Jansen: "Leipzig ist der haushohe Favorit"

Vor zehn Jahren stand Marcell Jansen als Spieler des Hamburger SV im DFB-Pokalhalbfinale. Nun ist er Präsident des Vereins und erlebt von der Tribüne aus mit, wie der HSV gegen RB Leipzig heute (ab 20.45 Uhr, live in der ARD und bei Sky) erneut ein Halbfinale bestreitet. Im DFB.de-Interview spricht der 33 Jahre alte Ex-Nationalspieler mit Mitarbeiter Oliver Jensen über damals und heute.

DFB.de: Herr Jansen, was bedeutet es für den Hamburger SV, in einem DFB-Pokalhalbfinale zu stehen?

Marcell Jansen: Das ist für uns eine wunderschöne Momentaufnahme. Gerade die Fans haben in den letzten schwierigen Jahren nach schönen Momenten gedurstet. Solche hatten wir zuletzt mit dem Derbysieg gegen den FC St. Pauli, mit dem Einzug in das Pokalhalbfinale und nun mit dem Heimspiel gegen RB Leipzig. Das hat sich die junge Mannschaft erarbeitet.

DFB.de: Der Hamburger SV ist als einziger Zweitligist im Halbfinale praktisch der Underdog. Wie sehr glauben Sie dennoch an den Finaleinzug?

Jansen: RB Leipzig ist der haushohe Favorit. Wenn man sieht, wie die Sachsen in der Bundesliga auftreten: Das ist ein moderner und athletischer Fußball mit hoher Geschwindigkeit und einer brutalen Effektivität. Aber der Pokal hat seine eigenen Gesetze. Wir alle haben gesehen, wie Heidenheim in München gespielt hat (der FC Bayern gewann "nur" mit 5:4; Anm. d. Red.). Im Gegensatz zu Heidenheim haben wir nun sogar ein Heimspiel. Wenn alles zusammenpasst, haben wir eine Chance. Wichtig ist, dass wir einfach Bock auf das Spiel haben und alles reinschmeißen.

DFB.de: Die Rolle des Außenseiters kann also auch Spaß machen?

Jansen: Genau. Die Leipziger stehen mehr unter Druck. Die müssen weiterkommen. Das ist deren Anspruch. Wir können einfach ein geiles Spiel haben und Spaß haben.

DFB.de: Vor zehn Jahren standen Sie mit dem Hamburger SV als Spieler Halbfinale und verloren gegen Werder Bremen im Elfmeterschießen. Welche Erinnerung haben Sie an dieses Spiel?

Jansen: Damals hatten wir eine völlig andere Ausgangssituation als diesmal. Da trafen zwei Bundesligisten aufeinander. Leider haben wir damals keinen guten Tag erwischt. Bremen war im Pokalspiel die bessere Mannschaft und kam verdient weiter.

DFB.de: Sie haben damals den entscheidenden Elfmeter verschossen...

Jansen: Ja, das war natürlich in dem Moment sehr bitter. Aber so ist das eben im Leistungssport: Mal wirst du gefeiert und bist der Held, an anderen Tagen haust du einen daneben. Natürlich ärgert man sich sehr darüber. Ich konnte das aber gut verarbeiten.

DFB.de: Damals trafen der HSV und Werder Bremen in dreieinhalb Wochen gleich viermal aufeinander: einmal Pokal, zweimal im Halbfinale des UEFA-Cups, dann auch noch in der Bundesliga. In allen drei Wettbewerben zog der HSV den Kürzeren. War das ein Knackpunkt in der Geschichte des HSV? Oder anders gefragt: Haben diese Nordderbys den Abwärtstrend eingeläutet?

Jansen: Nein, für mich überhaupt nicht. Ich war nie so naiv, die Gesamtentwicklung eines Vereins an einem Ergebnis zerbrechen zu lassen. Klar: Das Ausscheiden im UEFA-Cup war sehr bitter. Anders als im Pokal waren wir hier in beiden Spielen die klar bessere Mannschaft, bekamen aber viel zu einfache Gegentore. Das hat sehr wehgetan. Aber man kann nicht alles an ein paar Spielen festmachen. Man hätte danach nicht alles Gute - und damals lief beim HSV vieles gut - über Bord schmeißen dürfen. Das war damals ein großer Fehler.

DFB.de: Früher hat der HSV kaum auf eigene Nachwuchsspieler gesetzt. Mittlerweile gibt es viele Eigengewächse wie zum Beispiel die U-Nationalspieler Mats Köhlert oder Josha Vagnoman, die bei den Profis zum Einsatz kommen. Hat sich die Ausrichtung des Vereins in dieser Hinsicht verändert?

Jansen: Es gab auch früher einige Spieler wie Jonathan Tah oder Heung-Min Son, die bereits im jungen Alter eine gute Karriere gemacht haben. Aber natürlich befinden wir uns jetzt in einer Sondersituation. Der Fokus liegt mehr auf den eigenen Talenten als früher. Wir haben nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten wie damals. Das beste Beispiel: Khaled Narey war im vergangenen Sommer mit einer Ablöse von 1,7 Millionen Euro der einzige Transfer mit Ablösesumme, der getätigt wurde. Das zeigt, dass wir vernünftige Dinge machen und bodenständig bleiben. Wir müssen in Hamburg realistisch sein. Und vor allem brauchen wir Zeit, um etwas zu entwickeln. Wir müssen davon wegkommen, dass in erfolgreichen Zeiten immer alles super ist und bei Misserfolgen alles schlecht.

DFB.de: Das Umfeld in Hamburg hat nicht den Ruf, sehr geduldig zu sein...

Jansen: Also ich denke, dass 95 Prozent unserer Hauptfans voll hinter dem Kurs stehen, den wir eingeschlagen haben.

DFB.de: Fünf Tage nach dem Halbfinale steht am Sonntag das wichtige Ligaspiel bei Union Berlin an, ein Schlüsselspiel im Aufstiegsrennen. Ist das Pokalspiel im Hinblick darauf eher eine Ablenkung, oder kann diese Partie eine Mannschaft auch beflügeln?

Jansen: Das ist eine gute Frage. Die junge Mannschaft muss es hinbekommen, nach dem Pokalspiel sofort wieder die Aufmerksamkeit auf das Tagesgeschäft zu legen. Der Ligabetrieb ist entscheidend. Daher hoffe ich, dass die Mannschaft aus dem Pokalspiel zusätzliche Kräfte ziehen wird. Leider haben wir das zuletzt nicht geschafft: Nach dem guten Pokalspiel in Paderborn folgte das 1:2 gegen Magdeburg. Aber nun geht es um alles.

DFB.de: Das heißt?

Jansen: Jetzt ist der richtige Moment, um mental den nächsten Entwicklungsschritt zu machen. Das ist vor allem auch die Aufgabe des Trainerteams und der Führungsspieler. Körperlich jedenfalls ist es kein Problem, mit einer guten Trainingssteuerung fünf Tage später erneut ein wichtiges Spiel zu bestreiten.

DFB.de: Sie sind nun Präsident des Hamburger SV e.V. Der Verein hält 76,2 Prozent der HSV Fußball AG, die für den Profifußball zuständig ist. Welchen Einfluss können Sie überhaupt auf die Profimannschaft nehmen?

Jansen: Das Präsidium des Vereins ist als Mehrheitseigner stark im Aufsichtsrat vertreten. Dadurch sind wir nahe am Vorstand und am operativen Tagesgeschäft dran. Es geht darum, Ratschläge zu geben und die ganze Entwicklung zu begleiten und zu beaufsichtigen. Wir unterstützen den Vorstand, der einen sehr guten Job macht, also Frank Wettstein, Bernd Hoffmann und Ralf Becker. Ich laufe aber nicht 20-mal durch die Kabine. Natürlich kenne ich auch noch den einen oder anderen Spieler und bin im Austausch. Aber das Tagesgeschäft machen die hauptamtlichen Mitarbeiter. Ich bin also eng dran, halte mich aber im Hintergrund. Zumal ich mich mit dem ehrenamtlichen Präsidium des Vereins um insgesamt 30 Sportabteilungen kümmern muss.

DFB.de: Einen Tag nach dem Halbfinale in Hamburg steigt das zweite Halbfinale zwischen Werder Bremen und Ihrem Ex-Verein FC Bayern München. Wie schätzen Sie diese Begegnung ein?

Jansen: Bayern ist natürlich der Favorit. Aber wenn Werder die Leistungen aus den letzten Wochen in dieses Spiel transportieren kann, haben die Bremer mit ihren Fans im Rücken die große Chance, es ins Finale zu schaffen.

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Vor zehn Jahren stand Marcell Jansen als Spieler des Hamburger SV im DFB-Pokalhalbfinale. Nun ist er Präsident des Vereins und erlebt von der Tribüne aus mit, wie der HSV gegen RB Leipzig heute (ab 20.45 Uhr, live in der ARD und bei Sky) erneut ein Halbfinale bestreitet. Im DFB.de-Interview spricht der 33 Jahre alte Ex-Nationalspieler mit Mitarbeiter Oliver Jensen über damals und heute.

DFB.de: Herr Jansen, was bedeutet es für den Hamburger SV, in einem DFB-Pokalhalbfinale zu stehen?

Marcell Jansen: Das ist für uns eine wunderschöne Momentaufnahme. Gerade die Fans haben in den letzten schwierigen Jahren nach schönen Momenten gedurstet. Solche hatten wir zuletzt mit dem Derbysieg gegen den FC St. Pauli, mit dem Einzug in das Pokalhalbfinale und nun mit dem Heimspiel gegen RB Leipzig. Das hat sich die junge Mannschaft erarbeitet.

DFB.de: Der Hamburger SV ist als einziger Zweitligist im Halbfinale praktisch der Underdog. Wie sehr glauben Sie dennoch an den Finaleinzug?

Jansen: RB Leipzig ist der haushohe Favorit. Wenn man sieht, wie die Sachsen in der Bundesliga auftreten: Das ist ein moderner und athletischer Fußball mit hoher Geschwindigkeit und einer brutalen Effektivität. Aber der Pokal hat seine eigenen Gesetze. Wir alle haben gesehen, wie Heidenheim in München gespielt hat (der FC Bayern gewann "nur" mit 5:4; Anm. d. Red.). Im Gegensatz zu Heidenheim haben wir nun sogar ein Heimspiel. Wenn alles zusammenpasst, haben wir eine Chance. Wichtig ist, dass wir einfach Bock auf das Spiel haben und alles reinschmeißen.

DFB.de: Die Rolle des Außenseiters kann also auch Spaß machen?

Jansen: Genau. Die Leipziger stehen mehr unter Druck. Die müssen weiterkommen. Das ist deren Anspruch. Wir können einfach ein geiles Spiel haben und Spaß haben.

DFB.de: Vor zehn Jahren standen Sie mit dem Hamburger SV als Spieler Halbfinale und verloren gegen Werder Bremen im Elfmeterschießen. Welche Erinnerung haben Sie an dieses Spiel?

Jansen: Damals hatten wir eine völlig andere Ausgangssituation als diesmal. Da trafen zwei Bundesligisten aufeinander. Leider haben wir damals keinen guten Tag erwischt. Bremen war im Pokalspiel die bessere Mannschaft und kam verdient weiter.

DFB.de: Sie haben damals den entscheidenden Elfmeter verschossen...

Jansen: Ja, das war natürlich in dem Moment sehr bitter. Aber so ist das eben im Leistungssport: Mal wirst du gefeiert und bist der Held, an anderen Tagen haust du einen daneben. Natürlich ärgert man sich sehr darüber. Ich konnte das aber gut verarbeiten.

DFB.de: Damals trafen der HSV und Werder Bremen in dreieinhalb Wochen gleich viermal aufeinander: einmal Pokal, zweimal im Halbfinale des UEFA-Cups, dann auch noch in der Bundesliga. In allen drei Wettbewerben zog der HSV den Kürzeren. War das ein Knackpunkt in der Geschichte des HSV? Oder anders gefragt: Haben diese Nordderbys den Abwärtstrend eingeläutet?

Jansen: Nein, für mich überhaupt nicht. Ich war nie so naiv, die Gesamtentwicklung eines Vereins an einem Ergebnis zerbrechen zu lassen. Klar: Das Ausscheiden im UEFA-Cup war sehr bitter. Anders als im Pokal waren wir hier in beiden Spielen die klar bessere Mannschaft, bekamen aber viel zu einfache Gegentore. Das hat sehr wehgetan. Aber man kann nicht alles an ein paar Spielen festmachen. Man hätte danach nicht alles Gute - und damals lief beim HSV vieles gut - über Bord schmeißen dürfen. Das war damals ein großer Fehler.

DFB.de: Früher hat der HSV kaum auf eigene Nachwuchsspieler gesetzt. Mittlerweile gibt es viele Eigengewächse wie zum Beispiel die U-Nationalspieler Mats Köhlert oder Josha Vagnoman, die bei den Profis zum Einsatz kommen. Hat sich die Ausrichtung des Vereins in dieser Hinsicht verändert?

Jansen: Es gab auch früher einige Spieler wie Jonathan Tah oder Heung-Min Son, die bereits im jungen Alter eine gute Karriere gemacht haben. Aber natürlich befinden wir uns jetzt in einer Sondersituation. Der Fokus liegt mehr auf den eigenen Talenten als früher. Wir haben nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten wie damals. Das beste Beispiel: Khaled Narey war im vergangenen Sommer mit einer Ablöse von 1,7 Millionen Euro der einzige Transfer mit Ablösesumme, der getätigt wurde. Das zeigt, dass wir vernünftige Dinge machen und bodenständig bleiben. Wir müssen in Hamburg realistisch sein. Und vor allem brauchen wir Zeit, um etwas zu entwickeln. Wir müssen davon wegkommen, dass in erfolgreichen Zeiten immer alles super ist und bei Misserfolgen alles schlecht.

DFB.de: Das Umfeld in Hamburg hat nicht den Ruf, sehr geduldig zu sein...

Jansen: Also ich denke, dass 95 Prozent unserer Hauptfans voll hinter dem Kurs stehen, den wir eingeschlagen haben.

DFB.de: Fünf Tage nach dem Halbfinale steht am Sonntag das wichtige Ligaspiel bei Union Berlin an, ein Schlüsselspiel im Aufstiegsrennen. Ist das Pokalspiel im Hinblick darauf eher eine Ablenkung, oder kann diese Partie eine Mannschaft auch beflügeln?

Jansen: Das ist eine gute Frage. Die junge Mannschaft muss es hinbekommen, nach dem Pokalspiel sofort wieder die Aufmerksamkeit auf das Tagesgeschäft zu legen. Der Ligabetrieb ist entscheidend. Daher hoffe ich, dass die Mannschaft aus dem Pokalspiel zusätzliche Kräfte ziehen wird. Leider haben wir das zuletzt nicht geschafft: Nach dem guten Pokalspiel in Paderborn folgte das 1:2 gegen Magdeburg. Aber nun geht es um alles.

DFB.de: Das heißt?

Jansen: Jetzt ist der richtige Moment, um mental den nächsten Entwicklungsschritt zu machen. Das ist vor allem auch die Aufgabe des Trainerteams und der Führungsspieler. Körperlich jedenfalls ist es kein Problem, mit einer guten Trainingssteuerung fünf Tage später erneut ein wichtiges Spiel zu bestreiten.

DFB.de: Sie sind nun Präsident des Hamburger SV e.V. Der Verein hält 76,2 Prozent der HSV Fußball AG, die für den Profifußball zuständig ist. Welchen Einfluss können Sie überhaupt auf die Profimannschaft nehmen?

Jansen: Das Präsidium des Vereins ist als Mehrheitseigner stark im Aufsichtsrat vertreten. Dadurch sind wir nahe am Vorstand und am operativen Tagesgeschäft dran. Es geht darum, Ratschläge zu geben und die ganze Entwicklung zu begleiten und zu beaufsichtigen. Wir unterstützen den Vorstand, der einen sehr guten Job macht, also Frank Wettstein, Bernd Hoffmann und Ralf Becker. Ich laufe aber nicht 20-mal durch die Kabine. Natürlich kenne ich auch noch den einen oder anderen Spieler und bin im Austausch. Aber das Tagesgeschäft machen die hauptamtlichen Mitarbeiter. Ich bin also eng dran, halte mich aber im Hintergrund. Zumal ich mich mit dem ehrenamtlichen Präsidium des Vereins um insgesamt 30 Sportabteilungen kümmern muss.

DFB.de: Einen Tag nach dem Halbfinale in Hamburg steigt das zweite Halbfinale zwischen Werder Bremen und Ihrem Ex-Verein FC Bayern München. Wie schätzen Sie diese Begegnung ein?

Jansen: Bayern ist natürlich der Favorit. Aber wenn Werder die Leistungen aus den letzten Wochen in dieses Spiel transportieren kann, haben die Bremer mit ihren Fans im Rücken die große Chance, es ins Finale zu schaffen.

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