Musiala: "Kein Spiel wie jedes andere"

Die Reise nach Wembley zum EM-Achtelfinale gegen England am Dienstag (ab 18 Uhr, live in der ARD und bei MagentaTV) ist für Jamal Musiala eine Reise in die Vergangenheit. In England verbrachte der 18-Jährige sein halbes Leben. Erst Anfang 2021 entschied er sich, für die deutsche Nationalmannschaft aufzulaufen. Wie wertvoll er sein kann, zeigte er in seinem Kurzeinsatz gegen Ungarn, bei dem er den Ausgleich einleitete. Nun sollen weitere große Momente folgen. Mit DFB.de spricht der Profi des FC Bayern München über seine ersten Turniererfahrungen.

DFB.de: Sie haben erst in Deutschland gelebt, dann in England, dann in Deutschland. Welche Umstellung war schwieriger, die nach England oder die zurück nach Deutschland?

Jamal Musiala: Als ich von Deutschland nach England gegangen bin, war das schon besonders hart. Ich kannte die Sprache nicht, hatte dort zuerst keine Freunde. Der Fußball hat mir anfangs bei der Integration sehr geholfen. Jeder versteht die universelle Sprache des Fußballs. Besser wurde es, als ich nach ein paar Monaten Englisch schon gut verstehen konnte. Insofern war der Wechsel zurück nach Deutschland zumindest in dieser Hinsicht einfacher, auch wenn mein Deutsch noch immer nicht perfekt ist. Aber ich war dann schon älter, kannte das Land ja schon, hatte hier einige Freunde. Das hat mir geholfen, mich in Deutschland schneller wieder einzufinden.

DFB.de: Ihre ersten Schritte als Fußballer haben Sie in Fulda gesetzt. Wie gut erinnern Sie sich an Ihre Anfänge? Gibt es noch Kontakt dorthin?

Musiala: Vor allem meine Mutter hat noch Kontakt dorthin, ich auch, aber bei mir ist es weniger, da ich durch den Fußball sehr viel unterwegs bin. Ich bekomme aber mit, wie sehr die Menschen in Fulda hinter mir stehen, das freut mich sehr. Es gibt auch schon noch Freundschaften aus dieser Zeit, aber richtig intensiv sind die Verbindungen leider nicht mehr. Mit der Zeit in Fulda und beim TSV Lehnerz verbinde ich aber nur Positives. Wir haben einfach viel Fußball gespielt, hatten richtig viel Spaß, haben im Verein und auch vor der Haustür gespielt.

DFB.de: Vom TSV Lehnerz über Umwege zum FC Chelsea. Wie groß war der Kulturschock? Oder sind die Unterschiede gar nicht so groß, wie man denkt?

Musiala: Gleich geblieben ist meine Freude am Fußball. Der größte Unterschied ist natürlich die Qualität der Mitspieler. Einerseits hat das Konkurrenzkampf bedeutet, anderseits ist es auch schön, auf höherem Niveau Fußball zu spielen. Und mir ist es immer gut gelungen, nur an das Positive zu denken und mir nie groß Druck zu machen.

DFB.de: Bei Ihnen war ziemlich früh ziemlich viel darauf ausgelegt, Profi zu werden. Wie sah Ihr Plan B aus? Und wann waren Sie sicher, den Plan B nicht zu benötigen?

Musiala: Es stimmt schon, ich habe sehr viel in den Fußball investiert. Mein Plan war: Plan A. Und dann alles dafür zu geben. Es war aber nicht so, dass mein Leben ausschließlich aus Fußball bestanden hätte. Ich habe zum Beispiel immer sehr gerne gezeichnet. Und als Beruf? Früher habe ich mir immer ganz gut vorstellen können, Architekt zu werden. Aber es ist auch nicht schlimm, dass daraus nichts geworden ist. (lacht)

DFB.de: In England haben Sie für verschiedene Jugend-Nationalmannschaften gespielt, nun spielen Sie für die deutsche A-Mannschaft. Gibt es Dinge, Rituale, die in beiden Gruppen gleich sind?

Musiala: Junioren- und A-Nationalmannschaften lassen sich schlecht vergleichen – und dann auch noch länderübergreifend, das ist unmöglich. Was ich grundsätzlich sagen kann, ist, dass in England bei der Ausbildung von jungen Fußballern sehr viel Wert auf die technische Ausbildung gelegt wird. Mindestens einmal in der Woche hatten wir spezielle Technik-Schulungen. Als ich dann nach Deutschland kam, ging es mehr um den Wettbewerb, darum, sich durchzusetzen. Es ging mehr ums Gewinnen. Wobei man auch sagen muss, dass das dann in einer anderen Jahrgangsstufe war und ich nichts darüber sagen kann, wie in Deutschland bis zu dieser Jahrgangsstufe ausgebildet wurde. Aber in England war es so, dass es bis zur U 18 keine richtige Liga gab, sondern nur hin und wieder Turniere. Es gibt also schon einen Unterschied – und für mich ist es möglicherweise ein Vorteil, dass ich von beiden Ansätzen profitiert habe.

DFB.de: Sie sind sehr jung und erst seit Kurzem im Kreis der Nationalmannschaft. Wie wohl fühlen Sie sich beim DFB-Team? Gibt es noch Momente, an denen Sie das alles für unwirklich halten?

Musiala: Ich fühle mich sehr wohl, es macht Spaß. Für mich ist es einfach nur toll, hier zu sein, und das schon in meinem Alter. Aber, ja, es kommt schon vor, dass ich mich noch wundere, wie schnell alles gegangen ist. Bei mir sind in der letzten Zeit so schnell so viele unfassbare Dinge passiert, normal ist das nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht richtig checke, was das alles bedeutet und wie groß das alles ist.

DFB.de: Wenn man so jung ist wie Sie und etwas so Großes erlebt wie eine EM – wie sehr hilft es, dass Sie viele Spieler schon aus München kennen?

Musiala: Gerade ganz am Anfang war das natürlich extrem wertvoll. Die Spieler vom FC Bayern konnte ich alles fragen, und sie waren auch nicht genervt. Das war gut, das hat mir Sicherheit gegeben. Aber jetzt ist es so, dass ich inzwischen den ganzen Kader gut kennengelernt habe und mich eigentlich an alle Spieler wenden kann. Außerdem habe ich mittlerweile weniger Fragen und bin weniger auf Hilfe angewiesen.

DFB.de: Sie haben bei den Spielen gegen Frankreich und Portugal auf der Tribüne gesessen. War das schwierig für Sie?

Musiala: Ich bin Fußballer, ich will spielen. Ich gebe alles dafür, in den Kader zu kommen und zu den ersten Elf zu gehören. Aber ich kann meine Situation einschätzen. Für mich ist jede Erfahrung bei diesem Turnier wertvoll, ich lerne viel. Ich war zweimal nicht im Kader, für mich hieß das, dass ich im Training noch mehr leisten, mich noch mehr anbieten und den Trainer noch mehr von mir überzeugen muss. Zum Glück ist mir das gelungen.

DFB.de: Gegen Ungarn sah es lange nicht gut aus, das Ausscheiden drohte. Und genau in dieser Situation kamen Sie dann ins Spiel. Wie ist es Ihnen gelungen, anscheinend komplett ohne Angst diese Aufgabe anzugehen?

Musiala: Der Bundestrainer hatte mir gesagt, dass ich mich was trauen soll und aggressiv in den Halbraum gehen soll. Und ich hatte ja auch nichts zu verlieren. Ich kenne es ja vom FC Bayern, wie es ist, wenn man eingewechselt wird. Wichtig ist, sofort da zu sein und Aktionen zu haben. Dann geht der Druck auch weg. Wenn es langsam geht und das Spiel an dir vorüberläuft, ist es schwieriger, dann denkst du zu viel nach und machst vielleicht Fehler. Ich habe alle Gedanken beiseitegeschoben und so frei gespielt wie möglich, mit viel Überzeugung. Genau das brauchten wir. Wenn du in so einer Situation ins Spiel kommst, darfst du dich nicht verstecken. Ich bin froh, dass ich dem Team helfen konnte und hoffe, gegen England wieder die Chance dazu zu bekommen.

DFB.de: Sie sind nun Deutschlands jüngster Turnierspieler aller Zeiten. Für Sie nur ein weiterer von etlichen "Jüngsteraller-Zeiten"-Titeln, oder eine Geschichte, der Sie große Bedeutung beimessen?

Musiala: Das ist etwas Schönes, aber es hat keine Auswirkungen auf meinen Charakter oder meine Einstellung. Ich versuche immer, alles zu geben und mich weiterzuentwickeln. So ein Titel ist für den Moment toll, aber dann geht es schnell weiter. So muss es auch sein. Denn es warten schon die nächsten Ziele und Titel.

DFB.de: Jetzt geht es gegen England, wie viele Nachrichten von Freunden dort haben Sie schon bekommen?

Musiala: (lacht) Schon einige, vor allem von Leuten aus meiner Zeit bei Chelsea. Ich habe mich auch mit Jude Bellingham darüber unterhalten, mit dem ich für Englands Juniorenteams gespielt habe und der jetzt auch im EM-Kader steht. Das wird cool sein, ich freue mich drauf. Ich bin gespannt, was passiert. Es wird ganz sicher ein hartes Spiel gegen einen Topgegner.

DFB.de: Was hat Jude Bellingham Ihnen denn gesagt?

Musiala: Wir hatten schon vor unserem Ungarn-Spiel über die Möglichkeit gesprochen, gegeneinander zu spielen. "Wir sehen uns dann", hat er gesagt. "Und nach dem Spiel machen wir den Trikottausch." Es wird schön sein, ihn wiederzusehen. Vor ein paar Jahren haben wir noch zusammen für England gespielt, unter anderem gegen Deutschland, und jetzt spielen wir gegeneinander bei so einem Turnier, das ist für uns beide etwas Besonderes.

DFB.de: Ist das emotional für Sie eine Herausforderung?

Musiala: Nein, ich habe mich ja bewusst dafür entschieden, für Deutschland zu spielen. Aber klar, es ist kein Spiel wie jedes andere. England ist mein zweites Zuhause, ich habe da einige Jahre gelebt und mich wohlgefühlt, kenne viele Menschen, habe viel gelernt. All das möchte ich nicht missen. Das streift man nicht einfach so ab. Dieses Spiel ist etwas Großes für mich.

DFB.de: Deutschland gegen England gilt als Klassiker, es gab zahlreiche große Spiele, das Wembley-Tor, die Halbfinals bei der WM 1990 und der EM 1996. Können Sie mit dem Begriff "Klassiker" etwas anfangen? Verbinden Sie etwas damit?

Musiala: Ich weiß natürlich, dass es eine Rivalität gibt, die schon sehr weit zurückreicht. Ich weiß noch, was für eine große Sache es in England war, gegen Deutschland zu spielen. Was das angeht, habe ich schon einiges erlebt. Auf diese weitere Erfahrung freue ich mich. Aber mir persönlich geht es darum, dieses Spiel zu gewinnen, um weiterzukommen – was einmal war, ist dann nicht so entscheidend.

DFB.de: Einige Kollegen haben schon große Spiele gegen England erlebt. Thomas Müller zum Beispiel hat zwei Tore bei der WM 2010 gegen England geschossen. Hat er Ihnen davon erzählt?

Musiala: Nein, hat er noch nicht. Aber er hat mir schon gesagt, dass er richtig Bock hat auf das Spiel. Wir wissen alle, dass es nicht einfach wird, das sind Spiele gegen England ja nie. Wir können kaum erwarten, dass es losgeht.

DFB.de: Es gibt ein Video von Ihnen, auf dem Sie als Elfjähriger bei einem Einlagespiel Ihrer Schule im Wembley-Stadion zu sehen sind und vier Tore erzielen. Ist das Ihre einzige Erinnerung an diesen Ort?

Musiala: Ich habe zweimal dort gespielt, beide Male mit der Auswahl meiner Primary School "Corpus Christi". Wir haben beide Spiele gewonnen, ich hoffe, jetzt folgt der nächste Sieg. (lacht) Wenn du elf Jahre alt bist,
kommt dir jedes Stadion riesig vor, aber Wembley ist, glaube ich, auch heute noch für jeden außergewöhnlich. Ich erinnere mich noch daran, wie perfekt der Rasen war. Das war echt cool. Es ist schön, jetzt wieder
dahin zurückzukehren.

DFB.de: Die Vorfreude scheint auch bei Ihren Freunden von der Insel groß zu sein. Sie haben einige Karten für das Spiel geordert.

Musiala: Ja, viele Freunde von mir wollen dabei sein, mein Vater kommt auch. Meine Familie aus Deutschland darf ja leider nicht einreisen. Deshalb ist es umso wichtiger, meine Freunde dabei zu haben – wir brauchen ja auch ein paar Fans für Deutschland im Stadion.

[sl]

Die Reise nach Wembley zum EM-Achtelfinale gegen England am Dienstag (ab 18 Uhr, live in der ARD und bei MagentaTV) ist für Jamal Musiala eine Reise in die Vergangenheit. In England verbrachte der 18-Jährige sein halbes Leben. Erst Anfang 2021 entschied er sich, für die deutsche Nationalmannschaft aufzulaufen. Wie wertvoll er sein kann, zeigte er in seinem Kurzeinsatz gegen Ungarn, bei dem er den Ausgleich einleitete. Nun sollen weitere große Momente folgen. Mit DFB.de spricht der Profi des FC Bayern München über seine ersten Turniererfahrungen.

DFB.de: Sie haben erst in Deutschland gelebt, dann in England, dann in Deutschland. Welche Umstellung war schwieriger, die nach England oder die zurück nach Deutschland?

Jamal Musiala: Als ich von Deutschland nach England gegangen bin, war das schon besonders hart. Ich kannte die Sprache nicht, hatte dort zuerst keine Freunde. Der Fußball hat mir anfangs bei der Integration sehr geholfen. Jeder versteht die universelle Sprache des Fußballs. Besser wurde es, als ich nach ein paar Monaten Englisch schon gut verstehen konnte. Insofern war der Wechsel zurück nach Deutschland zumindest in dieser Hinsicht einfacher, auch wenn mein Deutsch noch immer nicht perfekt ist. Aber ich war dann schon älter, kannte das Land ja schon, hatte hier einige Freunde. Das hat mir geholfen, mich in Deutschland schneller wieder einzufinden.

DFB.de: Ihre ersten Schritte als Fußballer haben Sie in Fulda gesetzt. Wie gut erinnern Sie sich an Ihre Anfänge? Gibt es noch Kontakt dorthin?

Musiala: Vor allem meine Mutter hat noch Kontakt dorthin, ich auch, aber bei mir ist es weniger, da ich durch den Fußball sehr viel unterwegs bin. Ich bekomme aber mit, wie sehr die Menschen in Fulda hinter mir stehen, das freut mich sehr. Es gibt auch schon noch Freundschaften aus dieser Zeit, aber richtig intensiv sind die Verbindungen leider nicht mehr. Mit der Zeit in Fulda und beim TSV Lehnerz verbinde ich aber nur Positives. Wir haben einfach viel Fußball gespielt, hatten richtig viel Spaß, haben im Verein und auch vor der Haustür gespielt.

DFB.de: Vom TSV Lehnerz über Umwege zum FC Chelsea. Wie groß war der Kulturschock? Oder sind die Unterschiede gar nicht so groß, wie man denkt?

Musiala: Gleich geblieben ist meine Freude am Fußball. Der größte Unterschied ist natürlich die Qualität der Mitspieler. Einerseits hat das Konkurrenzkampf bedeutet, anderseits ist es auch schön, auf höherem Niveau Fußball zu spielen. Und mir ist es immer gut gelungen, nur an das Positive zu denken und mir nie groß Druck zu machen.

DFB.de: Bei Ihnen war ziemlich früh ziemlich viel darauf ausgelegt, Profi zu werden. Wie sah Ihr Plan B aus? Und wann waren Sie sicher, den Plan B nicht zu benötigen?

Musiala: Es stimmt schon, ich habe sehr viel in den Fußball investiert. Mein Plan war: Plan A. Und dann alles dafür zu geben. Es war aber nicht so, dass mein Leben ausschließlich aus Fußball bestanden hätte. Ich habe zum Beispiel immer sehr gerne gezeichnet. Und als Beruf? Früher habe ich mir immer ganz gut vorstellen können, Architekt zu werden. Aber es ist auch nicht schlimm, dass daraus nichts geworden ist. (lacht)

DFB.de: In England haben Sie für verschiedene Jugend-Nationalmannschaften gespielt, nun spielen Sie für die deutsche A-Mannschaft. Gibt es Dinge, Rituale, die in beiden Gruppen gleich sind?

Musiala: Junioren- und A-Nationalmannschaften lassen sich schlecht vergleichen – und dann auch noch länderübergreifend, das ist unmöglich. Was ich grundsätzlich sagen kann, ist, dass in England bei der Ausbildung von jungen Fußballern sehr viel Wert auf die technische Ausbildung gelegt wird. Mindestens einmal in der Woche hatten wir spezielle Technik-Schulungen. Als ich dann nach Deutschland kam, ging es mehr um den Wettbewerb, darum, sich durchzusetzen. Es ging mehr ums Gewinnen. Wobei man auch sagen muss, dass das dann in einer anderen Jahrgangsstufe war und ich nichts darüber sagen kann, wie in Deutschland bis zu dieser Jahrgangsstufe ausgebildet wurde. Aber in England war es so, dass es bis zur U 18 keine richtige Liga gab, sondern nur hin und wieder Turniere. Es gibt also schon einen Unterschied – und für mich ist es möglicherweise ein Vorteil, dass ich von beiden Ansätzen profitiert habe.

DFB.de: Sie sind sehr jung und erst seit Kurzem im Kreis der Nationalmannschaft. Wie wohl fühlen Sie sich beim DFB-Team? Gibt es noch Momente, an denen Sie das alles für unwirklich halten?

Musiala: Ich fühle mich sehr wohl, es macht Spaß. Für mich ist es einfach nur toll, hier zu sein, und das schon in meinem Alter. Aber, ja, es kommt schon vor, dass ich mich noch wundere, wie schnell alles gegangen ist. Bei mir sind in der letzten Zeit so schnell so viele unfassbare Dinge passiert, normal ist das nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht richtig checke, was das alles bedeutet und wie groß das alles ist.

DFB.de: Wenn man so jung ist wie Sie und etwas so Großes erlebt wie eine EM – wie sehr hilft es, dass Sie viele Spieler schon aus München kennen?

Musiala: Gerade ganz am Anfang war das natürlich extrem wertvoll. Die Spieler vom FC Bayern konnte ich alles fragen, und sie waren auch nicht genervt. Das war gut, das hat mir Sicherheit gegeben. Aber jetzt ist es so, dass ich inzwischen den ganzen Kader gut kennengelernt habe und mich eigentlich an alle Spieler wenden kann. Außerdem habe ich mittlerweile weniger Fragen und bin weniger auf Hilfe angewiesen.

DFB.de: Sie haben bei den Spielen gegen Frankreich und Portugal auf der Tribüne gesessen. War das schwierig für Sie?

Musiala: Ich bin Fußballer, ich will spielen. Ich gebe alles dafür, in den Kader zu kommen und zu den ersten Elf zu gehören. Aber ich kann meine Situation einschätzen. Für mich ist jede Erfahrung bei diesem Turnier wertvoll, ich lerne viel. Ich war zweimal nicht im Kader, für mich hieß das, dass ich im Training noch mehr leisten, mich noch mehr anbieten und den Trainer noch mehr von mir überzeugen muss. Zum Glück ist mir das gelungen.

DFB.de: Gegen Ungarn sah es lange nicht gut aus, das Ausscheiden drohte. Und genau in dieser Situation kamen Sie dann ins Spiel. Wie ist es Ihnen gelungen, anscheinend komplett ohne Angst diese Aufgabe anzugehen?

Musiala: Der Bundestrainer hatte mir gesagt, dass ich mich was trauen soll und aggressiv in den Halbraum gehen soll. Und ich hatte ja auch nichts zu verlieren. Ich kenne es ja vom FC Bayern, wie es ist, wenn man eingewechselt wird. Wichtig ist, sofort da zu sein und Aktionen zu haben. Dann geht der Druck auch weg. Wenn es langsam geht und das Spiel an dir vorüberläuft, ist es schwieriger, dann denkst du zu viel nach und machst vielleicht Fehler. Ich habe alle Gedanken beiseitegeschoben und so frei gespielt wie möglich, mit viel Überzeugung. Genau das brauchten wir. Wenn du in so einer Situation ins Spiel kommst, darfst du dich nicht verstecken. Ich bin froh, dass ich dem Team helfen konnte und hoffe, gegen England wieder die Chance dazu zu bekommen.

DFB.de: Sie sind nun Deutschlands jüngster Turnierspieler aller Zeiten. Für Sie nur ein weiterer von etlichen "Jüngsteraller-Zeiten"-Titeln, oder eine Geschichte, der Sie große Bedeutung beimessen?

Musiala: Das ist etwas Schönes, aber es hat keine Auswirkungen auf meinen Charakter oder meine Einstellung. Ich versuche immer, alles zu geben und mich weiterzuentwickeln. So ein Titel ist für den Moment toll, aber dann geht es schnell weiter. So muss es auch sein. Denn es warten schon die nächsten Ziele und Titel.

DFB.de: Jetzt geht es gegen England, wie viele Nachrichten von Freunden dort haben Sie schon bekommen?

Musiala: (lacht) Schon einige, vor allem von Leuten aus meiner Zeit bei Chelsea. Ich habe mich auch mit Jude Bellingham darüber unterhalten, mit dem ich für Englands Juniorenteams gespielt habe und der jetzt auch im EM-Kader steht. Das wird cool sein, ich freue mich drauf. Ich bin gespannt, was passiert. Es wird ganz sicher ein hartes Spiel gegen einen Topgegner.

DFB.de: Was hat Jude Bellingham Ihnen denn gesagt?

Musiala: Wir hatten schon vor unserem Ungarn-Spiel über die Möglichkeit gesprochen, gegeneinander zu spielen. "Wir sehen uns dann", hat er gesagt. "Und nach dem Spiel machen wir den Trikottausch." Es wird schön sein, ihn wiederzusehen. Vor ein paar Jahren haben wir noch zusammen für England gespielt, unter anderem gegen Deutschland, und jetzt spielen wir gegeneinander bei so einem Turnier, das ist für uns beide etwas Besonderes.

DFB.de: Ist das emotional für Sie eine Herausforderung?

Musiala: Nein, ich habe mich ja bewusst dafür entschieden, für Deutschland zu spielen. Aber klar, es ist kein Spiel wie jedes andere. England ist mein zweites Zuhause, ich habe da einige Jahre gelebt und mich wohlgefühlt, kenne viele Menschen, habe viel gelernt. All das möchte ich nicht missen. Das streift man nicht einfach so ab. Dieses Spiel ist etwas Großes für mich.

DFB.de: Deutschland gegen England gilt als Klassiker, es gab zahlreiche große Spiele, das Wembley-Tor, die Halbfinals bei der WM 1990 und der EM 1996. Können Sie mit dem Begriff "Klassiker" etwas anfangen? Verbinden Sie etwas damit?

Musiala: Ich weiß natürlich, dass es eine Rivalität gibt, die schon sehr weit zurückreicht. Ich weiß noch, was für eine große Sache es in England war, gegen Deutschland zu spielen. Was das angeht, habe ich schon einiges erlebt. Auf diese weitere Erfahrung freue ich mich. Aber mir persönlich geht es darum, dieses Spiel zu gewinnen, um weiterzukommen – was einmal war, ist dann nicht so entscheidend.

DFB.de: Einige Kollegen haben schon große Spiele gegen England erlebt. Thomas Müller zum Beispiel hat zwei Tore bei der WM 2010 gegen England geschossen. Hat er Ihnen davon erzählt?

Musiala: Nein, hat er noch nicht. Aber er hat mir schon gesagt, dass er richtig Bock hat auf das Spiel. Wir wissen alle, dass es nicht einfach wird, das sind Spiele gegen England ja nie. Wir können kaum erwarten, dass es losgeht.

DFB.de: Es gibt ein Video von Ihnen, auf dem Sie als Elfjähriger bei einem Einlagespiel Ihrer Schule im Wembley-Stadion zu sehen sind und vier Tore erzielen. Ist das Ihre einzige Erinnerung an diesen Ort?

Musiala: Ich habe zweimal dort gespielt, beide Male mit der Auswahl meiner Primary School "Corpus Christi". Wir haben beide Spiele gewonnen, ich hoffe, jetzt folgt der nächste Sieg. (lacht) Wenn du elf Jahre alt bist,
kommt dir jedes Stadion riesig vor, aber Wembley ist, glaube ich, auch heute noch für jeden außergewöhnlich. Ich erinnere mich noch daran, wie perfekt der Rasen war. Das war echt cool. Es ist schön, jetzt wieder
dahin zurückzukehren.

DFB.de: Die Vorfreude scheint auch bei Ihren Freunden von der Insel groß zu sein. Sie haben einige Karten für das Spiel geordert.

Musiala: Ja, viele Freunde von mir wollen dabei sein, mein Vater kommt auch. Meine Familie aus Deutschland darf ja leider nicht einreisen. Deshalb ist es umso wichtiger, meine Freunde dabei zu haben – wir brauchen ja auch ein paar Fans für Deutschland im Stadion.

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