Trautmann: "Die Fairness der Engländer habe ich oft erlebt"

Am Donnerstag kommt der Film "Trautmann" in die deutschen Kinos. In einem der letzten Interviews vor Bert Trautmanns Tod sprach die Torwart-Legende von Manchester City kurz vor Weihnachten 2012 mit Redakteur Steffen Lüdeke. In memoriam: das DFB.de-Interview.

Manche Bewegung fällt schwer, hier und da tut es ein wenig weh. Aber der Kopf ist noch hellwach. Bernhard "Bert" Trautmann ist 89 Jahre alt, im Geist ist er jung geblieben. Wie kein Sportler und wenige Deutsche hat der Torhüter nach dem Zweiten Weltkrieg zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Engländern beigetragen. Zwischen 1949 und 1964 stand er 545 Mal im Tor von Manchester City, 1956 wurde er als zweiter Ausländer in England zum Fußballer des Jahres gewählt. Überhaupt war 1956 "sein" Jahr. Im Finale des FA-Cups brach er sich das Genick, Trautmann spielte weiter und hielt mit seinen Paraden den Sieg fest. Seither ist er in Manchester unsterblich, wobei seine Karriere und sein Leben viel zu außergewöhnlich sind, um lediglich auf eine Partie reduziert zu werden.

Als Trautmann im Jahr 1964 seine Karriere beendete, wurden im Stadion an der Maine Road die Pfosten abgerissen und ausgetauscht, da zwischen diesen Pfosten niemand anderes mehr stehen sollte als Trautmann. Heute lebt er in Valencia, er verfolgt den Fußball und blickt auf ein außergewöhnliches Leben zurück.

DFB.de: Herr Trautmann, welche Bedeutung hat Weihnachten für Sie?

Bert Trautmann: Puh. In der Kultur der Deutschen hat Weihnachten eine große Bedeutung. Für mich persönlich auch, schon weil ich in meinem Leben viele Jahre lang Weihnachten nicht zuhause feiern konnte. In der Zeit der Besinnlichkeit wird einem natürlich mehr bewusst, wie sehr die Familie fehlt. Viele Jahre lang war die Weihnachtszeit für mich sehr schwer und eher von Traurigkeit und dem Gefühl einer gewissen Schwermut bestimmt. Ich habe die verschiedensten Erinnerungen an Weihnachten, gute und schlechte, traurige und fröhliche.

DFB.de: Sie sind in Bremen groß geworden, haben Sie noch Erinnerungen an Weihnachten in Ihrer Kindheit?

Trautmann: Es war eine schwere Zeit, damals. Sieben Millionen Menschen waren ohne Arbeit, keiner hatte Geld. Ich weiß noch, dass wir unser Essen aus der sogenannten Volksküche bekommen haben. An wertvolle Geschenke war nicht zu denken. Als Kinder im Alter von vier, fünf Jahren haben wir uns unsere Nasen an den Schaufensterscheiben plattgedrückt. Ich erinnere mich noch gut, dass ich mir immer einen Stabilbaukasten gewünscht habe, das war so eine Art Vorgänger von Lego. Aber das war unerschwinglich. Weihnachten habe ich trotzdem immer genossen, der Baum im Wohnzimmer, die Kerzen, die Lichter. Es war schön, auch wenn wir nicht viel hatten.

DFB.de: Sie haben fünf Jahre lang im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Heiligabend an der Front – wie sah das bei Ihnen aus? Oder durften Sie an Weihnachten nach Hause?

Trautmann: Nein, daran war nicht zu denken. Ich war fünf Jahre lang Soldat, in dieser Zeit durfte ich nur einmal nach Hause. Ich war einer der Jüngsten, war nicht verheiratet, ich hatte schlechte Karten, wenn es um Heimaturlaub ging. Weihnachten im Krieg ist besonders schlimm. Man wird melancholisch, denkt an zuhause und sehnt sich noch mehr als sonst nach der Familie.

DFB.de: Und die Feiertage im Kriegsgefangenenlager in England? Was haben Sie dort erlebt?

Trautmann: Dort haben wir gefeiert. Nicht wie in Deutschland, wir haben keine Weihnachtslieder gesungen, es waren ja alles nur Männer. Wir haben aber beieinander gesessen, haben geredet und Glühwein getrunken. Es war eine nachdenkliche und irgendwie dankbare und schöne Besinnlichkeit. Die Engländer haben uns fair behandelt. Wir haben beispielsweise die gleiche Verpflegung bekommen, wie die englische Bevölkerung draußen. Ich kann gar nicht oft genug betonen, dass die Engländer uns gegenüber wirklich großzügig waren. Sonst hätten wir in den Lagern ja auch nicht Fußball spielen können.

DFB.de: Wie genau kam es dazu?

Trautmann: Es gab dort viele englische Offiziere und einen schottischen Major. Das Kriegsgefangenenlager war abgeschlossen, das war die deutsche Zone. Aber in der englischen Zone außerhalb gab es einen Platz, auf dem Soldaten, Offiziere und Arbeiter Fußball spielen konnten. Wir haben das gesehen und einfach gefragt, ob wir mitspielen dürfen. Der schottische Major fand das gut, er hat es in die Hand genommen und alles organisiert. Zwei, drei Monate später haben wir dann schon regelmäßig gegen englische Amateurmannschaften aus der Region gespielt. Diese Begegnungen waren immer große Volksfeste, diese Spiele wurden zur Institution mit sechs oder siebentausend Zuschauern. Fußball war für alle eine gute Ablenkung, die Menschen sind in Scharen zu diesen Spielen geströmt.

DFB.de: Deutsche Kriegsgefangene spielen gegen Engländer - waren die Zuschauer sehr feindselig?

Trautmann: Überhaupt nicht. Dort nicht und auch nicht sonst. Als wir Kriegsgefangenen nach der Ankunft in England auf den Ladeflächen von LKW durch die Städte gefahren wurden, habe ich darauf geachtet, wie uns die Menschen begegnen. Die allermeisten haben uns angeschaut und hatten Mitleid in den Augen. Meistens waren es Frauen, deren Blicke gesagt haben: "Ihr armen Teufel. Ihr habt eine Mutter zuhause, die euch vermisst, eine Frau, Kinder. Ihr tut uns leid." Diese Fairness der Engländer habe ich in vielen Situationen erlebt. Sie war es auch, die mich nach Ende der Kriegsgefangenschaft bewogen hat, in England zu bleiben.

DFB.de: Sie haben kurz vor Weihnachten 1948 die Großzügigkeit der Engländer ganz besonders zu spüren bekommen. Sie durften zum ersten Mal nach Hause.

Trautmann: Das stimmt, aber es war nicht nur das. Nach meinen drei Jahren als Kriegsgefangener habe ich die Offerte der englischen Regierung angenommen und mich als Landarbeiter für zwölf Monate verpflichtet, dabei zu helfen, Farmland wieder urbar zu machen. Kurz vor Weihnachten hat uns die Regierung Urlaub gegeben. Ich habe mich dann noch mal mit Vertretern meiner Fußballmannschaft St. Helens Town getroffen.

DFB.de: Und dann?

Trautmann: Als ich ankam, waren zehn Vereinsmitglieder da. Direktoren, Mitspieler. Sie haben mir gesagt, dass sie sehr wohl wissen, dass es den Menschen in Deutschland und auch meiner Familie nicht gut geht. Also haben sie für mich und meine Familie gesammelt. Es war ein Schrankkoffer voller Lebensmittel. Mehl. Butter. Zucker. Schinken. Alles Mögliche. Und dazu einen Umschlag mit 150 Pfund. Das war damals unvorstellbar viel Geld. Mich hat das tief bewegt. Ich war sehr dankbar und demütig und konnte kaum fassen, was die Engländer für mich und meine Familie getan haben.

DFB.de: Und dann sind Sie nach Ewigkeiten zum ersten Mal nach Hause gekommen.

Trautmann: Zum ersten Mal seit 1943, das waren fünf Jahre.

DFB.de: Wie war das?

Trautmann: Schwer. Man ist sich in den Jahren fremd geworden. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist so. Ich war mit einer kurzen Unterbrechung acht Jahre lang von zuhause weg, habe schlimme und prägende Erfahrungen gemacht. Ich war nicht mehr der Mensch, der ich vor dem Krieg war. Und auch die anderen in meiner Familie hatten sich verändert. Aber natürlich habe ich meiner Mutter in den Armen gelegen, wir beide haben geweint. Bei meinem Bruder und meinem Vater war es noch mal anders. Man kennt sich kaum noch, und es fällt wahnsinnig schwer, damit umzugehen.

DFB.de: Wie lange waren Sie in Deutschland?

Trautmann: Für drei Wochen. Es war eine sehr schöne Zeit. Ich weiß noch, dass ich in diesen drei Wochen sogar noch ein Spiel für meinen ersten Verein TuRa Bremen gemacht habe. Dort hatte ich schon vor dem Krieg gespielt.

DFB.de: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, Deutschland wieder zu verlassen. Haben Ihre Eltern Sie nicht zu überzeugen versucht, in Bremen zu bleiben?

Trautmann: Nein. Ich hatte meinen Eltern ja erklärt, dass ich mich gegenüber der englischen Regierung verpflichtet hatte. Das haben meine Eltern verstanden. Auch wenn meine Mutter nie richtig begriffen hat, warum ich überhaupt in England geblieben bin.



Am Donnerstag kommt der Film "Trautmann" in die deutschen Kinos. In einem der letzten Interviews vor Bert Trautmanns Tod sprach die Torwart-Legende von Manchester City kurz vor Weihnachten 2012 mit Redakteur Steffen Lüdeke. In memoriam: das DFB.de-Interview.

Manche Bewegung fällt schwer, hier und da tut es ein wenig weh. Aber der Kopf ist noch hellwach. Bernhard "Bert" Trautmann ist 89 Jahre alt, im Geist ist er jung geblieben. Wie kein Sportler und wenige Deutsche hat der Torhüter nach dem Zweiten Weltkrieg zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Engländern beigetragen. Zwischen 1949 und 1964 stand er 545 Mal im Tor von Manchester City, 1956 wurde er als zweiter Ausländer in England zum Fußballer des Jahres gewählt. Überhaupt war 1956 "sein" Jahr. Im Finale des FA-Cups brach er sich das Genick, Trautmann spielte weiter und hielt mit seinen Paraden den Sieg fest. Seither ist er in Manchester unsterblich, wobei seine Karriere und sein Leben viel zu außergewöhnlich sind, um lediglich auf eine Partie reduziert zu werden.

Als Trautmann im Jahr 1964 seine Karriere beendete, wurden im Stadion an der Maine Road die Pfosten abgerissen und ausgetauscht, da zwischen diesen Pfosten niemand anderes mehr stehen sollte als Trautmann. Heute lebt er in Valencia, er verfolgt den Fußball und blickt auf ein außergewöhnliches Leben zurück.

DFB.de: Herr Trautmann, welche Bedeutung hat Weihnachten für Sie?

Bert Trautmann: Puh. In der Kultur der Deutschen hat Weihnachten eine große Bedeutung. Für mich persönlich auch, schon weil ich in meinem Leben viele Jahre lang Weihnachten nicht zuhause feiern konnte. In der Zeit der Besinnlichkeit wird einem natürlich mehr bewusst, wie sehr die Familie fehlt. Viele Jahre lang war die Weihnachtszeit für mich sehr schwer und eher von Traurigkeit und dem Gefühl einer gewissen Schwermut bestimmt. Ich habe die verschiedensten Erinnerungen an Weihnachten, gute und schlechte, traurige und fröhliche.

DFB.de: Sie sind in Bremen groß geworden, haben Sie noch Erinnerungen an Weihnachten in Ihrer Kindheit?

Trautmann: Es war eine schwere Zeit, damals. Sieben Millionen Menschen waren ohne Arbeit, keiner hatte Geld. Ich weiß noch, dass wir unser Essen aus der sogenannten Volksküche bekommen haben. An wertvolle Geschenke war nicht zu denken. Als Kinder im Alter von vier, fünf Jahren haben wir uns unsere Nasen an den Schaufensterscheiben plattgedrückt. Ich erinnere mich noch gut, dass ich mir immer einen Stabilbaukasten gewünscht habe, das war so eine Art Vorgänger von Lego. Aber das war unerschwinglich. Weihnachten habe ich trotzdem immer genossen, der Baum im Wohnzimmer, die Kerzen, die Lichter. Es war schön, auch wenn wir nicht viel hatten.

DFB.de: Sie haben fünf Jahre lang im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Heiligabend an der Front – wie sah das bei Ihnen aus? Oder durften Sie an Weihnachten nach Hause?

Trautmann: Nein, daran war nicht zu denken. Ich war fünf Jahre lang Soldat, in dieser Zeit durfte ich nur einmal nach Hause. Ich war einer der Jüngsten, war nicht verheiratet, ich hatte schlechte Karten, wenn es um Heimaturlaub ging. Weihnachten im Krieg ist besonders schlimm. Man wird melancholisch, denkt an zuhause und sehnt sich noch mehr als sonst nach der Familie.

DFB.de: Und die Feiertage im Kriegsgefangenenlager in England? Was haben Sie dort erlebt?

Trautmann: Dort haben wir gefeiert. Nicht wie in Deutschland, wir haben keine Weihnachtslieder gesungen, es waren ja alles nur Männer. Wir haben aber beieinander gesessen, haben geredet und Glühwein getrunken. Es war eine nachdenkliche und irgendwie dankbare und schöne Besinnlichkeit. Die Engländer haben uns fair behandelt. Wir haben beispielsweise die gleiche Verpflegung bekommen, wie die englische Bevölkerung draußen. Ich kann gar nicht oft genug betonen, dass die Engländer uns gegenüber wirklich großzügig waren. Sonst hätten wir in den Lagern ja auch nicht Fußball spielen können.

DFB.de: Wie genau kam es dazu?

Trautmann: Es gab dort viele englische Offiziere und einen schottischen Major. Das Kriegsgefangenenlager war abgeschlossen, das war die deutsche Zone. Aber in der englischen Zone außerhalb gab es einen Platz, auf dem Soldaten, Offiziere und Arbeiter Fußball spielen konnten. Wir haben das gesehen und einfach gefragt, ob wir mitspielen dürfen. Der schottische Major fand das gut, er hat es in die Hand genommen und alles organisiert. Zwei, drei Monate später haben wir dann schon regelmäßig gegen englische Amateurmannschaften aus der Region gespielt. Diese Begegnungen waren immer große Volksfeste, diese Spiele wurden zur Institution mit sechs oder siebentausend Zuschauern. Fußball war für alle eine gute Ablenkung, die Menschen sind in Scharen zu diesen Spielen geströmt.

DFB.de: Deutsche Kriegsgefangene spielen gegen Engländer - waren die Zuschauer sehr feindselig?

Trautmann: Überhaupt nicht. Dort nicht und auch nicht sonst. Als wir Kriegsgefangenen nach der Ankunft in England auf den Ladeflächen von LKW durch die Städte gefahren wurden, habe ich darauf geachtet, wie uns die Menschen begegnen. Die allermeisten haben uns angeschaut und hatten Mitleid in den Augen. Meistens waren es Frauen, deren Blicke gesagt haben: "Ihr armen Teufel. Ihr habt eine Mutter zuhause, die euch vermisst, eine Frau, Kinder. Ihr tut uns leid." Diese Fairness der Engländer habe ich in vielen Situationen erlebt. Sie war es auch, die mich nach Ende der Kriegsgefangenschaft bewogen hat, in England zu bleiben.

DFB.de: Sie haben kurz vor Weihnachten 1948 die Großzügigkeit der Engländer ganz besonders zu spüren bekommen. Sie durften zum ersten Mal nach Hause.

Trautmann: Das stimmt, aber es war nicht nur das. Nach meinen drei Jahren als Kriegsgefangener habe ich die Offerte der englischen Regierung angenommen und mich als Landarbeiter für zwölf Monate verpflichtet, dabei zu helfen, Farmland wieder urbar zu machen. Kurz vor Weihnachten hat uns die Regierung Urlaub gegeben. Ich habe mich dann noch mal mit Vertretern meiner Fußballmannschaft St. Helens Town getroffen.

DFB.de: Und dann?

Trautmann: Als ich ankam, waren zehn Vereinsmitglieder da. Direktoren, Mitspieler. Sie haben mir gesagt, dass sie sehr wohl wissen, dass es den Menschen in Deutschland und auch meiner Familie nicht gut geht. Also haben sie für mich und meine Familie gesammelt. Es war ein Schrankkoffer voller Lebensmittel. Mehl. Butter. Zucker. Schinken. Alles Mögliche. Und dazu einen Umschlag mit 150 Pfund. Das war damals unvorstellbar viel Geld. Mich hat das tief bewegt. Ich war sehr dankbar und demütig und konnte kaum fassen, was die Engländer für mich und meine Familie getan haben.

DFB.de: Und dann sind Sie nach Ewigkeiten zum ersten Mal nach Hause gekommen.

Trautmann: Zum ersten Mal seit 1943, das waren fünf Jahre.

DFB.de: Wie war das?

Trautmann: Schwer. Man ist sich in den Jahren fremd geworden. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist so. Ich war mit einer kurzen Unterbrechung acht Jahre lang von zuhause weg, habe schlimme und prägende Erfahrungen gemacht. Ich war nicht mehr der Mensch, der ich vor dem Krieg war. Und auch die anderen in meiner Familie hatten sich verändert. Aber natürlich habe ich meiner Mutter in den Armen gelegen, wir beide haben geweint. Bei meinem Bruder und meinem Vater war es noch mal anders. Man kennt sich kaum noch, und es fällt wahnsinnig schwer, damit umzugehen.

DFB.de: Wie lange waren Sie in Deutschland?

Trautmann: Für drei Wochen. Es war eine sehr schöne Zeit. Ich weiß noch, dass ich in diesen drei Wochen sogar noch ein Spiel für meinen ersten Verein TuRa Bremen gemacht habe. Dort hatte ich schon vor dem Krieg gespielt.

DFB.de: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, Deutschland wieder zu verlassen. Haben Ihre Eltern Sie nicht zu überzeugen versucht, in Bremen zu bleiben?

Trautmann: Nein. Ich hatte meinen Eltern ja erklärt, dass ich mich gegenüber der englischen Regierung verpflichtet hatte. Das haben meine Eltern verstanden. Auch wenn meine Mutter nie richtig begriffen hat, warum ich überhaupt in England geblieben bin.

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DFB.de: Ihre Eltern haben Sie 1955 und 1956 in England besucht und die Finals im FA-Cup gesehen. Haben Ihre Eltern danach besser verstehen können, warum Sie in England geblieben sind?

Trautmann: Ja. Die Manchester Evening News, eine Zeitung, hatte die beiden eingeladen. Für mich war das eine große Überraschung. Ich hätte mir das selber niemals leisten können, dafür habe ich viel zu wenig verdient. Meine Eltern durften so lange bleiben, wie sie wollten, das war eine ganz tolle Geste. Ein paar Wochen sind sie geblieben, und danach haben sie sehr viel mehr nachvollziehen können, warum mir England so gefallen hat.

DFB.de: Sie waren zu dieser Zeit schon Torwart von Manchester City. Stimmt die Geschichte, dass Sie dort nur unterschrieben haben, weil Sie auf Toilette mussten und Ihre Gäste loswerden wollten?

Trautmann: Ja, das stimmt. (lacht) Im Rückblick finde auch ich, dass es eine eher kuriose Geschichte ist. Ich lag im Bett, ich hatte eine Grippe. Es klingelte an der Tür, es waren Verantwortliche von ManCity. Ich hab aufgemacht und war nicht mutig genug, die Herren wieder wegzuschicken. Wir haben dann dreieinhalb, vier Stunden lang verhandelt. Sie haben mich breitgetreten und sind einfach nicht gegangen. Und weil ich dringend auf Toilette musste, habe ich dann irgendwann einfach unterschrieben.

DFB.de: Es war für Sie keine Option, auf Toilette zu gehen und danach weiter zu verhandeln?

Trautmann: Doch schon. (lacht) Aber mein Englisch war damals noch nicht so gut. Ich habe wirklich nur unterschrieben, damit die Herren endlich verschwinden. Man darf sich das aber nicht vorstellen, wie ein Wechsel heutzutage. Es waren alles Amateurvereine. Ich wollte einfach in einer höheren Klasse Fußball spielen. Und dass ich bei ManCity nach fünf Spielen in die erste Mannschaft kommen würde, das hatte ich gar nicht geplant.

DFB.de: Sie haben es geschafft und wurden spätestens durch das Finale des FA-Cups 1956 gegen Birmingham zur Legende, als Sie für Manchester mit gebrochenem Genick den Titel festgehalten haben. Danach wurde Ihr Kopf eingegipst, sie durften sich wochenlang nicht bewegen und wurden künstlich ernährt. Wie haben Sie das überstanden?

Trautmann: Für mich war das nicht so schlimm. Ich war im Krieg, habe dort sehr viel schlimmere Dinge gesehen. Danach nimmt man andere Dinge als weniger einschneidend wahr. Ich habe erst kürzlich wieder mit meiner Frau gemeinsam den Film "Stalingrad" gesehen. Von 300.000 Soldaten sind nur 6000 nach Hause gekommen. Meine Frau hat ihren Bruder in Stalingrad verloren. Nach dem Film habe ich zu meiner Frau gesagt: "Mädchen, es gab in Russland jede Menge Stalingrads." Was ich damit sagen will, ist: Wenn sie in so jungen Jahren so viele schlimme Dinge erleben müssen, dann beklagt man sich später nicht darüber, wie schwer das Leben ist, nur weil man fünf Monate lang einen Gips tragen muss.

DFB.de: Sie haben den Krieg überstanden, einen Genickbruch überlebt. Haben Sie im Leben Glück gehabt oder hadern Sie mit ihrem Schicksal, weil Sie in den Krieg ziehen mussten.

Trautmann: Wenn man überhaupt davon sprechen kann, hatte ich auch im Krieg Glück. Ich wurde oft gefragt, ob ich im Krieg getötet habe. Ich weiß es nicht. Ich habe nie einen Nahkampf mitmachen müssen. Wenn wir attackiert haben, habe auch ich geschossen, aber nicht gezielt. Generell hat man im Krieg die Einstellung: "Er oder ich". Krieg ist sehr abstrakt, solange, bis man selber schießen muss. Und richtig konkret wird es erst, wenn man die ersten Kriegsgefangenen sieht, wenn man feststellt, dass der "Feind" auch nur aus Menschen besteht. Menschen wie Du und Ich, die im Leben nichts Schlimmes angestellt haben. Mit meinem Schicksal habe ich meinen Frieden gemacht. Ich habe viele kritische Situationen überstanden und kann sagen, dass ich glücklich bin, dass es mir gut geht und ich noch am Leben bin. Es gibt einige Erfahrungen, die ich machen musste, und auf die ich gut verzichten könnte. Aber ich bin dankbar, dass mir sehr viele nette und interessante Menschen begegnet sind, die es alle gut mit mir gemeint haben. Ich bin deswegen immer ein zufriedener Mensch gewesen.

DFB.de: In Deutschland ruht der Ball an Weihnachten, in England wird gespielt. Traditionell auch am zweiten Weihnachtstag, dem Boxing Day. Was macht den Reiz dieser Spiele aus?

Trautmann: Ich muss gestehen, dass ich gar nicht genau weiß, woher diese Tradition kommt. Es ist einfach völlig normal, dass dort an den Feiertagen Fußball gespielt wird. Früher noch mehr als heute. Früher wurde ja auch an Ostern, an Karfreitag, am Ostersonntag und -montag gespielt. Mir hat das nie viel ausgemacht, ich habe immer gerne gespielt, mir wurde es nie zu viel. Vielleicht auch, weil ich als Torwart körperlich weniger belastet war.

DFB.de: Wie sahen die Weihnachten in Ihrer Zeit in England aus?

Trautmann: Die Engländer feiern Weichnachten ähnlich wie die Deutschen. Der größte Unterschied besteht darin, dass dort die Bescherung am ersten Weihnachtsfeiertag erfolgt. Ich fand das immer sehr nett. Ich hatte selber ja auch Kinder. An Heiligabend gingen die Kinder ins Bett, vorher haben Sie auf den Fensterbänken lange Stümpfe aufgehangen, damit der Weihnachtsmann diese befüllen kann. Daneben haben die Kinder immer Kekse und Milch gestellt, damit sich der Weihnachtsmann stärken kann. Wir Eltern mussten uns dann irgendwann in der Nacht hochschleichen und die Strümpfe befüllen. Und Kekse und Milch mussten wir verschwinden lassen. (lacht)

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DFB.de: Sie haben später als Trainer und Ausbilder in der ganzen Welt gearbeitet. Burma, Liberia, Pakistan, Jemen und Tansania sind nur einige Stationen. Haben Sie dabei an Weihnachten Besonderheiten erlebt?

Trautmann: Wir haben dort im Wesentlichen Einheimische zu Trainern ausgebildet. Aber ich war nicht alleine da, auch nicht der einzige Deutsche. Es gab Entwicklungshelfer aus den verschiedensten Fachgebieten und Nationen. In den ersten drei Jahren war ich in Burma. Dort gab es eine sozialistische Militärregierung. Es gab dort nichts, was auch nur im Ansatz westlich gewesen wäre. An Weihnachten haben sich die Deutschen in Burma zusammengetan. Wir waren eine kleine Gemeinde, man hatte sich angefreundet und Bekanntschaften geschlossen. Das war immer sehr nett. An den Feiertagen ist es uns oft gelungen, ein Gefühl von Heimat dorthin zu transportieren.

DFB.de: Sie haben viele Titel gewonnen und etliche Ehrungen erhalten. Von der Queen wurden Sie zum Order of the British Empire ernannt, in Deutschland haben Sie das Bundesverdienstkreuz erhalten und vom DFB die Verdienstnadel mit Brillant. Gibt es eine Ehrung, auf die Sie besonders stolz sind?

Trautmann: Ja, auf die Medaille 1955, als wir mit ManCity das FA-Cup-Finale gegen Newcastle United verloren hatten.

DFB.de: Besonders stolz sind Sie auf eine Medaille für ein Spiel, das Sie verloren hatten?

Trautmann: Ich verbinde damit eine besondere Geschichte.

DFB.de: Und zwar?

Trautmann: Es ist ja bekannt, dass ich nie für Deutschland gespielt habe. Die WM 1954 habe ich als ganz normaler Fan verfolgt. Nachdem Deutschland Weltmeister geworden war, gab es am 1. Dezember 1954 in London ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und England. Ich wurde von meinem Verein abgestellt, um der deutschen Delegation ein wenig zu helfen. Als Dolmetscher und mit vielen Kleinigkeiten. Am Abend vor dem Spiel haben wir das Wembleystadion besichtigt, auch ich war zum ersten Mal dort. Ich bin dann auf den Platz, habe mich zwischen die Pfosten gestellt und zu mir selbst gesagt: "Einmal hier spielen, dass wäre das Größte." Und sechs Monate später hatte ich es geschafft - wir waren tatsächlich im Endspiel. Für mich war das unfassbar. Deswegen hänge ich so an dieser Medaille. Außerdem sieht sie fast genauso aus wie die Gewinnermedaille. (lacht)

DFB.de: Und die anderen Auszeichnungen bedeuten Ihnen nichts?

Trautmann: Um Gottes Willen, doch! Ich empfinde jede einzelne als Ehre. Ich frage mich immer, wie ich das alles geschafft habe, obwohl ich nie international spielen durfte. Aber umgekehrt muss das wohl bedeuten, dass ich gar nicht so schlecht gewesen sein kann. (lacht)

DFB.de: Wo bewahren Sie die Trophäen und Auszeichnungen auf? In Ihrem Haus in Spanien?

Trautmann: Nein. Hier habe ich nur einen blauweißen Teller von 1860 München mit dem Münchner Rathaus drauf. Dann die Urkunde von der englischen Königin und vom ZDF eine Collage mit Bildern aus meiner Karriere. Und sonst nichts. Vieles habe ich in Deutschland, vieles habe ich außerdem verschenkt oder für wohltätige Zwecke weggegeben. Und das DFB-Museum hat auch schon angefragt, da werde ich auch einiges hingeben.

DFB.de: Verfolgen Sie von Spanien aus eher den Fußball in der Bundesliga, den in der Premier League oder den in der Primera Division?

Trautmann: Alles gleichermaßen. Ich lese sehr viel in den Zeitungen und schaue auch viel fern. Ich übertreibe es nicht, aber wenn ein wichtiges Spiel übertragen wird, dann bin ich dabei.

DFB.de: Wie sehr sind Sie an den deutschen Torhütern interessiert? Sie haben mal gesagt, dass Manuel Neuer kein Naturtalent ist.

Trautmann: Das habe ich gesagt?

DFB.de: Ja.

Trautmann: Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Manuel Neuer ist ein Torhüter, der vorausschaut, der mitspielt, der intelligent ist und ein Spiel lesen kann. Aber wenn wir über deutsche Torhüter reden, muss ich auch sagen, dass ich mich sehr freue, dass René Adler wieder zurückgekommen ist. Er war lange verletzt und ist jetzt wieder stark. Das imponiert mir. Generell finde ich, dass Torhüter viel zu oft nur Effekte haschen. Große Torhüter erkennt man nicht an den spektakulären Paraden, sondern an der Arbeit, die sie ihrer Hintermannschaft abnehmen. Torhüter müssen mitspielen, auf die Linie gehören sie nur beim Elfmeter.

DFB.de: Sie haben in Ihrer Laufbahn 60 Prozent aller Elfmeter gehalten.

Trautmann: Mehr als 60 Prozent.

DFB.de: Ihre Karriere haben Sie in England verbracht. Im Elfmeterschießen gegen deutsche Mannschaften bekommen englische Spieler mit schöner Regelmäßigkeit auch heute noch das Nervenflattern. Haben Sie einen kleinen Anteil daran, dass Deutschland bei der WM 1990 und der EM 1996 im Elfmeterschießen gegen England gewonnen hat.

Trautmann: Es sieht fast so aus. (lacht) Bei den Spielen war es sehr schade, dass eine der beiden Mannschaften ausscheiden musste, zumal für mich. Bei mir ist es immer so, dass ich den deutschen Fußball verteidige, wenn ich in England bin und den englischen Fußball, wenn ich in Deutschland bin. Bei Spielen zwischen Deutschland und England ist es für mich ganz schwer. Auf der einen Seite will ich, dass Deutschland gewinnt, aber dass England verliert, das will ich auch nicht.

DFB.de: Sie werden am 22. Oktober 90 Jahre alt, hat man mit fast 90 Jahren noch gute Vorsätze für das neue Jahr?

Trautmann: Vorsätze habe ich nicht, aber Wünsche: Zuerst natürlich Gesundheit. Außerdem wünsche ich mir, dass mir die Freunde, Bekannten und vielen lieben Menschen, die mir wichtig sind, noch lange erhalten bleiben. Und ich ihnen auch.

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