Jannik Schewes: Das Herz eines Löwen

Jannik Schewes (20) war einst ein großes Fußballtalent. Doch bei einem Unfall vor mehr als acht Jahren wurde er so schwer verletzt, dass er bis heute Pflege und Betreuung braucht. Seit Jahren beteiligt sich die DFB-Stiftung Sepp Herberger an den Kosten. Tag für Tag und Schritt für Schritt geht es Jannik Schewes ein kleines bisschen besser. Und sonntags ist er immer auf dem Sportplatz.

Fast achteinhalb Jahre nach dem Unfall bereitet Jannik Schewes seinen nächsten Schritt vor. Die Folgen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas fesseln Jannik bis heute an den Rollstuhl. Zu laufen ist ein Akt größter Willenskraft. Hier jetzt in der Rehaklinik in Kaiserslautern, wohin ihn seine Mutter Karin aus dem 72 Kilometer entfernten Heimatdorf der Familie Schewes im Saarland täglich fährt, umklammert er mit der linken Hand den hölzernen Handlauf und hebt langsam den rechten Fuß.

Keine Überlebenschance, urteilten die Ärzte damals. Über Monate wurde er künstlich ernährt. Und sprach kein Wort. Heute ist vieles anders. Weil er nie, nie, nie, nie aufgibt. "Der Marcel will das Gleiche wie ich", sagt Jannik, Wort für Wort. Marcel Felske und Rainer Mayer-Gukenbiehl sind seine Physiotherapeuten. Seit vier Monaten arbeitet Jannik mit ihnen an sechs Zentimetern. Das Gehirn ist vollständig von Knochen umgeben, und weil man damals, so sieht es Hubert Schewes, seinen Sohn abgeschrieben und deshalb versäumt hatte, die Schädeldecke zu öffnen, trotz seines aufgrund des massiven Aufpralls rapide anschwellenden Gehirns, leidet Jannik bis heute an einem schweren Spasmus. Er habe einen extrem hohen Tonus in der Muskulatur, dadurch Oberarme und Brustmuskeln wie ein Bodybuilder, erklärt Felske. Deshalb läuft er links mit einem Spitzfuß, kann die Ferse nicht die letzten sechs Zentimeter absenken. Dann würde er stabiler stehen. Jannik setzt den rechten Fuß auf und beugt das linke Knie. Wieder ein Schritt.

Seine Familie begleitet ihn auf dem langen Weg, der ihn zu einer sukzessiven Besserung, aber nicht mehr zur vollen Gesundheit führen wird, den er stur, mutig, unerbittlich immer weiter geht. Die frühere Krankenschwester Karin Schewes wurde von ihrem Krankenhaus freigestellt und widmet sich ganztägig ihrem Sohn. Hubert Schewes, der als Lebensmittelprüfer in der Kreisverwaltung tätig ist, begleitet Jannik immer zu Beginn seines Feierabends zu den Therapien, während Karin Schewes das Abendessen bereitet. Nachts müssen die Eltern vier-, fünfmal raus. Gang zur Toilette, die Orthesen richten. Auch Manuel, drei Jahre älter, der noch zu Hause lebt, kümmert sich um seinen Bruder. Sonntags rollt Jannik, der früher der bessere Fußballer war, auf den Sportplatz des SV Altheim. Wenn sie gewinnen, holen die Fußballer Jannik mit dem Rollstuhl in ihre Mitte.

Joachim Löw und Oliver Bierhoff treffen Jannik

Am Tag des Abflugs nach Brasilien hatte der Deutsche Fußball-Bund Jannik im Sommer 2014 in die Geschäftsstelle nach Frankfurt eingeladen. Konzentriert sagt Jannik: "Es war toll, dass sich der Bundestrainer und Oliver Bierhoff damals die Zeit nahmen und dass wir uns eine Weile unterhalten konnten." Das Haus der Familie wurde umgebaut. Seit vielen Jahren beteiligt sich die DFB-Stiftung Sepp Herberger aus Mitteln des DFB-Sozialwerks monatlich an den entstehenden Kosten. Die Mittel des Sondervermögens stammen direkt aus dem hinterlassenen Erbe von Eva und Sepp Herberger.

Schon der Dreijährige habe bei jedem Spaziergang einen kleinen Ball am Fuß gehabt, erinnert sich Karin Schewes. Der Zwölfjährige zählte zu den größten Talenten des Saarlands. Erik Durm, Jonas Hector, Patrick Herrmann, das Kaliber. Er trainierte am DFB-Stützpunkt Ostsaarland in Limbach. "Jannik war ein vorausschauender Fußballer, er kannte den Gegner, war technisch sehr stark", beschreibt ihn sein damaliger Trainer Marc Zimmer. Bis heute trainiert er seinen früheren Schützling, nur jetzt nicht mehr mit Ball, sondern auf einem luftgepolsterten Laufband am Olympiastützpunkt in Saarbrücken. Der alte Trainer fordere ihn heraus, mache Druck, pumpe Zuversicht in Jannik, sagt Hubert Schewes.

Hubert Schewes: "Die Fußballfamilie hat uns immer weiter geholfen

Es geschah am hellichten Tag, der 17. Juli 2008, ein Freitag, es war gerade 17 Uhr. Hubert Schewes saß auf der Terrasse, als das Telefon klingelte. Jannik hatte einen Freund besucht und war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Kirche, in der er als Messdiener diente. Gerade war er auf die Hauptstraße eingebogen, als ihn ein Auto mit 80 Stundenkilometern erwischte. Der zwölfjährige Junge wurde wie ein Blatt aus dem Sattel gerissen und klatschte mit großer Wucht auf die Windschutzscheibe, von dort stürzte er auf den Asphalt. Der Lenker des Wagens habe vor Gericht keine Aussage machen wollen oder können, da er sich in psychologische Behandlung begeben habe und sich angeblich nicht mehr an den Unfallhergang erinnere, sagt Hubert Schewes.

Laut Gutachten hatte Jannik sieben Meter auf der Hauptstraße zurückgelegt. Kurz vor dem Abbiegen musste er bergauf radeln. Dafür hatte er den ersten Gang eingelegt, und deshalb mussten auch sieben Meter drei bis vier Sekunden gedauert haben. Da Janniks Fahrrad nicht untersucht eine Woche bei der Polizei im Lager stand, konnte dies nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Die Kirche liegt nur 153 Meter vom Elternhaus entfernt, deshalb verweigerte die berufsgenossenschaftliche Krankenkasse jegliche Zahlung. Dafür hätte der Unfallort nicht mehr als das Zehnfache der Strecke vom Haus der Eltern bis zum Zielort entfernt liegen dürfen. Zehnmal 153 Meter sind 1,5 Kilometer. Doch der Freund wohnte 4,3 Kilometer entfernt. Die Familie klagte sich bis vor das Bundesverfassungsgericht, das eine Einzelfallentscheidung verweigerte. Hubert Schewes sagt: "Die Fußballfamilie hat uns immer weiter geholfen."

Hubert Schewes sagt auch: "Mein Junge hat das Herz eines Löwen", und wenn man ihn fragt, wie er und seine Frau es schaffen, täglich wieder anzupacken, dann sagt er: "Das liegt an Jannik, das macht alles er." Unter der Woche trainiert er jeden Tag im Zentrum für ambulante neurologische und orthopädische Rehabilitation in Kaiserslautern. Krafttraining, Gymnastik, Feinmotorik insbesondere für seine rechte Hand, Konzentrationsaufgaben am Computer, Bewegungstraining auf dem Fahrrad. Täglich von neun bis 13 Uhr. Jannik sagt: "Ich habe noch nie einen Tag gehabt, wo ich zur Mama gesagt habe, ich möchte heute nicht trainieren." Gerade hat die IKK die Rehamaßnahmen wieder bewilligt. Das saarländische Kultusministerium schickt montags und freitags einen Lehrer zum Unterricht, zusätzlich kommt samstags ehrenamtlich ein pensionierter Lehrer zum Privatunterricht. Dienstags geht er auf ein Laufband in Illingen, mittwochs in Saarbrücken, wo schon Ironman Jan Frodeno trainierte. Samstags und sonntags schwimmt und reitet er.

Beim Unfall wurden Nervenbahnen gekappt, Verbindungen durchtrennt, Fasern rissen. Mühsam musste er sich auch die Sprache wieder erobern, und lange war es so, dass er zwar Fragen richtig beantwortete, die Fakten stimmten, aber Jannik das Gespür für den Moment fehlte, es ihm schwer fiel, selbst ein Gespräch zu übernehmen. Früher lernte er am PC Einkaufslisten auswendig. Heute läuft über den Monitor ein Fahrsimulator. Jannik muss Ampeln und Verkehrsschilder beachten. Er muss auf Radfahrer achtgeben. Ihn reizt die Herausforderung, erzählt er. Und, fährt er schon so gut wie Vater Hubert? "Nein, so gut fahre ich noch nicht", antwortet er Wort für Wort, sehr konzentriert. Dann schaut er zu seinem Therapeuten. Pointen sind eine Frage des Timings. Er schaut seinen Vater an. "Aber annähernd". Und dann lacht Jannik.

[th]

Jannik Schewes (20) war einst ein großes Fußballtalent. Doch bei einem Unfall vor mehr als acht Jahren wurde er so schwer verletzt, dass er bis heute Pflege und Betreuung braucht. Seit Jahren beteiligt sich die DFB-Stiftung Sepp Herberger an den Kosten. Tag für Tag und Schritt für Schritt geht es Jannik Schewes ein kleines bisschen besser. Und sonntags ist er immer auf dem Sportplatz.

Fast achteinhalb Jahre nach dem Unfall bereitet Jannik Schewes seinen nächsten Schritt vor. Die Folgen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas fesseln Jannik bis heute an den Rollstuhl. Zu laufen ist ein Akt größter Willenskraft. Hier jetzt in der Rehaklinik in Kaiserslautern, wohin ihn seine Mutter Karin aus dem 72 Kilometer entfernten Heimatdorf der Familie Schewes im Saarland täglich fährt, umklammert er mit der linken Hand den hölzernen Handlauf und hebt langsam den rechten Fuß.

Keine Überlebenschance, urteilten die Ärzte damals. Über Monate wurde er künstlich ernährt. Und sprach kein Wort. Heute ist vieles anders. Weil er nie, nie, nie, nie aufgibt. "Der Marcel will das Gleiche wie ich", sagt Jannik, Wort für Wort. Marcel Felske und Rainer Mayer-Gukenbiehl sind seine Physiotherapeuten. Seit vier Monaten arbeitet Jannik mit ihnen an sechs Zentimetern. Das Gehirn ist vollständig von Knochen umgeben, und weil man damals, so sieht es Hubert Schewes, seinen Sohn abgeschrieben und deshalb versäumt hatte, die Schädeldecke zu öffnen, trotz seines aufgrund des massiven Aufpralls rapide anschwellenden Gehirns, leidet Jannik bis heute an einem schweren Spasmus. Er habe einen extrem hohen Tonus in der Muskulatur, dadurch Oberarme und Brustmuskeln wie ein Bodybuilder, erklärt Felske. Deshalb läuft er links mit einem Spitzfuß, kann die Ferse nicht die letzten sechs Zentimeter absenken. Dann würde er stabiler stehen. Jannik setzt den rechten Fuß auf und beugt das linke Knie. Wieder ein Schritt.

Seine Familie begleitet ihn auf dem langen Weg, der ihn zu einer sukzessiven Besserung, aber nicht mehr zur vollen Gesundheit führen wird, den er stur, mutig, unerbittlich immer weiter geht. Die frühere Krankenschwester Karin Schewes wurde von ihrem Krankenhaus freigestellt und widmet sich ganztägig ihrem Sohn. Hubert Schewes, der als Lebensmittelprüfer in der Kreisverwaltung tätig ist, begleitet Jannik immer zu Beginn seines Feierabends zu den Therapien, während Karin Schewes das Abendessen bereitet. Nachts müssen die Eltern vier-, fünfmal raus. Gang zur Toilette, die Orthesen richten. Auch Manuel, drei Jahre älter, der noch zu Hause lebt, kümmert sich um seinen Bruder. Sonntags rollt Jannik, der früher der bessere Fußballer war, auf den Sportplatz des SV Altheim. Wenn sie gewinnen, holen die Fußballer Jannik mit dem Rollstuhl in ihre Mitte.

Joachim Löw und Oliver Bierhoff treffen Jannik

Am Tag des Abflugs nach Brasilien hatte der Deutsche Fußball-Bund Jannik im Sommer 2014 in die Geschäftsstelle nach Frankfurt eingeladen. Konzentriert sagt Jannik: "Es war toll, dass sich der Bundestrainer und Oliver Bierhoff damals die Zeit nahmen und dass wir uns eine Weile unterhalten konnten." Das Haus der Familie wurde umgebaut. Seit vielen Jahren beteiligt sich die DFB-Stiftung Sepp Herberger aus Mitteln des DFB-Sozialwerks monatlich an den entstehenden Kosten. Die Mittel des Sondervermögens stammen direkt aus dem hinterlassenen Erbe von Eva und Sepp Herberger.

Schon der Dreijährige habe bei jedem Spaziergang einen kleinen Ball am Fuß gehabt, erinnert sich Karin Schewes. Der Zwölfjährige zählte zu den größten Talenten des Saarlands. Erik Durm, Jonas Hector, Patrick Herrmann, das Kaliber. Er trainierte am DFB-Stützpunkt Ostsaarland in Limbach. "Jannik war ein vorausschauender Fußballer, er kannte den Gegner, war technisch sehr stark", beschreibt ihn sein damaliger Trainer Marc Zimmer. Bis heute trainiert er seinen früheren Schützling, nur jetzt nicht mehr mit Ball, sondern auf einem luftgepolsterten Laufband am Olympiastützpunkt in Saarbrücken. Der alte Trainer fordere ihn heraus, mache Druck, pumpe Zuversicht in Jannik, sagt Hubert Schewes.

Hubert Schewes: "Die Fußballfamilie hat uns immer weiter geholfen

Es geschah am hellichten Tag, der 17. Juli 2008, ein Freitag, es war gerade 17 Uhr. Hubert Schewes saß auf der Terrasse, als das Telefon klingelte. Jannik hatte einen Freund besucht und war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Kirche, in der er als Messdiener diente. Gerade war er auf die Hauptstraße eingebogen, als ihn ein Auto mit 80 Stundenkilometern erwischte. Der zwölfjährige Junge wurde wie ein Blatt aus dem Sattel gerissen und klatschte mit großer Wucht auf die Windschutzscheibe, von dort stürzte er auf den Asphalt. Der Lenker des Wagens habe vor Gericht keine Aussage machen wollen oder können, da er sich in psychologische Behandlung begeben habe und sich angeblich nicht mehr an den Unfallhergang erinnere, sagt Hubert Schewes.

Laut Gutachten hatte Jannik sieben Meter auf der Hauptstraße zurückgelegt. Kurz vor dem Abbiegen musste er bergauf radeln. Dafür hatte er den ersten Gang eingelegt, und deshalb mussten auch sieben Meter drei bis vier Sekunden gedauert haben. Da Janniks Fahrrad nicht untersucht eine Woche bei der Polizei im Lager stand, konnte dies nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Die Kirche liegt nur 153 Meter vom Elternhaus entfernt, deshalb verweigerte die berufsgenossenschaftliche Krankenkasse jegliche Zahlung. Dafür hätte der Unfallort nicht mehr als das Zehnfache der Strecke vom Haus der Eltern bis zum Zielort entfernt liegen dürfen. Zehnmal 153 Meter sind 1,5 Kilometer. Doch der Freund wohnte 4,3 Kilometer entfernt. Die Familie klagte sich bis vor das Bundesverfassungsgericht, das eine Einzelfallentscheidung verweigerte. Hubert Schewes sagt: "Die Fußballfamilie hat uns immer weiter geholfen."

Hubert Schewes sagt auch: "Mein Junge hat das Herz eines Löwen", und wenn man ihn fragt, wie er und seine Frau es schaffen, täglich wieder anzupacken, dann sagt er: "Das liegt an Jannik, das macht alles er." Unter der Woche trainiert er jeden Tag im Zentrum für ambulante neurologische und orthopädische Rehabilitation in Kaiserslautern. Krafttraining, Gymnastik, Feinmotorik insbesondere für seine rechte Hand, Konzentrationsaufgaben am Computer, Bewegungstraining auf dem Fahrrad. Täglich von neun bis 13 Uhr. Jannik sagt: "Ich habe noch nie einen Tag gehabt, wo ich zur Mama gesagt habe, ich möchte heute nicht trainieren." Gerade hat die IKK die Rehamaßnahmen wieder bewilligt. Das saarländische Kultusministerium schickt montags und freitags einen Lehrer zum Unterricht, zusätzlich kommt samstags ehrenamtlich ein pensionierter Lehrer zum Privatunterricht. Dienstags geht er auf ein Laufband in Illingen, mittwochs in Saarbrücken, wo schon Ironman Jan Frodeno trainierte. Samstags und sonntags schwimmt und reitet er.

Beim Unfall wurden Nervenbahnen gekappt, Verbindungen durchtrennt, Fasern rissen. Mühsam musste er sich auch die Sprache wieder erobern, und lange war es so, dass er zwar Fragen richtig beantwortete, die Fakten stimmten, aber Jannik das Gespür für den Moment fehlte, es ihm schwer fiel, selbst ein Gespräch zu übernehmen. Früher lernte er am PC Einkaufslisten auswendig. Heute läuft über den Monitor ein Fahrsimulator. Jannik muss Ampeln und Verkehrsschilder beachten. Er muss auf Radfahrer achtgeben. Ihn reizt die Herausforderung, erzählt er. Und, fährt er schon so gut wie Vater Hubert? "Nein, so gut fahre ich noch nicht", antwortet er Wort für Wort, sehr konzentriert. Dann schaut er zu seinem Therapeuten. Pointen sind eine Frage des Timings. Er schaut seinen Vater an. "Aber annähernd". Und dann lacht Jannik.

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