Irmscher wird 75: Sieg gegen BRD und Trikot von Beckenbauer

Auf die Frage, wo er denn war, als das Sparwasser-Tor fiel, würde Harald Irmscher sicher gerne eine andere Antwort geben. Eben noch mittendrin an jenem 22. Juni 1974 in Hamburg, war er am Ende nur noch dabei. Ausgewechselt nach 65 Minuten, sah er das Tor, das zur deutschen Nachkriegsgeschichte gehört wie Mauerfall und Berlin-Blockade, nur von der Bank aus.

Was nichts daran änderte, dass ihn seine Kameraden anschließend noch gehörig beneideten. Hatte Irmscher doch gleich nach Abpfiff Franz Beckenbauer auf dem Weg in die Kabinen abgefangen und um einen Trikottausch gebeten. Der DFB-Kapitän entschuldigte sich, er müsse erst mal zur Dopingprobe, dann käme er aber. Irmscher sah sein begehrtes Souvenir schon verloren, da erschien der "Kaiser" leibhaftig doch noch in die DDR-Kabine, und es kam zum Tausch. Harald Irmscher hat das Trikot mit der Nummer 5 heute, da er 75 Jahre jung wird, immer noch. Nicht der einzige Ausweis für eine beachtliche Fußballkarriere, aber ein bleibender.

Ebenso wie die Erinnerung an den Tag von Hamburg: "Als Fußballer so was zu erleben, da zehrt man heute noch davon", sagte er neulich auf einer Veranstaltung in Bautzen. Edelmetall findet sich freilich auch in seiner Sammlung, 1972 stand er im Kader, der in München die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen gewann. Da spielte der grazile Mittelfeldspieler, den sie wohl auch wegen seiner eleganten Spielweise den "Sir" nannten - genau weiß Irmscher die Herkunft seines Spitznamens nicht zu erklären - bereits bei Carl Zeiss Jena, seiner bedeutendsten Station. Zu seinen Mitspielern zählte übrigens ein gewisser Hans Meyer, später sein Trainer in Jena, weit bevor dieser sich nach der Wende auch in der Bundesliga einen Namen machte.

Nationalspieler von der Pike auf

Begonnen hatte für Irmscher alles in Sachsen. Am 12. Februar 1946 in Oelsnitz im Erzgebirge geboren, spielte er zunächst bei der örtlichen BSG Aktivist Karl Liebknecht, ehe er mit 16 Jahren nach Zwickau wechselte. Hier wurde er Juniorennationalspieler (sieben Einsätze), debütierte 1962 mit Motor Zwickau in der DDR-Oberliga und 1966 in der A-Nationalmannschaft. Sein erstes von 41 Länderspielen endete mit einem 6:0, dabei gelang ihm gegen Ägypten sogar gleich ein Tor - das erste von vieren.

In der Oberliga war seine Quote besser, in jedem sechsten Spiel war mit einem Irmscher-Tor zu rechnen (56 in 330). Sehr ordentlich für einen Mittelfeldspieler, "der selten grätschte", wie es bei Wikipedia heißt. Seine beste Zeit waren die frühen Siebziger, als auch Carl Zeiss aufblühte. Meister 1970, Pokalsieger 1972 und 1974. 1972 wurde er Zweiter bei der Wahl zum Fußballer des Jahres, im Fachblatt FuWo gemeinsam mit dem Leipziger Manfred Geisler gar Erster nach Noten in der Saison 1971/1972.

Bei Olympia und WM dabei

Folgerichtig seine Teilnahme an Olympia 1972 in München und der WM 1974 (vier Einsätze), beides im anderen Deutschland, dem "kapitalistischen Westen". Im Europapokal kam Irmscher für Jena 36-mal zum Einsatz (vier Tore) und durfte dadurch auch dem zweiten großen Dirigenten jener Epoche auf Europas Fußballplätzen begegnen: Johan Cruyff. Die Erinnerung an das Viertelfinalrückspiel im Messecup 1970 ist allerdings keine allzu erfreuliche, bei Ajax Amsterdam ging Irmscher mit Jena 1:5 unter.

1975 schoss er das einzige Tor beim Sieg in Marseille, in der nächsten Runde gegen Stal Mielec verschoss er den entscheidenden Elfmeter. Die ganz normalen Aufs und Abs eines keineswegs normalen Fußballerleben. Als er Jena, wo er nach eigenen Angaben im Monat 925 Ostmark verdiente, 1976 im Alter von 30 Jahren verlassen musste, schien seine Oberligakarriere beendet.

Mit Stange Seite an Seite

Kaum aus dem Trainerbüro heraus, begegnete ihm auf dem Parkplatz der Geschäftsführer des Zweitligisten Wismut Gera, der ihm sofort ein Angebot machte. Irmscher schlug nach Besprechung mit seiner Frau am nächsten Tag ein und stieg prompt im nächsten Jahr auf, so dass er 1977/1978 noch eine letzte komplette Oberligasaison (26 Spiele, drei Tore) absolvierte.

Mit 32 beendete er seine aktive Laufbahn, dem Fußball aber blieb er treu. Zunächst für fünf Jahre als Nachwuchstrainer wieder in Jena, holte ihn Bernd Stange 1983 zur Nationalelf, wo er dem Nationaltrainer assistierte. Stange und Irmscher, diese in Jena 1970 beginnende Allianz hielt noch bis ins 21. Jahrhundert. 1988 als DDR-Trainer gemeinsam entlassen, blieben sie doch ein Gespann, wenn auch mit einer längeren Pause. Kurz vor der Wende trainierte er Sachsenring Zwickau und Vorwärts Frankfurt/Oder "ehe ich dann in die Marktwirtschaft gegangen bin". Knapp 14 Jahre lang betätigte sich Irmscher in Jena als Handwerker mit eigenem Geschäft. Das Restaurieren von Türen und Fenstern hatte es dem "Sir" angetan.

"Du bist doch nicht ganz dicht"

"Ich war vom Fußball weit weg und hatte mich in diese Sache hinein verbissen. Ich wollte allen anderen beweisen, dass es auch so geht", erzählte er jetzt dem MDR. Es sei eine Erfahrung gewesen, "die ich nicht missen möchte.“ Doch dann meldete sich Kumpel Stange plötzlich wieder und nun ging es noch mit Mitte 50 in die weite Welt. Stange trainierte 2005 Apollon Limassol auf Zypern und fragte Irmscher, ob er nicht mitkommen wolle. Irmscher wollte, trotz der Bedenken der Frau, die sich nun allein um die beiden Kinder kümmern musste. Sie wurden auf Anhieb Meister und Supercupsieger.

Das Zypern-Abenteuer endete im Januar 2007, als man ihn aus Spargründen entließ - Stange ging aus Solidarität mit. Es war ja nicht das Ende des Duos, das von 2007 bis 2011 die Nationalmannschaft von Weißrussland übernahm, danach lagen noch Singapur und Syrien auf der Reiseroute. Auch hier betreuten die Freunde aus Jenenser Zeiten jeweils die Nationalmannschaften, obwohl "einige gesagt haben, Du bist wohl nicht ganz dicht, nach Syrien zu gehen". Der Sir hat das Abenteuer überstanden und kehrte 2019 heim, und das bei bester Gesundheit.

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Auf die Frage, wo er denn war, als das Sparwasser-Tor fiel, würde Harald Irmscher sicher gerne eine andere Antwort geben. Eben noch mittendrin an jenem 22. Juni 1974 in Hamburg, war er am Ende nur noch dabei. Ausgewechselt nach 65 Minuten, sah er das Tor, das zur deutschen Nachkriegsgeschichte gehört wie Mauerfall und Berlin-Blockade, nur von der Bank aus.

Was nichts daran änderte, dass ihn seine Kameraden anschließend noch gehörig beneideten. Hatte Irmscher doch gleich nach Abpfiff Franz Beckenbauer auf dem Weg in die Kabinen abgefangen und um einen Trikottausch gebeten. Der DFB-Kapitän entschuldigte sich, er müsse erst mal zur Dopingprobe, dann käme er aber. Irmscher sah sein begehrtes Souvenir schon verloren, da erschien der "Kaiser" leibhaftig doch noch in die DDR-Kabine, und es kam zum Tausch. Harald Irmscher hat das Trikot mit der Nummer 5 heute, da er 75 Jahre jung wird, immer noch. Nicht der einzige Ausweis für eine beachtliche Fußballkarriere, aber ein bleibender.

Ebenso wie die Erinnerung an den Tag von Hamburg: "Als Fußballer so was zu erleben, da zehrt man heute noch davon", sagte er neulich auf einer Veranstaltung in Bautzen. Edelmetall findet sich freilich auch in seiner Sammlung, 1972 stand er im Kader, der in München die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen gewann. Da spielte der grazile Mittelfeldspieler, den sie wohl auch wegen seiner eleganten Spielweise den "Sir" nannten - genau weiß Irmscher die Herkunft seines Spitznamens nicht zu erklären - bereits bei Carl Zeiss Jena, seiner bedeutendsten Station. Zu seinen Mitspielern zählte übrigens ein gewisser Hans Meyer, später sein Trainer in Jena, weit bevor dieser sich nach der Wende auch in der Bundesliga einen Namen machte.

Nationalspieler von der Pike auf

Begonnen hatte für Irmscher alles in Sachsen. Am 12. Februar 1946 in Oelsnitz im Erzgebirge geboren, spielte er zunächst bei der örtlichen BSG Aktivist Karl Liebknecht, ehe er mit 16 Jahren nach Zwickau wechselte. Hier wurde er Juniorennationalspieler (sieben Einsätze), debütierte 1962 mit Motor Zwickau in der DDR-Oberliga und 1966 in der A-Nationalmannschaft. Sein erstes von 41 Länderspielen endete mit einem 6:0, dabei gelang ihm gegen Ägypten sogar gleich ein Tor - das erste von vieren.

In der Oberliga war seine Quote besser, in jedem sechsten Spiel war mit einem Irmscher-Tor zu rechnen (56 in 330). Sehr ordentlich für einen Mittelfeldspieler, "der selten grätschte", wie es bei Wikipedia heißt. Seine beste Zeit waren die frühen Siebziger, als auch Carl Zeiss aufblühte. Meister 1970, Pokalsieger 1972 und 1974. 1972 wurde er Zweiter bei der Wahl zum Fußballer des Jahres, im Fachblatt FuWo gemeinsam mit dem Leipziger Manfred Geisler gar Erster nach Noten in der Saison 1971/1972.

Bei Olympia und WM dabei

Folgerichtig seine Teilnahme an Olympia 1972 in München und der WM 1974 (vier Einsätze), beides im anderen Deutschland, dem "kapitalistischen Westen". Im Europapokal kam Irmscher für Jena 36-mal zum Einsatz (vier Tore) und durfte dadurch auch dem zweiten großen Dirigenten jener Epoche auf Europas Fußballplätzen begegnen: Johan Cruyff. Die Erinnerung an das Viertelfinalrückspiel im Messecup 1970 ist allerdings keine allzu erfreuliche, bei Ajax Amsterdam ging Irmscher mit Jena 1:5 unter.

1975 schoss er das einzige Tor beim Sieg in Marseille, in der nächsten Runde gegen Stal Mielec verschoss er den entscheidenden Elfmeter. Die ganz normalen Aufs und Abs eines keineswegs normalen Fußballerleben. Als er Jena, wo er nach eigenen Angaben im Monat 925 Ostmark verdiente, 1976 im Alter von 30 Jahren verlassen musste, schien seine Oberligakarriere beendet.

Mit Stange Seite an Seite

Kaum aus dem Trainerbüro heraus, begegnete ihm auf dem Parkplatz der Geschäftsführer des Zweitligisten Wismut Gera, der ihm sofort ein Angebot machte. Irmscher schlug nach Besprechung mit seiner Frau am nächsten Tag ein und stieg prompt im nächsten Jahr auf, so dass er 1977/1978 noch eine letzte komplette Oberligasaison (26 Spiele, drei Tore) absolvierte.

Mit 32 beendete er seine aktive Laufbahn, dem Fußball aber blieb er treu. Zunächst für fünf Jahre als Nachwuchstrainer wieder in Jena, holte ihn Bernd Stange 1983 zur Nationalelf, wo er dem Nationaltrainer assistierte. Stange und Irmscher, diese in Jena 1970 beginnende Allianz hielt noch bis ins 21. Jahrhundert. 1988 als DDR-Trainer gemeinsam entlassen, blieben sie doch ein Gespann, wenn auch mit einer längeren Pause. Kurz vor der Wende trainierte er Sachsenring Zwickau und Vorwärts Frankfurt/Oder "ehe ich dann in die Marktwirtschaft gegangen bin". Knapp 14 Jahre lang betätigte sich Irmscher in Jena als Handwerker mit eigenem Geschäft. Das Restaurieren von Türen und Fenstern hatte es dem "Sir" angetan.

"Du bist doch nicht ganz dicht"

"Ich war vom Fußball weit weg und hatte mich in diese Sache hinein verbissen. Ich wollte allen anderen beweisen, dass es auch so geht", erzählte er jetzt dem MDR. Es sei eine Erfahrung gewesen, "die ich nicht missen möchte.“ Doch dann meldete sich Kumpel Stange plötzlich wieder und nun ging es noch mit Mitte 50 in die weite Welt. Stange trainierte 2005 Apollon Limassol auf Zypern und fragte Irmscher, ob er nicht mitkommen wolle. Irmscher wollte, trotz der Bedenken der Frau, die sich nun allein um die beiden Kinder kümmern musste. Sie wurden auf Anhieb Meister und Supercupsieger.

Das Zypern-Abenteuer endete im Januar 2007, als man ihn aus Spargründen entließ - Stange ging aus Solidarität mit. Es war ja nicht das Ende des Duos, das von 2007 bis 2011 die Nationalmannschaft von Weißrussland übernahm, danach lagen noch Singapur und Syrien auf der Reiseroute. Auch hier betreuten die Freunde aus Jenenser Zeiten jeweils die Nationalmannschaften, obwohl "einige gesagt haben, Du bist wohl nicht ganz dicht, nach Syrien zu gehen". Der Sir hat das Abenteuer überstanden und kehrte 2019 heim, und das bei bester Gesundheit.

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