Jupp Heynckes wird 75: "Ich bin dankbar für dieses Leben"

Es wurde dann doch ein bisschen viel in den vergangenen Tagen. Die Flut der Interviewanfragen aus dem In- und Ausland überwältigte Jupp Heynckes, er musste einen Riegel vorschieben. Aber auch die Absagen formulierte der Grandseigneur der deutschen Fußballtrainer stets höflich und mit der "Bitte um Verständnis." Mancher mag es bedauern, denn im Alter von 75 Jahren, das er heute erreicht, hat er noch allerhand zu sagen. Im vielleicht bemerkenswertesten Interview seines langen Lebens im Kicker vom vergangenen Montag reflektierte er die Probleme unserer Welt derart, dass man beim Lesen mitunter Zweifel bekam, ein Sportblatt in der Hand zu haben. Jupp Heynckes sorgt sich um die kommenden Generationen: "Gletscher schmelzen, die Tierwelt ist bedroht, dem Wald, den Feldern fehlt der Regen. In meiner Jugend hatten wir Winter mit 15 bis 20 Grad minus – wann hatten wir das zuletzt? Wir müssen unsere Lebensweise ändern."

Da denkt einer über den Tellerrand hinaus, was bei Fußballern noch immer als Seltenheit gilt. So besorgt er auf die Umwelt schaut, auch und gerade in Corona-Zeiten, so zufrieden ist er mit seinem erfolgreichen Fußballerleben, aber auch da besticht er durch Altersweisheit: "Im Leben zählen irgendwann deine Erfolge nichts mehr, sondern wahre Bedeutung hat, welche Spuren du hinterlassen hast, was du den Menschen gegeben hast und mit welcher Haltung, mit welcher Empathie, mit welchem Respekt du ihnen begegnet bist." Respekt, Herr Heynckes – aber auch vor Ihren Erfolgen. 

Phänomenale Torquote in Gladbach

Die Lebensleistung von Jupp Heynckes war schon als Spieler großartig. Aber er hatte das Pech, in einer Zeit zu leben, wo die Aller-Größten spielten. Beckenbauer, Netzer, Overath und Müller – ob mit ihm oder gegen ihn, sie raubten dem "Jupp", der eigentlich Josef heißt, immer etwas Licht. Was ihm – siehe sein Naturell – wiederum herzlich wenig ausmachte. Aber auch dazu führte, dass er heute eher als ehemaliger Trainer denn als ehemaliger Spieler wahrgenommen wird. Dabei stand er 1972 in der Europameister-Elf von Brüssel, auf Rechtsaußen. Dabei war er 1974 im Kader der Weltmeister, im Finale saß er auf der Bank und wurde "vergessen". Bernd Hölzenbein hielt sich nicht an die Absprache, sich auswechseln zu lassen. Lange hat das an Jupp genagt, aber öffentlich hat nicht er es gemacht, sondern Hölzenbein. Drei Jahrzehnte später. 

Um seine Vita als Spieler beneiden ihn trotzdem Millionen Fußballer. Vier Mal Meister mit Mönchengladbach, UEFA-Pokalsieger 1975, DFB-Pokalsieger 1973 und zweimal Torschützenkönig (1974, 1975). Nur zweimal, muss man sagen angesichts von 220 Treffern in 13 Jahren – aber in all diesen Jahren spielte auch ein gewisser Gerd Müller. Und neben dem "Bomber" erschienen sie alle wie kleine Lichter. 
In der Nationalmannschaft kam Heynckes, der mit elf Geschwistern aufwuchs, nicht so zur Geltung wie im Verein: 14 Tore in 39 Spielen – das wäre heute aller Ehren wert. In den Siebzigern jedoch nicht einmal ein Kopfnicken. Die Tore schienen doppelt so groß zu sein in jener wilden Ära, als 30 Treffer nicht immer für die Kanone des besten Torjägers reichten. An seine phänomenale Tor-Quote in der Bundesliga (60%) kam er im DFB-Dress nicht heran. 

Nur drei Spieler trafen häufiger

In der Bundesliga aber haben nur besagter Müller (365), Klaus Fischer (268) und Robert Lewandowski (227) mehr Tore als Heynckes (220) erzielt. Aber er durfte sich noch über viele weitere Bundesligatore freuen: Schon während seiner letzten Saison 1977/1978 stellte Heynckes die Weichen für seine Zukunft und machte in Köln das Trainer-Diplom. Seine Frau Iris sah das wohl etwas skeptisch und so versprach er ihr einen Pelz für 10.000 DM, wenn er nicht mindestens mit "gut" abschneiden würde. Es wurde "gut" und Iris musste sich mit einem Abendessen zufrieden geben.

Schon nach einem Jahr als Assistent von Udo Lattek übernahm er 1979 mit gerade 34 den Cheftrainer-Posten bei der Borussia. Dort wollte er anfangs zu viel und hatte das Image eines autoritären Zuchtmeisters, man sprach vom "Preußen vom Niederrhein". 18-Jährige wurden mit Bleiwesten über den Platz gehetzt und sein Ehrgeiz ("Mit 40 will ich als Trainer Deutscher Meister geworden sein") sorgte nicht nur für gute Stimmung. Ewald Lienen, damals sein Spieler, erinnerte sich so: "Es hat Phasen gegeben, da hätte ich ihn auf den Mond schießen können. Er hat sich selber wahnsinnig unter Druck gesetzt und wenn er dann von uns enttäuscht war, konnte er in seiner Kritik grausam verletzend sein." Wolfram Wuttke verpasste ihm ob seines schnell zornrot werdenden Kopfes den Spitznamen "Osram", Heynckes ihm einen Einlauf. 

Es ging so weit, dass der Spielerrat 1986 zu ihm ging und offenbarte, junge Spieler hätten regelrecht Angst vor ihm. Danach wurde es besser – und als sein Wechsel zu den Bayern 1987 feststand, floss gar so manche Träne. Er ging mit einem noch gültigen Vereinsrekord von zehn Siegen am Stück. In München ging er durch die ganz normale bayerische Trainer-Hölle, auch zwei Meistertitel (1989, 1990) bewahrten ihn im vierten Jahr nicht vor dem Rauswurf. Von Lockerheit war noch immer keine Spur: Fernsehen und Rauchen im Spielerbus, von Vorgänger Udo Lattek gestattet, wurden sogleich gestrichen. Einem Journalisten entzog er gar öffentlich das "Du". 

Hoeneß' "größter Fehler"

Uli Hoeneß musste ihn im Oktober 1991 entlassen, gegen seinen Willen und zu seinem Leidwesen. "Den größten Fehler meines Lebens", versuchte er später noch dreimal wett zu machen. Heynckes ging dann nach Spanien und lernte Gelassenheit. "Ich gehe heute mehr auf den Menschen ein, das habe ich in Spanien gelernt.", wurde er schon 2003 zitiert. Bei seinem Bundesliga-Comeback 1994 in Frankfurt war er noch ganz der Preuße vom Niederrhein. Er verdonnerte die schlampigen Stars Anthony Yeboah, Jay-Jay Okocha und Maurizio Gaudino zum Straftraining, woraufhin diese beleidigt nicht zum nächsten Spiel erschienen. Yeboah schilderte das Bild eines Despoten: "Er mag nur sich selbst, will der Größte sein. Alle müssen unter ihm stehen." 

Freunde wurden sie nicht mehr und als der Erfolg, ohne das suspendierte Trio, ausblieb, trat Heynckes verbittert zurück: "Die Spieler bekommen immer mehr Alibis für ihre Unzulänglichkeiten, Moral und Verantwortungsbewusstsein bleiben auf der Strecke." Er stellte auch fest: "Der Verein und ich passen nicht zusammen." Wie zum Beweis verzichtete der Ehrenmann Heynckes auf eine Abfindung vom damaligen Skandal-Klub Eintracht Frankfurt. 

Zehn Jahre später sagte Heynckes, er hätte "in der Sache richtig, aber übereilt reagiert". Es hat dann immer noch etwas gedauert bis er der gelassene Souverän wurde, der er heute ist. Bei Real Madrid haben sie ihn 1998 trotz Champions League-Siegs entlassen, als Opfer einer Medienkampagne. Warum? Geradlinig wie er stets gewesen ist, hatte er ein halbes Jahr nicht mit Reportern gesprochen, die ihn trotz nächtlicher Telefoninterviews bei erster Gelegenheit in die Pfanne gehauen hatten.

Großes Lob von Toni Kroos

In der Bundesliga hat sich Heynckes daraufhin zweimal erfolglos bemüht – in Schalke und Mönchengladbach: Schalke entließ ihn 2004 nach 16 Monaten und Manager Rudi Assauer rief ihm nach, er sei "eben ein Trainer der alten Schule". Heynckes wollte selbst ihm 20 Euro Strafe abknöpfen, weil Assauer auf einer Reise die falschen Socken trug. Stürmer Ebbe Sand erzählte: "Wenn wir mit Heynckes reden wollten, hat er klar gemacht, dass nur seine Meinung zählt." 

Aber schon auf Schalke ließ er den Spielerrat wählen statt ihn zu bestimmen, "da bin ich heute ganz anderer Meinung als früher." In Mönchengladbach trat er Anfang 2007 nach Morddrohungen zurück, wieder ohne einen Gedanken an die Abfindung und er gab, wie Präsident Jacobs herausstellte, den Dienstwagen "gewaschen und vollgetankt" zurück. Korrekt war er immer, den Schritt hin zu mehr Gelassenheit und damit zum beinahe idealen Trainer ging er aber erst nach einer bitteren Erfahrung: "Ich habe eine zweijährige Krankheitsphase mit mehreren Operationen durchgemacht. Da habe ich das alles reflektiert und mir wurde klar, dass viele Dinge im Leben gar nicht so wichtig sind. Das hat mir gut getan", sagte er 2010. Seitdem ist sein Umgang noch menschlicher geworden. 

Ex-Bayer Toni Kroos kannte ihn schon vor Heynckes' Rückkehr nach München: "Ich hatte ihn ein Jahr in Leverkusen und ich kann sagen, dass er ein hervorragender Trainer ist. Er hat ein unheimlich gutes Händchen dafür, wie man mit einer Mannschaft umgeht." Die längste Bundesligaserie von Bayer 04 ohne Niederlage stammt aus der Heynckes-Zeit (24 Spiele) und wurde seit zehn Jahren nicht überboten. Wie ein guter Wein reift auch ein guter Trainer, Heynckes ist das Paradebeispiel dafür.

Rückkehr aus dem Ruhestand

Ende der Saison 2008/2009 ergriff Uli Hoeneß nach dem Rauswurf von Jürgen Klinsmann die Chance, seine gefühlte Schuld bei Heynckes abzutragen. Der war eigentlich schon im Ruhestand, nun durfte er Bayerns Saison noch retten und er führte den Rekordmeister in die Champions-League-Plätze. Gerne wäre er geblieben, gerne hätten sie ihn auch behalten, aber mit Louis van Gaal war alles klar. Außerdem war Heynckes schon 64. Also zurück ins "Casa de los Gatos", das Haus der Katzen, wie er sein Anwesen in Schwalmtal bei Mönchengladbach nennt. Dann kam der Ruf aus Leverkusen. Van Gaal gewann derweil das Double 2010, nur das Champions-League-Finale nicht. Aber immerhin erreichte er es, nach neun langen Jahren ein Labsal für Bayern-Seelen. In der Saison 2010/2011 taten sich Risse auf zwischen van Gaal und dem Rest des Vereins, allen voran Uli Hoeneß. Der Präsident entließ den Niederländer im April und holte Heynckes ein zweites Mal zurück. Experten runzelten die Stirn: Andere gehen mit 65 in Rente, Bayern holt einen 66-Jährigen als Trainer. Aber ist es nicht allemal entscheidend, wie jung man sich fühlt und im Kopf ist? 

Der Trainer-Rentner Heynckes wurde zum Vorbild einer stetig wachsenden Bevölkerungsschicht. Mit 66 Jahren, hatte schon Udo Jürgens gesungen, fängt das Leben doch erst an. Reiner Calmund, die Manager-Legende, unterstützte den Coup: "Da ist der alte Bellheim, Trainer-Senior Jupp Heynckes, der sich ganz toll entwickelt hat, der wesentlich lockerer und souveräner geworden ist." Es funktionierte mit den Bayern und Jupp, nur die Rendite blieb zunächst aus. Im Mai 2012 schauten sie zurück auf ein Jahr mit drei zweiten Plätzen, Leverkusen lag plötzlich bei München. Das Drama um das tragisch verlorene "Finale dahoam" gegen Chelsea ließ die Verantwortlichen nach dem ersten Schock nicht mehr ruhen. 

"Ein Freund, der immer für uns da war"

Matthias Sammer kam als Sportdirektor und Heynckes telefonierte täglich mit Vorstand Karl-Heinz Rummenigge in dessen Urlaub. Eine neue Mannschaft wurde gebaut und diesmal gewannen sie alles. Er hielt auch Kurs nach der leichten Kränkung durch die Verpflichtung von Pep Guardiola, die schon im Januar bekannt wurde – und damit auch sein Abschied, den er gerne selbst verkündet hätte. Die Mannschaft aber zerriss sich für ihren menschlichen Trainer, unter dem ein Robben und Ribéry aufblühten wie nie und kein Reservist aufmuckte. Keiner. Manuel Neuer würdigte die beiden Jahre mit Heynckes so: "Ein Freund, der immer für uns da war. Seine menschliche Art hat uns als Mannschaft zusammen geschweißt." Diese Mannschaft verlor 2012/2013 nur ein Spiel und brach alle Rekorde, einige überstanden auch die Guardiola-Ära. Beim letzten Saisonspiel an alter Gladbacher Wirkungsstätte verlor er sich hinterher in Erinnerungen und musste auf der Pressekonferenz mit den Tränen kämpfen. Die Journalisten klatschten, wann hat es das einmal gegeben? Alle mochten ihn nun, keiner wollte ihn ziehen lassen. Aber er ging, mit vollen Händen.

In London schlugen sie an jenem 25. Mai 2013 den lästigen Dauer-Rivalen BVB im rein deutschen Champions-League-Finale 2:1. Zum zweiten Mal gewann Heynckes den Silber-Pott, wieder durfte er ihn nicht verteidigen. Diesmal aber ging er nicht im Zorn wie einst in Madrid, sondern im Triumph. Mit dem Triple, das im Berliner Pokalfinale gegen Stuttgart (3:2) perfekt gemacht wurde. Die Spieler warfen ihn in die Luft, später rannen Tränen von ihren Wangen und auch von seinen, bei der vermeintlich letzten Pressekonferenz, die die Bayern für ihn am 4. Juni 2013 veranstalteten. Da saßen sie auf dem Podium, die Helden der Siebziger – Hoeneß, Rummenigge und der Jupp und rangen um Worte. Von Freundschaft, Dank und Respekt war die Rede. Man hat sie oft gehört bei diesen Gelegenheiten, aber bei Jupp Heynckes glaubte man sie. Ohne jeden Zweifel. 

Ein viertes Mal München

Und weil dem so war, folgte dem denkbar perfekten Abschied ein Epilog. Im Herbst 2017 klingelte Uli Hoeneß wieder einmal bei seinem Freund Jupp durch, seine Bayern hatten in Paris 0:3 verloren und waren unter dem gemütlichen Italiener Carlo Ancelotti vom rechten Weg abgekommen. In München kennen sie nur die Via triumphalis und der 72-jährige Heynckes nahm den Auftrag ein viertes Mal an, 2018 möglichst viele Titel einzusammeln. Dass es nur einer wurde – die Meisterschaft – und er sein letztes Pflichtspiel mit mittlerweile 73 Jahren verlor – das Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt – ändert am Ansehen und der Lebensleistung des Jupp Heynckes nichts. An seinem Zwischenfazit, das er bei bester Gesundheit ziehen darf, auch nicht: "Ich bin dankbar für dieses Leben".

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Es wurde dann doch ein bisschen viel in den vergangenen Tagen. Die Flut der Interviewanfragen aus dem In- und Ausland überwältigte Jupp Heynckes, er musste einen Riegel vorschieben. Aber auch die Absagen formulierte der Grandseigneur der deutschen Fußballtrainer stets höflich und mit der "Bitte um Verständnis." Mancher mag es bedauern, denn im Alter von 75 Jahren, das er heute erreicht, hat er noch allerhand zu sagen. Im vielleicht bemerkenswertesten Interview seines langen Lebens im Kicker vom vergangenen Montag reflektierte er die Probleme unserer Welt derart, dass man beim Lesen mitunter Zweifel bekam, ein Sportblatt in der Hand zu haben. Jupp Heynckes sorgt sich um die kommenden Generationen: "Gletscher schmelzen, die Tierwelt ist bedroht, dem Wald, den Feldern fehlt der Regen. In meiner Jugend hatten wir Winter mit 15 bis 20 Grad minus – wann hatten wir das zuletzt? Wir müssen unsere Lebensweise ändern."

Da denkt einer über den Tellerrand hinaus, was bei Fußballern noch immer als Seltenheit gilt. So besorgt er auf die Umwelt schaut, auch und gerade in Corona-Zeiten, so zufrieden ist er mit seinem erfolgreichen Fußballerleben, aber auch da besticht er durch Altersweisheit: "Im Leben zählen irgendwann deine Erfolge nichts mehr, sondern wahre Bedeutung hat, welche Spuren du hinterlassen hast, was du den Menschen gegeben hast und mit welcher Haltung, mit welcher Empathie, mit welchem Respekt du ihnen begegnet bist." Respekt, Herr Heynckes – aber auch vor Ihren Erfolgen. 

Phänomenale Torquote in Gladbach

Die Lebensleistung von Jupp Heynckes war schon als Spieler großartig. Aber er hatte das Pech, in einer Zeit zu leben, wo die Aller-Größten spielten. Beckenbauer, Netzer, Overath und Müller – ob mit ihm oder gegen ihn, sie raubten dem "Jupp", der eigentlich Josef heißt, immer etwas Licht. Was ihm – siehe sein Naturell – wiederum herzlich wenig ausmachte. Aber auch dazu führte, dass er heute eher als ehemaliger Trainer denn als ehemaliger Spieler wahrgenommen wird. Dabei stand er 1972 in der Europameister-Elf von Brüssel, auf Rechtsaußen. Dabei war er 1974 im Kader der Weltmeister, im Finale saß er auf der Bank und wurde "vergessen". Bernd Hölzenbein hielt sich nicht an die Absprache, sich auswechseln zu lassen. Lange hat das an Jupp genagt, aber öffentlich hat nicht er es gemacht, sondern Hölzenbein. Drei Jahrzehnte später. 

Um seine Vita als Spieler beneiden ihn trotzdem Millionen Fußballer. Vier Mal Meister mit Mönchengladbach, UEFA-Pokalsieger 1975, DFB-Pokalsieger 1973 und zweimal Torschützenkönig (1974, 1975). Nur zweimal, muss man sagen angesichts von 220 Treffern in 13 Jahren – aber in all diesen Jahren spielte auch ein gewisser Gerd Müller. Und neben dem "Bomber" erschienen sie alle wie kleine Lichter. 
In der Nationalmannschaft kam Heynckes, der mit elf Geschwistern aufwuchs, nicht so zur Geltung wie im Verein: 14 Tore in 39 Spielen – das wäre heute aller Ehren wert. In den Siebzigern jedoch nicht einmal ein Kopfnicken. Die Tore schienen doppelt so groß zu sein in jener wilden Ära, als 30 Treffer nicht immer für die Kanone des besten Torjägers reichten. An seine phänomenale Tor-Quote in der Bundesliga (60%) kam er im DFB-Dress nicht heran. 

Nur drei Spieler trafen häufiger

In der Bundesliga aber haben nur besagter Müller (365), Klaus Fischer (268) und Robert Lewandowski (227) mehr Tore als Heynckes (220) erzielt. Aber er durfte sich noch über viele weitere Bundesligatore freuen: Schon während seiner letzten Saison 1977/1978 stellte Heynckes die Weichen für seine Zukunft und machte in Köln das Trainer-Diplom. Seine Frau Iris sah das wohl etwas skeptisch und so versprach er ihr einen Pelz für 10.000 DM, wenn er nicht mindestens mit "gut" abschneiden würde. Es wurde "gut" und Iris musste sich mit einem Abendessen zufrieden geben.

Schon nach einem Jahr als Assistent von Udo Lattek übernahm er 1979 mit gerade 34 den Cheftrainer-Posten bei der Borussia. Dort wollte er anfangs zu viel und hatte das Image eines autoritären Zuchtmeisters, man sprach vom "Preußen vom Niederrhein". 18-Jährige wurden mit Bleiwesten über den Platz gehetzt und sein Ehrgeiz ("Mit 40 will ich als Trainer Deutscher Meister geworden sein") sorgte nicht nur für gute Stimmung. Ewald Lienen, damals sein Spieler, erinnerte sich so: "Es hat Phasen gegeben, da hätte ich ihn auf den Mond schießen können. Er hat sich selber wahnsinnig unter Druck gesetzt und wenn er dann von uns enttäuscht war, konnte er in seiner Kritik grausam verletzend sein." Wolfram Wuttke verpasste ihm ob seines schnell zornrot werdenden Kopfes den Spitznamen "Osram", Heynckes ihm einen Einlauf. 

Es ging so weit, dass der Spielerrat 1986 zu ihm ging und offenbarte, junge Spieler hätten regelrecht Angst vor ihm. Danach wurde es besser – und als sein Wechsel zu den Bayern 1987 feststand, floss gar so manche Träne. Er ging mit einem noch gültigen Vereinsrekord von zehn Siegen am Stück. In München ging er durch die ganz normale bayerische Trainer-Hölle, auch zwei Meistertitel (1989, 1990) bewahrten ihn im vierten Jahr nicht vor dem Rauswurf. Von Lockerheit war noch immer keine Spur: Fernsehen und Rauchen im Spielerbus, von Vorgänger Udo Lattek gestattet, wurden sogleich gestrichen. Einem Journalisten entzog er gar öffentlich das "Du". 

Hoeneß' "größter Fehler"

Uli Hoeneß musste ihn im Oktober 1991 entlassen, gegen seinen Willen und zu seinem Leidwesen. "Den größten Fehler meines Lebens", versuchte er später noch dreimal wett zu machen. Heynckes ging dann nach Spanien und lernte Gelassenheit. "Ich gehe heute mehr auf den Menschen ein, das habe ich in Spanien gelernt.", wurde er schon 2003 zitiert. Bei seinem Bundesliga-Comeback 1994 in Frankfurt war er noch ganz der Preuße vom Niederrhein. Er verdonnerte die schlampigen Stars Anthony Yeboah, Jay-Jay Okocha und Maurizio Gaudino zum Straftraining, woraufhin diese beleidigt nicht zum nächsten Spiel erschienen. Yeboah schilderte das Bild eines Despoten: "Er mag nur sich selbst, will der Größte sein. Alle müssen unter ihm stehen." 

Freunde wurden sie nicht mehr und als der Erfolg, ohne das suspendierte Trio, ausblieb, trat Heynckes verbittert zurück: "Die Spieler bekommen immer mehr Alibis für ihre Unzulänglichkeiten, Moral und Verantwortungsbewusstsein bleiben auf der Strecke." Er stellte auch fest: "Der Verein und ich passen nicht zusammen." Wie zum Beweis verzichtete der Ehrenmann Heynckes auf eine Abfindung vom damaligen Skandal-Klub Eintracht Frankfurt. 

Zehn Jahre später sagte Heynckes, er hätte "in der Sache richtig, aber übereilt reagiert". Es hat dann immer noch etwas gedauert bis er der gelassene Souverän wurde, der er heute ist. Bei Real Madrid haben sie ihn 1998 trotz Champions League-Siegs entlassen, als Opfer einer Medienkampagne. Warum? Geradlinig wie er stets gewesen ist, hatte er ein halbes Jahr nicht mit Reportern gesprochen, die ihn trotz nächtlicher Telefoninterviews bei erster Gelegenheit in die Pfanne gehauen hatten.

Großes Lob von Toni Kroos

In der Bundesliga hat sich Heynckes daraufhin zweimal erfolglos bemüht – in Schalke und Mönchengladbach: Schalke entließ ihn 2004 nach 16 Monaten und Manager Rudi Assauer rief ihm nach, er sei "eben ein Trainer der alten Schule". Heynckes wollte selbst ihm 20 Euro Strafe abknöpfen, weil Assauer auf einer Reise die falschen Socken trug. Stürmer Ebbe Sand erzählte: "Wenn wir mit Heynckes reden wollten, hat er klar gemacht, dass nur seine Meinung zählt." 

Aber schon auf Schalke ließ er den Spielerrat wählen statt ihn zu bestimmen, "da bin ich heute ganz anderer Meinung als früher." In Mönchengladbach trat er Anfang 2007 nach Morddrohungen zurück, wieder ohne einen Gedanken an die Abfindung und er gab, wie Präsident Jacobs herausstellte, den Dienstwagen "gewaschen und vollgetankt" zurück. Korrekt war er immer, den Schritt hin zu mehr Gelassenheit und damit zum beinahe idealen Trainer ging er aber erst nach einer bitteren Erfahrung: "Ich habe eine zweijährige Krankheitsphase mit mehreren Operationen durchgemacht. Da habe ich das alles reflektiert und mir wurde klar, dass viele Dinge im Leben gar nicht so wichtig sind. Das hat mir gut getan", sagte er 2010. Seitdem ist sein Umgang noch menschlicher geworden. 

Ex-Bayer Toni Kroos kannte ihn schon vor Heynckes' Rückkehr nach München: "Ich hatte ihn ein Jahr in Leverkusen und ich kann sagen, dass er ein hervorragender Trainer ist. Er hat ein unheimlich gutes Händchen dafür, wie man mit einer Mannschaft umgeht." Die längste Bundesligaserie von Bayer 04 ohne Niederlage stammt aus der Heynckes-Zeit (24 Spiele) und wurde seit zehn Jahren nicht überboten. Wie ein guter Wein reift auch ein guter Trainer, Heynckes ist das Paradebeispiel dafür.

Rückkehr aus dem Ruhestand

Ende der Saison 2008/2009 ergriff Uli Hoeneß nach dem Rauswurf von Jürgen Klinsmann die Chance, seine gefühlte Schuld bei Heynckes abzutragen. Der war eigentlich schon im Ruhestand, nun durfte er Bayerns Saison noch retten und er führte den Rekordmeister in die Champions-League-Plätze. Gerne wäre er geblieben, gerne hätten sie ihn auch behalten, aber mit Louis van Gaal war alles klar. Außerdem war Heynckes schon 64. Also zurück ins "Casa de los Gatos", das Haus der Katzen, wie er sein Anwesen in Schwalmtal bei Mönchengladbach nennt. Dann kam der Ruf aus Leverkusen. Van Gaal gewann derweil das Double 2010, nur das Champions-League-Finale nicht. Aber immerhin erreichte er es, nach neun langen Jahren ein Labsal für Bayern-Seelen. In der Saison 2010/2011 taten sich Risse auf zwischen van Gaal und dem Rest des Vereins, allen voran Uli Hoeneß. Der Präsident entließ den Niederländer im April und holte Heynckes ein zweites Mal zurück. Experten runzelten die Stirn: Andere gehen mit 65 in Rente, Bayern holt einen 66-Jährigen als Trainer. Aber ist es nicht allemal entscheidend, wie jung man sich fühlt und im Kopf ist? 

Der Trainer-Rentner Heynckes wurde zum Vorbild einer stetig wachsenden Bevölkerungsschicht. Mit 66 Jahren, hatte schon Udo Jürgens gesungen, fängt das Leben doch erst an. Reiner Calmund, die Manager-Legende, unterstützte den Coup: "Da ist der alte Bellheim, Trainer-Senior Jupp Heynckes, der sich ganz toll entwickelt hat, der wesentlich lockerer und souveräner geworden ist." Es funktionierte mit den Bayern und Jupp, nur die Rendite blieb zunächst aus. Im Mai 2012 schauten sie zurück auf ein Jahr mit drei zweiten Plätzen, Leverkusen lag plötzlich bei München. Das Drama um das tragisch verlorene "Finale dahoam" gegen Chelsea ließ die Verantwortlichen nach dem ersten Schock nicht mehr ruhen. 

"Ein Freund, der immer für uns da war"

Matthias Sammer kam als Sportdirektor und Heynckes telefonierte täglich mit Vorstand Karl-Heinz Rummenigge in dessen Urlaub. Eine neue Mannschaft wurde gebaut und diesmal gewannen sie alles. Er hielt auch Kurs nach der leichten Kränkung durch die Verpflichtung von Pep Guardiola, die schon im Januar bekannt wurde – und damit auch sein Abschied, den er gerne selbst verkündet hätte. Die Mannschaft aber zerriss sich für ihren menschlichen Trainer, unter dem ein Robben und Ribéry aufblühten wie nie und kein Reservist aufmuckte. Keiner. Manuel Neuer würdigte die beiden Jahre mit Heynckes so: "Ein Freund, der immer für uns da war. Seine menschliche Art hat uns als Mannschaft zusammen geschweißt." Diese Mannschaft verlor 2012/2013 nur ein Spiel und brach alle Rekorde, einige überstanden auch die Guardiola-Ära. Beim letzten Saisonspiel an alter Gladbacher Wirkungsstätte verlor er sich hinterher in Erinnerungen und musste auf der Pressekonferenz mit den Tränen kämpfen. Die Journalisten klatschten, wann hat es das einmal gegeben? Alle mochten ihn nun, keiner wollte ihn ziehen lassen. Aber er ging, mit vollen Händen.

In London schlugen sie an jenem 25. Mai 2013 den lästigen Dauer-Rivalen BVB im rein deutschen Champions-League-Finale 2:1. Zum zweiten Mal gewann Heynckes den Silber-Pott, wieder durfte er ihn nicht verteidigen. Diesmal aber ging er nicht im Zorn wie einst in Madrid, sondern im Triumph. Mit dem Triple, das im Berliner Pokalfinale gegen Stuttgart (3:2) perfekt gemacht wurde. Die Spieler warfen ihn in die Luft, später rannen Tränen von ihren Wangen und auch von seinen, bei der vermeintlich letzten Pressekonferenz, die die Bayern für ihn am 4. Juni 2013 veranstalteten. Da saßen sie auf dem Podium, die Helden der Siebziger – Hoeneß, Rummenigge und der Jupp und rangen um Worte. Von Freundschaft, Dank und Respekt war die Rede. Man hat sie oft gehört bei diesen Gelegenheiten, aber bei Jupp Heynckes glaubte man sie. Ohne jeden Zweifel. 

Ein viertes Mal München

Und weil dem so war, folgte dem denkbar perfekten Abschied ein Epilog. Im Herbst 2017 klingelte Uli Hoeneß wieder einmal bei seinem Freund Jupp durch, seine Bayern hatten in Paris 0:3 verloren und waren unter dem gemütlichen Italiener Carlo Ancelotti vom rechten Weg abgekommen. In München kennen sie nur die Via triumphalis und der 72-jährige Heynckes nahm den Auftrag ein viertes Mal an, 2018 möglichst viele Titel einzusammeln. Dass es nur einer wurde – die Meisterschaft – und er sein letztes Pflichtspiel mit mittlerweile 73 Jahren verlor – das Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt – ändert am Ansehen und der Lebensleistung des Jupp Heynckes nichts. An seinem Zwischenfazit, das er bei bester Gesundheit ziehen darf, auch nicht: "Ich bin dankbar für dieses Leben".

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