Es war eine harte und lehrreiche Schule. Ich habe es durchgezogen und bin dafür belohnt worden. Darauf bin ich stolz.

DFB.de: Auch mit der Nationalmannschaft haben Sie große Erfolge gefeiert.

Kemme: Da war ich eine Spätstarterin. 2010 war ich erstmals zu einem Lehrgang eingeladen, aber erst 2013 habe ich mein Debüt gefeiert. Es war großartig für mich. Jedes Länderspiel war für mich eine Ehre. Am Ende sind es 47 Partien für die A-Nationalmannschaft geworden. Vielleicht hätten es mehr werden können, aber ich war nie ausschließlich auf Fußball fokussiert. Mich interessieren zu viele Dinge, um mein Leben nur einer Sache zu widmen. Fußball ist nicht mein Leben, Fußball ist ein Teil meines Lebens und wird es auch bleiben. Es gibt noch so viele andere schöne Dinge auf dieser Welt. Eigentlich bräuchte ich sieben Leben, um all die Sachen zu machen, die ich gerne erleben würde. Ich habe Fußball nie als meinen Beruf angesehen, sondern als Berufung. Das kann man mir vorwerfen, ich habe es als eine persönliche Stärke gesehen. Das war ein Leitfaden, nach dem ich gelebt habe. Wenn ich noch mal in der Situation wäre, würde ich es genauso wieder machen.

DFB.de: Was sind nun Ihre nächsten Ziele, die Sie verfolgen werden, wenn das Coronavirus es zulässt?

Kemme: Ich weiß es noch nicht. Mein nächstes Ziel ist es jetzt erst mal, wieder in den Polizeiberuf zurückzukehren. Als Mannschaftssportlerin bin ich sehr verwöhnt. Ich hatte Menschen um mich herum, die alle dasselbe Ziel verfolgt haben, wie ich auch. Wir wollten gewinnen und Erfolge feiern. Wir haben immer an einem Strang gezogen. Ich bin gespannt, wie das im Berufsleben wird. Ich werde dort sicher nicht so verwöhnt werden, wie ich es gewohnt war.

DFB.de: Werden Sie dem Fußball treu bleiben?

Kemme: Ja, ganz sicher. Aber man wird mich bestimmt nicht als Trainerin an der Seitenlinie sehen. Dafür bin ich nicht der Typ, dafür bin ich zu ungeduldig. Ich denke, dass ich im Fußball fast alles erlebt habe, was man erleben kann. Ich möchte gerne meine Wissen weitergeben und den Frauenfußball in Deutschland voranbringen. Dazu sehe ich mich in der Pflicht. Wir haben noch Luft nach oben, ich sehe noch viel Potenzial.

DFB.de: Wie könnte das aussehen?

Kemme: Es könnte was Kreatives sein. Vielleicht planen wir mit anderen aktuellen oder ehemaligen Spielerinnen Events. Ich weiß es noch nicht. Mal sehen, was kommt.

###more###