Integrationspreisträger Türkiyemspor Berlin: Systemrelevanter Fußball

Heute wird im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund zum zehnten Mal der DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis verliehen. 2007 erhielt Türkiyemspor Berlin 1978 e.V. die Auszeichnung in der Kategorie "Verein". Europas bekanntester von Migranten gegründeter Sportverein, erfindet sich gerade neu. Ein Motor der Entwicklung ist der Mädchen- und Frauenfußball. DFB.de wirft einen Blöick auf den Klub.

Die Zukunft Türkiyemspors ist schon in Sicht. Die Sporthalle an der Kreuzberger Blücherstraße ist voll belegt. Parallel trainieren rund 50 Mädchen in drei Trainingsgruppen. Darunter auch ein strahlendes junges Mädchen mit schwarzen Locken in einem übergroßen Trikot. "Das ist unsere Sara 'Maradona'", sagt Murat Dogan stolz, "weil sie so stark am Ball ist, trainiert sie schon in der F-Jugend mit, auch wenn sie körperlich noch aufholen muss." Dogan leitet die Mädchen- und Frauenabteilung von Türkiyemspor, aus Leidenschaft und mit einer klaren Vision. Er ist schon eine halbe Ewigkeit im Verein und es ist nicht vermessen, ihn den Vater des Mädchenfußballs zu nennen.

Acht Mädchen- und drei Frauenmannschaften

Die Entwicklung beeindruckt: 2004 startete der Verein mit der Einführung eines U 11-Mädchenteams. Heute deckt Türkiyemspor mit acht Mädchen- und drei Frauenmannschaften alle Altersstufen ab. 250 aktive Mädchen und Frauen bilden die zweitgrößte Mädchen- und Frauenfußballabteilung in Berlin. Über das Projekt "Kicking Girls", das aus einem ehemaligen DFB-Modellprojekt zur Förderung des Mädchenfußballs in sozialen Brennpunkten hervorgegangen ist, organisiert der Verein Mädchenfußball-AGs in fünf umliegenden Schulen.

Das erste Frauenteam ist nicht nur in die höchste Spielklasse Berlins, sondern auch zur Speerspitze des Vereins aufgestiegen. "Unsere Ideen sind aufgegangen. Wir hatten ein klares Konzept und viel Geduld. Wir wollten den Bereich von unten nach oben, von der Breite bis an die Spitze aufbauen. Und einen Wandel in Verein und Umfeld schaffen", berichtet Dogan. Auch innerhalb des Vereins spielt der Mädchen- und Frauenfußball inzwischen eine bestimmende Rolle, ist gut strukturiert und schafft es, Kinder und Eltern zu überzeugen: "Wir müssen für unsere Teams nicht um neue Spielerinnen werben, die kommen mittlerweile von allein, das Vertrauen in unsere Arbeit ist groß."

"90 Prozent unserer Trainerinnen stammen aus unserem Verein"

Es ist schon eine kleine Sensation, dass sich gerade ein Migrantensportverein zum Motor des Mädchen- und Frauenfußballs in Berlin entwickelt hat. Dabei bleibt es schwer zu beurteilen, wer sich zuerst verändert hat. Ob der Verein sich lediglich für den Mädchenfußball öffnen musste, oder ob der Mädchenfußball das gesellschaftliche Umfeld des Vereins verändert hat. Wahrscheinlich verliefen beide Entwicklungen parallel. "Wir haben viele Vorurteile abgeschafft. Die Meinung von vielen Menschen aus unserer Community hat sich verändert."

In den Jugendteams des Vereins findet sich heute eine echte Kreuzberger Mischung, Kinder aus türkischen, deutschen, albanischen oder arabischen Familien spielen bei Türkiyemspor zusammen. Auch einige Mädchen mit Kopfbedeckung kicken selbstverständlich mit. Ein weiterer Garant für die hohe Akzeptanz der Mädchenarbeit: Alle Teams werden von jungen Trainerinnen angeleitet, die selbst der Jugendarbeit entwachsen sind. "90 Prozent unserer Trainerinnen stammen aus unserem Verein. Die Frauen sind echte Vorbilder für die Mädchen und identifizieren sich total mit dem Verein", so Dogan. Es sind die hohe Qualität des Trainings und das soziale und wertschätzende Miteinander, die die Mädchenarbeit von Türkiyemspor so erfolgreich und die Mädchen zu Hoffnungsträgerinnen des Vereins machen.



Heute wird im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund zum zehnten Mal der DFB- und Mercedes-Benz Integrationspreis verliehen. 2007 erhielt Türkiyemspor Berlin 1978 e.V. die Auszeichnung in der Kategorie "Verein". Europas bekanntester von Migranten gegründeter Sportverein, erfindet sich gerade neu. Ein Motor der Entwicklung ist der Mädchen- und Frauenfußball. DFB.de wirft einen Blöick auf den Klub.

Die Zukunft Türkiyemspors ist schon in Sicht. Die Sporthalle an der Kreuzberger Blücherstraße ist voll belegt. Parallel trainieren rund 50 Mädchen in drei Trainingsgruppen. Darunter auch ein strahlendes junges Mädchen mit schwarzen Locken in einem übergroßen Trikot. "Das ist unsere Sara 'Maradona'", sagt Murat Dogan stolz, "weil sie so stark am Ball ist, trainiert sie schon in der F-Jugend mit, auch wenn sie körperlich noch aufholen muss." Dogan leitet die Mädchen- und Frauenabteilung von Türkiyemspor, aus Leidenschaft und mit einer klaren Vision. Er ist schon eine halbe Ewigkeit im Verein und es ist nicht vermessen, ihn den Vater des Mädchenfußballs zu nennen.

Acht Mädchen- und drei Frauenmannschaften

Die Entwicklung beeindruckt: 2004 startete der Verein mit der Einführung eines U 11-Mädchenteams. Heute deckt Türkiyemspor mit acht Mädchen- und drei Frauenmannschaften alle Altersstufen ab. 250 aktive Mädchen und Frauen bilden die zweitgrößte Mädchen- und Frauenfußballabteilung in Berlin. Über das Projekt "Kicking Girls", das aus einem ehemaligen DFB-Modellprojekt zur Förderung des Mädchenfußballs in sozialen Brennpunkten hervorgegangen ist, organisiert der Verein Mädchenfußball-AGs in fünf umliegenden Schulen.

Das erste Frauenteam ist nicht nur in die höchste Spielklasse Berlins, sondern auch zur Speerspitze des Vereins aufgestiegen. "Unsere Ideen sind aufgegangen. Wir hatten ein klares Konzept und viel Geduld. Wir wollten den Bereich von unten nach oben, von der Breite bis an die Spitze aufbauen. Und einen Wandel in Verein und Umfeld schaffen", berichtet Dogan. Auch innerhalb des Vereins spielt der Mädchen- und Frauenfußball inzwischen eine bestimmende Rolle, ist gut strukturiert und schafft es, Kinder und Eltern zu überzeugen: "Wir müssen für unsere Teams nicht um neue Spielerinnen werben, die kommen mittlerweile von allein, das Vertrauen in unsere Arbeit ist groß."

"90 Prozent unserer Trainerinnen stammen aus unserem Verein"

Es ist schon eine kleine Sensation, dass sich gerade ein Migrantensportverein zum Motor des Mädchen- und Frauenfußballs in Berlin entwickelt hat. Dabei bleibt es schwer zu beurteilen, wer sich zuerst verändert hat. Ob der Verein sich lediglich für den Mädchenfußball öffnen musste, oder ob der Mädchenfußball das gesellschaftliche Umfeld des Vereins verändert hat. Wahrscheinlich verliefen beide Entwicklungen parallel. "Wir haben viele Vorurteile abgeschafft. Die Meinung von vielen Menschen aus unserer Community hat sich verändert."

In den Jugendteams des Vereins findet sich heute eine echte Kreuzberger Mischung, Kinder aus türkischen, deutschen, albanischen oder arabischen Familien spielen bei Türkiyemspor zusammen. Auch einige Mädchen mit Kopfbedeckung kicken selbstverständlich mit. Ein weiterer Garant für die hohe Akzeptanz der Mädchenarbeit: Alle Teams werden von jungen Trainerinnen angeleitet, die selbst der Jugendarbeit entwachsen sind. "90 Prozent unserer Trainerinnen stammen aus unserem Verein. Die Frauen sind echte Vorbilder für die Mädchen und identifizieren sich total mit dem Verein", so Dogan. Es sind die hohe Qualität des Trainings und das soziale und wertschätzende Miteinander, die die Mädchenarbeit von Türkiyemspor so erfolgreich und die Mädchen zu Hoffnungsträgerinnen des Vereins machen.

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Der bekannteste Migrantenverein Europas

Die Zukunft Türkiyemspors sah zuletzt nicht immer so rosig aus, wie an diesem sonnigen Nachmittag im Februar 2017. Der Verein hat seit seiner Gründung als BFC Izmirspor 1978 durch türkische Einwanderer viele Höhen und Tiefen durchlebt. Der Verein wird in den 1980er Jahren zum Aushängeschild der türkischen Community in Berlin, benennt sich in Türkiyemspor um ("türkiyem" bedeutet "meine Türkei") und steht mehrmals vor dem Aufstieg in die 2. Bundesliga. Der sportliche Erfolg macht den Verein europaweit bekannt und bewirkt sogar, dass die ausländerrechtlichen Regelungen des DFB reformiert werden. Leicht hatte es der Klub nie, denn mit dem Erfolg wächst auch das Misstrauen. Nach der Wiedervereinigung bekommt der Verein viel Ablehnung zu spüren, insbesondere im Umland. Eine rechtsextreme Band dichtet "Wieder kein Tor für Türkiyemspor", immer wieder wird der Verein Ziel von Angriffen.

2007 gewinnt Türkiyemspor als erster Verein den Integrationspreis des Deutschen Fußball-Bundes und Mercedes Benz, für den Aufbau einer Mädchenabteilung, aber auch für seine umfangreichen sozialen Aktivitäten neben dem Platz, die eine feste Säule innerhalb der Vereinsstruktur darstellen. Gemeinsam mit Schulen, Kindertagesstätten, Jugendklubs, Verbänden und Moscheen hat der Verein ein Netzwerk zum Kampf gegen Diskriminierung und Gewalt im Sport gegründet. Der Verein ist Ansprechpartner bei familiären Problemen, Wohnungs-, Ausbildung- oder Jobsuche.

Marke und Mythos

Von 2008 bis 2011 spielt die erste Herren-Mannschaft für drei Spielzeiten in der Regionalliga. Doch die Strukturen können nicht mithalten, was 2012 zur Insolvenz führt. Innerhalb von 14 Monaten wechselt die Vereinsführung gleich viermal. Ein "Rettungsschirm für Türkiyemspor" soll helfen, die Jugendarbeit des Vereins aufrechtzuerhalten und gewinnt viele prominente Unterstützer. Murat Dogan hat sich den Namen in Anlehnung an die Bankenkrise mit ausgedacht. Der Verein sei schließlich ebenso systemrelevant für das soziale Gefüge in der Stadt wie eine Bank in der Finanzwelt. "Wir sind wichtig, für die eigene Community, aber auch für die Gesellschaft. Für Berlin und Kreuzberg. Wir haben die Verantwortung dafür, dass der Verein weiterlebt." Befürchtungen, dass der Verein scheitern könnte, hatte er nie. "Wir sind eine Marke, ein junger Verein mit einer langen Geschichte und Stoff für eine ganze Fernsehserie. Die Machenschaften, die Leidenschaften, die Hochs und Tiefs. Niemand kommt in Berlin an Türkiyemspor vorbei. Und jeder hat seine eigene Story über den Verein zu erzählen."

Kein Wunder, dass es bereits Romane und Theaterstücke über den Verein gibt. Türkiyemspor hat seinen eigenen Mythos und eignet sich hervorragend als Projektionsfläche: für Türken und Deutsche, für Linke und Rechte, für die Lokal- und Sportpolitik. Die Krise des Vereins gab deshalb auch Anlass für einen Realitätscheck: "Die Insolvenz war ein schmerzhafter Prozess, aber sie war gut für uns. Wir mussten mal richtig auf die Schnauze fallen, um grundsätzlich etwas zu verändern."

Seit 2016 wieder schuldenfrei

Seit 2016 ist der Verein wieder schuldenfrei und möchte sich auf allen Ebenen professioneller aufstellen. Aus den Fehlern der Vergangenheit gilt es zu lernen. Auch in Zukunft wird der Verein ein wichtiger Teil Kreuzbergs und des Mikrokosmos der türkischen Community bleiben - mit allen Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Türkiyemspor stehe "für die moderne Gesellschaft, in der Migration als natürlich und Bereicherung erfahren wird", heißt es in einer aktuellen Veröffentlichung, "Tore für Türkiyemspor sind auch immer Tore für eine friedvolle, gleichberechtigte Zukunft."

Murat Dogan wünscht sich derweil eine hauptamtliche, sozialpädagogische Unterstützung für die Mädchenfußballabteilung, um den vielfältigen Herausforderungen gerecht zu werden. Noch immer ist der Verein auch Anlaufstelle für neue Zuwanderer: "Letzte Woche kam eine syrische Flüchtlingsfamilie zu uns, weil sie der Meinung war, dass ihre beiden Töchter bei einem türkischen Club gut aufgehoben wären. Die haben überrascht festgestellt, dass wir ganz und gar ein Berliner Verein sind."

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