Kampf um die Köpfe

Das Wichtigste packte Anna Nordström in einen Nebensatz. "Care Shame“, das müsse enden, forderte die schwedische Sportmedizinerin, die vor wenigen Tagen auf dem Medizinischen Symposium der UEFA in Frankfurt referiert hatte.  Knapp 400 teilnehmende Mediziner*innen aus 55 UEFA-Nationen nahmen an dem dreitägigen Fachaustausch teil.

"Nicht so schlimm, weiter geht’s“, so übersetzt sich "Care Shame“ auf den Fußballplätzen hierzulande. Mancher empfindet immer noch eine falsche Scham, wenn er wegen einer Kopfkollision ausgewechselt wird. Längst nicht mehr in der Bundesliga, aber zu oft noch in den Kreisligen. Wenn der oder die Spieler*in nach einem Schlag gegen den Kopf Übelkeit verspürt, die Sicht verschwimmt, wenn er/sie sich übergibt oder gar kurzfristig ohnmächtig wird, bleibt nur eins: Auswechseln. "Wir müssen bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Kopfverletzungen keine Bagatellen sind“, heißt es in einer bald erscheinenden DFL-Broschüre, die auch durch den DFB verbreitet werden wird. Ein Teil der Lösung liegt also beim Kampf um die Köpfe.

Für Mai hat die "Concussion in Sport Group“ angekündigt, die Ergebnisse einer großflächigen Literaturrecherche- und Beurteilung zu veröffentlichen. Der nächste Schritt im Weltfußball, um mit einem unbestritten vorhandenen medizinischen Risiko weiterhin verantwortungsbewusst umzugehen. Was die Lage erschwert: in Teilen der medialen Öffentlichkeit purzelt alles wild durcheinander. Akute Kopfverletzungen und mögliche langfristige Folgen symptomfreier Kopferschütterungen sind eben nicht das gleiche. Ein Kopfball und ein Schuss gegen den Kopf aus nächster Nähe auch nicht. Verwirrung führt allzu oft zu vorschnellen Urteilen.

Je jünger, desto kleiner der Ball

Der DFB dagegen setzt auf Nachhaltigkeit. Um gerade im Kinderfußball zu schützen, hatten die Delegierten des DFB-Bundesjugendtages im Januar 2022 weitreichende Beschlüsse verabschiedet: Je jünger, desto kleiner der Ball, desto niedriger der Balldruck. Man startet mit einem Softball, anfangs mit der Hand zugeworfen. Zuvor hatte eine Untersuchung in acht europäischen Ländern ergeben, dass es bei Spielen in den jüngeren Altersstufen fast nie zum Kopfball kommt. Um etwas zu bewirken, musste also das Training reguliert werden.

Konkret bedeutet dies: Für den Fußball der G-/F- und E-Junior*innen wird der Ultralight Größe 3-Ball mit einem Gewicht von 290 Gramm eingesetzt. Bei der E- und D-Jugend wird im Wettbewerb mit Lightbällen Größe 4 mit einem Gewicht von 350 Gramm gespielt, für das Kopfballtraining werden weiterhin Ultralight-Bälle verwendet. In der C-Jugend wird mit normalen Fußbällen gespielt, für das Kopfballtraining werden Lightbälle verwendet. Bei den A- und B-Junior*innen achten die Trainer*innen auf einen geringeren Balldruck beim Kopfballtraining.

Verantwortungsbewusst, nachhaltig, klug. Doch die Veröffentlichung der "Glasgow-Studie vor fast vier Jahren hat auch in Deutschland manche Eltern verunsichert. Die Auswertung der Todesursache von 7700 schottischen Ex-Fußballprofis hatte ergeben, dass die verstorbenen Fußballer dreimal häufiger an Demenz erkrankt waren als "die Normalbevölkerung“. Abwehrspieler sogar fünfmal häufiger. Obwohl die Forscher keine sekundären Faktoren untersucht und in der Studie keine Kausalität belegt hatten, war die Angst plötzlich zum Greifen. Manche Berichte suggerierten, nach dem dritten harten Kopfball sei man eigentlich schon rettungslos verloren. "Kopfbälle: Eine tödliche Gefahr im Fußball?“, formulierte die Onlineseite des NDR im Oktober 2021. Das Fragezeichen ermöglicht vieles. "Können Bären fliegen?“. Oder so.

"Kopfball-Erfahrung ist Prävention“

Der Paderborner Neurologe Prof. Dr. Claus Reinsberger ist in der Medizinischen Kommission des DFB zuständig für die medizinische Wirkung von Kopfbällen. "Ein Kopfball, mit der richtigen Technik ausgeführt, ist nicht gefährlich und schon gar nicht lebensgefährlich“, sagt Reinsberger. Prof. Dr. Tim Meyer leitet die medizinischen Kommissionen des DFB und der UEFA und empfiehlt zweierlei. Man müsse evidenzbasiert die Langzeitwirkung von Kopfbällen untersuchen. Und in der Gegenwart nicht überreagieren, wie es aus Meyers Sicht in den USA und England geschehen ist. Meyer rät: "Solange es Kopfballspiel im Erwachsenenalter gibt, muss man Jugendliche darauf vorbereiten“. Denn, wie Reinsberger ergänzt, das Anwenden einer richtigen Kopfballtechnik reduziert die auf den Schädel durch den Aufprall einwirkenden Kräfte.

Reinsberger, Nordström und Edwin Goedhart, Leiter der Sportmedizin beim Königlich-Niederländischen Fußballverband, hielten auf dem 8. Medizinischen Symposium der UEFA, das in der vergangenen Woche auf dem DFB-Campus abgehalten wurde, drei Referate zum Themenkomplex Kopfball/Kopfverletzungen. Auch der Niederländer betonte in Frankfurt, wie wichtig es ist, als junge/r Spieler*in die richtige Technik zu erlernen. "Kopfball-Erfahrung ist Prävention“, gerade weil "man weniger verletzungsanfällig ist, wenn man es schafft, die Augen aufzuhalten“. Für die Ärzte auf der Bank sei es schwierig binnen Sekunden einzuschätzen, so Goedhart, wie massiv sich ein Spieler bei einem Luftzweikampf verletzt habe. Nicht alleine die Wucht beeinflusse den Grad der Verletzung, auch die Rotation sei wichtig. Zu einer schweren Gehirnerschütterung kann es kommen, wenn durch einen Schlag der Schädel beschleunigt und verdreht wird.

Mannschaftsärzt*innen in der Pflicht

Bei der ersten Behandlung auf dem Platz bewertet der Mannschaftsarzt bzw. die Ärztin Indikatoren für eine mögliche Gehirnerschütterung: leerer Blick, Verwirrtheit, begrenzte Nackenbeweglichkeit, Übelkeit bis zu Erbrechen. Goedhart betonte am Podium in Frankfurt auch: "Es ist der Arzt, nicht der Spieler oder der Trainer, der die Entscheidung über Weiterspielen oder Auswechslung treffen muss.“

Am Ende seines Vortrags beschrieb Claus Reinsberger den gemeinsamen Nenner von Verbänden, Medizinern und Physiotherapeuten: "Wir wollen alle das Gleiche. Wir wollen, dass unsere Athleten gesund und erfolgreich sind und wir wollen sie vor gesundheitlichen Folgeerkrankungen bewahren.“ Um hierbei schon beim Kinderfußball anzufangen, ist es neben der Einführung der neuen Spielformen entscheidend, dass auch die Leitlinien zum Kopfballtraining bis zur Basis durchdringen. "Nur weil es der DFB-Bundesjugendtag beschließt, ist es ja noch nicht in jedem Dorfverein angekommen.“

Es geht um Bewusstseinsbildung an der Basis. Auch so gesehen ist der verantwortungsbewusste Umgang mit dem Thema ein Kampf um die Köpfe.

[th]

Das Wichtigste packte Anna Nordström in einen Nebensatz. "Care Shame“, das müsse enden, forderte die schwedische Sportmedizinerin, die vor wenigen Tagen auf dem Medizinischen Symposium der UEFA in Frankfurt referiert hatte.  Knapp 400 teilnehmende Mediziner*innen aus 55 UEFA-Nationen nahmen an dem dreitägigen Fachaustausch teil.

"Nicht so schlimm, weiter geht’s“, so übersetzt sich "Care Shame“ auf den Fußballplätzen hierzulande. Mancher empfindet immer noch eine falsche Scham, wenn er wegen einer Kopfkollision ausgewechselt wird. Längst nicht mehr in der Bundesliga, aber zu oft noch in den Kreisligen. Wenn der oder die Spieler*in nach einem Schlag gegen den Kopf Übelkeit verspürt, die Sicht verschwimmt, wenn er/sie sich übergibt oder gar kurzfristig ohnmächtig wird, bleibt nur eins: Auswechseln. "Wir müssen bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Kopfverletzungen keine Bagatellen sind“, heißt es in einer bald erscheinenden DFL-Broschüre, die auch durch den DFB verbreitet werden wird. Ein Teil der Lösung liegt also beim Kampf um die Köpfe.

Für Mai hat die "Concussion in Sport Group“ angekündigt, die Ergebnisse einer großflächigen Literaturrecherche- und Beurteilung zu veröffentlichen. Der nächste Schritt im Weltfußball, um mit einem unbestritten vorhandenen medizinischen Risiko weiterhin verantwortungsbewusst umzugehen. Was die Lage erschwert: in Teilen der medialen Öffentlichkeit purzelt alles wild durcheinander. Akute Kopfverletzungen und mögliche langfristige Folgen symptomfreier Kopferschütterungen sind eben nicht das gleiche. Ein Kopfball und ein Schuss gegen den Kopf aus nächster Nähe auch nicht. Verwirrung führt allzu oft zu vorschnellen Urteilen.

Je jünger, desto kleiner der Ball

Der DFB dagegen setzt auf Nachhaltigkeit. Um gerade im Kinderfußball zu schützen, hatten die Delegierten des DFB-Bundesjugendtages im Januar 2022 weitreichende Beschlüsse verabschiedet: Je jünger, desto kleiner der Ball, desto niedriger der Balldruck. Man startet mit einem Softball, anfangs mit der Hand zugeworfen. Zuvor hatte eine Untersuchung in acht europäischen Ländern ergeben, dass es bei Spielen in den jüngeren Altersstufen fast nie zum Kopfball kommt. Um etwas zu bewirken, musste also das Training reguliert werden.

Konkret bedeutet dies: Für den Fußball der G-/F- und E-Junior*innen wird der Ultralight Größe 3-Ball mit einem Gewicht von 290 Gramm eingesetzt. Bei der E- und D-Jugend wird im Wettbewerb mit Lightbällen Größe 4 mit einem Gewicht von 350 Gramm gespielt, für das Kopfballtraining werden weiterhin Ultralight-Bälle verwendet. In der C-Jugend wird mit normalen Fußbällen gespielt, für das Kopfballtraining werden Lightbälle verwendet. Bei den A- und B-Junior*innen achten die Trainer*innen auf einen geringeren Balldruck beim Kopfballtraining.

Verantwortungsbewusst, nachhaltig, klug. Doch die Veröffentlichung der "Glasgow-Studie vor fast vier Jahren hat auch in Deutschland manche Eltern verunsichert. Die Auswertung der Todesursache von 7700 schottischen Ex-Fußballprofis hatte ergeben, dass die verstorbenen Fußballer dreimal häufiger an Demenz erkrankt waren als "die Normalbevölkerung“. Abwehrspieler sogar fünfmal häufiger. Obwohl die Forscher keine sekundären Faktoren untersucht und in der Studie keine Kausalität belegt hatten, war die Angst plötzlich zum Greifen. Manche Berichte suggerierten, nach dem dritten harten Kopfball sei man eigentlich schon rettungslos verloren. "Kopfbälle: Eine tödliche Gefahr im Fußball?“, formulierte die Onlineseite des NDR im Oktober 2021. Das Fragezeichen ermöglicht vieles. "Können Bären fliegen?“. Oder so.

"Kopfball-Erfahrung ist Prävention“

Der Paderborner Neurologe Prof. Dr. Claus Reinsberger ist in der Medizinischen Kommission des DFB zuständig für die medizinische Wirkung von Kopfbällen. "Ein Kopfball, mit der richtigen Technik ausgeführt, ist nicht gefährlich und schon gar nicht lebensgefährlich“, sagt Reinsberger. Prof. Dr. Tim Meyer leitet die medizinischen Kommissionen des DFB und der UEFA und empfiehlt zweierlei. Man müsse evidenzbasiert die Langzeitwirkung von Kopfbällen untersuchen. Und in der Gegenwart nicht überreagieren, wie es aus Meyers Sicht in den USA und England geschehen ist. Meyer rät: "Solange es Kopfballspiel im Erwachsenenalter gibt, muss man Jugendliche darauf vorbereiten“. Denn, wie Reinsberger ergänzt, das Anwenden einer richtigen Kopfballtechnik reduziert die auf den Schädel durch den Aufprall einwirkenden Kräfte.

Reinsberger, Nordström und Edwin Goedhart, Leiter der Sportmedizin beim Königlich-Niederländischen Fußballverband, hielten auf dem 8. Medizinischen Symposium der UEFA, das in der vergangenen Woche auf dem DFB-Campus abgehalten wurde, drei Referate zum Themenkomplex Kopfball/Kopfverletzungen. Auch der Niederländer betonte in Frankfurt, wie wichtig es ist, als junge/r Spieler*in die richtige Technik zu erlernen. "Kopfball-Erfahrung ist Prävention“, gerade weil "man weniger verletzungsanfällig ist, wenn man es schafft, die Augen aufzuhalten“. Für die Ärzte auf der Bank sei es schwierig binnen Sekunden einzuschätzen, so Goedhart, wie massiv sich ein Spieler bei einem Luftzweikampf verletzt habe. Nicht alleine die Wucht beeinflusse den Grad der Verletzung, auch die Rotation sei wichtig. Zu einer schweren Gehirnerschütterung kann es kommen, wenn durch einen Schlag der Schädel beschleunigt und verdreht wird.

Mannschaftsärzt*innen in der Pflicht

Bei der ersten Behandlung auf dem Platz bewertet der Mannschaftsarzt bzw. die Ärztin Indikatoren für eine mögliche Gehirnerschütterung: leerer Blick, Verwirrtheit, begrenzte Nackenbeweglichkeit, Übelkeit bis zu Erbrechen. Goedhart betonte am Podium in Frankfurt auch: "Es ist der Arzt, nicht der Spieler oder der Trainer, der die Entscheidung über Weiterspielen oder Auswechslung treffen muss.“

Am Ende seines Vortrags beschrieb Claus Reinsberger den gemeinsamen Nenner von Verbänden, Medizinern und Physiotherapeuten: "Wir wollen alle das Gleiche. Wir wollen, dass unsere Athleten gesund und erfolgreich sind und wir wollen sie vor gesundheitlichen Folgeerkrankungen bewahren.“ Um hierbei schon beim Kinderfußball anzufangen, ist es neben der Einführung der neuen Spielformen entscheidend, dass auch die Leitlinien zum Kopfballtraining bis zur Basis durchdringen. "Nur weil es der DFB-Bundesjugendtag beschließt, ist es ja noch nicht in jedem Dorfverein angekommen.“

Es geht um Bewusstseinsbildung an der Basis. Auch so gesehen ist der verantwortungsbewusste Umgang mit dem Thema ein Kampf um die Köpfe.

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