Kampka: "Konnte Haraguchis Armhaltung nicht gänzlich beurteilen"

An jedem Bundesliga-Wochenende müssen Situationen blitzschnell erkannt, bewertet und anschließend Entscheidungen in Bruchteilen von Sekunden getroffen werden. "Nach dem Spiel ist vor der Diskussion" - nach diesem Motto sind strittige Situationen auch noch nach dem Spieltag oft Thema in Freundeskreisen, unter Kollegen und in den Medien.

In der Rubrik "Ich erklär's mal..." erläutern DFB-Schiedsrichter gegenüber DFB.de ihre Entscheidungen und bringen Klarheit in vermeintlich unklare Spielszenen. Nach dem 9. Spieltag beziehen die Unparteiischen Harm Osmers und Dr. Robert Kampka sowie Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent, Stellung zu diskutierten Situationen und liefern exklusive Einblicke.

DFB.de: Beim Spiel Mainz gegen München erzielte der Münchner Spieler Thiago am Samstag das vermeintliche 0:1 in der 31. Spielminute. Zunächst zählte der Treffer, dann meldete sich Video-Assistent Felix Zwayer aus dem Kölner Video-Assist-Center (VAC). Nach einem anschließenden On-Field-Review annullierten Sie den Treffer, Herr Osmers. Wie haben Sie die Situation auf dem Feld wahrgenommen und dann später in der Review-Area gesehen? Und wie lief die Kommunikation bis zur finalen Entscheidung mit Video-Assistent Zwayer ab?

Harm Osmers: Eine Torerzielung wird vom Video-Assistenten grundsätzlich immer überprüft. In diesem Fall kam es unmittelbar vor der Torerzielung zu zwei Zweikämpfen hintereinander, bei denen die Mainzer Abwehrspieler Bell und Kunde zu Boden fielen. Meine Wahrnehmung teilte ich dem Video-Assistenten Felix Zwayer direkt nach der Torerzielung mit. Im laufenden Spiel nahm ich wahr, dass es sich um fußballtypische aber korrekt geführte Zweikämpfe im Oberkörperbereich handelte. Felix Zwayer prüfte nun die Situationen und stellte fest, dass es beim zweiten Zweikampf einen Kontakt im Fußbereich gab, wodurch der Mainzer Spieler Kunde zu Fall gebracht wurde. Daraufhin fragte Felix mich, ob ich den Fußkontakt wahrgenommen und bewertet habe. Da ich nicht wahrgenommen hatte, dass der Münchner Spieler Lewandowski nicht den Ball, sondern seinen Gegenspieler Kunde am Fuß trifft und dieser dadurch zu Fall kommt, empfahl Video-Assistent Felix Zwayer mir, die Situation in der Review-Area selbst anzuschauen. Bei Betrachtung der Bewegtbilder sah ich eindeutig das strafbare Zufallbringen mit dem Fuß. Ich änderte unverzüglich meine Entscheidung und entschied auf Offensivfoul München sowie Freistoß Mainz.

DFB.de: Bei der Begegnung Hannover gegen Augsburg bekam der Hannoveraner Spieler Haraguchi im Strafraum einen Ball aus kurzer Distanz an seinen vom Körper weggestreckten Arm. Herr Kampka, Sie ließen die Situation zunächst weiterlaufen und ahndeten das Handspiel nicht. In der nächsten Unterbrechung schauten Sie sich die Szene allerdings in der Review-Area an und entschieden auf Strafstoß. Wie kam es zu dieser Entscheidungsumkehr und welche Faktoren waren dafür entscheidend?

Dr. Robert Kampka: Als der Augsburger Spieler Baier auf das Hannoveraner Tor schoss und der Ball anschließend abgeblockt wurde, konnte ich aufgrund meiner Position nicht frontal, sondern nur von der Seite in die Situation blicken. Ich habe hierbei zwar ein Handspiel des Hannoveraner Verteidigers Haraguchi wahrgenommen, konnte allerdings die Armhaltung des Spielers nicht gänzlich beurteilen, da der betreffende Spieler seinen Arm mit dem Körper verdeckte. Vor dem Hintergrund der Zweifel, entschied ich mich weiterspielen zu lassen. Da es sich in diesem Fall aber um einen möglichen Strafstoß handelte, schilderte ich meine Wahrnehmung via Headset meinem Video-Assistenten Guido Winkmann in Köln. In der darauffolgenden Spielunterbrechung teilte mir Guido unmittelbar mit, dass der Arm des Hannoveraner Verteidigers weit vom Körper abgespreizt war und empfahl mir einen On-Field-Review. Nach Ansicht der Bewegtbilder in der Review-Area entschied ich dann schließlich auf Strafstoß, weil es sich nach der aktuellen Regelauslegung in dieser Situation um ein klares strafbares Handspiel handelte. Da es sich darüber hinaus um einen Torschuss handelte, welcher mit dem Arm abgeblockt wurde, verwarnte ich den Hannoveraner Spieler Haraguchi mit der Gelben Karte.

DFB.de: Herr Drees, wie bewerten Sie diese beiden Einsätze des Video-Assistenten, die damit verbundenen Abläufe und die final getroffenen Entscheidungen in Mainz und Hannover?

Dr. Jochen Drees: Die beiden Situationen sind beispielhaft dafür, dass Voraussetzung für ein Eingreifen des Video-Assistenten nicht nur eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters auf dem Platz ist. Sondern dass ein Einsatz auch vorgesehen ist, wenn der Schiedsrichter auf dem Platz eine entscheidende Szene in den vier konkreten Auslösungsmomenten Torerzielung, Strafstoß, Rote Karte oder Spielerverwechslung nicht wahrgenommen hat.

In der Situation in Mainz hat Schiedsrichter Harm Osmers den Fußkontakt im Zweikampf zwischen Lewandowski und Kunde in Zusammenhang mit der Torerzielung des Spielers Thiago nicht wahrgenommen. Da laut IFAB-Protokoll eine Torerzielung und damit auch die Entstehung eines jeden Tores durch den Video-Assistenten überprüft werden muss, hat Video-Assistent Felix Zwayer nach dem Check der Bilder mit Harm Osmers kommuniziert und ihm diese Situation beschrieben. Da der Video-Assistent keine Bewertung treffen darf, musste sich Harm Osmers diese Szene selbst in der Review-Area am Monitor anschauen und zu einer nochmaligen Bewertung dieses nicht wahrgenommen Vergehens kommen. Die Eingriffsschwelle des Video-Assistenten liegt bei einem Vorgang, den der Schiedsrichter nicht wahrgenommen hat im Allgemeinen niedriger. Die Entscheidung, das vermeintliche Tor durch den Spieler Thiago nicht anzuerkennen, ist für mich daher nachvollziehbar und korrekt. Ebenso halte ich den Prozess im Ablauf zwischen Schiedsrichter und Video-Assistent für richtig und den Vorgaben entsprechend, die wir an die Schiedsrichter gegeben haben.

DFB.de: Und was sagen Sie zur Strafstoßentscheidung bei der Begegnung Hannover gegen Augsburg?

Drees: Bei der Strafstoßentscheidung in Hannover stellt sich der Sachverhalt hingegen anders dar. Hier hatte Schiedsrichter Dr. Robert Kampka eine Wahrnehmung zu der beschriebenen Handspielszene und kommunizierte diese auch zu seinem Video-Assistenten nach Köln. Nach Ansicht der Bilder hat Video-Assistent Guido Winkmann festgestellt, dass es sich um eine klare und offensichtliche Fehleinschätzung des Schiedsrichters gehandelt hat. Dementsprechend wurde die Spielfortsetzung gestoppt, nachdem der Ball ins Toraus gegangen war. Nach der auch in diesem Fall notwendigen Sichtung der Bewegtbilder durch Schiedsrichter Kampka in der Review-Area, hat dieser seine zunächst getroffene Entscheidung geändert. Bei einem Vorgang, der durch den Schiedsrichter auf dem Feld wahrgenommen und beurteilt worden ist, liegt – im Gegensatz zu dem beschriebenen Vorgang in Mainz – eine deutlich höhere Eingriffsschwelle für den Video-Assistenten vor. Dabei muss sich der Video-Assistent fragen, ob die Entscheidung klar und offensichtlich falsch ist. Dies war nach der aktuellen Auslegung bei Handspielvergehen hier der Fall und der Eingriff des Video-Assistenten daher völlig richtig. Ebenso war der Ablauf im Prozess sehr zügig und korrekt.

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An jedem Bundesliga-Wochenende müssen Situationen blitzschnell erkannt, bewertet und anschließend Entscheidungen in Bruchteilen von Sekunden getroffen werden. "Nach dem Spiel ist vor der Diskussion" - nach diesem Motto sind strittige Situationen auch noch nach dem Spieltag oft Thema in Freundeskreisen, unter Kollegen und in den Medien.

In der Rubrik "Ich erklär's mal..." erläutern DFB-Schiedsrichter gegenüber DFB.de ihre Entscheidungen und bringen Klarheit in vermeintlich unklare Spielszenen. Nach dem 9. Spieltag beziehen die Unparteiischen Harm Osmers und Dr. Robert Kampka sowie Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent, Stellung zu diskutierten Situationen und liefern exklusive Einblicke.

DFB.de: Beim Spiel Mainz gegen München erzielte der Münchner Spieler Thiago am Samstag das vermeintliche 0:1 in der 31. Spielminute. Zunächst zählte der Treffer, dann meldete sich Video-Assistent Felix Zwayer aus dem Kölner Video-Assist-Center (VAC). Nach einem anschließenden On-Field-Review annullierten Sie den Treffer, Herr Osmers. Wie haben Sie die Situation auf dem Feld wahrgenommen und dann später in der Review-Area gesehen? Und wie lief die Kommunikation bis zur finalen Entscheidung mit Video-Assistent Zwayer ab?

Harm Osmers: Eine Torerzielung wird vom Video-Assistenten grundsätzlich immer überprüft. In diesem Fall kam es unmittelbar vor der Torerzielung zu zwei Zweikämpfen hintereinander, bei denen die Mainzer Abwehrspieler Bell und Kunde zu Boden fielen. Meine Wahrnehmung teilte ich dem Video-Assistenten Felix Zwayer direkt nach der Torerzielung mit. Im laufenden Spiel nahm ich wahr, dass es sich um fußballtypische aber korrekt geführte Zweikämpfe im Oberkörperbereich handelte. Felix Zwayer prüfte nun die Situationen und stellte fest, dass es beim zweiten Zweikampf einen Kontakt im Fußbereich gab, wodurch der Mainzer Spieler Kunde zu Fall gebracht wurde. Daraufhin fragte Felix mich, ob ich den Fußkontakt wahrgenommen und bewertet habe. Da ich nicht wahrgenommen hatte, dass der Münchner Spieler Lewandowski nicht den Ball, sondern seinen Gegenspieler Kunde am Fuß trifft und dieser dadurch zu Fall kommt, empfahl Video-Assistent Felix Zwayer mir, die Situation in der Review-Area selbst anzuschauen. Bei Betrachtung der Bewegtbilder sah ich eindeutig das strafbare Zufallbringen mit dem Fuß. Ich änderte unverzüglich meine Entscheidung und entschied auf Offensivfoul München sowie Freistoß Mainz.

DFB.de: Bei der Begegnung Hannover gegen Augsburg bekam der Hannoveraner Spieler Haraguchi im Strafraum einen Ball aus kurzer Distanz an seinen vom Körper weggestreckten Arm. Herr Kampka, Sie ließen die Situation zunächst weiterlaufen und ahndeten das Handspiel nicht. In der nächsten Unterbrechung schauten Sie sich die Szene allerdings in der Review-Area an und entschieden auf Strafstoß. Wie kam es zu dieser Entscheidungsumkehr und welche Faktoren waren dafür entscheidend?

Dr. Robert Kampka: Als der Augsburger Spieler Baier auf das Hannoveraner Tor schoss und der Ball anschließend abgeblockt wurde, konnte ich aufgrund meiner Position nicht frontal, sondern nur von der Seite in die Situation blicken. Ich habe hierbei zwar ein Handspiel des Hannoveraner Verteidigers Haraguchi wahrgenommen, konnte allerdings die Armhaltung des Spielers nicht gänzlich beurteilen, da der betreffende Spieler seinen Arm mit dem Körper verdeckte. Vor dem Hintergrund der Zweifel, entschied ich mich weiterspielen zu lassen. Da es sich in diesem Fall aber um einen möglichen Strafstoß handelte, schilderte ich meine Wahrnehmung via Headset meinem Video-Assistenten Guido Winkmann in Köln. In der darauffolgenden Spielunterbrechung teilte mir Guido unmittelbar mit, dass der Arm des Hannoveraner Verteidigers weit vom Körper abgespreizt war und empfahl mir einen On-Field-Review. Nach Ansicht der Bewegtbilder in der Review-Area entschied ich dann schließlich auf Strafstoß, weil es sich nach der aktuellen Regelauslegung in dieser Situation um ein klares strafbares Handspiel handelte. Da es sich darüber hinaus um einen Torschuss handelte, welcher mit dem Arm abgeblockt wurde, verwarnte ich den Hannoveraner Spieler Haraguchi mit der Gelben Karte.

DFB.de: Herr Drees, wie bewerten Sie diese beiden Einsätze des Video-Assistenten, die damit verbundenen Abläufe und die final getroffenen Entscheidungen in Mainz und Hannover?

Dr. Jochen Drees: Die beiden Situationen sind beispielhaft dafür, dass Voraussetzung für ein Eingreifen des Video-Assistenten nicht nur eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters auf dem Platz ist. Sondern dass ein Einsatz auch vorgesehen ist, wenn der Schiedsrichter auf dem Platz eine entscheidende Szene in den vier konkreten Auslösungsmomenten Torerzielung, Strafstoß, Rote Karte oder Spielerverwechslung nicht wahrgenommen hat.

In der Situation in Mainz hat Schiedsrichter Harm Osmers den Fußkontakt im Zweikampf zwischen Lewandowski und Kunde in Zusammenhang mit der Torerzielung des Spielers Thiago nicht wahrgenommen. Da laut IFAB-Protokoll eine Torerzielung und damit auch die Entstehung eines jeden Tores durch den Video-Assistenten überprüft werden muss, hat Video-Assistent Felix Zwayer nach dem Check der Bilder mit Harm Osmers kommuniziert und ihm diese Situation beschrieben. Da der Video-Assistent keine Bewertung treffen darf, musste sich Harm Osmers diese Szene selbst in der Review-Area am Monitor anschauen und zu einer nochmaligen Bewertung dieses nicht wahrgenommen Vergehens kommen. Die Eingriffsschwelle des Video-Assistenten liegt bei einem Vorgang, den der Schiedsrichter nicht wahrgenommen hat im Allgemeinen niedriger. Die Entscheidung, das vermeintliche Tor durch den Spieler Thiago nicht anzuerkennen, ist für mich daher nachvollziehbar und korrekt. Ebenso halte ich den Prozess im Ablauf zwischen Schiedsrichter und Video-Assistent für richtig und den Vorgaben entsprechend, die wir an die Schiedsrichter gegeben haben.

DFB.de: Und was sagen Sie zur Strafstoßentscheidung bei der Begegnung Hannover gegen Augsburg?

Drees: Bei der Strafstoßentscheidung in Hannover stellt sich der Sachverhalt hingegen anders dar. Hier hatte Schiedsrichter Dr. Robert Kampka eine Wahrnehmung zu der beschriebenen Handspielszene und kommunizierte diese auch zu seinem Video-Assistenten nach Köln. Nach Ansicht der Bilder hat Video-Assistent Guido Winkmann festgestellt, dass es sich um eine klare und offensichtliche Fehleinschätzung des Schiedsrichters gehandelt hat. Dementsprechend wurde die Spielfortsetzung gestoppt, nachdem der Ball ins Toraus gegangen war. Nach der auch in diesem Fall notwendigen Sichtung der Bewegtbilder durch Schiedsrichter Kampka in der Review-Area, hat dieser seine zunächst getroffene Entscheidung geändert. Bei einem Vorgang, der durch den Schiedsrichter auf dem Feld wahrgenommen und beurteilt worden ist, liegt – im Gegensatz zu dem beschriebenen Vorgang in Mainz – eine deutlich höhere Eingriffsschwelle für den Video-Assistenten vor. Dabei muss sich der Video-Assistent fragen, ob die Entscheidung klar und offensichtlich falsch ist. Dies war nach der aktuellen Auslegung bei Handspielvergehen hier der Fall und der Eingriff des Video-Assistenten daher völlig richtig. Ebenso war der Ablauf im Prozess sehr zügig und korrekt.

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